Über die Menschwerdung Christi
von Papst Leo d.Gr.
Vorbemerkung "Es scheint ein weiter Weg zu sein von der schlichten urchristlichen Aussage: 'Jesus ist der Herr', bis zu jener abschließenden Formulierung des Christus-Dogmas auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Chalzedon (451), in deren Zusammenhang die Lehrschreiben Papst Leos des Großen stehen und die das Geheimnis Christi mit einer genauen und subtilen Terminologie umgibt", so leitet Ludwig A. Winterswyl die Lehrschreiben Leos d. Gr. über die Menschwerdung Christi ein.
"Folgend also den heiligen Vätern, lehren wir alle einstimmig, daß der Sohn, unser Herr Jesus Christus, ein 'und derselbe sei. Er ist vollkommen der Gottheit und vollkommen der Menschheit nach, wahrer Gott und wahrer Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und dem Leibe. Er ist wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, er ist wesensgleich auch uns seiner Menschheit nach, 'er ist uns im allem ähnlich geworden, die Sünde ausgenommen' (Hebr. 4, 15). Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater gezeugt seiner Gottheit nach, in den letzten Tagen aber wurde derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren: Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen, unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht. Niemals wird der Unterschied der Naturen wegen der Einigung geleugnet, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit einer jeden Natur bewahrt, indem beide in eine Person und H ypostase zusammenkommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennten und zerrissenen, sondern einen und denselben einzig gehorenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Jesus Christus, wie schon die Propheten es vor ihm verkündet und der Herr Jesus Christus selbst es uns gelehrt und das Glaubensbekenntnis der Väter es uns überliefert hat. Da wir nun diese Entscheidung mit großer, allseitiger Umsicht und Genauigkeit verfaßt haben, so beschloß die heilige und allgemeine Kirchenversammlung, daß niemand einen andern Glauben vortragen oder niederschreiben, verfassen, hegen oder andere lehren dürfe."
Heute, im Zeichen des globalen Synkretismus, in dem der Terminus "Gott" zur bloßen Worthülse verkümmert ist, wird implizit die Trinität und damit zugleich die Gottheit Christi geleugnet, auch von dem, der vorgibt, Papst zu sein... Nein? Christus, der nach Ratzinger erst Gott wird durch die vollkommene Adaption des Willens des Vaters, ist nicht der Mensch gewordene Sohn Gottes, wofür hier das Zeugnis des großen Theologen, der mit seinen Lehrschreiben die Kirchenversammlung von Chalzedon (451) entscheidend geprägt hat (vgl. auch EINSICHT Nr. 10 vom Dez. 2003).
E. Heller
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BISCHOF LEO DEM GLORREICHEN UND MILDEN SOHNE, DEM KAISER LEO
I
Ich erinnere mich, verehrungswürdiger Kaiser, meines Versprechens, in der Angelegenheit des Glaubens, für den Du gütige und fromme Sorge trägst, ein ausführliches Schreiben zu übersenden; ich löse es nun bei günstiger Gelegenheit mit Gottes Hilfe ein, damit es dem heiligen Eifer Deiner Frömmigkeit an einer, wie ich glaube, nützlichen Unterweisung nicht mangle. Obwohl ich nämlich weiß, daß Du menschlicher Belehrung nicht bedarfst und reinste Lehre aus der Fülle Heiligen Geistes geschöpft hast, so ist es dennoch meine Pflicht, zu offenbaren, was Du weißt, und zu verkünden, was Du glaubst, damit jenes Feuer, welchs der Herr bei seiner Ankunft auf die Erde brachte, durch die Anregung einer häufigeren Betrachtung angefacht und so erwärmt werde, daß es brennt, so entflammt werde, daß es leuchtet. Denn die Irrlehre des Eutyches ) suchte große Finsternis über dem Orient zu verbreiten und die Augen der Unwissenden von jenem Lichte abzuwenden, welches, wie das Evangelium sagt, "in der Finsternis leuchtet, das die Finsternis aber nicht begriffen hat" (Joh. I, 5). Da diese Irrlehre nun ihrer eigenen Blindheit verfallen ist, so zeigt sich wieder an den Schülern, woran der Urheber litt.
