Hildegard von Bingen an den Kölner Klerus:
"Der da war und der da ist und der da kommen wird, spricht zu den
Hirten der Kirche: Warum schämt Ihr Euch nicht, während doch alle
anderen Kreaturen die Vorschriften, die sie von ihrem Meister haben,
nicht vernachlässigen, sondern erfüllen! Ich habe Euch eingesetzt,
damit Ihr den Menschen leuchtet durch das Feuer der Lehre. Eure Zungen
aber sind stumm, Ihr seid Nacht, die Finsternis aushaucht, und ein
Volk, das nicht arbeitet und aus Trägheit nicht im Lichte wandelt. Wie
eine nackte Schlange sich in ihre Höhle verkriecht, so begebt Ihr Euch
in den Gestank des niedrigen Viehs. Mit Eurem leeren Getue verscheucht
Ihr bestenfalls im Sommer einige Fliegen. Ihr habt keine Augen, wenn
Eure Werke den Menschen nicht leuchten im Feuer des Heiligen Geistes
und Ihr ihnen das gute Beispiel nicht immer wieder vorlebt!"
Eine deutliche Sprache, die Hildegard von Bingen da anschlägt! In
diesem Brief aus dem Jahr 1167 liest sie dem Kölner Klerus die Leviten.
Die Lauheit vieler Priester empfindet sie als Schande für die Kirche,
und sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Daß allerdings eine Frau den
geistlichen Herren so unverblümt die Meinung sagt, ist für die Menschen
des zwölften Jahrhunderts eine unerhörte Kühnheit. Wer war die Frau,
die so etwas wagen konnte?
Hildegard wurde im Jahr 1098 als zehntes und letztes Kind einer adligen
Familie in Bermersheim in Rheinhessen geboren. Das Geschlecht der
Edelfreien von Bermersheim ist schon seit dem achten Jahrhundert auf
der Burg Böckelheim ansässig und entsprechend angesehen. Hildegards
Vater Hildebert ist Gutsverwalter des Hochstiftes Speyer. (Zit. S.
Tölke, Bayerischer Rundfunk vom 21.9.98)
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Die letzten Nebel haben sich gelichtet!
von
Vittorio Messori
"Das Maß ist nun voll: dieser Papst übertreibt. Und die Reisen dieser
Tage (nach Griechenland, Malta und Syrien) bestätigen es. Johannes Paul
II. entstellt die Vergangenheit der Kirche, riskiert, sie der
Demütigung auszusetzen, huldigt ihren Verfolgem, strebt den Ökumenismus
wie einen Synkretismus an, wo eine Religion so viel zu gelten scheint
wie eine andere. Auch wenn sie bis jetzt sich nicht aus der Deckung
herauszutreten gewagt haben, sind dies die Gemütszustände, die
Redensarten, welche man in einem Teil der römischen Kurie, im Einklang
mit einem Netz von Bischöfen in der Seelsorge, vemehmen kann. Einzig
der ideologische Schematismus treibt noch angemaßte "Experten der
vatikanischen Angelegenheiten" dazu, Johannes Paul II. als Bannerträger
der "konservativen Rechten" und als Feind der "progressiven Linken"
darzustellen. In Wirklichkeit weiß, wer die aktuelle kirchliche
Situation kennt, schon seit langem, dass genau das Gegenteil zutrifft.
Es sind nicht mehr nur die Lefebvrianischen Scharen, die ihn des
Modernismus, der Häresie, der blasphemischen üblen Nachrede auf die
Geschichte der Kirche beschuldigen. Innerhalb der Kongregationen,
Sekretariate, Institute des katholischen Apparates nehmen Unbehagen und
Verdacht zu. Das schon dicke Beschwerdebuch füllt sich jeden Tag mit
neuen Anklageführern. Es ist kein Geheimnis, dass, als Johannes Paul
II. in einem Konsistorium von seinem Wunsch sprach, für die "Schuld"
seiner Vorgänger um Vergebung zu bitten, der Großteil der Kardinäle die
Idee zurückwies. Da ging der Papst allein vorwärts: aber, zur Freude
der "Progressisten" vereinigte sich das feindliche Stillschweigen
großer kirchlicher, auch nicht traditionalistischer, aber um die
Bewahrung der Wahrheit und der Gerechtigkeit bemühter Kreise."
