Der Anfang ist gemacht - Kampf der "political correctness"
von Eberhard Heller
Mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" (München 2010) hat der Autor, der ehemalige Finanzsenator von Berlin und ab 2009 Mitglied der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazin die Initialzündung für einen Vorgang geliefert, der nicht mehr in dem alltäglichen Verwirrspiel der Nachrichtenflut verhallt, sondern die Gemüter der Deutschen nachhaltig auf eines der Themen gelenkt hat, deren Behandlung bisher einem Tabu der sog. "political correctness" unterlag: Wie geht die deutsche Politik u.a. mit seinen Ausländern - terminologisch auch als Migranten verschleiert - in Deutschland um, besonders jenen, die aus dem islamischen Religions- und Kulturkreis kommen, vornehmlich denen aus der Türkei. Seither reißt die Debatte auch in den Medien nicht mehr ab. Und sie zeigt, daß zwischen der veröffentlichten Meinung in den Medien, den Statements der Politiker und der Meinung der Bevölkerung eine riesige Kluft besteht. Die Politiker, die seit über 30 Jahren für die sich in diesem Bereich - der ungezügelten, unkontrollierten Zuwanderung nach Deutschland - abzeichnenden Problemen keine umfassenden Konzepte angeboten hatten, obwohl sie ihnen sehr wohl bekannt waren - gelegentliche Äußerungen belegen das -, sehen sich durch Sarrazins Veröffentlichung nun endlich gezwungen, nach politischen Lösungen dieses Komplexes zu suchen. So war das Thema Zuwanderung oder Einwanderung bereits in den 70iger Jahren mit dem Schlagwort "Fremdenfeindlichkeit/Fremdenhaß" tabuisiert, weil damals die NPD auf wachsende Probleme mit den Ausländern aufmerksam gemacht hatte. Warnungen vom deutschen Verfassungsschutz, wonach es damals schon in Deutschland etwa 20000 gewaltbereite Islamisten gab, wurden einfach ignoriert. Heute - 18.11.2010 - muß Innenminister Thomas de Maizière vor islamistischem Terror warnen.
Die nachfolgenden Ausführungen widmen sich vorrangig also keinem spezifisch religiösen bzw. theologischen Problem, sondern allgemeinen geistigen Haltungen oder Einstellungen, den Tabus der sog. "political correctness", von denen sich besonders die deutsche Gesellschaft in ihrer Meinungsfreiheit hat einschnüren lassen. Gemeint ist der Druck, der von der politischen Klasse ausgeübt und von den veröffentlichten Meinungsmachern und ihren Organen - Fernsehen, Rundfunk, Presse - kontrolliert wird: nämlich all das, was an Positionen eingenommen werden darf und was nicht, was politisch korrekt ist und was nicht. Man denke nur einmal daran, was sogar via Gesetz zum Holocaust gesagt werden darf und was nicht. Man vergißt dabei, daß man ganze Gebiete der neueren deutschen Geschichte der wissenschaftlichen Forschung zugunsten politischer Diktion geopfert hat. Kaum jemand traut sich noch, diese Zeit zu thematisieren, muß er doch massive Behinderung fürchten. Weil der Historiker Konrad Löw in einem Artikel "Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte", den er 2004 im Deutschland Archiv publiziert hatte, die Behauptung aufgestellt hatte, die brutale Verfolgung der Juden sei nicht mit Zustimmung der Deutschen, sondern gegen ihren Willen erfolgt, mußte er jahrelang gerichtlich gegen die Bundeszentrale für politische Zensur vorgehen, bis er schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht am 17.8.2010 (Az 1 BvR 2585/06) Recht bekam. Dieses Urteil war zugleich eine persönliche Niederlage für den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Krüger, dem das Gericht absprach, "Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren" (Junge Freiheit vom 8.10.2010, S. 4 und 21), womit durchscheint, daß wir in einem ideologischen Überwachungsstaat leben.
Bevor ich aber auf die eigentlichen Tabu-Themen eingehe, möchte ich noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen, die unmittelbar mit der aktuellen kirchlich-religiösen Situation bei uns zu tun haben.
Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe wertkonservativer Bestrebungen im politischen Bereich, gerade auch bei der jüngeren Riege in CDU und CSU, die aber ihre ideologische Basis nicht im Naturrecht sucht, sondern in den Positionen, die von den 'Kirchen' vertreten werden. Wegen mangelnden Katechismuswissens bemerken diese Personen nicht, daß sich diese 'Kirchen' längst von den Prinzipien christlichen Glaubens verabschiedet haben, sich längst, um den Titel von Sarrazins Buch zu zitieren, "abgeschafft" und sich einem Synkretismus zugewandt haben, der sich ähnlich gestaltet wie der Multikulturismus der Grünen. Man denke nur an Ratzingers Beten zusammen mit dem Mufti "gen Mekka" in der Blauen Moschee. Wie soll also eine solche religiöse 'grüne' Basis Garant für eine angeblich konservative Praxis auf einer Ebene tiefer, auf der rechtlich-politischen, liefern? Das kann nicht funktionieren! Man denke nur noch einmal an das Thema, welches die sog. Deutsche Bischofskonferenz 2005 behandelte: die Stärkung muslimischer Rechte. Dazu muß man wissen, daß der Islam Verträge mit "Ungläubigen", also mit uns nicht-muslemischen Deutschen, für nichtig erklärt bzw. erklären kann, daß der Mann das Recht hat, seine Frau zu schlagen. Was haben diese 'Mitrenständer' von Maria als Mutter Gottes verstanden?
Der religiöse Bereich ist weitgehend von Tabuisierung frei geblieben. Ich habe als Redakteur und Autor einer sehr exponierten Zeitschrift wie der EINSICHT nie Repressalien erfahren. Unsere Autoren haben die neuen Riten kritisiert, die Autorität der Inhaber des römischen Stuhles bestritten etc. Man kann auch ungestraft die Äußerung des derzeitigen Bundespräsidenten Wulff kritisieren, wonach der "Islam zu Deutschland" gehöre. Man kann auch Herrn Scholl-Latour kritisieren, wenn er zwar sagt, daß "wir kein muslimisches Land [sind], wir haben eine abendländisch-christlich-jüdische Kultur, die mit dem Islam nicht identisch ist. (Bild vom 4. Oktober 2010), was auch nicht stimmt, denn eine "abendländisch-christlich-jüdische Kultur" gibt es nicht. Die Juden haben unsere abend-ländische Kultur nicht mitgestaltet. Aber wir haben ein ganz anderes Problem: Wir werden von unseren Mitmenschen in unseren Positionen nicht mehr verstanden und ernst genommen. Wegen der Reduzierung des christlichen Glaubens auf ein immer stärker ausuferndes Gefühls-Christentums wird u.a. kaum noch jemand verstehen, warum wir so "intolerant" gegenüber den Positionen Andersgläubiger sind.
Nun zu den Tabu-Themen, über die schon so mancher Politiker und Personen des öffentlichen Lebens gestolpert sind, die deswegen an den Rand der Gesellschaft geschoben wurden. Sie können in diesem Rahmen nur skzziert werden:
Eines der brutalsten Mittel, um einen konservativen, also 'rechts' stehenden Zeitgenossen mundtot zu machen, ist die sog. Antisemitismus-Keule. Mit ihr wurde der FDP-Bundestagsabgeordnete Möllemann wegen seiner Kritik an der Politik Israels nicht nur mundtot geschlagen; er überlebte seine Kritik nicht. So wurde auch der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hohmann, der es gewagt hatte, jüdische Verbrechen mit anderen Verbrechen zu vergleichen, des Antisemitismus bezichtigt, obwohl gerade er es war, der in seinem Wirkkreis Fulda viel für die Versöhnung mit dem jüdischen Volk unternommen hatte. Zweifellos bilden die Verbrechen der Nazis an den Juden in Deutschland ein Moment, das auch nach dieser Herrschaft seine Wiedergutmachung fordert. Auch wenn die jüngere Nachkriegsgeneration keine Schuld auf sich geladen hat - schuldig werden kann nur je das Individuum -, so gilt aber für sie die Verpflichtung, die Verantwortung für Entschädigungen auf sich zu nehmen. Und der wurde seit Kriegsende nachgekommen. Es wurden den Überlebenden des Holocaust entsprechende finanzielle Mittel ausbezahlt.
