Vom Sinn der Schöpfung
von Eberhard Heller
Wenn man zutiefst bedauern muß, daß der Zusammenbruch der Kirche zu einer Orientierungslosigkeit geführt hat, die den modernen, bereits vorher vorhandenen a-religiösen bzw. anti-kirchlichen Strömungen einen enormen Auftrieb gegeben haben, so sollte diese Zeit eine Zeit der grundsätzlichen Besinnung sein. Davon betroffen sind ebenfalls deren Denominationen, d.h. jene religiös-kirchlichen Bekenntnisgemeinschaften, die sich zwar von einem Teil des Offenbarungsgutes getrennt hatten, aber noch wesentliche Elemente beibehalten hatten. Auch wenn die angesprochenen Strömungen und Konzepte, die inzwischen weitgehend unsere Welt bestimmen und die ebenso eingebrochen sind in die Köpfe derer, die meinen, immer noch zu denen zu gehören, die "das Fähnlein Christi" vor sich her tragen, so kann nur die Rückbesinnung auf das eigentlich geistige Fundament, auf dem wir stehen - oder besser: standen -, dieses Dilemma beheben. Denn bei diesen Programmen, die sich verharmlosend als moderne Tendenzen ausgeben, handelt es sich darum, bewußt eine Welt ohne Gott anzusteuern, welche suggerieren, die Fähigkeit zur Selbsterlösung in sich zu bergen.
Ohne eine solche Rück-Besinnung geraten wir unweigerlich in den Sog dieser gottlosen Welt. Wenn wir diesen Tendenzen entgegentreten wollen, müssen wir uns mit den wesentlichen Fragen erneut und prinzipiell auseinandersetzen, um Antworten zu finden, die für eine geistige Wiedergeburt und Erneuerung vielleicht tragend werden können - nicht für uns alleine, sondern auch für andere, unsere Mitmenschen, indem wir diesen unsere neu gewonnenen Überzeugungen vermitteln.
Dieser Zusammenbruch hat neben einem innerkirchlichen Desaster aber auch zu einem allgemeinen Sinnproblem geführt, von dem nicht nur die Mitglieder der Kirchengemeinden betroffen sind, sondern die gesamte Gesellschaft. Denn durch den Ausfall derjenigen Institution, die die Prinzipien auch der Moral vertritt, verliert auch sie an Halt. Man denke nur an die ungelösten Probleme im Zusammenhang mit der modernen Frauenproblematik, die schon längst an ihre Grenzen gestoßen ist, oder über die Auflösung der ehelichen und familiären Strukturen.
Wir wollen aber hier nicht bei Einzelproblemen beginnen, sondern ganz allgemein die Frage nach dem Sinn unseres Daseins stellen, da dieser Sinn, wie er einmal vorgegeben war, allgemein bezweifelt wird. Und diese Sinnfrage stellte sich im kath. Katechismus so: "Warum sind wir auf Erden?" Und die Antwort lautete: "Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, Gott zu lieben und Ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen." - Wir werden sehen, ob sich diese Antwort so halten lassen wird.
Und da wir - davon gehe ich aus, mache diese Vorstellung gleichsam zur Prämisse - an Gott gläubige Christen sind, läßt sich diese Frage auch umdrehen. Wenn ich nicht von mir selbst ausgehe, sondern wenn ich quasi diese Frage von der Position Gottes aus stelle, so lautet sie: Warum erschuf Gott die Welt, die Menschen? Denn an der Existenz unseres eigenen Seins zweifelt wohl niemand.
Um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, muß man sich weitere Gedanken über das Wesen Gottes machen. Aus dem Religionsunterricht wissen wir: Gott ist reiner Geist, absolut heiliger Wille, der absolut Gute und der Wahre - Er ist der Gute und Wahre schlechthin, der dieses Gut-Sein auch vollzieht, d.h. er ist absolute Liebe. Die Erfüllung dieser Liebe verlangt ein Leben in sich selbst: Liebe gebend, Liebe empfangend, um sich in sich selbst zu erfüllen, sich in Beziehung setzend zueinander. Denn Liebe ist nicht bloß Prinzip, als bloßes Gelten dieses Prinzips, sondern ist als Liebe nur vorstellbar, insofern sie sich vollzieht. Von hier aus eröffnet sich auch die Möglichkeit, einen Hinweis (!) auf die Beantwortung der schwierigen Frage der Vorstellbarkeit Gottes als Trinität zu geben: ein Gott in drei Personen. Dabei geht es um die Vorstellung Gottes, die dann relevant wurde zu begreifen, als sich der Sohn Gottes inkarnierte - " und das Wort ist Fleisch geworden" "et homo factus est" -, wo es also zu verstehen galt das Zugleich der Immanenz und der Transzendenz Gottes und um das Verhältnis beider Seinsweisen. (N.b. es ist nicht ganz uninteressant zu wissen, daß die Mohammedaner den Christen Polytheismus - Vielgötterei - vorwerfen, weil ihnen der Gedanke an die Trinität fremd geblieben ist, und das Christentum deswegen bekämpfen.)
