Verwechslung mit Folgen
von
Eberhard Heller
Alle Kritik, die wir an den Reformen von Vaticanum II und
denen sich daraus ergebenen vielfachen
Veränderungen vorgetragen haben und weiterhin darüber informieren, haben
ihre Begründung darin, daß wir nicht auf persönliche Defekte der (ehemaligen)
Amtsinhaber hinweisen, sondern daß wir die Amtssünden auflisten, die im Namen
der angemaßten Autorität verbreitet werden. So haben wir mit unserer Kritik
angeklagt,
- daß gegen den ursprünglichen Willen bzw. die Absicht
Gottes verstoßen wird,
- daß die Gründung Seiner Kirche als Heilsinstitution
beschädigt wird,
- daß die Verwaltung und die Intention der Sakramente
verfälscht wurde,
- daß der Lehrinhalt Seiner Botschaft verändert bzw.
verfälscht wurde,
- daß Gottes absoluter Anspruch relativiert bzw. aufgehoben
wurde,
- daß die Kirche Christi ihren unbedingten Charakter als
Heilsinstitution aufgegeben hat.
Man kann leicht feststellen: Bei diesen Kritik-Punkten geht
(und ging) es nicht um das Aufzeigen persönlichen Fehlverhaltens, sondern um
gravierende revolutionäre Aspekte zur Eliminierung der Offenbarung Gottes,
wobei sich die Kritik auch auf jene bezieht, die vorgeben, ein Amt innezuhaben,
nicht um damit deren Amtsinhabe als legitim zu bestätigen, sondern nur, um bei
diesen Personen jegliche Legitimität zu bestreiten.
Wenn wir aber auf unsere Anstrengungen sehen, die zur
Rettung des christlichen Glaubens und der Kirche unternommen wurden, und dann
auf das bisher erzielte Resultat schauen, dann wird schnell klar, daß Fehler
gemacht wurden, deren Ursache nicht in den Glaubensinhalten als solchen zu
suchen ist - die wollte man gerade unangetastet und unversehrt bewahren -,
sondern in dem Fehlverhalten der vorgeblichen 'Glaubensanwälte', wobei dieses
sowohl bei Klerikern als auch Laien zu finden ist. Dieses Bloßlegen falscher
Einstellungen hat unsere Bemühungen um die Darstellung der offiziellen Irrtümer
stets begleitet.
Beginnen möchte ich aber mit der Weiterführung der Debatte
um die richtige Einstellung zur Autorität der Kirche, auch und gerade in einer
Zeit, in der diese zu erlöschen scheint, um dann auf ein Dilemma hinzuweisen, in dem sich viele - und
hier trifft die Bezeichnung zu - Traditionalisten befinden: die Gleichsetzung
der äußeren Form mit dem eigentlichen Inhalt, zwischen der historisch bedingten
Ausformung und dem eigentlichen Prinzip. Fr. Krier hatte in seinem Beitrag
"Vom klerikalen Mißbrauch in traditionalistischen Kreisen" (EINSICHT,
Nr. 2, Juni 2011, S. 44 ff.) eine Haltung angesprochen, nämlich einen
liturgischen und darüber hinaus sogar hinausgehenden kirchen-rechtlichen
Selektionismus, der seine Ursache in persönlicher Eigenwilligkeit hat,
verbunden mit einer Skepsis oder direkter Ablehnung der legitimen päpstlichen
Autorität, und das im Namen der Tradition!
Es gibt aber noch ein anderes Phänomen, welches sich darin
zeigt, daß eine gewisse geistige Starrheit zunächst die eigene religiöse
Entwicklung, dann aber auch eine kirchliche Aufbauarbeit behindert bzw.
verhindert. Ich meine die Berufung (und Beschränkung) auf eine fixierte, in
formalen Gesetzen, Paragraphen, festgelegten Formen und Objektivierungen von
Glaubensinhalten oder religiösen Bräuchen, die für die eigentlichen religiösen
Inhalte ausgegeben werden.
Das hat in der Regel folgenden Hintergrund: Viele Gläubige
sehen sich einer Situation gegenüber, die sie so noch nie erlebt haben bzw. die
es so noch nicht in der Geschichte der Kirche gegeben hat, die also beispiellos
ist und der dann partiell durch Verhaltensmuster aus dem tradierten religiösen
Leben begegnet wird, ohne sich dabei bewußt zu sein, daß es sich nicht um
Prinzipien des Christentums, sondern um religiöse Ausdrucksformen handelt, die
nur in einem zeitlich begrenzten Raum ihre traditionsbezogene Geltung haben
bzw. gehabt haben. Ich kann diese Gläubigen gut verstehen. Meist alleine
gelassen, ohne Autorität, ohne entsprechende Aufklärung, die häufig noch von
denen unterdrückt wird, die sich als Autoritäten ausgeben, greifen sie auf das
zurück, was ihnen einst von wirklichen Autoritäten, von ihren Seelsorgern
gelehrt worden war. Diese Begrenztheit der Unter-scheidung zwischen
Glaubensprinzip und dessen Ausprägung in einer bestimmten Zeit kann man den
Gläubigen auch nicht zum Vorwurf machen. Denn die Priester aus der
vorkonziliaren Zeit haben die Gläubigen ja nicht in Fundamentaltheologie bzw.
