Die prinzipielle Offenbarung Gottes und die konkrete Offenbarung
von Günther Storck
Vorbemerkung:
Es bedarf einer redaktionellen Vorbemerkung, warum wir in der Folge gerade in dieser Situation Teile von Bischof Storcks Dissertation mit dem Titel "Die Gottesidee der Wissenschaftslehre J. G. Fichtes - Darstellung des Absoluten und Entfaltung der Relevanz der Wissenschaftslehre in der Erörterung theologischer Grundfragen" (München 1976) veröffentlicht.
Wenn etwas in den Auseinandersetzungen, die wir seit über 40 Jahren führen, überrascht, dann ist es das Fehlen von festen Überzeugungen und geistiger Eigenständigkeit. Wie könnte es sonst sein, daß der gesamte Klerus weltweit von den Revolutionären wie ein Stellgleis bei der Eisenbahn von 'orthodox' auf 'revolutionär' umgelegt werden konnte. Von was hing die Weitergabe des Glaubensgutes ab? Wenn man einen kath. Priester fragte, warum er gerade das christliche Bekenntnis vertreten würde, bekam man die Antwort: aus Tradition. Also nahm man auch das an, was an Neuem vorgesetzt wurde unter Ausklammerung der Wahrheitsfrage. Der Absolutheitsanspruch der Kirche wurde so einem synkretistischen Kirchenbegriff geopfert. D.h. implizite auch: die Gottessohnschaft Christi wurde geleugnet.
Die Frage nach der Aktualität der Veröffentlichung ist also einfach zu beantworten: da wir als Diaspora-Christen weitgehend von priesterlicher oder kirchlich geleiteter Unterstützung abgeschnitten sind, müssen wir versuchen, geistige Eigenständigkeit zu erringen, zu der auch klare Begriffe von unseren wesentlichten religiösen Fundamenten gehören. Es geht um die Erringung geistiger Souveränität, d.h. einer bewußten und vom Wissen verantworteten Verankerung in Gott, damit sein Geist in uns zur vollen Entfaltung gelange, um mit der hl. Theresa v. Avila sagen zu können: Gott allein genügt.
Die theologische Rechtfetigung für die Publizierung muß weiter ausholen. Der Hinweis auf den desolaten Zustand der modernen Fundamentaltheologie reicht nicht aus, um auf die spezifische geistige Leistung von Storck aufmerksam zu machen, richtet sich seine mit der Darstellung seines eigentlichen Problems, der Entfaltung von Fichtes Gottesbegriffes, mitlaufenden Kritik nicht nur gegen die modernen Fehlvorstellungen, sondern auch gegen Fehlentwicklungen in der sog. 'alten' Theologie, die weitgehend vom Thomismus geprägt ist. Deren unsystematischer Charakter war es ja auch, der zunächst thomistisch geprägte Theologen wie Karl Rahner auf die Suche nach einer wissenschaftlich tragfähigen Grundlegung gehen ließ. Daß diese im adaptierten Hegelianismus ebenso keinen wissenschaftlichen Halt gefunden hat, wurde in dieser Zeitschrift bereits ausführlich dargestellt (im Zusammenhang mit Ratzingers Christologie). Es hat die heutige Debatte nicht nur verschlimmert, daß nicht allein philosophisch unbegründete Positionen Eingang in die Fundamentaltheologie gefunden haben, sondern auch solche, die eindeutig freimaurerischer Provenienz sind wie z.B. die Behauptung "alle Religionen sind gleich gültig" bzw. bezogen auf das konkrete religiöse Leben: "wir glauben alle an den gleichen Gott - Juden, Christen, Moslems". (N.b. dieser Synkretismus hat nicht nur die Theologie diskreditiert - die Wahrheitsfrage ist gar nicht mehr stellbar -, denn der Satz: "alle Religionen sind gleich gültig" liest sich bald so: "alle Religionen sind gleichgültig"... und man schaue sich darauf das angeblich christlich geprägte Abendland an, das bestenfalls noch die Qualität eines 'Trachtenvereins' vorweisen kann.
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß sich die sog. Gottesbeweise des hl. Thomas, die "quinque viae", die sich gegen das "unum argumentum" des Anselm von Canterbury wenden, auf denen nichts desto trotz die bisherigen begrifflichen Klärungen aufbauten, bei näherem Hinsehen als Tautologien entpuppen, d.h. als Konstruktionen, in denen die Prämissen schon die Resultate enthalten, die voraussetzen, was sie erst beweisen wollen, also letztlich beweisunfähig sind. Dabei muß man bei Gott, dem Absoluten, sagen, daß man es nicht beweisen, sondern nur erweisen kann. Der Begriff "Gottesbeweis" bedarf einer Klärung. Wenn beweisen heißt: aus einem höheren Grund eine Folge abzuleiten, dann muß es formal-logisch heißen: 1. ich setze einen allerersten Grund voraus, 2. ich kann diesen allerersten Grund, der alle Folgen begründen soll, selbst nicht beweisen - wenn ich nicht in einen Regreß ad infinitum verfallen will -, sondern nur erweisen, indem ich methodisch reduktiv vorgehend aufsteige zu jenem höchsten Grund, der alles weiter Folgende begründen soll. Darum konnte Fichte etwa sagen: Wenn jemand an dem, was ich als Absolutes ansetze, noch eine Disjunktion aufmachen kann, der hat mein System widerlegt".
Woher weiß ich aber nicht nur negativ (durch Ausschluß weiterer Disjunktionen) von der Wahrheit der Einsicht in das Absolute, sondern positiv, daß das, was ich als Absolutes ansetze, was also als solches gelten soll, auch das Geforderte ist? Formal gesprochen: es ist die Einsicht in die Identität von Bild und Sein: Es erscheint, wie es ist, und es ist, wie es erscheint, d.h. die Differenz von Bild und Sein wird im Absoluten aufgehoben. Religiös gesprochen: Gottes Erscheinung trägt seine Wahrheit in sich: er erscheint, wie er ist, und er ist, wie er erscheint. "Ich bin der, der ich bin."