Gott-Vater, die Liebe ursprünglich setzend, Gott-Sohn in Liebe "gezeugt, nicht geschaffen", als die Liebe empfangend und erwidernd, das gegegenseitige Beziehen aufeinander, der Gott-Hl. Geist, "der vom Vater und vom Sohne zugleich ausgeht" - besser vielleicht: der Bezieher. Dieses Leben in Gott in sich selbst ist absolut erfüllt. Es ist nicht vorstellbar, daß es einer weiteren Beziehung zu seiner Vollendung bzw. Erfüllung bedürfe, z.B. zu einer oder mehreren Personen außer Gott.
Von diesem inneren Leben Gottes weiß ich das "Das", daß es existiert, aber nicht das "Wie". Ich weiß nicht, wie es sich in Gott konkret vollzieht, und ich weiß, daß ich das "Wie" nicht wissen kann.
Wenn also Gott in seiner Trinität keiner weiteren Beziehung bedarf, stellt sich die Frage, warum es außer bzw. neben Gott noch etwas gibt, dessen Existenz ich nicht bezweifeln kann, ohne mich selbst zu bezweifeln, ohne an mir zu verzweifeln. Es stellt sich also die Frage nach dem Sein des Himmels mit der Welt der Engel, seinen himmlischen Heerscharen genau so wie nach dem Sein der Welt - hier vornehmlich als Welt von Personen, von Ichen gemeint. Warum gibt es also außer Gott noch eine Welt?
Zur Beantwortung betrachte ich zunächst einmal mein eigenes Sein. Ich finde mich vor als Ich, wissend um meine Begrenztheit, die ich in jedem Augenblick neu erfahre, daß ich nicht Gott bin, d.h. ich finde mich vor als Faktum, aber nicht als bloßes Faktum, sondern als Faktum der Freiheit, als zur Freiheit aufgerufen, das seine Existenz begründend hinterfragt. Ich finde mich vor, als mir selbst aufgegeben, in Relation zu anderen Personen, Stellung nehmend zu Werthaltungen, zu denen ich aufgerufen bin. Religiös gesprochen heißt das, dem Willen Gottes gehorchen, da unser Sein als Freiheit nur aus Gott gedacht werden kann. (N.b. eine sog. "Evolution" fand niemals statt.)
Freiheitliches Bewußtsein ist nur zu verstehen als Aufgerufenes, in dem ich an-determinierend aufgefordert werde, bestimmte Werthaltungen durchzuvollziehen. Dieses Aufrufen meiner Vernunft kann nicht gedacht werden als ausgehend von einer Entwicklung der materiellen Welt, sondern nur als von einer anderen Vernunft. Darum ist die Welt der anderen Personen konstitutiv für mein eigenes Sein. "Kein Ich ohne Du, und kein Du ohne Ich", wie es einmal Martin Buber formuliert hat. Das Ich ist sich gegeben, aufgerufen, vernünftig zu leben. Mit diesem Aufruf zur Liebe treten wir ins Da-Sein, dieser Aufruf ist für das Bewußtsein konstitutiv. Ohne Aufruf sterben Kinder, ohne zur Vernunft gekommen zu sein im frühen Alter, wie das verbrecherische Experiment Friedrich II. in Sizilien zeigt. Er ließ Kinder nur physisch von maskierten Personen füttern, die ohne zur Vernunft gelangt zu sein, früh verstarben. Der sog. Hospitalismus, d.i. die abgeschwächte Form des fehlenden Aufrufs, der Zuwendung an Liebe und Aufmerksamkeit ist nur die moderne Form der geistig-mora-lischen Verwahrlosung.
