SACRIFICIUM INTELLECTUS
von Konrad Lutz
Seit Jahrhunderten werfen die Freigeister den Katholiken vor, sie würden ein sacrificium intellectus, ein Verstandesopfer, begehen, indem sie, von ihrer Kirche gezwungen, die bessere Einsicht ihres Verstandes unterdrücken, um sich zum Glauben an unvernünftige Lehren zu bekennen. - Schwierigkeiten zwischen Glauben und Wissen hat es immer gegeben. Solche Schwierigkeiten haben zu allen Zeiten die theologische und die philosophische Spekulation angeregt; in keinem Fall aber ist eine endgültige Unvereinbarkeit zwischen Glaubens- und Vernunftwahrheiten festzustellen. Das behauptete sacrificium intellectus (häufig auch italienisch zitiert: sacrificio d'intelletto) war eine Verleumdung. (Anm. d. Red.: Ein wirklicher Widerspruch zwischen der Vernunftwahrheit und der Glaubenswahrheit kann gar nicht gedacht werden, weil dies sonst bedeuten würde, daß sich die prinzipielle Offenbarung der Wahrheit und die konkrete in Jesus Christus widersprechen würde, d.h. die Wahrheit wäre selbst widersprüchlich, und das ist ein Un-Gedanke.)
Das hat sich erst in unseren Tagen "geändert". Ein großer Teil der Katholiken vollzieht dieses Verstandesopfer - und kommt sich besonders fromm und demütig dabei vor. Das sind die Pseudokonservativen, die alle Neuerungen der Konzilskirche im "Gehorsam" mitmachen.
Es geht an mit der Heiligen Messe. Sie ist nach verbindlicher Lehre der Kirche ein Opfer, die Erneuerung des Kreuzesopfers Christi, das der geweihte Priester für das Volk, aber nicht im Auftrag des Volkes, vollzieht. Nach Paul VI. ist sie "eine heilige Versammlung unter dem Vorsitz eines Priesters". Das ist nun einmal etwas anderes als ein Opfer. Die ganze neue Liturgie baut auf dieser häretischen Definition auf. Die Neu-"Messe" ist auch ihrem Inhalt nach kein Opfer mehr. Sie wird auch von den Bischöfen nicht als Opfer aufgefaßt, wie z.B. in unserem Sprachgebiet aus der Einleitung zur Eucharistie im sog. "GOTTESLOB" hervorgeht. Aber die "Konservativen" wollen gehorsam sein. Es ist unglaublich, welche verstandlichen Kapriolen sie machen müssen, nicht um Menschen, die ihren klaren Kopf bewahrt haben, zu überzeugen - denn das gelingt ihnen trotzdem nicht, sondern um sich selbst zu betrügen und dem Konflikt aus dem Wege zu gehen. So sagte mir eine sog. Theologin, die sich durchaus als konservativ versteht: in den neuen Übersetzungen der Liturgie sei das Wort "Opfer" nur deshalb weggelassen, da es den Menschen heute nichts mehr sage. Wenn diese Argumentation gilt, so antwortete ich ihr, so bedeutet sie nur eine zusätzliche Häresie, die wir allerdings dem NOM vorwerfen, daß nämlich das Meßopfer nicht vom Vollzug des Priesters, sondern vom Verständnis des Volkes abhängt. Aber es enthält eben auch der Text des NOM keinen Hinweis auf das Opfer des Priesters, ja kaum mehr auf das Opfer Christi selbst. - Einmal habe ich mit einem Priester diskutiert, der sehr unter den Neuerungen leidet, sie innerlich ablehnt, tridentinisch zelebriert, wenn er allein ist, sich aber nicht getraut, letzte Konsequenzen zu ziehen. Er bestritt in der Diskussion, daß die neue "Messe" kein Opfer mehr sein will. Und als ich ihn schließlich in die Enge trieb, fiel ihm plötzlich ein: "Aber die Erhebung der Hände, das ist eine Opfergeste. Ja, darin ist der Opfergedanke ausgedrückt!" Sacrificium intellectus! Die Geste des Erhebens der Hände kann natürlich den Ausdruck der Opferbereitschaft vertiefen. Die Kirche hat immer gewußt, daß solche Gesten keine Äußerlichkeiten sind. Für sich genommen drückt die Geste jedoch gar nichts aus. Auch der genannte Priester mußte das wissen. Aber er klammerte sich an diesen Strohhalm oder besser an diese Illusion eines Strohhalms, um nicht Konsequenzen ziehen zu müssen, die ihm unangenehm sind.