Es kommt aber nicht von ungefähr, daß gerade Juden in Amerika, deren Eltern nach Kriegsende von Deutschland dorthin ausgewandert sind, wie z.B. Peter Novick und besonders Norman G. Finkelstein, ihren professionellen Interessenverbänden vorwerfen, sie würden den Holocaust als Industrie mißbrauchen, um politische, ökonomische und ideologische Ziele durchzusetzen, ja Deutschland mit der Shoah zu erpressen (vgl. Norman G. Finkelstein "Die Holocaust-Industrie" München - Zürich 2001, S. 174). In diesem Zusammenhang nennt Finkelstein die großen jüdischen Organisationen: das American Jewish Commitee, den World Jewish Congress, die B'nai B'rith Anti-Defamation League, die World Jewish Restitution Organisation, die Jewish Claims Conference. Den Vertretern dieser Organisationen wirft er im Hinblick auf das Schicksal seiner Eltern vor, sie würden die Opfer des Holocaust für ihre Erpressungsversuche mißbrauchen.
Um die Resultate dieser Anstrengungen im politischen Alltag zu erfahren, braucht man nur das Verhalten von Frau Merkel beurteilen, wenn sie z.B. im Falle des Econers Williamson öffentlich Benedikt XVI./Ratzinger kritisierte, obwohl sie um dessen Pro-Semitismus weiß. Oder hat jemand erlebt, daß die deutsche Politik Israel wegen seiner Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen kritisiert hat? Auch aus dieser zionistischen Umklammerung müßten wir uns befreien.
Mit diesem Problem hängt ein weiteres zusammen: die Geschichtsklitterung, die die Greueltaten der Deutschen vergrößert, die der Alliierten aber reduziert. Ich erinnere nur an das Herunterlügen der Opfer von Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges: durch britisches Bombardement am 13. und 14. Februar 1945 starben dort über 220000 - 250000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Die neuere deutsche Geschichtsschreibung rechnet die Opfer auf 25000 herunter. Und wenn man wie ich in den Archiven der Zeitgeschichte arbeiten will, bleiben die Dokumente von 1939 bis 1945 unzugänglich... vielleicht hat sich an dieser Praxis inzwischen etwas geändert.
Ein weiteres Tabu-Thema läßt sich so fokussieren: bewußtes Vasallentum gegenüber den U.S.A. Als z.B. Gerhard Schröder die Mitwirkung bei Bushs Krieg im Irak ablehnte - zusammen mit Frankreich und Rußland -, reiste Frau Merkel als CDU-Vorsitzende nach Washington, um sich Bush als das bessere Deutschland zu präsentieren... und auf deutschem Boden stehen immer noch amerikanische Truppen, 65 Jahre nach Kriegsende.
Der Fall Eva Hermann, der ihre Thesen zur Frauen-Emanzipation ihren Job kosteten, rühren ein anderes Tabu-Thema an: die moderne Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Über die Abtreibungen in Deutschland gibt es zwar statistische Zahlen, aber über die seelischen Folgen von Frauen, die abgetrieben haben, wird geschwiegen. Und was bringt es, wenn alle Politiker nach den Kitas schreien... wollen die Eltern denn eine sozialistische Erziehung ihrer Kinder oder schieben sie ihre Verpflichtung zur Erziehung einfach auf den Staat ab?
Papst Leo XIII. schreibt in seiner Sozialenzyklika: "Von Natur aus haben die Eltern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder, zugleich mit der Verpflichtung, daß die Erziehung und der Unterricht der Kinder im Einklang stehe mit dem Zwecke, zu welchem sie durch Gottes Gnade die Nachkommenschaft erhalten haben. Darum müssen die Eltern alles aufbieten, um jede ungerechte Einmischung auf diesem Gebiete zurückzuweisen und es mit aller Kraft durchzusetzen, daß sie die christliche Erziehung der Kinder in ihrer Hand behalten, wie es ihre Pflicht ist. Namentlich müssen sie die Kinder von jenen Schulen fernhalten, wo sie Gefahr laufen könnten, das Gift der Gottlosigkeit einzuschlürfen." (Rerum novarum vom 15.5.1890)
Die Erfahrung mit Sarrazins Buch, die heftigen Reaktionen darauf und die allgemeine Aufmerksamkeit, die seinen Thesen gewidmet werden und welche die große Kluft von veröffentlichter Meinung und der Meinung des Volkes, von dem sich ihre Vertreter um Lichtjahre wegbewegt haben, läßt hoffen, daß sich das deutsche Volk Zug um Zug von seinen geistigen Umklammerungen durch weitere Tabu-Brüche befreien kann und wird. |