"Wo zwei oder drei in Meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." (Mt. 18,20)
von Eberhard Heller
Wenn ein Thema, welches wir in unserer Zeitschrift diskutiert oder auf es aufmerksam gemacht haben, auf eine nicht zu überhörende Resonanz gestoßen ist, dann war es das Ringen darum, wie wir in unserer immer stärkeren Vereinzelung behaupten, wie wir als Diaspora-Christen ein religiöses Leben führen können.
Wir alle waren zunächst eingebunden in Strukturen geistlich-geistigen Seins, in welchen fraglos kirchliches Leben pulsierte und in denen Gemeindebeziehungen funktionierten. Der Rhythmus vom Besuch gottesdienstlicher Veranstaltungen und dem Zusammenleben in der Familie, am Arbeitsplatz schien als gesichert vorgegeben. Schien! Zum einen kam die geistliche Revolution des II. Vatikanums, die bis in die Familien hinein die Gläubigen spaltete, und zum anderen wurden die hochgesteckten Ziele der Väter des Kirchenkampfes, die Kirche wieder aufzubauen, völlig verfehlt.
Aktuell schaut es so aus, daß z.B. Fr. Krier aus den Vereinigten Staaten und Pfr. Schoonbroodt aus Belgien abwechselnd nach Marienbad in Tschechien reisen, um dort die enzig homogene Gruppe von kath. Christen zu betreuen, die von Herrn Dr. Klominsky, einem Schüler von + H.H. Dr. Katzer, aufgebaut wird.
Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, regelmäßig einen Gottesdienst besuchen zu können: die Kleriker, die so penetrant auf ihrem angeblich katholischen Standpunkt insistieren, sind längst zu katholisierenden Sektierern mutiert, Kleriker, die sich auf ihre eigene Vollmacht berufen und nicht darauf achten, wie sie das Problem des fehlenden Mandates durch die Kirche kompensieren können. Und ich kann nur noch einmal betonen: das Gieren nach Sakramenten bei Sektierern, bei denen es nicht einmal sicher ist, ob sie gültig geweiht sind, bleibt gnaden-los. Man soll nicht meinen, die illegitime Meßbesuch bei solchen Leuten würde die Gnadenfülle mehren!
Als ich im September mit meiner Frau in den Bergen unterwegs war, fiel mir auf, daß die Almen nicht mehr beweidet waren. Auf die Frage an einen Almer, wo denn die Kühe geblieben seien, erzählte er uns, diese wären nach dem ersten frühen Schneeinfall von sich aus ins Tal hinuntergezogen, denn zu Fressen gab's auf den verschneiten Hängen nichts mehr. Der sonst übliche und festliche Almabtrieb fand dieses Jahr nicht statt. Man sollte meinen, erwachsene Katholiken, die bisher mit uns den gleichen Weg gegangen sind, sollten soviel Nüchternheit besitzen, um die gegebenen Realitäten zu sehen.
Noch eines gibt es zu bedenken: wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir unverständlich geworden sind, wir können uns, was die theologischen Sachverhalte angeht, nicht mehr vermitteln, die Kluft zu modern denkenden Gläubigen ist inzwischen so groß, daß wir mit unseren Anliegen nicht mehr verstanden werden, wir sind 'sprachlos' geworden. Sachverhalte, die wir als problematisch oder als verkehrt ansehen, sind für sie 'geklärt', gehören zum festen Besitz.
Bernanos schildert in seiner Erzählung "Die Nacht" die Begegnung eines Reisenden mit einem älteren, im Sterben liegenden Mann, der im brasilianischen Urwald lebt und als höchsten Schatz ein Buch an sich geklammert hält, welches ihm sein Vater einst hinterlassen hatte. Er selbst Analphabet kennt den Inhalt des Buches nicht, er weiß nur, daß sein Vater, wenn er darin gelesen hatte, immer hell auflachen mußte... in einer Umgebung, in der es sonst nichts zu lachen gab. In der gleichen Nacht stirbt der alte Mann, das Buch fest an sich gepreßt. Voll Neugierde nimmt der Reisende das Buch an sich, öffnet es, um feststellen zu müssen, daß es sich um einen Zotenroman handelt. Der Alte hatte wegen des Lachens seines Vaters angenommen, der Inhalt des Buches müssen freudiger Ideen entsprechen, die sich den wenigen Lesekundigen offenbaren würden, ohne den Inhalt selbst zu kennen.