Über die Fälschung der Wandlungsworte ist schon viel geschrieben worden. Es ist doch einmal interessant, die Argumente zusammenzustellen, die den "Konservativen" je nach Bildungsgrad und je nach Bereitschaft zu intellektueller Unwahrhaftigkeit angeboten werden. Das erste und dümmste Argument ist, daß die Juden z.Zt. Christi nicht zwischen "alle" und "viele" unterscheiden konnten. Die Kleinigkeit, daß die beiden diese Worte berichtenden Evangelisten Matthäus und Markus sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes griechisch überliefert haben und daß die katholische Kirche niemals anders als mit "für viele" übersetzt hat, wird dabei sowieso unterschlagen. Diesen Unsinn konnte man nicht lange aufrecht erhalten. Man war aber nicht verlegen, sondern kam sofort auf das zweite Argument: Es heiße, sagte man und sagt man noch, "für die vielen", und "die vielen" sind eben alle. Unglücklicherweise kennt das Griechische wie das Deutsche den bestimmten Artikel, und es heißt im Evangelium nicht "peri (hyper) toon polloon", sondern "peri polloon", also eindeutig "für viele". Bereits in den ersten Wochen des Griechisch-Unterrichts würde dem Schüler die Übersetzung von "polloi" mit "alle" als voller Fehler angerechnet werden. Drittes Argument: Ja, sagt man, es heißt "für viele", nicht "für alle"; aber "für alle" ist eben auch richtig. Es ist natürlich völlig unklar, warum "für alle" auch richtig sein soll, wenn es nun einmal "für viele" heißt. Und die konservativen Schlafmützen sind froh, wenn ihnen die Fälscher zur Fälschung auch gleich die Beruhigungspillen mitliefern, mit denen sie ihr Gewissen einschläfern können. Immerhin hat sich sogar Prof. Knoch einmal zu dem Zugeständnis drängen lassen, daß es sich hier um eine sprachlich falsche Übersetzung handelt, die aber notwendig sei, da man "neu interpretieren" müsse. Das ist das zynische Zugeständnis, daß der Glaube geändert worden ist. Es ist aber ziemlich aussichtslos, solches den Pseudokonservativen vorzuhalten. Sie wollen eben die bessere Einsicht, zu der sie genauso befähigt wären wie wir, opfern, um sich Konflikten zu entziehen.
