Wie Christus als Gottes Sohn erkannt werden kann - weiterführende Betrachtungen
von Eberhard Heller
Auf meine Ausführungen zu der Frage "Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?", die ich auch Bekannten und Freunden zukommen ließ, die zwar nicht Bezieher der EINSICHT sind, von denen ich aber wußte, daß sie Interesse an fundamental-theologischen Problemen haben, bekam ich unterschiedliche Reaktionen. Ein früherer Klassenkamerad, der nach dem Abitur Theologie studierte, schrieb mir: "Habe versucht, Deinen Artikel zu lesen - aber für mich sind diese philosophischen Gedanken über Jesu Gottessohnschaft einfach nicht nachvollziehbar. M. A. kann ich mich dem tiefsten Geheimnis Jesu nur biblisch-theologisch annähern. Meine ratio ist zu klein, um das Geheimnis Jesu auszuloten. Mein Rat: Lies doch bitte einmal Mt 11,1 ff ([der Täufer Johannes - selbst im Gefängnis - läßt durch seine Jünger Jesu fragen] "Bist du es, der da kommen soll - oder sollen wir auf einen anderen warten?" - und die Antwort Jesu darauf.) Eine andere Antwort ist nicht möglich!"
Meine Antwort darauf: Johannes, der in Erwartung des künftigen Messias lebte und von dem Christus selbst als dem Größten "unter den vom Weibe Geborenen" (Matt. 11,11) redet, konnte die Antwort Christi sehr wohl als Beleg für dessen göttliche Sendung verstehen: "Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium verkündet und selig ist, wer nicht Anstoß nimmt an mir." (Matt. 11, 5 f.) Aber diese Antwort ist sehr wohl an die Erkenntnisfähigkeit des Johannes gerichtet, der in diesen Beispielen das Wirken Gottes bzw. des Gottes-Sohnes sehen mußte.
Eine zustimmende Antwort erhielt ich von einem Studienkollegen, der sich sehr intensiv mit der nach-konziliaren Entwicklung der Kirche beschäftigt hat und aus dessen Brief ich einige Sätze zitieren möchte: "Deinen Ausführungen über die Frage, wie Christus als Gottes Sohn erkannt werden kann, stimme ich weitgehend zu. Einige Anmerkungen: - Du sagst: Das (bloß) Tradierte - Schrift und Tradition - ... legen ... aus sich keine Basis, aus Überzeugung sagen zu können, daß er das "Fleisch gewordene Wort" (Joh. 1.1ff) ist. Andererseits muß aber das gesuchte Moment doch in diesem Material enthalten sein. Es legt also doch die Basis für die noch zu gewinnende Erkenntnis, nur ist die Stelle noch nicht geortet und ausgewertet, die zu der Erkenntnis führt. (…) - Du sagst: Damit wäre die eingangs gestellte Frage: Ist Christus Gottes Sohn? zumindest in groben Zügen beantwortet. Diese Frage ist aber noch nicht beantwortet, sondern es ist wohl nur verdeutlicht, was geleistet werden muß, damit sie beantwortet werden kann."
Was nun das zu suchende Moment in der Tradition angeht, so hatte ich bereits in EINSICHT Nr. 3 vom Sept. 2013, S. 84 postuliert: "In der Tradition muß ein Moment enthalten sein, ein genetisches, das mir den Zugang zu der absoluten Person weist, die sich dann auch als solche zeigen, sich offenbaren muß." Dieses Moment hatte ich dann weiter bestimmt als eines, welches sich selbst bezeugt.
"Dieses Moment muß – formal gesehen -, da es die Ebene des bloß behaupteten Gott-Seins überschreiten soll/muß, nicht von außen bzw. von etwas anderem herangetragen werden, sondern muß sich selbst bezeugen. Da es sich bei Gott nicht um ein bloßes Sein handelt, sondern um eine absolute Sollens-Forderung, die ihrerseits ihre absolute Erfüllung fordert, also ein Soll, das auch sein Soll-Sein verlangt." (EINSICHT Nr. 4 vom Dez. 21013, S. 115)
Um nun der Forderung nachzukommen, was noch geleistet werden muß, um eine voll-ständige Antwort auf die aufgestellte Frage "Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?" zu geben, möchte ich fortfahren mit weiteren Bestimmungen zu dem Problem der Selbstbezeugung, welche aber eher als Kommentierung denn als systematische Fortführung anzusehen sind.
Da ich die Seinsweise Gottes nicht selbst erzeugen kann - wenn ich es könnte, wäre ich selbst Gott! -, muß er sich selbst bezeugen (Ego eimi eimi - ich bin der, der ich bin). Er muß sich als Gott zeigen, offenbaren, so wie er als Gott ist, wobei seine Gottheit als solche in der Erscheinung hervortritt, hervortreten muß.