II
Kurz nacheinander nämlich wurde der katholische Glaube - der einzige und wahre, dem nichts hinzugefügt, nichts genommen werden kann von zwei Feinden angegriffen, zuerst von Nestorius ), dann von Eutyches. Sie wollen in die Kirche zwei einander entgegengesetzte Irrlehren hineinbringen, so daß beide von den Verkündigern der Wahrheit mit Recht verurteilt wurden, weil es allzu wahnsinnig und gotteslästerlich war, was beide zwar inhaltlich verschieden, aber gleich unwahr dachten. Deshalb treffe den Nestorius der Bann, welcher glaubte, die selige Jungfrau Maria habe nicht Gott geboren, sondern nur einen Menschen; er schrieb dem Fleische eine selbständige Person und eine andere der Gottheit zu, und dementsprechend nahm er nicht den einen Christus im Worte Gottes und im Fleische an, sondern verkündete getrennt und gesondert den einen als Gottessohn und den andern als Menschensohn, - wo es sich doch so verhält: Indem das unveränderliche Wort jene Wirklichkeit behält, welche es mit dem Vater und dem Heiligen Geiste zeitlos und gleichewig hat, ist dieses Wort so im Schoße der Jungfrau Fleisch geworden, daß dieselbe Jungfrau durch die eine Empfängnis und die eine Geburt, der wahrhaftigen Wirklichkeit beider Naturen gemäß, sowohl die Magd des Herrn war wie seine Mutter. Das erkannte auch, wie der Evangelist Lukas erklärt, Elisabeth, da sie sagte: "Woher mir diese Gnade, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?" (Luk. I, 43.) Mit dem gleichen Bann (wie Nestorius) soll auch Eutyches belegt werden, welcher sich in den unfrommen Irrtümern der alten Irrlehrer bewegte und den dritten Lehrpunkt des Apollinaris ) hervorsuchte; dieser nämlich leugnete die Wahrheit des menschlichen Fleisches und der (menschlichen) Seele (in Christus) und behauptete, unser Herr habe nur eine Natur, als ob sich die Gottheit des Wortes selbst in Fleisch und Seele verwandelt hätte, und als ob empfangen und geboren werden, genährt werden und wachsen, gekreuzigt werden und sterben, begraben werden und wieder auferstehen, in den Himmel auffahren und zur Rechten des Vaters sitzen, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, - als ob dies alles allein der göttlichen Natur angehöre, die doch nichts von all diesem ohne das wahrhaftige Fleisch auf sich nimmt, weil die Natur des Einziggeborenen die Natur des Vaters, die Natur des Heiligen Geistes, gleich leidensunfähig, gleich unveränderlich, die unteilbare Einheit und wesensgemeinsame Gleichheit der ewigen Dreifaltigkeit ist. Wenn nun auch jeder Eutychianer etwas von der Verkehrtheit des Apollinaris abweicht, damit man ihm nicht nachweisen könne, daß er sich die Gottheit leidensfähig und sterblich denke, und wenn er dennoch die Natur des fleischgewordenen Wortes, d. h. des Wortes und Fleisches, für eine zu erklären wagt, so geht er ohne Zweifel zu dem Irrtum des Valentin und des Manes über und glaubt, daß der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus, alles nur zum Scheine getan habe und in ihm kein menschlicher Leib gewesen sei, daß sich vielmehr nur der phantastische Schein eines Leibes den Augen gezeigt habe.
III
Da der katholische Glaube diese unfromme Unwahrheit von alters her verabscheut und solche gotteslästerlichen Behauptungen bereits durch die übereinstimmenden Erklärungen der seligen Väter über die ganze Welt hin verurteilt sind, ist es über jeden Zweifel erhaben, daß wir den Glauben verkünden und verteidigen, den das heilige Konzil von Nizäa bestätigt hat. Es sagt: Wir glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an unsern einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, geboren aus dem Vater als Einziggeborenen, d. h. aus dem Wesen des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, geboren, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist. Er ist um uns und unseres Heiles willen herabgekommen, Fleisch geworden und Mensch geworden, hat gelitten und ist am dritten Tage wieder auferstanden. Er ist aufgefahren in den Himmel, wird kommen zu richten die Lebendigen und die Toten. Und an den Heiligen Geist.