Diese Parabel beleuchtet anschaulich unsere heutige Krux. Ich kenne einen konservativen Politiker, der als theologisches Highlight die Position Lehmanns ansieht. Wie soll er aber als Politiker bei der Bekämpfung des Multikulturismus Erfolg haben, wenn er nicht erkennt, daß der von seinem theoretischen Mentor vertrene Synkretismus gerade die Voraussetzung für die von ihm abgelehnte Position schafft. N.b. das ist auch der Grund, warum konservative Politiker, die die Konzils-'Kirche' als Metaebene betrachten, als Prinzipiengeber, erfolglos bleiben (müssen). Viele halten Ratzinger/Benedikt XVI. für einen konservativen, gebildeten Papst, ohne seine theologische Position und sein synkretistisches Treiben jemals ernsthaft geprüft zu haben. Dieses Bild hat sich inzwischen so verfestigt, daß niemand mehr daran rütteln kann. Aber irgendwann werden Erwartung und Realität kollidieren.
Wie kann man in dieser geistig zuzementierten Umwelt, in der völligen Vereinzelung, in der Isolation überleben... und noch bemüht sei, christliche Ideen zu kommunizieren. In Gesprächen mit Gläubigen, die einsam sind, die in der inneren und äußeren Diaspora leben, stellte sich heraus, daß es nicht genüge, sonntags die Messe aus dem Schott zu lesen. Nach etlichen Wochen würde dies nicht mehr tragen, es erschiene wie eine "Trockenübung", vergleichbar den Schwimmbewegungen auf dem Trockenen.
Sieht man einmal davon ab, daß es in der Kirchengeschichte neben den festen kirchlichen Strukturen auch immer die Diaspora-Situation gegeben hat, in der es galt, neues kirchliches Leben aufzubauen und zu entfalten, so haben wir genügend Vorlagen, auf die wir zugreifen können, um unsere Situation zu meistern. Denken wir an die Missionare, die erst die Menschen auf den Glauben an Christus vorbereiten mußten, um sie für Ihn und seine Kirche zu gewinnen; denken wir an Afrika, an Amerika, das langsam besiedelt wurde und wo erst nach und nach kirchliche Strukturen aufgebaut wurden, und die verfolgten Christen, die heute noch immer unter großen Repressalien zu leiden haben, die nicht einmal von jener Institution Hilfe erhalten, die sie für die Kirche halten...
Um der geistigen Vereinsamung zu entgehen, sollten wir bemüht sein, uns zu Gebetsgemeinschaften zusammenzufassen; denn nur wenige schaffen es, mit der hl. Theresa von Avila zu sagen: "Solo Dios basta" - "Gott allein genügt". Die Marienbader Gruppe, die ich bereits erwähnte, trifft sich alle vierzehn Tage zu geistlichen Gesprächen und zum Gebet. Wir können in unserer Nachbarschaft nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Wo es die nicht gibt, kann man sich innerlich an solche Gemeinschaften anlehnen und Termine gemeinsamen Betens verabreden. Gott kennt unsere Nöte. Er ist ein barmherziger Gott, wir sollten Vertrauen haben in seine Güte, die uns zukommen läßt, was wir benötigen an Ausdauer, an Gelassenheit, an Stärke.
Ich möchte an das erinnern, was uns der verstorbene Pfr. Aßmayr 1979 sagte, als es um darum ging, sich gegenüber dem Levebreismus abzugrenzen:
Was ist nun in dieser trostlosen Lage der noch gläubigen Katholiken zu tun? Einmal: seinen Glauben nicht von der Haltung einer Person abhängig machen, sonst werden wir immer wieder Enttäuschungen erleben. Unser Glaube gilt Gott und Seiner Kirche. Daher müssen wir bei dem bleiben, was die Kirche immer gelehrt und getan hat.
Besonders wichtig aber ist, daß wir uns stets anstrengen, auch nach dem Glauben zu leben (!), was durchaus keine leichte Sache ist. Daß es damit durchaus nicht gut bestellt ist, ist allseits bekannt. Jeder muß bei sich selber anfangen.
Dann aber sollen wir unser Vertrauen auf den Herrn setzen. Wir glauben doch an die Liebe Gottes zu uns Menschen, die Er uns doch so reichlich bewiesen hat. Wir glauben ebenso an Seine Macht und Weisheit, und daß Er alles lenkt und leitet. Nichts geschieht, ohne daß Er es will oder nur zuläßt. Dann muß uns aber auch alles zum Heile gereichen, wenn wir uns entsprechend benehmen und verhalten. Um aber das zu können, gibt uns der Herr immer die entsprechenden Gnaden. Wir brauchen nur darum zu bitten. Oft gibt Er sie uns schon, ohne daß wir darum gebeten haben. Also, eifrig sein im Beten! Aber dann die Hände nicht in den Schoß legen!