Wenn wir davon ausgehen dürfen, daß die "quinque viae" des hl. Thomas das nicht leisten, was sie vorgeben, dann muß man konstatieren, daß es in der über 2000jährigen Geschichte des Christentums - sieht man von dem "unum argumentum" des Anselm von Canterbury ab -, von seiten der Philosphen, die im Rahmen der kath. Kirche gearbeitet haben, keine klare Grundlegung, kein klarer Gottesbegriff präsentiert wurde. N.b. von daher bereits dürfen die Storckschen Untersuchung Aufmerksamkeit fordern. Um so erhellender ist es darüber hinaus, wenn man sieht, wie Storck nach der Darstellung von Fichtes Gottesbegriff - wie er in der Wissenschaftslehre von 1804 vorgetragen wird - sich darauf konzentriert, das Verhältnis von prinzipieller Offenbarung (in der Stimme des Gewissens) und der konkreten Erscheinung, der Inkarnation des Gottessohnes in Jesus Christus darzustellen.
Eberhard Heller
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Der Sinn der prinzipiellen Offenbarung Gottes als Wahrheit im Bewußtsein bzw. als sittliche Materialität gegenüber einer in Differenz zum sittlichen Willen stehenden Formalfreiheit (liberum arbitrium), die als nicht-ursprünglich der sittlichen Materialität geeinte in einem Akt der freien Stellungnahme sich selbst zur Sittlichkeit bestimmen soll, ist die Realisierung der Sittlichkeit in der sittlichen Wertentscheidung und in der Realisierung des sittlichen Wertes im gesamten Wollen und Handeln.
Entscheidend für das gesamtgeistige Leben in seiner Gestaltung gemäß der sittlichen Forderung ist die totale und universale Realisierung des sittlichen Wertes in der Gesinnung, im Wollen (als Handlungswille verstanden) und Handeln. Für die sittliche Qualifizierung eines Aktes ist nicht nur das Kriterium der Gesinnung maßgebend, obwohl die sittliche Gesinnung in der Grundentscheidung für den sittlichen Wert der Ursprung des sittlichen Aktes ist, sondern auch die Realisierung der Gesinnung im tatauslösenden Wollen und im Handeln.
Der sittliche Wert fordert, daß alle Realität sittlich und daß die ganze Fülle des sittlichen Wertes real werde. Für eine reine Gesinnungsethik bleibt der ganze Komplex der Realisierung des Sittlichen unerreichbar und uninteressant, während eine Ethik, die allen Wert nur auf die Realisierung eines bestimmten Handelns legte, an der Motivierung und damit an der sittlichen Qualität sich uninteressiert zeigte.
Das genuine sittliche Wollen muß an der Realisierung des sittlichen Wertes in sittlicher Motivierung interessiert sein, wenn es dem inneren Anspruch der Sittlichkeit genügen soll.
Man kann diesen Standpunkt der prinzipiellen Offenbarung des Absoluten, auf dem das sittliche Leben gemäß dem Anspruch des Gewissens ausgerichtet wird, mit Recht den Standpunkt der Vernunftreligion nennen. Gott als Prinzip des Gewissens ist die Norm des sittlichen Lebens.
Man könnte auf Grund dieser Position einer prinzipiellen Offenbarung als Vernunftreligion die These vertreten, daß es einer speziellen, in der Geschichte erfolgenden Offenbarung 1) gar nicht mehr bedürfe. Denn was sittlich gesollt ist, ist bereits in und aus dem Gewissen als praktische Vernunft bekannt, es muß also nicht noch zusätzlich positiv geoffenbart werden. Die Offenbarung als bloße Wissensvermittlung scheidet ebenso aus. Denn was gewußt werden soll und muß, ist allein und wesentlich das sittliche Wissen. Es kann immer unmittelbar in der Vernunft gewußt werden. Wozu also dann noch eine konkrete Offenbarung? 2)
Der ebenso kühne wie an sich naheliegende Gedanke der positiven Offenbarung bezieht sich aber gar nicht primär auf ein Wissen im theoretischen oder praktischen Sinn, sondern auf Gott selbst. Und zwar nicht, insofern er prinzipiell erscheint im Anspruch des Gewissens, sondern insofern er konkret in der Geschichte erscheint, um als Person in interpersonaler Relation zur konkreten Verwirklichung der sittlichen Liebe aufzurufen und, im Falle der Bejahung dieser Liebe, in eine Gemeinschaft der Liebe selbst einzutreten. Durch diese Beziehung, in der erst die konkrete Fülle der Liebe selbst erscheint, ist dem Vernunftwesen - über die prinzipielle Beziehung zum Absoluten als Prinzip im Gewissen - die konkrete Beziehung zum Absoluten als in concreto erscheinender Person ermöglicht. Durch diese konkrete Erscheinung ist dem endlichen Vernunftwesen die Möglichkeiteröffnet, nicht nur eine zweite Person zu lieben, sondern die Liebe selbst als andere Person - und zwar konkret - zu lieben.
Der Anspruch der absoluten Person wird in der interpersonalen Relation, in der er aufritt, verifiziert an der ursprünglichen prinzipiellen Einsicht des Absoluten in der Vernunft, so daß im Falle der Kongruenz von prinzipieller und konkreter Erkenntnis des Absoluten 3) die völlige Gewißheit und Überzeugung von der Berechtigung des absolut erhobenen Anspruchs gewonnen werden kann. 4)
An diesem systematischen Punkte läßt sich die Zuordnung von prinzipieller und konkreter Erscheinung Gottes klar sichtbar machen. Die prinzipielle Erscheinung Gottes im Geist als sittlichem Wert ist die Bedingung der Möglichkeit seines konkreten Erscheinens bzw. der Erkenntnis seines konkreten Erscheinens in der Geschichte. In der Analogie zur theologischen Begrifflichkeit und Terminologie ist zu sagen, daß die Schöpfung die Bedingung bzw. die Voraussetzung dafür darstellt, daß der im Zentrum der Offenbarung gewollte Schlu des Bundes möglich ist. 5) An diesem Punkt erhellt auch deutlich die unaufgebbare und zentrale Bedeutung der natürlichen Theologie. Wird diese Position der natürlichen Theologie aufgegeben, bleibt nur noch ein irrationaler Fideismus und ein Gnadenstandpunkt absoluter Willkür. Leider wird im allgemeinen das Desiderat der natürlichen Theologie zu gering bewertet, aus Furcht, den Charakter der Offenbarung als unableitbarem Ereignis anzutasten oder einem deduktiv verfahrenden Wissenschaftsideal zu verfallen.