In diesem Bekenntnis ist ganz offensichtlich das enthalten, was auch wir bezüglich der Fleischwerdung des Herrn bekennen und glauben, daß nämlich dieser, um das Heil des Menschengeschlechtes wiederherzustellen, das wirkliche Fleisch menschlicher Gebrechlichkeit nicht vom Himmel mit herniederbrachte, sondern es im Schoße der Jungfrau-Mutter annahm.
IV
Wer immer also jene sind, die so verblendet, so fern vom Licht der Wahrheit sind, daß sie dem Worte Gottes von der Menschwerdung an den wirklichen menschlichen Leib absprechen, - sie sollen zeigen, mit welchem Recht sie sich den Christennamen zulegen und auf welche Weise sie mit dem wahren Evangelium übereinstimmen, wenn in der Jungfrauengeburt entweder das Fleisch ohne die Gottheit oder die Gottheit ohne das Fleisch geboren worden sein soll. Wie nämlich nicht geleugnet werden darf, daß, wie der Evangelist sagt, "das Wort Fleisch geworden ist und gewohnt hat unter uns" (Joh. I, 14), so darf auch nicht geleugnet werden, daß, wie der selige Apostel Paulus es gepredigt hat, "Gott in Christus war, da er die Welt mit sich versöhnte" (2 Kor. 5, 19). Welche Wiederversöhnung Gottes mit dem Menschengeschlechte aber hätte statthaben können, wenn nicht der Mittler zwischen Gott und den Menschen die Schuldangelegenheit aller auf sich genommen hätte? Auf welch andere Weise aber hätte der Mittler die wirkliche Mittlerschaft erfüllen können, wenn nicht der in Gottesgestalt dem Vater Gleiche in der Knechtsgestalt Anteil an uns hätte? Auf daß dann die Fessel des Todes, durch die Schuld des einen Adam zugezogen, durch den Tod des einen (Christus), der allein dem Tode nichts schuldete, gelöst wurde. Das für die Ungerechten vergossene Blut Christi war so reich an Lösekraft, daß, wenn alle Gefesselten an ihren Erlöser glaubten, die Fessel des Teufels niemanden halten würde; denn, wie der Apostel sagt, "wo die Sünde übergoß war, da war noch überfließender die Gnade" (Röm. 5, 20). Und da die unter dem Verdikt der Sünde Geborenen zur Gerechtigkeit wiedergeboren werden können, ist die Gabe der Freiheit mächtiger als die Schuld der Knechtschaft.
V
Welche Hoffnung aus diesem Sakrament der Wiedergeburt bleibt dann denen, die in unserem Heilande den wahren Menschenleib leugnen? Sie sollen sagen, durch welches Opfer sie versöhnt, durch welches Blut sie erlöst sind? "Wer ist es", sagt der Apostel, "der sich dahingab als Opfer und Gabe für Gott zu lieblichem Wohlgeruch?" (Eph. 5, 2.) Oder welches Opfer aller Zeiten war heiliger als jenes, welches der wahre und ewige Hohepriester auf dem Altare des Kreuzes durch die Hinopferung seines Fleisches darbrachte? Denn wenn auch der Tod vieler Heiliger kostbar war in den Augen des Herrn (Ps. 115, 4) so war doch die Tötung keines dieser Unschuldigen die Erlösung der Welt. Die Gerechten empfingen Kronen, aber sie geben sie nicht, und aus der Tapferkeit der Gläubigen haben wir Beispiele der Geduld, nicht aber die Gnaden der Gerechtigkeit. Der Tod der Einzelnen hatte nur für sie als Einzelne Bedeutung, und keiner löste mit seinem Tode die Schuld eines andern; denn unter den Kindern der Menschen gibt es nur den einen Herrn Jesus Christus, der wahrhaft das makellose Lamm ist, in dem alle gekreuzigt, alle gestorben, alle begraben, alle auch auferweckt sind. Von ihnen sagte der Herr selbst: "Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen" (Joh. 12, 32). Denn der wahre Glaube, der die Gottlosen gerecht macht und Gerechte schafft, der in die Teilhabe an seiner (heiligen) Menschheit hineingezogen ist, der erwirbt in dem das Heil, in dem allein der Mensch sich als Schuldlosen wiederfindet, insofern es ihm durch Gottes Gnade freisteht, sich der Macht dessen zu rühmen, der zum Kampf gegen den Feind des Menschengeschlechtes in der Niedrigkeit unseres Fleisches antrat und denen seinen Sieg schenkte, in deren Leib er den Triumph errang.