Warum gibt es also neben, aber nicht: außer Gott noch die Welt der Iche? Ich möchte hier eine Anmerkung zum Begriff "Schöpfung" machen, so wie wir ihn aus der Bibel kennen. Es ist ja nicht so, als ob wir Gott bei der Schöpfung gleichsam "über die Schulter geschaut hätten", wie Er alles geschaffen hat ... auch uns! In dieser Hinsicht ist der Terminus "Schöpfung" eigentlich irreführend. Diese Berichte haben prophetischen Charakter. Wir erfahren unsere Existenz als Faktum der Freiheit und hinterstellen diesem Sein einen Grund, einen vernünftigen Grund möchte ich hinzufügen, da wir uns als in unserer Freiheit aufgerufen fühlen zur Verwirklichung der Vernunft.
Da wir, da die Welt nicht in und aus uns gründet, hinterstellen wir einen Grund, wenn man so will einen Schöpfer, der diese Welt, der uns geschaffen hat. Aber welchen Grund können wir in Gott ansetzen, uns geschaffen zu haben? Warum will Er sich auch noch mit uns abgeben, warum sich mit uns noch 'rumärgern', mit uns, die wir seine Gebote so schlecht halten, seine Liebe häufig von uns weisen? Heilsgeschichtlich pointiert muß man auch fragen: Warum hat Er sogar seinen Sohn aufgeopfert bzw. sich aufopfern lassen? Warum die Sintflut, um alle zu vertilgen? bis auf Noah. Also diese Frage ist nicht gleichzusetzen mit der Frage nach unserer vernünftigen Bestimmung. Ich bin frei, soll mich vernünftig verhalten, das Sittengesetz realisieren. Dieses Problem geht davon aus, daß Freiheit ist: wenn sie sich setzt, dann soll sie vernünftig handeln, d.h. lieben, gewendet auf ein anderes Ich.
Hier geht es darum, warum es überhaupt dieses Sein der personalen Freiheit, die Freiheit von Personen außer Gott gibt. Welchen Grund hat Gott, uns in die Existenz zu rufen ("Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, mein bist Du"). Warum will Er uns als Bundesgenossen? Wir sollen Gott verehren, aber unsere Verehrung hat Er nicht nötig. Warum also das Aufrufen von Ichen, sich in Freiheit für oder gegen Ihn zu entscheiden?
Wenn es also eine Schöpfung (von Gott) gibt dann muß dieses "Außer-Gott" dem entsprechen, was Gott (trinitarisch) in sich selbst ist: die Realisation der Liebe. Die Antwort kann darum nur lauten: damit wir an Seinem Wesen, d.i. Seiner Liebe partizipieren (können), Anteil an Ihm haben, wohl wissend, daß damit auch die Möglichkeit gegeben wird, auf diese Aufforderung mit "Nein" zu antworten, Sein Angebot auszuschlagen. Hier die Antwort für jene, die immer wieder sagen: "Gott hat auch die Sünde geschaffen". Gott läßt den Menschen frei, weil die Liebe, der von Gott gewollte Bund in und aus Liebe die freie Zustimmung erfordert. Diese Eröffnung läßt zwar auch die Möglichkeit des Verweigerns zu, aber diese Ablehnung der Liebe Gottes, d.h. "Sünde" begeht real nur der Mensch! "Sündigen", d.h. Gottes Aufforderung zur Liebe bzw. die Liebe selbst ausschlagen bzw. ihr sich verweigern, tut nur der Mensch. Schöpfung in diesem Sinne heißt die Liebe Gottes auf Wesen übertragen, die der Liebe fähig sind, auch diese Liebe zu erwidern. D.h. Gott gibt das, was Er inner-trinitarisch lebt, weiter an freie Geschöpfe ("nach seinem Bild und Gleichnis"), damit sich diese zum einen in dieses Verhältnis mit Gott selbst einbinden können, und zum anderen, damit die Geschöpfe auch untereinander diese Liebe unter sich verbreiten.
In diesem Sinne nehmen nun auch die Menschen aktiv am "Schöpfungsgeschehen" teil, indem sie empfangen, aufnehmen, bejahen, erwidern, erzeugen und weitergeben. So haben in der Tat die Menschen untereinander aktiv Anteil an der göttlichen Liebe und an der Schöpfung. Hier wird das Gebot zur Liebe (1. und 2. Gebot) völlig transparent: "Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben... du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst".