Beide Sorgen sind aber unbegründet, da man de facto ja nur von der konkreten Offenbarung ausgehen kann, um dann reflexiv ihre Bedingungen und die in ihr beschlossenen Gegebenheiten zu entfalten. 6)
Die gleiche Antwort ist auch dem Einwand entgegenzuhalten, der gegen den hier gebotenen Begriff der konkreten Offenbarung einwendet, er beruhe auf der faktisch ergangenen Offenbarung. Es könne aber kein apriorischer Begriff dieser Offenbarung erhoben werden. 7)
Das Individuum, das nicht im Status des absoluten Wissens und Lebens steht, 8) benötigt zum Vollzug der eigenen Erkenntnis gewiß die Erfahrung der Offenbarung. Aber das gilt nur für den Vollzug der Erkenntnis im Individuum! Die Erkenntnis als solche ist unabhängig vom individuellen Erkennen und transzendental voraus. Sonst müßte ja die Folgerung gezogen werden, daß das Individuum eine bestimmte Erfahrung sozusagen zur Erkenntnis qualifiziere und konstituiere. Davon kann natürlich keine Rede sein. 9)
Um diesen, dem individuellen Erkenntnisvollzug vorausliegenden Erkenntnisbegriff der konkreten Offenbarung geht es aber gerade. Die konkrete Offenbarung muß, da das Absolute und seine Erscheinung rational sind, einen bestimmten Begriff und einen bestimmten Sinn haben, der unmittelbar und reflexiv-wissenschaftlich eingesehen werden kann. Denn sonst würde in der Offenbarung eben nichts - oder besser: niemand - offenbar!
Erst mit der konkreten Offenbarung und der durch sie und in ihr eröffneten unmittelbaren interpersonalen Beziehung des Individuums zu Gott ist die Erscheinung des Absoluten vollendet. Dem Individuum ist hier die unvergleichliche Möglichkeit gegeben, die Liebe selbst und damit die absolute Fülle zu lieben. Erst dadurch wird der wesentliche Hiatus in der Erscheinung zwischen dem, was der Wille intentional will und was er de facto realisieren kann, aufgehoben. Das »tendre a être Dieu« 10) wird in der durch die Liebe Gottes selbst geschenkten und evozierten Liebe der endlichen Freiheit zur Liebe Gottes und in ihr realisiert.
Auch hier mag sich wiederum der Einwand stellen, daß das Individuum von sich aus sozusagen seine eigene Erfüllung postulieren könne und daß die Freiheit des Handelns Gottes damit gefährdet sei. Im Grunde ist dieser Einwand rationalistisch, um nicht zu sagen: künstlich! Denn - theologisch gesprochen - ist es gerade der von Gott geschaffene Wille, der Gott will, und zwar unaufgebbar. Darin zeigt er gerade, daß er aus Gott ist und nicht aus sich. Und andererseits offenbart Gott so, daß er den Willen auf sich hin erschaffen hat, weil er nur im absoluten Wert zur Ruhe und Erfüllung gelangt.
Philosophisch ist zu sagen, daß man, was erkenntnismäßig ist bzw. sein soll, nicht durch bestimmte vorprogrammierte Konzeptionen und Projekte normieren kann.
Die ganze philosophische Argumentation in diesem Zusammenhang geht ja von dem genetisch einsichtigen Prinzip aus, daß die (sittliche) Liebe sein soll - und zwar soll die ganze Liebe ganz realisiert werden. Soll sie sein, so soll sie offensichtlich nicht nur prinzipiell, sondern auch konkret sein. Die Fülle der Liebe kann aber konkret nur geliebt werden, wenn das Absolute selbst konkret erscheint. 11)
Die hier erscheinende Folgerung ist also keineswegs eine beliebige, sondern eine aus der Forderung des Absoluten selbst sich unmittelbar ergebende bzw. in ihr liegende Folgerung. 12)
Die Behauptung, daß die Erscheinung Gottes das eigentliche Telos der Schöpfung sei, ist in der Theologie nicht neu. Man denke an die Konzeption der »praedestinatio absoluta Christi«! Leider findet sie) edoch nicht die allgemeine und durchgängige Berücksichtigung, die ihr zukäme!
Das Zentrum der Offenbarungsreligion, ihr Spezifikum gegenüber allen anderen Religionen ist so die unmittelbare Manifestation Gottes selber. 13) Ohne sie könnte die Liebe als Liebe nicht in concreto erscheinen. Denn die Erscheinung der Liebe als Liebe ist nur in unmittelbar personaler Manifestation möglich, nicht aber durch eine indirekte Vermittlung. 14) Andererseits muß diese unmittelbare Erscheinung der Liebe Gottes, wenn sie dem Menschen offenbar werden soll, als personale Manifestation erscheinen.
Gott muß als Gott erscheinen, die Identität seiner Repräsentanz (seines Bildes) mit seinem Sein in sich muß offenbar werden. 15) Andererseits muß diese Erscheinung - um als Erscheinung Gottes dem Menschen manifest zu werden, unter den Bedingungen von Raum und Zeit in geschichtlicher Konkretion begegnen. 16)
Für die Frage der Einheit der sogenannten »zwei Naturen« um eine weitere theologisch relevante Frage aufzugreifen - ist wesentlich, daß es sich um eine Akteinheit handelt, sonst ist diese Einheit nicht zu begreifen. So wie die Erscheinung prinzipiell als Formaifreiheit gegenüber Werten und gegenüber dem materialen Wert zu verstehen ist, auf den sie sich in einem Akt freier Stellungnahme bezieht, so ist auch im Falle der absoluten Erscheinung ein formaler und ein materialer Wille anzunehmen. Allerdings ist der grundlegende Unterschied darin zu sehen, daß es sich nicht um eine erst in secundo sich dem materialen Willen einigende Freiheit handelt. Und zwar ist der materiale Wille das Prinzip der Willensbestimmung, nicht der formale Wille. 17)
Die Gefahr, die im Verständnis der Einheit vermieden werden muß, ist, die Naturen als faktische Substanzen realistisch zu verstehen. 18) Eine Einheit von Substanzen kann nicht gedacht werden. Es geht vielmehr um die Einheit von formalem und materialem Willen, die als ursprüngliche Einheit anzusetzen ist, und zwar um eine Einheit in actu. Der material gute Wille ist als ein solcher Wille anzusehen, der in ständiger Auseinandersetzung mit dem interpersonal begegnenden Bösen steht. Die Vorstellung, die vermieden werden muß, istdie, als wenn auf Grund der absoluten Qualität des sittlich guten Willens das Böse schon immer besiegt sei, ohne daß das Böse das Wollen überhaupt noch tangieren könnte. Das Böse muß vielmehr ständig aktuell besiegt werden.