Der Begriff von Gott muß auf Christus angewandt und von daher mit Realität (dessen, was Gott aussagt, erfüllt werden. Der Begriff Gottes bzw. des Absoluten als das bonum (das Gute) und verum (das Wahre) muß den erfassen bzw. den umfassen, der sich als solcher zeigt. Es geht bei der Anwendung also nicht um das verum und bonum als solche, sondern um den schlechthin Guten, den Wahren. D.h. der Begriff des Absoluten muß mit der historischen, realen Person Christi verbunden und identifiziert werden können. Darum muß das (begrifflich) absolut Gute/Wahre) sich nicht nur mit dem, was sich mir via Tradition von Christus vorstellt bzw. mir vorgestellt wird, verbinden lassen, sondern muß mit dieser Vorstellung identisch sein: bonum/verum = Christus (bonus/verus). Es muß sich zeigen, daß Christus der Gute schlechthin ist. Bonum und Christus müssen identisch sein: Ab = Ac
Aber welche Bedingungen kann ich angeben, unter denen es möglich ist, diese Einsicht zu gewinnen? Ich muß einsichtig vollziehen können, daß die Vorstellung von Liebe/Sühne-Liebe, die Christus via Schrift und Tradition (Weitervermittlung seiner Intention auf der interpersonalen Schiene durch die Zeit hindurch) die absolute Setzung von Gut-Sein schlechthin ist.
Aufgabe der (Religions-)Philosophie ist es u.a. die Bedingungen aufzuzeigen, unter denen ich - um die historische Person Jesu wissend - ihn als den sich offenbarenden Gott erkennen und von ihm als Gott wissen kann. Erst durch diese Erkenntnis kann man eine klare Überzeugung seines Glaubens aufbauen. Klare Begrifflichkeit bezieht sich also auf den Begriff von Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Es gilt eine Überzeugung ausprägen, auszubilden, daß sich in der historisch verifizierbaren Person Jesus Gottes Sohn offenbart hat, geboren aus Maria, der Jungfrau, die ihn vom Hl. Geist empfangen hat: der absolut Heilige, der gekommen ist, - um seine Liebe real interpersonal zu verbreiten, - um für unsere Sünden zu sühnen, damit wir wieder fähig werden, uns als Sünder zu entsühnen, um wieder fähig werden, mit Ihm zu kommunizieren.
Aus dieser Überlegung, daß Christus der Absolute ist, der einzig und alleine wahre Maßstäbe setzen kann und darf, entsteht dann auch die Basis für ein religiöses Verhältnis zu ihm, ein religiöses Leben, in dem ich bemüht bin, mit ihm (im Gebet oder durch die Sakramente, die mir Anteil am lebendigen Vollzug des göttlichen Lebens geben) zu kommunizieren, d.h. zu dem ich ein interpersonales eigener Art entwickeln kann, d.h. das den Unterschied von Schöpfer und Geschöpf, von Vater und Kind berücksichtigt, welches sich nicht in Furcht vor dem Absoluten noch in der Gleichrangigkeit - wie z.B. zu anderen Personen in unserem Umfeld - ausgestaltet, sondern von der Ehrfurcht vor Gott geprägt ist.
Habe ich das begriffen - Gottes Sohn der einzig wahre Absolute -, dann schließen sich Irrtum und falsche Propheten, andere Religionen als gleichberechtigte Heilswege aus. (Exodus, 20,2: "Ich bin der Herr, dein Gott (…). Du sollst keine anderen Götter neben mir zum Trotz haben.") D.h. aber auch, daß ich jemand, der eine andere Religion angenommen hat, in dem (subjektiven) Glauben, die richtige gewählt zu haben, durchaus respektieren kann/muß, da der Zugang zu Gott, der Glaube an ihn, immer auch ein Akt der Gnade, der freien Zueignung Gottes ist, den man aufnehmen oder ablehnen kann. Ich kann den anderen, der einer falschen Religion anhängt, daher auch in Hoffnung annehmen, weil dieser ja prinzipiell zu einer Konversion fähig ist.
Wenn ich davon ausgehe, daß sich mir Gott als absoluter Herr gezeigt hat, dann ist es auch Pflicht jedes Christen, dieses Verhältnis zu Gott nicht solipsistisch - in und auf mich zurückgezogen zu gestalten, sondern dafür auch andere Personen - meine Nächsten - zu gewinnen, ihnen die "gute Botschaft" ("Gutbotschaft") das Evangelium zu eröffnen, wo-bei die gute Botschaft (Eu angelion) nicht immer froh sein muß. Diese Erkenntnis, daß der Absolutheitsanspruch gerechtfertigt ist, schließt ein, daß die Forderungen und Einrichtungen, die Christus erhoben bzw. eingerichtet hat - die Gründung der Kirche als Heilsinstitution, die Einsetzung der Sakramente, die theologischen Lehrsätze und die moralischen Grundsätze - unbedingt gelten, ausnahmslos. Dann weiß ich auch, daß ich durch den Empfang der Kommunion Ihn unmittelbar empfange, er also bei mir einkehrt, nicht wie er als reale Person den Jüngern begegnete und bei ihnen einkehrte, sondern verborgen, eben unter den Gestalten von Brot und Wein. Diese Verborgenheit ist aber auch die besondere Schwierigkeit, ein personales Verhältnis zu Christus als interpersonales Verhältnis zu gestalten, wie man es zu seiner Frau, bzw. sie zu ihrem Ehemann, den Kindern oder Freunden aufbaut.