Religionsphilosophie unterrichtet, sondern den Katechismus erklärt.
Wenn sich eine solche Einstellung auch bei Priestern
ausprägt, dann fallen diese Punkte der Entschuldigung weg. Speziell die jungen
Kleriker sind zunächst mit dem Modernismus in Kontakt gekommen, von dem sie
sich abgewendet, um den tradierten Glauben zu verbreiten. Es ist diesen
Personen nicht abzunehmen, wenn sie sich auf Notzustände berufen. Diese dauern
bereits eineinhalb Generationen an. Es muß also andere Gründe für deren
Fehlverhalten geben.
Leider ist es gelegentlich so, daß die Arroganz, die
Borniertheit oder ein gewisser Triumphalismus, der meint, Glaubenswahrheiten
wie Banknoten oder Schmuck in einem Safe aufbewahren zu können, manche Kleriker
oder Gläubige dazu verführt, gewisse Sitten, die sich aus dem religiösen Leben
erst entwickelt haben, höher anzusetzen als die Religion selbst. Und da wird es
dann ausgesprochen problematisch. Das gipfelt gelegentlich darin, daß z.B. die
'Pflicht' zum Tragen eines Kopftuches gleichsam 'dogmatische Weihen' erhält,
weswegen es zum Kriterium einer rechtgläubigen Einstellung hochstilisiert wird.
Und das sollte man nicht hinnehmen! Das Tragen des Kopf-tuches wurde als
Zeichen der Ehrfurcht gesehen, die die Frauen dem Sakralen entgegen bringen
sollen, die so ihren Respekt vor und gegenüber Gott kund tun. Das Fehlen der
Kopfbedeckung konnte dann als Respektlosigkeit, ja als Ausdruck des
Aufbegehrens gedeutet werden. Diese Interpretation ist deshalb aber nicht
zwingend, weil diese strenge Form inzwischen seit über 50 Jahren aus den
unterschiedlichsten Gründen verloren gegangen ist, nicht nur in den deutschsprachigen
Ländern, sondern auch in den südlichen Teilen von Europa, sogar in Spanien. D.h.
die Ehrfurcht vor Gott, die Frauen Gott entgegen bringen sollen, kann sich auch
anderer Ausdrucksformen bedienen: Kniebeuge, andächtige Haltung. Hinsichtlich
des Tragens einer Kopfbedeckung gibt es also grundsätzlich drei
Deutungsmöglichkeiten:
- Provokation gegenüber der traditionellen Handhabung,
- schlichtes Unwissen bzw.
- die Wahl einer anderen Ausdrucksform, die Ehrfurcht zu
bezeugen.
Es ist also schlicht anmaßend, jemand zu tadeln, der kein
Kopftuch trägt, ohne nähere Kenntnis der Intention der jeweiligen Person.
Wir haben dieses Problem der Verwechslung von
Glaubens-Prinzip und dessen konkreter Aus-gestaltung in einer jeweils
historischen Situation, d.h. von bloßer Form und dessen eigentlichem Inhalt
häufiger angesprochen und an konkreten Fällen durchgespielt. Ich erinnere nur
an einen meiner Artikel "Nur die alte Messe", in dem ich versucht
habe zu erklären, daß der vom Kirchen-gebot her gebotene Besuch der hl. Messe
nicht isoliert gesehen werden darf, ohne Bezug zum Gesamtzusammenhang, in dem dieses
Gebot Gültigkeit hat und praktiziert werden kann. Es muß gesehen werden im
Kontext mit unserer Situation. Wer dies leugnet, muß auch eine Geschichte der
Kirche ablehnen.
Es wird doch wohl jeder zugeben, daß das Feiern der hl.
Messe in den Zeiten der Verfolgung sich anders abspielt als in Zeiten freier
Entfaltung, in der man alle Akte der Liturgie feierlich ausgestalten kann. D.h.