Mit diesen Hinweisen zum Verständnis der Einheit der Naturen, die auf eine spezifisch theologische Frage Bezug nahmen, ist aber noch auf eine andere prinzipielle Frage einzugehen, die für den Gesamtzusammenhang der konkreten Offenbarung von größter Bedeutung ist.
Die bisherigen Ausführungen hatten vor allem die Absicht, nachzuweisen, daß die konkrete Offenbarung Gottes in innergeschichtlich begegnender Personalität in der Idee der sittlichen Liebe selbst begründet ist. Theologisch gesprochen heißt das: die Schöpfung ist nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für die eigentlich intendierte Offenbarung Gottes selbst. Der Gedanke der »praedestinatio absoluta Christi« ist also völlig legitimiert.
Das endliche Vernunftwesen ist dazu bestimmt, in die Fülle der Liebe einzutreten und aus ihr und in ihr zu leben. Damit ist die - auch theologisch weitgehend akzeptierte - Annahme abzulehnen, daß die personale Offenbarung Gottes erst durch das in der Geschichte auftretende und in ihr herrschende Böse, die Sünde, erfordert werde. Auch unabhängig von der Sünde war die Schöpfung hingeordnet auf die Erscheinung der Liebe Gottes und die Teilhabe des Geschöpfes an ihr, ein Gedanke, der die in der ursprünglichen Beziehung der Schöpfung zu Gott liegende Form der Gemeinschaft transzendiert. 19)
Gerade weil das Vernunftwesen nicht das Absolute ist, das Absolute aber in seiner Erscheinung zur Realisierung der Fülle der Liebe aufruft, muß diese Fülle unzeitlich und unabhängig von den Begegnungen einer Geschichte gewollt sein. Die Schöpfung - auch die ohne Sünde gedachte - ist wesentlich nicht autark!
In dem möglichen (und in unserer Geschichte real gegebenen) Fall, daß die Erscheinung der Forderung des sittlichen Wertes widerspricht und sich gegen das Gute entscheidet, ist die Erscheinung widersittliche Erscheinung. Da aber nach der unaufhebbaren Forderung des sittlichen Wertes die Erscheinung sittliche Erscheinung sein soll, die Erscheinung andererseits das geschehene Böse nicht rückgängig machen kann, muß, damit eine absolute Sinnerfüllung möglich wird, die Aufhebung des geschehenen Bösen erfolgen. 20)
Es muß eine Sühne eintreten. 21) Zu dieser Sühnung ist einsichtigerweise eine selbst unsittlich handelnde Person nicht in der Lage. Es muß also eine vollkommen sittliche Person erscheinen, die allein zu dieser Sühne fähig ist. 22) Erst wenn die Sühnung erfolgt, ist die Person, die unsittlich gehandelt hat, wieder in der Lage, real sittlich zu sein. Die Sühnung muß, da der sittliche Wert die sittliche Realisierung fordert, real in Erscheinung treten. Diese Sühnung muß außerdem von den Personen in der Geschichte real adoptiert werden, damit sie, wozu sie aufgefordert sind, wieder real sittlich leben können. Es genügt also nicht die prinzipielle Sühnung in einem objektiven Faktum, sondern es muß eine Methodos geben, in der sie zuganglich und realiter aufgenommen wird. 23)
Es gibt eine verbreitete theologische Auffassung, nach der schon der objektive Sühneakt das hierzu Fordernde leiste. Man vergißt in dieser Auffassung aber, daß das Böse, da es ja willentlich begangen wurde, auch von der bösen Person willentlich verworfen werden muß. Dieser subjektive Akt der Verwerfung des Bösen in der Annahme der geschenkten Sühne ist unentbehrlich, sonst ist die reale sittliche Liebe nicht möglich. Die Sünde bleibt sonst vielmehr gerade existent.
Man achtet leider in diesem und in anderem Zusammenhang zu sehr auf die Negativität der Sünde und zu wenig auf die Positivität der sittlichen Liebe, die eigentlich gesollt wird. Die Befreiung von der Sünde in der Satisfaktion ist also ursprünglich in diesem doppelten Aspekt der Aufhebung des Bösen und der dann und dadurch erfolgenden Befähigung zur Realisierung der Liebe zu sehen. 24)
In der schuldlos die Schuld annehmenden Liebe wird das Böse prinzipiell getilgt und die prinzipielle Erscheinung des Absoluten im konkreten Erscheinen Gottes zugleich absolut gerechtfertigt. In der konkreten Liebe Gottes wird einsehbar, warum die Schöpfung sein soll. Zugleich mit der Rechtfertigung wird die absolute Sinnfülle eingesehen, die durch das Böse und seine Folgen nicht aufgehoben werden kann.
