In der 'Mitte' angekommen - Beliebigkeit als Prinzip
von Eberhard Heller
Wenn eines im Vorfeld der letzten Bundestagswahlen überraschend für mich war, dann die Beobachtung bzw. Aussage so mancher Wahlforscher, die verschiedenen Parteien wollten sich nicht mehr auf entscheidende Prinzipien für ihre Politik und/oder (christliche) Wertpositionen festlegen (lassen), sondern sie tendierten fast alle auf eine (bürgerliche) Mitte hin, in der es weniger um klare Programme oder Festlegungen ginge. Vorrang habe die Umsetzung von machbaren Konzepten (Mehrwertsteuer plus oder minus ein Prozent etc.) Die Wahlforscher bedauerten, daß es nicht mehr um Richtungsentscheidungen ginge. So hätte z.B. der frühere Bundeskanzler Schröder die SPD verbürgerlicht, während seine Nachfolgerin, Frau Merkel, die CDU in linkes Fahrwasser geführt, also an Positionen angenähert, die früher von der SPD vertreten wurden, und sie in ihrer konkreten Politik umgesetzt habe. Man denke auch an die CDU-Familienministerin von der Leyen, die die sozialistisch angehauchte Politik ihrer SPD-Vorgängerin Renate Schmidt weitergeführt hat, indem sie sukzessive die Elternrechte (und -pflichten) ständig weiter unterhöhlt hat. (In Hamburg sollen in Zukunft nur noch die Lehrer über den weitergehenden Schulbesuch der Kinder entscheiden.)
Ich möchte nicht übergehen, daß es in den politischen Parteien vereinzelt auch noch Abgeordnete gibt, die sich in ihrem öffentlichen Wirken auf Grundwerte berufen, die es konkret zu verwirklichen gelte. Ich nenne hier nur den Abgeordneten Norbert Geis und den EU-Abgeordneten Manfred Weber aus Niederbayern.
Eine solche 'Vermittung', die anscheinend ohne feste Standpunkte auszukommen scheint, bildet die genaue Entsprechung zur sog. Religionsfreiheit der Modernisten, die die Beliebigkeit des Bekenntnisses predigt, bzw. zu Ratzingers/Benedikt XVI. "Polyphonie der Kirchen", in die alle Konfessionen gleichwertige theologische Positionen einbringen und die zum Erklingen gebracht werden sollen (ich spare mir hier, den Terminus "Synkretismus" einzuführen). Man pflegt allseits die "Kultur der Liebe", die von den verschiedenen Religionen getragen sein soll. Darum gibt es auch keine 'Systemfehler', darf es nicht geben, d.h. man sucht in sog. kath. bzw. kirchlichen Publikationen vergebens nach Berichten über Christenverfolgungen, denn die darf es in der heilen Welt der Kultur-Christen nicht geben. Über solch grausame Verfolgungen der Christen, besonders in den islamischen Ländern, aber auch in Deutschland, wo Christen, die vom Islam konvertiert sind, um ihr Leben fürchten müssen!!!, berichten allenfalls noch Menschenrechtsorganisationen.
Damit dürfte zweierlei klar sein:
Einmal ist die kirchliche Revolution des II. Vatikanums mit seiner Aufgabe des absoluten Wahrheitsanspruches der Inkarnation Gottes und in seiner Folge die Relativierung des kirchlichen Auftrags als alleingültiger Heilsinstitution - auch das Judentum, das man nicht mehr bekehren darf!!! und der Islam sind Wege zum Heil - in veränderter Form endgültig in der 'Mitte' der Politik und der Gesellschaft angekommen. Alle Positionen sind unter den Parteien verhandelbar und austauschbar. Im Umkehrschluß heißt das: die Politik einer schwarz-gelben Regierung wird sich nicht wesentlich von der unterscheiden, die die schwarz-rote Koalition abgeliefert hat. (Viele, die sich dieser Gleichmacherei entziehen wollten und wollen, übten häufig Wahlenthaltung.)
Zum anderen muß man konstatieren, daß Prinzipien längst gesellschaftliches Allgemeineigentum geworden sind, die durch die freimaurerische Französische Revolution propagiert und eingeführt wurden: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, d.h. jeder Bürger ist bewußt oder mitlaufend von diesem revolutionären Bazillus infiziert. Sein Handeln und sein Gedankengut sind davon so geprägt, daß er auch weitere Mitbürger damit ansteckt. Damit hat sich das geistlose Geschwätz von den bösen Freimaurern, die als Verschwörer im Dunkel der Macht die Welt umkrempeln wollen, endgültig erledigt; denn fast alle huldigen diesen revolutionären Grundsätzen, deren Umsetzung sich vor aller Augen und mit allgemeiner Zustimmung vollzieht.
Man gestatte mir einen Nachsatz: Wenn dennoch diese Verschwörungs-Demagogen Titel um Titel auf den Markt werfen (können), dann nur deshalb, weil sich mit der Angst und Unsicherheit, die in der Welt in der Tat herrscht - nicht nur ökonomische! -, trefflich Geschäfte machen läßt... mit einer Klientel, die die Flucht in eine Scheinwelt angetreten hat, weil sie sich nicht mehr mit den Realitäten auseinandersetzen will.
|