da die hl. Messe integrales Moment der Kirche ist, kann ihr Besuch auch nur dort
empfohlen und verlangt werden, wo sich die zelebrierenden Priester als Mitglied
der wahren Kirche darstellen. Das ist häufig nicht mehr der Fall. Den meisten,
sich als orthodox (rechtgläubig) aus-gebenden jungen Klerikern geht es nicht
mehr um den Wiederaufbau der Kirche, sondern schlicht um sakralen
Kundenservice. Die Econer z.B. wollen sich bewußt als Teil der Konzils-'Kirche'
definieren. Deswegen haben sie überhaupt kein Recht (im strengen Sinne), die
alte bzw. halb-'alte' Messe zu lesen, weil die moderne Kirche keine
(rechtliche) Übertragungsgewalt zur Zelebration vergeben kann. Sie hat kein
Mandat dazu. D.h. hinsichtlich der Sonntagspflicht, daß ich die Econer Messen
nicht nur nicht besuchen darf, sondern daß ich mich dann auch außerhalb der
wahren Kirche stelle, weil die Messen dort "una cum" Ratzinger
gelesen werden müssen. Der hat sich in den Augen der Mohammedaner dem Islam
unterworfen, was selbst einer ganzen Reihe von Econer Klerikern Magengrimmen
verursacht. So fragte der Distriktobere von Frankreich, P. Régis de Cacqueray
bereits im Januar 2011 angesichts der Vorbereitungen auf das Treffen in Assisi,
auf dem sich Ratzinger geoutet hatte mit der Feststellung, er befinde sich mit
den anderen Religionen auf der Pilgerschaft zu 'Gott' - wer immer das auch sein
mag -: "Wie kann man davon ausgehen, daß der Friede aus Gebeten
hervorgeht, die zu Götzen gesprochen werden, die in Wahrheit Dämonen
sind?" (Kreuz.net 19.1.2011)
Um noch ein anderes Beispiel anzuführen, welches das Problem
der Verwechslung von Form und Inhalt besonders grell beleuchtet, ist der
Grundfehler der sog. Ritualisten. Dieser Fehler besteht darin, daß sie die
geforderte Intention bei der Spendung der Sakramente an der bloßen Einhaltung
der äußeren Zeremonien festmachen, ohne die geforderte Intention selbst zu
prüfen. Denn den Voll-zug eines Ritus kann ich unter sehr verschiedenen
Intentionen vollziehen, die mit der geforderten in direktem Gegensatz stehen
können... was das Zustandekommen des Sakramentenvollzuges selbst durch die
Anwendung eines gültigen Ritus verhindern würde.
Ich weise noch auf ein weiteres Beispiel hin: der jeweilige
Papst wird als Bischof von Rom gewählt; in dieser Eigenschaft ist er zugleich
der Nachfolger des hl. Petrus. Wie er aber gewählt wird - vom römischen Volk,
dem römischen Klerus, einer Wahlkommission, die aus den Kardinälen besteht,
welche als solches zugleich in der Diözese Rom inkardiniert sein müssen -,
dieser Wahlmodus hat sich im Laufe der Kirchengeschichte häufig geändert.
Dennoch waren die Wahlen gültig.
Wie soll man aber dann die anstehenden Probleme, die auf uns
zukommen, lösen? Ich habe es schon angedeutet: indem wir uns bewußt machen, was
das Prinzip des Glaubens und was die jeweils historische Ausprägung dieses
Prinzips ist. Wenn ich z.B. in Zeiten der Armut meine Nächstenliebe dadurch
kund getan habe, daß ich das, was ich an Nahrungsmitteln hatte, mit anderen
geteilt habe, so muß ich mir, wenn alle genug zu essen haben, andere Wege für
die Umsetzung meiner Hilfs-bereitschaft suchen. Da macht es keinen Sinn, einem
satten Menschen einen Teller Suppe anzubieten. Wir müssen uns also über die
Grundprinzipien unserer Religion verständigen und dann nicht bei einer
jesuitisch gefärbten Kasuistik stehen bleiben. Wie aber kann ich mir Zutritt
zur Grundidee unseres christlichen Glaubens verschaffen? Indem ich die Frage
beantworte: Was will Gott von mir? Welchen Willen hat er, der absolut Heilige
und Erhabene mir bzw. uns allen kund getan?
Es gibt aber noch einen weiteren Punkt klerikalen
Fehlverhaltens, der hier abgehandelt werden soll und der die Dimension eines
handfesten Skandals markiert. Man stelle sich vor, daß für die paar Kandidaten,
die im deutschsprachigen Raum so ab und an gefirmt werden sollen, drei
verschiedene Bischöfe aus den USA bzw. Mexiko eingeflogen werden müssen. Jedes
Grüppchen muß die nicht geringen Summen für Flug und Unterkunft
zusammenkratzen, weil die Kleriker nicht fähig sind zu kommunizieren,
geschweige denn sich zu gemeinsamen Aktionen abzusprechen. Da brauche ich nicht
nach dem speziellen Willen Gottes zu fragen, da brauche ich nur das Innenleben
eines x-beliebigen Betriebes in Deutschland zu kennen, um zu wissen, wie
Kooperation funktioniert. Und wer nicht fähig ist, sich in einen solchen
Arbeitsverband zu integrieren, fliegt... zu Recht!
Ich arbeite im Haus der Kunst in München mit Kollegen und
Kolleginnen aus allen Herren Ländern zusammen, die unterschiedlichen Religionen
und Kulturen angehören. Doch jeder ist bereit einzuspringen, wenn jemand krank
oder sonstwie verhindert ist. Warum dieses "solus ipse" (jeder für sich
allein) dieser Kleriker, die nicht selten kein normales Theologiestudium
absolviert haben, sondern nicht einmal das Wesensmerkmal "katholisch"
einer Kirche deklinieren können, die sie vorgeben zu vertreten. Allein hier
macht sich nicht nur der krasse Egoismus und die Selbstherrlichkeit dieser
Kleriker bemerkbar, was noch zu den persönlichen Fehlern gezählt werden könnte,
sondern der Geist des Sektierertums, der über die persönlichen Defizite hinaus
auf eine Haltung hinweist, die man als Amtssünde brandmarken muß. Und das wiegt
schwer!