Anmerkungen
1) Der spezifische Charakter der Offenbarungsreligion ist das Handeln Gottes in der Geschichte. Dieser Charakter der Offenbarung als geschichtlicher Manifestation Gottes ist es gerade, gegen den sich früher und heute - wie man leicht verifizieren kann - der gnostische Protest erhebt. Bereits im Judentum sind es aber die geschichtlichen Bücher, nicht die Propheten, die den Kern der Offenbarung ausmachen. Die alle Inkarnation destruierende Gnosis sieht deshalb mit Recht ihren Hauptangriffspunkt in den geschichtlichen Grundlagen der Offenbarung. Die existenziale Theologie z.B. mit ihrem Interesse an der bloßen Frage der Bedeutsamkeit für »mich« hat im Effekt diese alle Realität aufhebende Wirkung. Letztlich bedarf man konsequenterweise der Offenbarung gar nicht mehr. Das gleiche Argument läßt sich auch gegen die Theologie K. Rahners erheben. Nach dieser Theologie, die sich an einem an der Philosophie Hegels orientierten Typ logischer Metaphysik orientiert, ist mit der apriorisch-transzendentalen Erschlossenheit des unendlichen Seins - das mit Hilfe von Aquivokationen mit dem Gott der christlichen Theologie identifiziert wird - die entscheidende Offenbarung im Wesen des Geistes immer schon gegeben. Es bedarf dann einer konkreten Offenbarung gar nicht mehr. Rahner kann sie jedenfalls nicht mehr als sinnvoll einsichtig machen. Mit Recht ist auf die Vernachlässigung der spezifisch christlichen Themen bei Rahner hingewiesen worden. Zur Kritik an Rahner vgl. A. Gerken, Offenbarung und Transzendenzerfahrung. Kritische Thesen zu einer künftigen dialogischen Theologie, Düsseldorf 1969, 5. 12 ff.; 5. 40 ff. Die offenbaren Widersprüche in der Religionsphilosophie Rahners analysiert E. Simons, Philosophie der Offenbarung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966, 5. 55 ff.; S. 82; 5. 125 ff. 2) Auch eine ausufernde hermeneutische Fragestellung, die den Anspruch der Offenbarungsreligion ablehnt, um in einer von der Geschichte abgelösten freien Interpretation irgendein (angeblich modernes) Verständnis der Texte der Offenbarungsreligion zu erheben, hat im Effekt die Vernichtung dieser Texte zur Folge. Man muß sich in diesem Zusammenhang einmal die Frage stellen, wer denn heute noch naiv die Texte der biblischen Schriften zu lesen vermag, die ja nicht primär für die Wissenschaft überliefert sind. 3) In dieser genannten Kongruenz wird die natürliche Gotteserkenntnis aus Anlaß der ergehenden Offenbarung aktuiert, so daß Gott als Gott erkannt werden kann. In dieser Erkenntnis ergeben das apriorische Moment der Gottesidee und das geschichtlich auftretende, unverfügbare Moment der ergehenden Offenbarung in Synthesis im Vollzug der geistigen Aktivität die Einsicht. Die theologische Reflexion hat immer beide Momente zu berücksichtigen, wenn sie wahrhaft den Glaubensakt erklären will. Die apriorischen Konstitutiva fungieren nicht ohne den interpersonalen Vorgang, indem sich die Offenbarung ereignet. Andererseits kann die Übermittlung der Offenbarung nicht ohne die die Erkenntnis ermöglichenden apriorischen Momente erklärt werden. Das Prinzip der Einheit von »Natur« und Gnade kann auch hier als konstitutiv gelten. Mit dem Hinweis auf diese Synthese von apriorischer Idee und geschichtlicher interpersonaler Konkretion, in der die Offenbarung auftritt, läßt sich die Frage beantworten: »Woher weiß der Christ, daß er in Christus den schlechthinnigen Offenbarer Gottes vor sich hat, ... den Sohn Gottes?« A. Gerken, Offenbarung und Transzendenzerfahrung. Kritische Thesen zu einer künftigen dialogischen Theologie, Düsseldorf 1966, 5. 23. 4) Dieser Charakter der Erkenntnis, die in der interpersonalen Relation eröffnet wird, wird im allgemeinen von der Exegese bei der Interpretation der biblischen Texte nicht adäquat berücksichtigt. Bei Berücksichtigung der Identität des historischen Jesus mit dem kerygmatischen Christus ist darauf zu insistieren, daß dem Zeitgenossen, der eine Beziehung zur absoluten Person hatte, die absolute Erkenntnis möglich war. Die wissenschaftliche Hypothese, daß alle Hoheitstitel erst nach dem Auferstehungsereignis beigelegt werden konnten, erweist sich so als absurd. Die Erkenntnis der absoluten Person konnte durch die Auferstehung bestätigt, aber nicht ursprünglich erfaßt werden. Die hier zu fordernde Erkenntnis ist nämlich die Erkenntnis der Liebe, nicht die Erkenntnis von (wunderbaren) Fakten, die gewiß in ihrer Bedeutung nicht geleugnet oder reduziert werden soll bzw. sollen. Allein in der Erkenntnis der Liebe ist die spezifische Offenbarungserkenntnis ermöglicht. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang, in welchem Maße die rationale Erkenntnis für das Zustandekommen des Glaubens als Offenbarungsglauben entscheidend ist. 5) Auf diesem Sachverhalt ruht auch der wie ein kostbarer Schatz zu hütende Grundsatz von der Einheit von Natur und Gnade. Nur muß in der Explikation dieses Theologumenon berücksichtigt werden, daß unter »Natur« die Geistnatur (i.e. die Freiheit, die sich interpersonal realisiert) zu verstehen ist (und nicht Natur im allgemeinen Sinne), so daß die behauptete Zuordnung und Einheit auch tatsächlich einsichtig gemacht werden kann. Ein Verständnis von Gnade, die den Menschen wie ein Objekt überfällt bzw. die ihm äußerlich bleibt, ist absurd. Ein derartiger Gnadenbegriff ruht auf dem Verständnis Gottes als absoluter Macht (vgl. Schellings Gottesbegriff). Ein derartiges Verständnis weckt mit Recht Widerstand und Ablehnung. Die Gnade der Liebe aber überzeugt, was etwas ganz anderes ist! Es ist aus diesem Grunde, wenn man Theologie treiben will (was etwas anderes ist als Psychologie), auch inadäquat, vom Glauben als Wagnis bzw. Sprung zu sprechen, wie es durch den Einfluß Kierkegaards und des Existenzialismus in der Theologie üblich ist. Der Glaube, der in seinem Zentrum Gehorsam ist, in dem sich die Liebe Gottes bzw. Gott als Liebe erschließt, so daß in ihm - dem Glauben - der Mensch fähig wird, seinerseits (in Gott) zu lieben, ist wesentlich auf Gott gerichtet und nicht auf das »Abenteuer« des -subjektiven Aktes. Ebenso sollte die Theologie, die als Reflexion des Glaubens etwas wesentlich anderes ist als Poesie, in der man seine Freude an einem gelungenen Vers und einer kühnen Metapher haben mag, auf die Wahrheit ihrer gedanklichen Argumentation achten, statt in einen Ästhetizismus abzugleiten! 