Anmerkung der Redaktion:
Soweit Vittorio Messori Ausführung in einem Artikel, der auf der ersten
Seite der angesehensten italienischen Tageszeitung, des "Corriere della
Sera", unter dem Titel "Eine große Gefahr" letztes Jahr erschienen ist.
Messori ist der einzige Schriftsteller und Journalist, der Bücher in
der Form von Interviews sowohl mit dem Präfekten der
'Glaubenskongregation', Ratzinger, als auch mit Johannes Paul II.
veröffentlicht hat. Erstaunlich ist, daß gerade er die Auffassung
vatikanischer Kreise veröffentlicht, Johannes Paul II. sei der Häresie,
des Modernismus und des Sykretismus verdächtig. Vielleicht entschweben
nun doch noch die letzten Nebelfetzen.
E. Heller
(Übers. aus dem Italienischen: "Sodalitium" n° 53, 3/2001; zitiert nach "Beiträge", Nr. 42, Febr./März 2002)
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Johannes Paul II.: im Urteil der Zeitgenossen
"Johannes Paul II. hat diesem Hl. Jahr drei Orientierungspunkte
gegeben: die Reue über die vergangenen Sünden der Kirche (besonders
Sklaverei und Antisemitismus), die bei den katholischen Gläubigen
Widerstände hervorrufen wird; der Dialog mit den anderen
monotheistischen Religionen, den der Papst besonders anläßlich seiner
ersten Reise ins Heilige Land im März betonen wird; schließlich die
Versöhnung mit den anderen christlichen Religionen" (Le Monde vom 25.
Dezember 1999).
"Jede Kirche ist auf diese Weise aufgerufen, den Sinn ihrer Anwesenheit
und ihrer Sendung im Her-zen der menschlichen Wanderschaft zu
vertiefen, wobei sich die Pluralität der Religionen als Faktum
darstellt oder besser als göttliches Geheimnis der menschlichen
Heilsgeschichte" (Kardinal Etchegaray, Interview mit Le Mon de vom 25.
Dezember 1999).
"Wenn die Inder von sich aus zur Kirche kommen, sich uns anschließen
und konvertieren wollen, wie können wir sie daran hindern?" (Mgr. de
Soza, Erzbischof von Kalkutta, Interview mit Le Figaro vom 18. Dezember
1999).
"Wenn Pfarrer Jean-Luc, französischer Priester in Tatschikistan,
Christen orthodoxer Herkunft trifft, so schickt er sie zum Popen, wie
es der Papst fordert" (Le Figaro vom 27. Januar
2000).
Pater Claude Geffre OP, Professor am Institut catholique de Paris,
Dekan der theologischen Fakultät von Saulchoir, Direktor der Ecole
biblique von Jerusalem, in Le Monde vom 25. Januar 2000:
"Beim II. Vatikanischen Konzil
entdeckte und akzeptierte die katholische Kirche, daß sie nicht das
Monopol der Wahrheit besitzt, daß sie ihr Ohr für die Welt öffnen muß,
daß sie sich nicht nur durch andere religiöse Traditionen belehren
lassen muß, sondern auch durch die Neulesung der grundlegenden Rechte
des menschlichen Gewissens. Alle Religionen müssen sich für diesen
universellen Konsens öffnen. Alle werden aufgerufen durch das
Bewußtsein der Rechte und der Freiheit des Menschen. Jene (Religionen),
die sich diesen legitimen Ansprüchen widersetzen, sind dazu verurteilt,
sich zu reformieren oder zu verschwinden. Sich zu reformieren bedeutet
in diesem Zusammenhang zuzulassen, daß die Öffnung gegen die
Forderungen des modernen menschlichen Bewußtseins nicht im Gegensatz
steht zur Treue zum Inhalt ihrer Offenbarung".
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