Von hierher läßt sich auch etwas sagen zur modernen Frauenfrage, ein Problem, das letztlich auch eine Krise des Mannes widerspiegelt. In Stichworten: die eheliche Vereinigung als unmittelbarster Akt körperlichen In-eins-Seins, als intimster Austausch zwischen Mann und Frau ist zugleich objektiver Ausgangspunkt für das körperliche Zeugen, dem die physisch-biologische Weitergabe von Leben beigegeben ist, welches aber erst durch das moralische Zeugen des Kindes seine eigentliche vernünftige Bestimmung erhält (durch Erziehung, d.h. durch Aufrufe zur Liebe). Vater und Mutter vertreten als Erziehungsbeauftragte - es ist ihr Kind!!! - gleichsam Gottes Stelle. Die Frage, ob man Kinder haben will oder nicht, hängt primär davon ab, ob sich die Eheleute in das Schöpfungsgeschehen, das von Gott eingeleitet wurde, einreihen wollen oder nicht, d.h. wenn ich heute etwas über die sog. Frauenpolitik etc. weiterreichendes sagen will, darf man das Verhältnis zwischen Mann und Frau nicht ansetzen: die Frau im Gegensatz zum Mann, sondern: was soll durch das Verhältnis von Mann und Frau realisiert werden. In ein durch Sinn gestaltetes (Ehe)Leben hat sich die Frau wieder einzubringen, und nicht: sich daraus zu emanzipieren. Kinder haben, bedeutet Anteil haben an der Schöpfung Gottes! Das ergibt: Aufgabe, Hingabe, Verantwortung, aber auch Scheitern! Die Erfüllung kann für Eltern nur darin liegen, daß sie sich in das Weiterschöpfen eingliedern wollen ... und nicht in einen Generationsvertrag!
Wir haben damit die Frage beantwortet, warum schuf Gott die Welt, nämlich, weil er uns Menschen Anteil an Seinem göttlichen Leben, d.h. an Sich schenken wollte. Man kann diese Frage nun auch wieder umdrehen, in dem ich diese Frage von mir ausgehen lasse: "Was ist der Sinn unseres Lebens? Warum leben wir?" Die Antwort lautet: Auf den Anruf Gottes - vermittelt auch durch meinen Nächsten!!! - , zu reagieren, mich in den Bund mit Ihm und mit diesen Nächsten!! einzubinden (bzw. einbinden zu lassen und diesen Bund auf meine "Nächsten" ausdehnen, indem ich so mich einreihe in das weitere Schöpfungsgeschehen. Das heißt: Liebe in mir erzeugen (letztlich auf den Aufruf Gottes hin) und schenken ist das ursprünglich Schöpferische.
Wir kommen nun noch einmal zurück auf die am Anfang gestellte Katechismusfrage: "Warum sind wir auf Erden?" "Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, Gott zu lieben und Ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen." Eine gewisse Abweichung zu unserem Resultat besteht einmal darin, daß wir diese Liebe auch auf die Mitmenschen beziehen als Weiterschöpfen. Zum andern haben wir die spezifisch religiöse Finalität nicht angesprochen: "um dadurch in den Himmel zu kommen". Aber sind wir denn nicht gleichsam schon "im Himmel", wenn wir im (Liebes)Bund mit Gott und den Menschen stehen? Eigentlich schon. Aber die Heilsgeschichte ist in gewisser Weise auch bedingt durch die Antworten der Menschen, von denen wir gesagt haben, daß sie auch negativ ausfallen können. d.h. daß sich der Mensch der Liebe Gottes verweigert. Gott liefert sich in dieser Hinsicht dem Menschen auch aus! D.h. wir haben neben der Heilsgeschichte auch eine Unheilsgeschichte!
Das fing an mit dem Sündenfall im Paradies, der gewaltig war, einfach deshalb, weil sich die ersten Menschen verführen ließen, sein zu wollen wie Gott! Diese Sünde brachte für sie und die Menschheit den Tod. Da aber Gott die Erlösung wollte, sandte Er seinen Sohn, die Menschen wieder zu entsühnen und mit Ihm zu versöhnen (durch deren Umkehr), d.h. wieder bundesfähig zu machen. Da aber mit der Verweigerung, Gottes Willen zu entsprechen, d.i. durch den Sündenfall auch der Tod, der physische Tod, zum Schicksal des Menschen gehört, kann eine endgültige Auferstehung von der Sünde erst im Gericht entschieden werden. Wie Christus von den Toten auferstanden ist, so sollen auch wir zu ewigem Leben wieder auferstehen. Als ich im Religionsunterricht mit meinen beiden kleinen Kindern den Sündenfall behandelte, fragte mich meine damals sechsjährige Tochter Klara, warum denn auch die Tiere sterben müßten, sie hätten doch nichts getan.