VI
Es ist also in dem einen Herrn Jesus Christus, dem wahren Gottessohn und Menschensohn, von Wort und Fleisch eine Person, deren Handlungen untrennbar und unscheidbar gemeinsame sind; dennoch muß man auf die jeweilige Eigenart der einzelnen Werke selbst achten, und der lautere Glaube wird betrachtend erkennen, zu welchen Werken sich die Niedrigkeit des Fleisches erhebt und zu welchen sich die Hoheit der Gottheit herabneigt, was also das Fleisch nicht ohne das Wort tut und was das Wort nicht ohne das Fleisch. Ohne die Macht des Wortes würde die Jungfrau weder empfangen noch geboren haben, und ohne einen wirklichen Leib hätte das Kind nicht in Windeln gelegen. Ohne die Macht des Wortes würden nicht die Magier den durch den Stern bezeichneten Knaben angebetet haben; und wenn kein wirklicher Leib war; dann hätte nicht der Befehl zu ergehen brauchen, daß der Knabe nach Ägypten gebracht und der Verfolgung des Herodes entzogen werde. Ohne die Macht des Wortes wäre nicht die Stimme des Vaters vom Himmel erschallt: "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe" (Matth. 3, 17), und nur im Hinblick auf einen wirklichen Leib konnte Johannes verkünden: "Sehet das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt hinwegnimmt" (Joh. I, 29). Ohne die Macht des Wortes würden die Schwachen nicht wieder stark und die Toten nicht wieder lebendig, und ohne einen wirklichen Leib bedürfte der Hungernde nicht der Speise, noch der Müde des Schlafes. Und schließlich: Ohne die Macht des Wortes würde der Herr sich nicht als dem Vater gleich bekannt haben, und ohne die wahre Menschheit würde er nicht gesagt haben, daß der Vater größer sei als er. Denn der katholische Glaube umfaßt beides und verteidigt beides, indem er gemäß dem Bekenntnis des Petrus an den einen Christus, des lebendigen Gottes Sohn, Glaube an den Menschen und Glaube an das Wort ist. Wiewohl also von jenem Anfang an, da das Wort im Schoß der Jungfrau Fleisch geworden, keinen Augenblick lang die beiden Gestalten (die Gottes- und die Knechtsgestalt) getrennt waren und auf allen Stufen des leiblichen Wachstums alles Handeln von der einheitlichen Person ausging, so dürfen wir doch nicht das, was ohne Trennung (der Naturen) getan wurde, vermischen, sondern müssen, je nach der Art dieser Taten, erkennen, welcher Natur sie zukommen.
VII
So mögen jene Heuchler, die blinden Geistes sich dem Licht der Wahrheit verschließen, nun sagen, in welcher Gestalt der Herr der Herrlichkeit Christus an das Kreuz geschlagen wurde, was im Grabe gelegen hat und was für ein Leib, nach Beseitigung des Grabsteines, am dritten Tage wieder auferstanden ist; weiter, in welchem Leibe nach der Auferstehung Christus einige ungläubige Jünger gescholten und die Zaudernden zurechtgewiesen hat, als er sagte: "Tastet und schauet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr mich haben seht" (Luk. 24, 39); und zu Thomas: "Lege deine Hand in meine Seite und sieh meine Hände und Füße und sei nicht ungläubig, sondern gläubig" (Joh. 20, 27). Mit dieser Beweisung seines Leibes vernichtete er bereits die Lügen der Häretiker, auf daß die ganze, in Christi Lehre zu unterweisende Kirche ohne Zweifel glauben könne, was die Apostel zu predigen unternahmen. Und wenn dennoch in so klarem Lichte der Wahrheit die verhärteten Häretiker ihre Dunkelheit nicht verlasen wollen, dann mögen sie doch zeigen, von woher sie sich Hoffnung ewigen Lebens versprechen, zu dem man nur durch den Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus, gelangen kann. Wie nämlich der selige Apostel Petrus sagt: "Es ist den Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem wir gerettet werden können" (Apg. 4, 12); und es gibt keine Erlösung aus der menschlichen Gefangenschaft außer im Blute dessen, "der sich selbst dahingab als Lösegeld für alle" (1 Tim. 2, 6), und der, wie es in der Predigt des seligen Apostels Paulus heißt, "als er in Gottesgestalt war, es nicht für Raub erachtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst erniedrigte, indem er Knechtsgestalt annahm, Menschen gleich wurde und in seinem Auftreten wie ein Mensch erfunden wurde. Er hat sich selbst erniedrigt und ist gehorsam geworden bis zum Tode, ja bis zum Tode des Kreuzes. Darum auch hat ihn Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist: auf daß im Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen, der Irdischen und der Unterirdischen, und jegliche Zunge bekenne, daß Jesus Christus der Herr ist in der Glorie des Vaters" (Phil. 2, 6-11).