6) Außerdem ist - der grundliegenden Erkenntnisposition der Transzendentalphilosophie entsprechend - darauf hinzuweisen, daß man zwar den Begriff abzuleiten vermag, daß damit aber noch keineswegs die dem Begriff korrespondierende Anschauung gegeben ist. Transzendental ist der Begriff ableitbar, aber die Anschauung - hier: die konkrete geschichtliche Offenbarung - ist in der Geschichte aufzusuchen. Sie selbst muß induktiv ermittelt werden. Dem Einwand liegt also ein Konzept einer rein logischen Metsphysik zugrunde, die als solche unhaltbar ist. Selbst der notwendige Begriff begründet noch nicht die Wahrheit seiner Geltung. Die »perceptio« muß nicht nur »distincta« d.h. sekundär-begrifflich bestimmt, sondern »ciara perceptio« (im Sinne genetischer Evidenz) sein, um wissenschaftliche Relevanz im eigentlichen Sinne zu erhalten. Übrigens hat Fichte sehr wohl den unsere Geschichte maßgeblich prägenden Charakter des Christentums gesehen. Vgl. AL, Akad.-Ausg., I, 9, 5. 122: »So bleibt es doch ewig wahr, dass wir mit unserer ganzen Zeit und mit allen unseren philosophischen Untersuchungen auf den Boden des Christenthums niedergestellt sind, und von ihm ausgegangen: dass dieses Christenthum auf die mannigfaltigste Weise in unsere ganze Bildung eingegriffen habe, und dass wir insgesamt schlechthin nichts von alle dem seyn würden, was wir sind, wenn nicht dieses mächtige Princip in der Zeit vorhergegangen wäre«. 7) Vgl. dazu den Hinweis in der vorangehenden Anmerkung! 8) Es wäre durchaus denkbar, daß der Geist im absoluten Wissen sich vorfindet. Endlichkeit muß nicht notwendig Begrenztheit des Wissens bedeuten, auch wenn es sich de facto so zeigt! Endlichkeit heißt, daß der Wille nicht Ursprung des sittlichen Wertwillens ist. Die erscheinende absolute Person wird gerade daran von der endlichen Person unterscheidbar, daß an ihr offenbar ist, daß ihr Wollen das sittliche (Wert-) Wollen ursprünglich selbst ist, identisch mit ihm ist. Daher rührt auch die von dieser Person ausgehende Kraft der Faszination. 9) Es ist eine beliebte Art der Diskreditierung, den Erkenntnisanspruch in diesem Bereich so umzudeuten, als handle es sich hier um eine subjektive, im irrationalen Sinne zu nehmende Erfahrung, der keine Erkenntnisdignität zuzuerkennen sei. In diesem Sinne wird oft auch der »Glaube« etwa der Zeitgenossen und jünger Jesu Christi verstanden. Mit diesem dialektischen Trick ist die Offenbarung und ihr Anspruch in der Wurzel verkehrt. - Prinzipiell ist zu erinnern, daß die Offenbarung primär Anspruch darstellt, der Gehorsam fordert. Nimmt man sie bzw. ihre littera in dem Sinne, daß man sich zum Richter über sie erhebt, so verkehrt sie sich zu einem toten Dokument D.h. konkret: das Verständnis der Offenbarung setzt den Glauben im spezifischen Sinn voraus! Dieses Argument ist ebenso gegen ein verbreitetes - auch in der Theologie geläufiges - Mißverständnis zu erheben, das die Offenbarung und ihre Zeugnisse primär als Information, als theoretische Aussagen versteht. 10) Interpersonal äußert sich diese Tendenz in der - u.U. nur latenten - Erwartung, in der anderen Person, im Du, das Absolute, Gott suchen und finden zu können. Immer stellt das Individuum in seiner Sehnsucht, die absolute Liebe zu finden, diese Erwartung an den Anderen und beurteilt unter dem Gesichtspunkt dieser Erwartung die interpersonalen Erfahrungen. Diese oft unausgesprochenen die zwischenmenschliche Beziehung überlastende Erwartung führt naturgemäß zu erheblichen Spannungen. Die Entdeckung, daß das »geliebte Wesen« nur Mensch ist, ist oft schockierend! An ihr entdeckt sich erst, worauf die Erwartung sich wesentlich und überschwenglich richtete. - Selbst die Resignation und die Erfahrung der Sinnlosigkeit, sogar der Selbstmord aus Mangel an Sinnfülle setzen die Sehnsucht nach Sinnfülle voraus. Sie stellen nur Formen der Verzweiflung an der Realisierung der Sinnfülle dar. 11) Hier ergibt sich aus reinem Vernunftgrund noch eine gewichtige Folgerung: Soll das Absolute in konkreter Erscheinung sich manifestieren, dann muß diese konkrete Manifestation sich notwendig auf die Gesamtgeschichte beziehen. Mit dieser konkreten Manifestation muß also die reale Möglichkeit einer unmittelbaren Beziehung für die ganze weitere Geschichte bestehen. Die zeitliche Distanz, die unvermeidlich ist, darf nicht die notwendige Unmittelbarkeit der interpersonalen Beziehung alterieren. Die Setzung und Ermöglichung der kultischen Repräsentation muß deshalb in der Manifestation erkennbar und willentlich beabsichtigt sein. Für die geschichtliche Vergangenheit muß es ebenso eine Möglichkeit der Beziehung geben, auch wenn die Art und Weise dieses Konnexes verborgen ist. Immerhin kann die Stellungnahme zum sittlichen Prinzip als Kriterium der Stellungnahme zur konkreten Person Gottes gelten. Aber in irgendeinem Zeitpunkt der geschichtlichen Existenz muß auch für die Vergangenheit die Fülle des konkreten Absoluten erscheinen. 12) Es ist in dieser Explikation des Offenbarungsbegriffes also nicht auf die bloß formal-begriffliche Argumentation zu achten. Es muß vielmehr, um ihre Wahrheit einzusehen, die hier zu fordernde wahre Wertung in einem 'spezifischen Akt erfolgen. Nur in dieser Tathandlung erfolgt die erforderliche Einsicht! 