Das war eine theologisch hoch interessante Frage. Was konnte ich ihr antworten? Denn die so gestellte Frage wird im Katechismus weder gestellt noch beantwortet. Ich sagte ihr, daß die Schöpfung auf den Menschen hin geschlüsselt ist und daß, wenn die Menschen Fehler machen, hier: gegen Gott ungehorsam sind, seinen Willen mißachten, auch die anderen Wesen, Tiere, Vögel usw. davon betroffen sind und deshalb mitleiden müßten.
Es gibt einen theologischen Streit über die Frage (Anselm: Cur Deus homo?), warum Gott Mensch geworden ist. Ist dieses Kommen, diese Inkarnation nur bedingt gewesen durch den Sündenfall (um ihn zu sühnen) oder auch unbedingt? Der hl. Anselm sieht das Kommen Christi in diese Welt bedingt durch die Beabsichtigung der Satisfaktion. Gott räumt gleichsam dem sündigen Menschen eine zweite Chance ein. Maria v. Agreda gibt in einer Vision an, daß Christus nicht nur wegen des erforderlichen Opfer- bzw. Sühnetodes Mensch geworden ist - deswegen auch! -, sondern unbedingt, um sich personal mit den Menschen zu verbinden. Dieses Erscheinen des Gottes-Sohnes ist das eigentliche Wunder, daß sich nämlich Gott herniederläßt in die Niedrigkeiten dieser Welt, zumal als (hilfloses) Kind, das auf menschliche Unterstützung angewiesen ist. Darum sollten wir auch das Fest der Geburt Christi als Ausgangspunkt der konkreten Liebesbeziehung zu Gott feiern.
Und durch diese Inkarnation des Gottes-Sohnes, durch sein Erscheinen wissen wir auch, wer Gott ist. Denn "keiner kommt zum Vater außer durch mich", d.h. durch das Erscheinen des Absoluten! Hier wird klar, warum die synkretistische Haltung der 'Konzilskirche' ein einziger Verrat an der Offenbarung Gottes, am trinitarischen Gott ist, wenn sie sagt: "Wir glauben alle an den gleichen Gott!" (Muslime, Christen und Juden) Oder wenn Ratzinger in "Verbum Domini" ungenau schreibt, Jesus sei als Sohn des jüdischen Volkes zu betrachten.
Also durch den Tod, d.h. durch die Sünde, die als moralischer Tod auch den physischen zur Folge hatte, sind wir des "Himmels" verlustig geworden, und darum - "um dadurch in den Himmel zu kommen" (Katechismus) - sagt diese Finalität nur etwas aus von der Heils-, aber auch etwas von der Unheilsgeschichte und stellt eine heilsgeschichtliche Erweiterung dar, die die Konkretheit von realer Sünde und Erlösung umfaßt. Damit wäre dann auch der letzte Teil der Frage nach der Finalität beantwortet.
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Das Privatgebet
von Papst Pius XII.
Manche sprechen auch unsern Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen andern die Meinung beizubringen, die privaten Gebete hätten vor Gott geringe Bedeutung; vielmehr komme den öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten der wahre Wert zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht richtig. Der göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten Lebensgemeinschaft mit seiner Kirche als der vielgeliebten Braut, sondern in ihr ist er auch aufs innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen und sehnt sich danach, vor allem nach der heiligen Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu führen. Obgleich das öffentliche Gebet, da es von der Mutter Kirche selbst verrichtet wird, wegen der Würde der Braut Christi jedes andere übertrifft, so entbehren doch auch alle andern, selbst die ganz privaten Gebete, nicht der Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen des ganzen mystischen Leibes. Denn in ihm wird kein gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern vollbracht, der nicht infolge der Gemeinschaft der Heiligen auch der Gesamtheit zugute käme. Es ist den einzelnen Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil sie Glieder dieses Leibes sind, besondere, auch rein zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei nur die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes gewahrt wird: sie bleiben ja selbständige Personen und ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen. Welche Hochschätzung endlich alle der Betrachtung himmlischer Wahrheiten entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen Äußerungen der Kirche sowie aus der Übung und dem Vorbild aller Heiligen hervor.
(aus: "Pius XII. sagt" Zürich 1956, S. 224)
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