"Von der Position dieses Wissens aus gesehen wird es auch verständlich, daß durch das willentliche Negieren, durch das Mißachten und das radikale Verwerfen der absolut geforderten Liebe zu Gott, diese Gottesliebe nicht vollzogen wird. Da diese Liebe jedoch absolute Voraussetzung für jede interpersonale Beziehung ist, die ihre moralische Erfüllung sucht, wird infolgedessen jede andere Form einer mitmenschlichen Beziehung - eine Form etwa, die sich nur noch auf einen ‘Humanismus‘ als Gehalt berufen kann - pervertiert und muß notwendigerweise scheitern. Denn wird diese mitmenschliche Beziehung nicht durch die in Gott erscheinende absolute Liebe und aus der Liebe zu dieser Liebe gespeist, dann kann der Inhalt, der notwendigerweise für eine Interpersonalitätsbeziehung als Einheit angesetzt werden muß, nur mehr Ausdruck absoluter Willkür und Grausamkeit sein, die zumindest implizit die selbständige Vernünftigkeit der anderen Person negiert, sie in praxi vernichtet, besonders dann, wenn dieses Surrogat einer interpersonalen "Einheit" die deklarierte willentliche Ablehnung der Liebe Gottes darstellt." (meine Ausführungen in: "Die Theorie der Interpersonalität im Spätwerk J. G. Fichtes" München 1974, S. 307)
Habe ich diese Glaubensüberzeugung nicht, d.h. habe ich nicht die Gewissheit, daß Christus Gottes Sohn ist, der nach seiner irdischen Laufbahn in den Himmel aufgefahren und nun zur Rechten Gottes thront, dann bleibt meine religiöse Position, die ich meinetwegen aus Gründen der Tradition (durch das Elternhaus) übernommen habe, ungesichert, hypothetisch. Unter Glauben wird dann, wie es die Volksseele tut, das subsummiert, was ich eben glaube, aber nicht weiß. Es ergibt sich dann folgendes Muster: wenn A gilt, dann auch B. Wenn Christus Gottes Sohn ist, dann gilt auch sein Gebot. Aber ich weiß nicht, habe keine Überzeugung, daß Christus Gottes Sohn ist, ich nehme es nur an, weswegen auch sein Gebot, seine Gründung, seine Bedeutung für unser Heil hypothetisch, fragwürdig bleiben. Das Wort Christi "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh. 14,6) bleiben im Zweifel hängen.
Wenn also A nicht gesichert ist, dann bleiben auch alle anderen Momente relativ ungesichert, auch zu anderen Institutionen, die sogar ansetzen B = B, wie der Islam, der ansetzt "Allah ist Gott und Mohammed sein Prophet", der darüber keinen Zweifel aufkommen läßt. Teilweise schauen überzeugte Mohammedaner nicht ohne Grund mit Verachtung auf ein Christentum herunter, welches sich nicht in der zentralsten Position sicher ist, daß nämlich Christus Gottes Sohn ist.
Was allerdings übrig bleiben kann, ist eine moralische Gewißheit, die mit der religiösen Position verbunden sein kann. So gelten z.B. Reformtheologen, die die orthodox katholische Position verlassen haben, aber gegen die Abtreibung, Prostitution oder Homosexualität protestieren, schon als konservativ (Wojtyla, Ratzinger).
Die hypothetische Glaubensposition hat auch eine traditionalistische Variante, die als solche kaum aufgedeckt wurde. Obwohl auch da die Unmittelbarkeit der Glaubensüberzeugung fehlt, gibt es eine ganze Reihe von sog. Traditionalisten, die sich auf ihr theologisches Wissen stützen. Sie vergleichen vor- und nach-konziliare Positionen und stellen die Abweichungen fest, wobei schnell klar wird, daß sich die verschiedenen Positionen zum gleichen Thema widersprechen. Auf Grund der Wahrheitsforderung nach Eindeutigkeit entscheiden sie sich dann für die vor-konziliare Bestimmung, da sie bis heute in Geltung war (eben in der Tradition).
Bin ich aber der festen Überzeugung, daß Christus Gottes Sohn ist, der sich als Person historisch manifestiert hat (et incarnatus est - der Mensch geworden ist) und sich als Gott offenbart hat, dann sind alle anderen Religionen, die sich ebenfalls auf "Gott" berufen, als wahre Religionen ausgeschieden. Sie können auch nicht als alternative Heilswege betrachtet werden - wie es die Reform-Kirche tut, die das Judentum und den Islam als (legitime) Heilswege betrachtet! |