13) Auf dieses Zentrum hin konvergieren alle Linien auch der alttestamentlichen Offenbarung, um auf die historische Gegebenheit der Offenbarung zu applizieren. Der Gedanke schon der alttestamentlichen Offenbarung ist der, daß Gott selbst mit dem Offenbarungsempfänger spricht. So heißt es Exodus 33, 11: »Der Herr aber redete mit Moses von Angesicht zu Angesicht, so wie jemand mit seinem Freunde spricht«. Vgl. auch etwa Numeri 2, 6-8. Auch wenn der Gedanke der unmittelbaren Erkenntnis nicht durchgängig erscheint - in anderen Stellen wird diese Unmittelbarkeit bestritten -' so ist doch das Alte Testament völlig von dem Gedanken der Offenbarung Gottes in Worten und Taten überzeugt. Dieser Gedanke der Repräsentanz Gottes in seinen Worten, in den Propheten ect. ist der entscheidende Gedanke, der von der Grundüberzeugung ausgeht, daß - um es im Gegensatz zu einem modernen theologischen Axiom auszudrücken - das »finitum« sehr wohl »capax infiniti« ist. Wäre der Mensch nicht Ebenbild Gottes, könnte Gott nicht in ihm erscheinen. Es könnte keine Offenbarung Gottes geben. Die Offenbarung Gottes und die Auffassung von seiner Repräsentanz ist aber vollendet und absolut garantiert nur in seinem unmittelbaren Erscheinen in der Geschichte, denn jede andere Offenbarung - und sei ihr Empfänger noch so heilig - ist vermittelt. Alle Unvollkommenheit des Empfängers geht aber in den Offenbarungsempfang mit ein. Nur eine absolut heilige Person kann im integralen Sinn Offenbarungsempfänger und Offenbarungsvermittler sein, ohne die Liebe Gottes zu alterieren. Die antichristliche Tendenz gegen die konkrete Erscheinung Gottes muß sich, wenn sie konsequent ist, prinzipiell gegen alle Annahme einer Offenbarung Gottes richten. In dieser durchgeführten Linie ist dann nicht einmal die Position eines orthodoxen Judentums mehr haltbar. Eine extrem behauptete negative Theologie führt in das reine Heidentum. Diese Behauptung läßt sich übrigens leicht an dem Phänomen des Ikonoklasmus verifizieren. Nur vordergründig ging es dabei um die Bilderfrage, der sachliche Hintergrund war der Streit um die Offenbarung überhaupt, von dessen Lösung die Bilderfrage zu entscheiden war. 14) Das Zentrum der Offenbarungsreligion ist deshalb die Inkarnation Gottes. Sie ist das konkrete Prinzip aller Offenbarung Gottes. Das gilt auch für das Verständnis der Schriften der Offenbarung. Nur von diesem Prinzip her können diese Schriften als Offenbarung verstanden werden und nur als solche Offenbarungsschriften sind sie als inspiriert anzusehen. Eine absolut gesetzte historisch-kritische Methode ohne den Bezug auf das im Glauben erfaßte und anerkannte Prinzip ist theologisch und wissenschaftstheoretisch absurd. 15) Der Titel »Sohn Gottes« meint gerade diese Repräsentanz Gottes. Der Sohnes-Titel darf gerade nicht im physischen Sinne oder Sinne der natürlichen Abkunft verstanden werden. Jenseits aller geschlechtlichen Zeugungsbeziehung (auf der schon Anus seine Argumentation begründete) drückt er die grundlegende Identität Gottes in seiner Erscheinung aus. Die Entfaltung der Christologie im Johannes-Evangelium ist so völlig authentisch und ursprünglich in der Offenbarung begründet: »Ich und der Vater sind eins« (Joh. 10, 30). - An dieser wesentlichen Einheit scheitern auch die modernen Interpretationsversuche, die von »Gott in Jesus« sprechen. Entweder ist er Gott oder er ist Prophet oder Rabbi ect., aber eben nicht Gott selbst. Man sollte diese eindeutige Alternative nicht verschleiern. Das Christentum steht und fällt mit der Überzeugung von der Gottessohnschaft Christi. Der Nestorianismus, der die Gottheit Christi anerkennt, hat sich bis heute halten können, während der Arianismus am Ende des Jahrhunderts, in dessen Mitte er triumphierte, faktisch untergegangen war. Wenn heute »christliche« Theologen ohne Bedenken die Gottessohnschaft Christi preisgeben, so ersieht man, wie weit man in der Christenheit zu gehen bereit ist. Vgl. etwa die Äußerung F. Buns in der von ihm mit J. M. Lochman und H. Ott herausgegebenen Dogmatik im Dialog, in der er zustimmend K.Jaspers zitiert: »Karl Jaspers war da eindeutiger, wenn er die kirchliche Behauptung der Gottheit Jesu eine >in die Irre führende Absurdität< nennt«. A.a.O., Gütersloh 1973, S.104. 16) In diesen beiden Voraussetzungen der Offenbarung liegt der Vernunftgrund für die Wahrheit des Chalcedonense. Nach der arianischen Position könnte nicht Gott erscheinen, nach der monophysitischen Annahme könnte Gott nicht (dem Menschen) erscheinen. Beide Voraussetzungen müssen gegeben sein und festgehalten werden! Übrigens ist mit der Annahme der Erscheinung durch Gott in ihrer interpersonalen Relation alles, was in dieser interpersonalen Relation begegnet, mitangenommen. Da das Individuum im interpersonalen Konnex an der Geschichte aller Freiheiten und so an der Gesamtgeschichte partizipiert, ist die Gesamtgeschichte in ihm und von ihm angenommen. 17) In der interpersonalen Relation erscheint deshalb ein vollkommen guter, sittlich liebender Wille, der absolut überzeugt. 18) Die frühen Konzilien haben sich der philosophischen Begrifflichkeit bedient, um religiöse Sachverhalte theologisch zu klären. Die übernommenen Begriffe sind daher von dieser Zweckbestimmung her zu deuten und können so auch sinnvoll gedeutet werden. Insofern kann von einer Hellenisierung durch philosophische Überfremdung keine Rede sein. Die Spekulationen, die in theologischen Kreisen im Anschluß an das Chalcedonense getrieben wurden, indizieren aber doch die Gefahr, in die eine theologische Reflexion gerät, die sich zu weit von dem ursprünglichen Glaubensleben entfernt. Die Väter der Kirche hatten einen völlig sicheren Instinkt, weil sie auf die soteriologische Bestimmung der Offenbarung sahen und in diesem Rahmen die theologische Absicherung durch eine dogmatische Formulierung betrieben. Wenn die Spekulation Selbstzweck wird, besteht die immanente Gefahr, daß die ursprüngliche Realität des Glaubens