Wenn man uns die Hl. Messe, ja sogar die anderen Sakramente, selbst die Priester und Bischöfe nimmt, so brauchen wir trotzdem nicht zu verzagen. Die Taufe und das Gebet kann man uns wohl nicht nehmen. Der Herr gibt uns dann die nötigen Gnaden auf einem anderen Wege. Wir müssen es halt machen wie die Christen in den kommunistischen Ländern. Ihr Durchhalten und ihr Zeugnis sollte uns, denen noch alle Gnadenmittel zur Verfügung stehen, beschämen. Wir brauchen also nie verzagt sein; wohl aber werden wir noch mehr gezwungen werden, das christliche Leben immer ernster zu nehmen, besonders das Gebot der Liebe, auch gegen unsere Feinde. Denn auch sie sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes. Wohl können wir auch ihnen manchmal energisch, manchmal sogar zornig die Wahrheit sagen - wie der Herr den Juden oder Stephanus dem Hohen Rate, wo ja auch die Liebe, und nicht Haß noch Rache, dahinter stand.
Wenn gute Eltern sehen müssen, wie ihre Kinder schon in der Schule in alle Laster eingeführt und verdorben werden, und auch noch die heranwachsende Jugend, dann ist der Zorn gegen die Schuldigen berechtigt, steht doch die echte Liebe der guten Eltern dahinter, die neben den Kindern in erster Linie die Folgen zu spüren bekommen und slie tragen müssen. Aber auch der Zorn der gewissenhaften Seelsorger und der gläubigen Katholiken gegen die Zerstörer des Glaubens, der Sitten und der Liturgie, besonders gegen die falschen Hirten, die in Wirklichkeit reißende Wölfe sind, hat durch die dahinter stehende Liebe seine Berechtigung.
Wenn wir uns wirklich viel Mühe geben, dem Vater im Himmel gute Kinder zu sein, wenn wir bestrebt sind, Ihm nur Freude zu machen und Ihn nie überlegt oder bewußt zu betrüben, noch weniger Ihm weh zu tun, dann können wir trotz allem froh und glücklich in die Welt schauen, trotz des unendlichen Elends um uns her. Das möchte ich allen Lesern und Freunden von Herzen wünschen. Regieren tut auch heute noch der Herr, der einst zur hl. Katharina von Siena sprach: "Alles, was Ich zulasse, alles, was Ich euch gebe, Heimsuchungen oder Tröstungen, geistlicher oder weltlicher Art, alles geschieht nur zu eurem Besten, auf daß ihr in Mir geheiligt werdet und Ich meine Wahrheit in euch vollende. (Aßmayr: "Heillose Verwirrung", EINSICHT Juli 1979)
Die Stelle bei Matthäus (18,29) "Denn wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen" sollte uns den Weg zeigen, den wir heute einschlagen können, wenn wir keine Seelsorger mehr haben, um auch dann noch zeichenhaft für andere zu wirken. Der hl. Johannes vom Kreuz bemerkt zu dieser Stelle: "Es ist einer demütigen Seele eigen, daß sie sich nicht anmaßt, allein mit Gott zu handeln."
Als Gott von Abraham das Opfer seines Sohnes forderte, suchte Er auf der Ebene der Menschen, seiner Geschöpfe eine Entsprechung für Seinen Willen, um unseres Heiles willen Seinen Sohn zu opfern. Sein Sohn-Opfer sollte mit der Bereitschaft zum Opfer bzw. Selbst-Opfer auf der Seite des Menschen korrespondieren. (Die Theologen kennen die alte Frage: "Cur Deus homo", "warum ist Gott Mensch geworden", die der hl. Anselm von Canterbury so beantwortet: die Erlösung der gefallenen Menschheit hätte der Inkarnation bedurft: die Geburt des Gottessohnes in der äußersten Niedrigkeit. Wäre aber auch Gott Mensch geworden, wenn die Menschheit nicht der Erlösung bedurft hätte? Sicherlich, denn Gott wollte den ganz konkreten Bund mit den Menschen, aber dann wäre er vielleicht auf andere Weise zu uns gekommen.)
Wie schwer fällt es uns zu sagen: Herr lade mir, soviel ich tragen... mit Deiner Hilfe. Wir sollten zumindest das tragen und ertragen, was uns die Welt an Mühen beschert, auch die Situation der Vereinzelung.
In der Tat, wir haben die 'Reformen' nicht gewollt! Aber was haben wir ihnen entgegengesetzt?
Unseren Heilsegoismus. |