Übermächtiges Schweigen
von Eberhard Heller
In dem Introitus zum Sonntag in der Oktav von Weihnachten heißt es: „Tiefes Schweigen hielt alles umfangen: die Nacht hatte in ihrem Lauf die Mitte ihres Weges erreicht: da kam, o Herr, aus dem Himmel vom Königsthrone herab Dein allmächtiges Wort.“ (Ps. 92,1) Es war ein Schweigen voller Erwartung!
Auch heute herrscht Schweigen, Schweigen aus Entsetzen, aus Gleichgültigkeit, aus Resignation und Feigheit, Schweigen gegenüber dem Auftreten des Anti-Logos. Es ist ein Schweigen, das übermächtig geworden ist und fast metaphysische Dimensionen angenommen hat. Hatte nicht Gott gesagt: „Ich bin der Herr, Dein Gott! Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“ Aber wie soll man das Verhalten Ratzingers anders fassen, als in dieser kategorischen Forderung! Sarkastisch könnte man fragen: „Ist der Hl. Vater Moslem geworden?“, als er am 30. November letzten Jahres mit dem Mufti von Istanbul, Mustafa Cagrici, in der Blauen Moschee gen Mekka betete - die Zeitung Miliyet lobte gar, Ratzinger habe gebetet „wie ein Muslim“. Eine solche Frage zu stellen ist natürlich unsinnig: entweder ist der Papst Christ und kein Muslim, wenn er aber Muslim ist, kann er nicht Papst sein. Aber diese Unsinnigkeit macht unsere heutige Situation aus! A = A und -A! Und alle schweigen.
Ich habe mit einer Protestantin gesprochen, einer Schriftstellerin und Mutter von fünf Kindern, die bisher ein Bild von Ratzinger in ihrer Wohnung hängen hatte - wegen seiner scheinbar konservativen Haltung in moralischen Fragen. Aber dieses Bild hatte sie nach dieser ‚Offenbarung‘ abgehängt, denn für sie gilt auch: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“
Die Bilder des gen Mekka betenden Ratzingers wurden im türkischen Fernsehen ständig wiederholt. Man konnte es nicht fassen! (SZ vom 1.12.06) Mit dieser Geste hat Ratzinger den Synkretismus noch weiter getrieben als sein „verehrter Vorgänger“, der ‚nur‘ den Koran geküßt hatte... ein Akt, der von den Muslimen als Unterwerfung unter den Koran verstanden wurde.
Zu erwähnen wäre noch Ratzingers Verbeugung und Kranzniederlegung im Mausoleum für Atatürk, der 200.000 Christen ermorden ließ, und die von der türkischen Öffentlichkeit aufmerksam registrierte Tatsache, daß er das Brustkreuz nicht offen trug. „Ein Kreuzfahrer ohne Kreuz“ titelte die türkische Zeitung „Sabah“. (Aachener Zeitung vom 30.11.06)
Marginalen Charakter hat in diesem Zusammenhang der Skandale noch das Angebot an die orthodoxe Kirche mit 300 Millionen Gläubigen, die seit 1054 mit Rom im Schisma lebt, „die Ausübung des Papstamtes“ zu einer Frage des „brüderlichen Dialogs" zu machen. (Aachener Zeitung, 1.12.06)
Es hat sich also nichts zum Vorteil entwickelt. Auch wenn Ratzinger/Benedikt XVI., der inzwischen schon gegen schwerste theologische Vorwürfe immun ist, die alte Messe wieder zuläßt, dann wird sich der sog. Widerstand wie Nebel vor der aufgehenden Sonne verflüchtigen. Denn dann sind alle Wünsche, die von diesen sich zu Unrecht nennenden Sedisvakantisten vorgebracht wurden, erfüllt. Auch wenn Ratzinger die Verfälschung der Wandlungsworte wieder korrigieren lassen will, wie aus einem Schreiben der Gottesdienstkongregation vom 17.10.2006 hervorgeht, um so den N.O.M. scheinbar zu salvieren, so wird damit nur einer von mehreren gravierenden Fehlern behoben, die den N.O.M. ungültig machen. Gegenüber Prof. Tibor Gallus, dem ungarischen Mariologen Pius XII., der neben Ratzinger in Regensburg lehrte, hatte Ratzinger in den 70igern schon zugegeben, daß es bei dem „für alle“ in der Konsekrationsformel für den Kelch um eine fehlerhafte Übersetzung handle, die aber keine Häresie beinhalte.