VIII
Daalso der Herr Jesus Christus einer ist und in ihm völlig ein und dieselbe Person wahrer Gottheit und wahrer Menschheit ist, so verstehen wir, daß jene Erhöhung, mit der Gott ihn, wie der Völkerlehrer sagt, erhöhte und ihm einen alles überragenden Namen gab, auf die Gestalt geht, die mit solcher Mehrung ihrer Herrlichkeit bereichert werden konnte. Denn in der Gottesgestalt war der Sohn dem Vater gleich, und zwischen dem Zeugenden und dem Einziggeborenen war keinerlei Wesensunterschied, kein Unterschied auch in der Herrlichkeit, und durch das Geheimnis der Menschwerdung ging nichts vom Worte weg, was der Vater ihm hätte wiederschenken müssen. Die Knechtsgestalt aber, durch die die leidensunfähige Gottheit das Sakrament der großen Liebe vollendete, ist die menschlIche Niedrigkeit; diese ist in die Herrlichkeit göttlicher Macht aufgenommen, und vom Augenblick der jungfräulichen Empfängnis an sind Gottheit und Menschheit so sehr zur Einheit verbunden, daß weder ohne den Menschen das Göttliche, noch ohne den Gott das Menschliche geschieht. Deshalb wird, gleichwie vom Herrn der Majestät die Kreuzigung ausgesagt wird, der, der von Ewigkeit her Gott gleich ist, als Erhöhter bezeichnet; denn untrennbar ist, weil die Einheit der Person bleibt, ein und derselbe ganz Menschensohn wegen des Fleisches und ganz Gottessohn wegen der mit dem Vater gemeinsamen Gottheit. Was immer also Christus in der Zeit empfing, das empfing er als der Mensch, dem das, was er nicht (von sich aus) hatte, übertragen wurde. Denn in Bezug auf die göttliche Macht hat, ohne jeden Unterschied alles, was der Vater hat, auch der Sohn, und alles das, was er in der Knechtsgestalt empfing, das hat er in der Gottesgestalt auch selbst gegeben. In Bezug auf die Gottesgestalt sind er und der Vater eins, in Bezug auf die Knechtsgestalt aber ist er nicht gekommen, seinen eigenen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat" (Joh. 5, 30). Bezüglich der Gottesgestalt gilt: "Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so gab er es auch dem Sohne, das Leben in sich selbst zu haben" (Joh. 5, 26); bezüglich der Knechtsgestalt gilt: "Seine Seele ist betrübt bis in den Tod" (Matth. 26, 38). Und ebenderselbe ist, wie der Apostel sagt, reich und arm; reich, weil, nach dem Evangelium, "im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dies war im Anfang bei Gott; alles ist durch es geschaffen worden, und ohne es ist nichts geschaffen worden" (Joh. 1, 1-3). Arm war er, weil unsertwegen "das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat" (Joh.1, 14). Was aber bedeutet seine Entäußerung, was seine Armut anderes als die Annahme der Knechtsgestalt? Durch sie ist die Majestät des Wortes verhüllt und die Heilsveranstaltung zur Erlösung der Menschen vollendet worden.