Wenn man jemand eine Ehre nicht gibt, die man ihm niemals gegeben hat, kann das hundert Ursachen haben. Aber wenn man jemand eine Ehre entzieht, die man ihm früher gegeben hat, ist das auf jeden Fall beleidigend. Wenn ein junger Mann die Briefe an sein Mädchen immer mit "Dein Herbert" unterzeichnet hat und nun auf einmal anfängt, nur noch mit "Herbert" zu unterzeichnen, so weiß das Mädchen, wie es dran ist. - Wenn früher im Apostolischen Glaubensbekenntnis die Auszeichnung der hl. Maria, Jungfrau zu sein und vom Heiligen Geist empfangen zu haben, ausdrücklich bekannt wurde und nun auf einmal weggelassen wird, dann ist ein solches "Glaubensbekenntnis" mehr eine Gotteslästerung als ein Gebet. (Anm. d. Verf.: Maria hat vom Hl. Geist, nicht durch den Hl. Geist empfangen. Ihre Jungfräulichkeit wird negiert, indem die Nachstellung, die eine Hervorhebung war, weggelassen wurde. Es heißt zwar noch "geboren von der Jungfrau Maria"; doch belehrt uns der Holländische Katechismus, daß diese Bezeichnung nur historisch und ohne inhaltliche Bedeutung ist.) Die progressistischen Fälscher glauben eben nicht mehr an die Gottesmutterschaft Mariens und an ihre Jungfräulichkeit. Die Argumente Ratzingers gegen die (Real)Präsens der zweiten göttlichen Person im Heiligen Sakrament lassen sich unverändert auch gegen die Göttlichkeit des historischen Jesus benützen. (Anm. d. Verf.: Ratzinger (in: "Die sakramentale Begründung christlicher Existenz", Meitingen-Freising 1973 4, S. 30 f) hält es für sinnlos, Gott, der ja allgegenwärtig ist - als ob man das früher nicht gewußt hätte -, speziell im Tabernakel zu besuchen. Mit dem gleichen Recht könnte man argumentieren, daß der allgegenwärtige Gott nicht in besonderer Weise im Menschen Christus gegenwärtig sein konnte.) (Anm. d. Red.: die Stelle bei Ratzinger dem "guten und braven - im Gegensatz zu Döpfner -, wie ihn die "guten und braven" Schlafmützen gern sehen möchten, lautet folgendermaßen: "Es mag genügen, am Ende noch ein Beispiel anzuführen, an dem die Krise besonders deutlich wird und an dem der Sinn der Reinigung, die vonnöten ist, noch einmal zusammenfassend ans Licht treten zu lassen. Eucharistische Anbetung oder stille Besuchung in der Kirche kann sinnvollerweise nicht einfach Unterhaltung mit dem lokal zirkumskriptiv präsent gedachten Gott sein. Aussagen wie "Hier wohnt Gott" und das auf solche Weise begründete Gespräch mit dem lokal gedachten Gott drücken eine Verkennung des christologischen Geheimnisses wie des Gottesbegriffes aus, die den denkenden und um die Allgagenwart Gottes wissenden Menschen notwendig abstößt. (...) Wenn man das In-die-Kirche-Gehen damit begründen wollte, daß man den nur dort anwesenden Gott besuchen müsse, so wäre dies in der Tat eine Begründung, die keinen Sinn hätte und vom modernen Menschen mit Recht zurückgewiesen werden würde." Soweit Ratzinger. Nach ihm ist es sinnlos, Gott im Allerheiligsten anzubeten. Er macht es sicherlich wie sein Chef Paul VI., der die Realpräsens Gottes in einem verkrüppelten Kind anbetet oder noch besser: vielleicht kommt demnächst so ein Aftertheologe noch auf die Idee die Realpräsens Gottes nicht nur in einem körperlich Verkrüppelten, sondern in einem geistig Verwachsenen, z.B. den Terroristen, anzubeten; auf diesem Gebiet ist nun wirklich jede, aber auch jede Perversion möglich, nachdem einmal der Oberanbeter die Richtung gewiesen hat.) Es wäre eine Heuchelei, würden die Progressisten die Jungfräulichkeit der Mutter Gottes bekennen; sie tun es auch kaum mehr. Es mag für sie die Entschuldigung Christi gelten, daß sie nicht wissen, was sie tun. Aber was tun die "Konservativen"? Sie beten im "Gehorsam" dieses gotteslästerliche Credo mit, das der Mutter Gottes die Ehre raubt, und: Sie wissen, was sie tun! Aber sie begehen dieses Sacrificium intellectus. Sie veranstalten Wallfahrten nach Altötting, Lourdes und Fatima, und jedem dabei gebeteten Rosenkranz schicken sie die Beleidigung der Mutter Gottes voraus. Ein wahrhaft furchtbarer Gehorsam, der noch niemals christlich und noch niemals katholisch war! Herr Bischof Graber, Herr Pater Werenfried, Herr Pfarrer Harrer - und wie sie alle heißen mit ihrem "demütigen Gehorsam"! Ich fürchte, daß ihr "Gehorsam" eine größere Sünde ist als der Unglaube der Progressisten, denen sie diesen Gehorsam leisten. Ihr Opfer des Gehorsams ist in Wirklichkeit ein Opfer des Verstandes, ein Verzicht auf diese Gabe des Heiligen Geistes und eine Beleidigung eben dieses Heiligen Geistes, der uns diese Gabe gewährt, damit wir sie benützen! Die Döpfner, Rahner, Suenens, Küng, Böckle, König und wie sie alle heißen, wären ganz ungefährlich, wenn es nicht die Graber, Werenfried, Harrer, Goll gäbe, die mit ihrem "Gehorsam' den Eindruck erwecken, als wäre ein Kompromiß mit dem Modernismus möglich Eben dieser Kompromiß ist bereits Modernismus.