Mit seinem jetztigen Korrekturvorstoß will er nur ein altes Programm umsetzen, welches er schon 1978, also vor nunmehr knapp 30 Jahren aufgestellt hatte. Die "Neuen Zürcher Nachrichten" vom 15.3.78 hatten berichtet: "Kardinal Ratzinger, der vor dem internationalen Presseklub in München sprach, äußerte Zweifel an der Auffassung, daß es durch die Lefebvre-Bewegung zu einer Kirchenspaltung kommen könne, doch handle es sich hierbei zweifellos um eine dominierende Entwicklung. Ratzinger verteidigte die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil durchgeführte Liturgiereform, die bei den Lefebvre-Anhängern auf erbitterten Widerstand stößt, räumte aber ein, daß es nicht klug gewesen sei, mit der Einführung des neuen Meßbuches gleichzeitig das alte zu verbieten. Es sei von vornherein klar gewesen, daß die Liturgiereform nicht 'unter dem Gesichtspunkt des Erfolges' gesehen werden konnte. Die Grundausrichtung der Reform könne auch nicht zur Debatte stehen. Er sei jedoch, so betonte Ratzinger, für eine 'große Toleranzbreite', damit die alte Liturgie 'auslaufen' könne. Eine Reform der Liturgiereform könne er sich nicht vorstellen, wohl aber, daß einige Bestandteile der alten (tridentinischen) Liturgie in die neue Liturgie wieder integriert würden, um insofern die Kontinuität mit der Vergangenheit herzustellen." Ähnliche Töne wurden in einem Kommentar zu einem Beitrag des „Osservatore Romano" in "Timor Domini" vom 1.3.1978 angeschlagen; dort heißt es: "Auf der Basis des vom Zweiten Vatikanischen Konzil ermöglichten liturgischen Formenreichtums in der katholischen Kirche sei es durchaus denkbar, daß eines Tages die Meßfeier neben der erneuerten Form auch in einem leicht veränderten 'alten Ritus' wieder gefeiert werden könnte. Diese Feststellung machte der Stellvertretende Chefredakteur der vatikanischen Tageszeitung 'Osservatore Romano', Don Vergilio Levi".
Selbst Abbé Schmidberger, der neue deutsche Distriktobere und neben Abbé Fellay einer von den Econern, die eine Eingliederung in die von Ratzinger geführte ‚Kirche‘ am vehementesten betreiben, kommt nicht umhin, im „Mitteilungsblatt“ vom Januar 2007 zuzugeben: „Wir können uns von diesem Pontifikat einiges auf dem Gebiet der Liturgie erwarten, nichts jedoch zur Überwindung des relativierenden Ökumenismus und der Religionsfreiheit, welche die Gesellschaft entchristlicht.“ Und die „mehr als zweieinhalb Millionen Rosenkränze als geistlicher Blumenstrauß an den Papst (der gen Mekka betet! Anm.d.Red.) haben ihren Wert in der Waagschale Gottes.“
Hier wird schlußendlich und überdeutlich sichtbar, daß fast alle Kleriker (und Laien) die weitergehenden Überlegungen zur Restitution der Kirche als Heilsinstitution nicht mitgetragen noch in diesem Sinne ihre Arbeit aufgebaut haben. Die Traditionalisten ernten, was sie gesät haben. Und das Un-Heil wird auch außerhalb dieser Kreise nur noch größer.
Zu Beginn unseres Kirchenkampfes konnten wir noch mit Donoso Cortes sagen: „Danken wir Gott, daß er uns den Kampf aufgezwungen hat. Verlangen wir zu dieser Gnade hinzu nicht noch die Gnade des Sieges von dem, dessen unendliche Güte denen, die für seine Sache edelmütig kämpfen, einen viel größeren und kostbareren Lohn vorbehalten hat, als den Sieg hinieden.“ Heute - vierzig Jahre später - ist von dieser Sehnsucht nach geistigem Ringen nichts mehr zu spüren. Es ist dunkel und das Schweigen übermächtig! |