IX
Die Erbbande unserer Gefangenschaft konnten nicht gelöst werden, wenn es nicht einen Menschen unseres Geschlechtes und unserer Natur gab, den die Rechtstitel der Sünde nicht hielten, und der mit seinem unschuldigen Blute das Todesurteil auslöschte; wie es vom Anbeginn an durch Gott zuvor angeordnet war, so ist es in der Fülle der vorherbestimmten Zeit geschehen. So sollte die vielfach angekündigte Verheißung zur lange erwarteten Erfüllung kommen, und es sollte das keinem Zweifel unterliegen können, was immerzu durch ständige Bezeugungen angemeldet war. In einem großen Sakrileg aber bewegt sich die Gottlosigkeit der Irrlehrer, die aus Ehrfurcht vor der Gottheit die Wirklichkeit des menschlichen Fleisches in Christus leugnen. Sie wähnen, einen frommen Glauben zu bekennen, wenn sie sagen, in unserem Heilande sei nicht wahrhaft das Menschliche, das er rettet, wo doch, gemäß der durch alle Jahrhunderte ergehenden Verheißung, die Welt solcherart mit Gott versöhnt wurde, daß, wenn das Wort nicht Fleisch werden wollte, das Fleisch nicht gerettet werden konnte. Das Mysterium des Glaubens verliert, wie es die Irrlehrer wollen, in einem großen Dunkel seinen farbigen Glanz, wenn man glaubt, das Licht der Wahrheit sei unter dem lügenhaften Schein nur (eines Leibes) verborgen gewesen. Kein Christ also meine, sich schämen zu müssen wegen der Wirklichkeit unseres Leibes in Christus, denn alle Apostel und Apostelschüler und die berühmten Lehrer der Kirche, die zur Krone des Blutzeugnisses oder des Bekenntnisses zu gelangen verdienten, haben in dem Lichte dieses Glaubens geglänzt, allüberall einstimmig verkündend, daß in dem Herrn Jesus Christus die eine Person der Gottheit und des Fleisches zu bekennen sei. Auf welchen Scheingrund, auf welchen Teil der göttlichen Schriften will sich die Gottlosigkeit der Häretiker stützen, die den wirklichen Leib Christi leugnen, den unablässig das Gesetz bezeugt, die Prophetie verkündet, das Evangelium lehrt und Christus aufzeigt? Sie mögen die ganze Reihe der (heiligen) Schriften durchforschen, um ihren Dunkelheiten zu entkommen, aber nicht, um das wahre Licht zu verdunkeln. Und sie werden die durch alle Jahrhunderte leuchtende Wahrheit finden und sehen, daß dieses große und wunderbare Mysterium, das am Ende der Zeiten sich erfüllte, stets geglaubt wurde. Davon schweigt kein Teil der heiligen Schriften; darum genügt es, einige übereinstimmende Stellen zu bezeichnen, von denen aus ein sorgsamer Glaube in eine glänzende Weite geführt wird und in dem lauteren Lichte der Einsicht es erfaßt, daß kein Christ sich des Sohnes Gottes, der sich unaufhörlich als Menschen und als Menschensohn bekennt, zu schämen braucht, sondern sich seiner beständig rühmen darf.
X
Damit aber Du, frommer Kaiser, erkennst, daß Wir mit den Aussprüchen der ehrwürdigen Väter übereinstimmen, habe ich geglaubt, diesem Schreiben einige ihrer Sätze beifügen zu sollen. Wenn Du sie freundlich durchsiehst, wirst Du finden, daß Wir nichts anderes predigen, als was Unsere heiligen Väter auf der ganzen Welt gelehrt haben, und daß außer den gottlosen Häretikern niemand von ihnen abweicht. Nachdem ich diese, glorreicher und verehrungswürdiger Kaiser, in aller tunlichen Kürze überführt habe, wirst Du erkennen, daß auch Unsere Predigt mit dem Dir von Gott eingegebenen Glauben eins ist, und daß Wir in keinem Stücke von der evangelischen und apostolischen Wahrheit und vom katholischen Glaubensbekenntnis abweichen; denn, wie der selige Apostel Paulus lehrt, ist "groß das Mysterium der Frömmigkeit, das offenbart ist im Fleische, gerechtfertigt im Geiste, erschienen den Engeln, gepredigt unter den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit" (I Tim. 3, i6). Was ist also nützlicher Deinem Heile, angemessener Deiner Macht, als daß Du, Deiner Stellung entsprechend, für den Frieden der Kirche sorgst und allen Deinen Untertanen die Gaben Gottes sicherst? Und unter keinen Umständen dulde, daß durch den Neid des Teufels seine Diener auch nur einem einzigen zum Verderben wüten. Auf daß Du, der Du in dieser Welt durch irdische Herrschaft hervorragst, in Ewigkeit mit Christus zu herrschen verdienst.
Gegeben am 17. August (458), unter dem Konsulat von Leo und Majorianus.
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