In seinem letzten Rundbrief "Echo der Liebe" vom 7.10.1977 findet P. Werenfried sehr scharfe Worte über die Verräter in der Umgebung Pauls VI., die den Glauben verloren hätten. Der arme "Papst" leidet so unter dem Verrat! - Für wie dumm hält uns P. Werenfried? Wer anders hat denn diese Verräter als Mitarbeiter berufen, wenn nicht Paul VI. selber! Würde er nur die halbe Brutalität aufbringen, um angebliche Verräter aus seiner Umgebung zu entfernen, wie er sie aufwendet, um eine ungültige Liturgie den Gläubigen aufzuzwingen sucht, dann hätten wir die beste Kurie seit Jahrhunderten! Und wenn P. Werenfried die Verräter kennt, dürften sie Paul VI. wohl nicht unbekannt sein! Auch Pius XII. war von Verrätern umgeben; aber es waren versteckte Verräter, die fromm taten. Und wenn sich doch einmal einer verriet, dann entfernte er ihn wenigstens aus Rom, wie z.B. Giovanni Montini. Aber die Verräter in der Umgebung Pauls VI. sind dies doch in aller Offenheit - die angeblichen Verräter, die Paul VI. ein stellte, obwohl er ihre Einstellung vorher kannte. Daß er unter allem möglichen leidet, ist glaubwürdig, daß er aber unter dem Verrat leidet, ist sicherlich auszuschließen. (Wenn man diese fadenscheinigen angeblichen Gründe, die P. Werenfried den dummen "mündigen" Laien wagt vorzusetzen, dann heißt das zweierlei: einmal, daß er seine Spender wirklich für blöd hält - viele sind es wirklich -, zum andern aber, daß er den religiösen Zusammenbruch, der durch die Hierarchie verursacht ist, offen zugibt; denn die angeblichen Verräter um den "Heiligen Vater" - den "vielgeliebten Sohn" spare ich mir diesmal, daran nehmen zarte Seelen Anstoß. Anm.d.Red.)
Jetzt geht alles wieder aufwärts; endlich schlägt das Pendel zurück. So sagte mir kürzlich ein an sich sehr guter, aber einfacher Mensch, der sich an diese Illusion klammert. Begründung für diesen Optimismus war die Tatsache, daß ins Münchner Priesterseminar diesmal ein paar Hansel mehr eingetreten sind. (Vom numerus clausus, der den Zugang zu anderen Studienrichtungen versperrt, hat dieser gute Mann noch nicht viel gehört.) Aber die Pendelthese schließt ein sehr gefährliches sacrificium intellectus ein. Das Pendel schwingt von selbst wieder zurück, aber es wird nichts von selbst besser. Wenn man schon einen physikalischen Vergleich will, so ist ein ganz anderer angebracht, nämlich den mit dem Entropiesatz. Dieser besagt, daß die Unordnung von selbst immer nur zunimmt. Aus Ordnung, die nicht bewußt erhalten und gepflegt wird, wird von selbst Unordnung; aber aus Unordnung wird niemals von selbst Ordnung. Dazu bedarf es des Eingreifens einer höheren Macht!
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