in der Reflexion nicht mehr erreicht wird. 19) Natürlich ist diese Einsicht wiederum eine Einsicht ex eventu. Aber wiederum ist zu antworten, daß der Charakter der Dignität der Erkenntnis nicht durch empirische Bedingungen des Vollzugs des individuellen Erkennens bestimmt wird. Die Erkenntnis als solche ist überzeitlich, sie wird nur in der Zeit individuell angeeignet. Wer die Identität der überzeitlichen transzendentalen Erkenntnis leugnet, der muß zu der Annahme einer Wandelbarkeit im Absoluten seine Zuflucht nehmen. Dann kann aber nicht nur von genetischer Einsicht keine Rede mehr sein, es hört überhaupt jedes Einsehen auf!Natürlich ist diese Einsicht wiederum eine Einsicht ex eventu. Aber wiederum ist zu antworten, daß der Charakter der Dignität der Erkenntnis nicht durch empirische Bedingungen des Vollzugs des individuellen Erkennens bestimmt wird. Die Erkenntnis als solche ist überzeitlich, sie wird nur in der Zeit individuell angeeignet. Wer die Identität der überzeitlichen transzendentalen Erkenntnis leugnet, der muß zu der Annahme einer Wandelbarkeit im Absoluten seine Zuflucht nehmen. Dann kann aber nicht nur von genetischer Einsicht keine Rede mehr sein, es hört überhaupt jedes Einsehen auf! 20) Hier erscheint ein fundamentales Problem, das Philosophen wie Anseim und Kant klar gesehen haben. Man geht leider üblicherweise uninteressiert daran vorbei! Aber die Gerechtigkeit fordert diesen Ausgleich (Vgl. etwa I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft, Hamburg 1956, (PhB 45), 5. 78: »Gleichwohl aber muß der höchsten Gerechtigkeit ... ein Genüge geschehen«). - Wenn man dieses Problem nicht als Intellektualist bloß theoretisch betrachtet, sondern es in seinem realen Gewicht erfaßt, dann wird es zu einem der wesentlichen geistigen Probleme: Man muß nur einmal in der Erfahrung darauf achten (an sich oder anderen), wie sehr die Verletzung der Gerechtigkeit einen unversöhnlichen Haß zu provozieren vermag, welches Leid sie schafft etc., um den existentiellen Charakter dieses Problems zu ermessen! Wie konkret das aittestamentliche Israel über den Zusammenhang der Sünde und die durch sie geforderte Sühne gedacht hat, erfährt man in der Lektüre des Alten Testamentes und in der Beachtung der minutiösen Anweisungen zum Opferkult. Das vom Individualismus geprägte griechische und moderne anthropologische Denken hat leider die Gemeinschaftsdimension (im Guten wie in der Sünde) verdunkelt und eliminiert. In Israel dachte und erlebte man diese Dimension anders. »Das Böse müßte auch auf die Gemeinschaft zerstörerisch wirken, sofern sie nicht feierlich und demonstrativ die Solidarität mit dem Missetäter aufhob: er galt also in einem ganz realistischen und direkten Sinne als gemeingefährlich«. Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, München 1966, I, 5. 279 f. vgl. ebd., 5. 281: »Israel hat sich also auf eine Auflösung seiner Schuldvorstellung ins Subjektive nicht eingelassen«. S. 277: »Sünde war ... eine soziale Kategorie ... War irgendwo eine schwere Verletzung des Gottesrechtes geschehen, so stand die Belastung, die in der Gemeinschaft dadurch vor Gott widerfuhr, durchaus im Vordergrund, denn nichts Geringeres als ihre ... Kultfähigkeit war damit bedroht. Sie hatte deshalb ein vitales Interesse daran, daß die Ordnung wiederhergestellt wurde«. Ebd., 5. 282: »Sprachen wir ... von einem Bereich des Fluches, so ist darauf hinzuweisen, daß P die ... Vorstellung voraussetzt, daß Israel ... ständig von der Macht eines schon fast verabsolutierten Zornes ... bedroht war. Die Situation Israels ist ... von einem tödlichen Ernst gekennzeichnet ... Der einzige Schutz dagegen war der immer neue Vollzug von Sühnehandlungen ... « Ebd., 5. 283: »Die Sühnewirkung liegt ... im Leben, dessen Träger das Blut ist«. Dabei ist nicht etwa »Jahwe der Empfänger der Sühne, sondern Israel: vielmehr ist Jahwe der Handelnde, indem er den Unheilsbann von der belasteten Gemeinschaft abwendet«. Der Verlust der Sozietätsethik, den ein Theologe wie E. Brunner - Natur und Gnade, Zürich 19352, 5. 37 f. - bedauernd konstatiert, führt in einen Individualismus, der die Grundlage des geistigen Lebens zerstört. 21) Auch wenn nicht einzusehen ist, wie diese Sühne möglich ist, ist doch die Einsicht in das Faktum der Notwendigkeit bzw. das Faktum der tatsächlichen Sühne entscheidend. Hierin liegt die vernünftige Begründung des Opferkults, der in allen Regionen eine große Rolle spielt (etwa auch im Alten Testament). Der grassierende Intellektualismus geht leider an diesen für das geistige Leben fundamentalen Grunderfahrungen der Schuld und dem erforderlichen Opfer achtlos vorüber, ohne daran zu denken, wovon das Leben eigentlich getragen und ermöglicht wird. 22) Diese Person muß also aus Liebe, obwohl sie ihrerseits schuldlos ist, sich völlig mit der Schuld anderer identifizieren, sie als eigene annehmen, um sie so zu tragen und darin zu sühnen! Vgl. zu diesem Zusammenhang R. Lauth, Ethik, Stuttgart 1969, 5. 138 ff. 23) In der Frage des konkret zugänglichen Heils liegt die Grunddifferenz zwischen dem Katholizismus und den aus der Reformation hervorgegangenen Positionen in der Auffassung von dem Wesen der Kirche und des Sakramentes. Ist die absolute Liebe konkret, muß mit ihrer Offenbarung die konkrete Eröffnung dieser Liebe mitgesetzt sein. - Übrigens läßt sich diese Auffassung der Kirche und des Sakramentes, ebenso die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu Christi bei Fichte nicht belegen. 24) Die Interpretationen der Satisfaktionsiehre richten sich in der Regel auf die Hervorhebung des negativen Aspektes, der aber allein unzureichend ist. Die Forderung Gottes bezieht sich nicht zentral auf das Freisein von der Sünde, sondern auf die positive Realisierung des Guten, auf die positive Heiligkeit.
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