EINSICHT!
von
Reinhard Lauth
Es scheint, daß eine gewisse Sorte von Reformgegnern, die sich selbst
"Traditionalisten" nenen und denen nachgerade alle Argumente ausgehen,
zunehmend das Heil nur noch in gewollter Blindheit findet und von einer
haltlosen Wut gegen jede Einsicht verzehrt wird. Diese Leute können auf
unseren vernünftigen Glauben nur noch mit pauschalen Etikettierungen,
Verdrehungen und freierfundenen Verdächtigungen antworten.
Ein schönes Beispiel dieser Art gibt Herr Anton Holzer in der
März-Nummer des Gerstner-Blattes "Kyrie eleison", S.25-34, und es
erscheint uns angebracht, uns einmal damit zu beschäftigen.
Hier werden meine Worte aus der Februar-Nummer der EINSICHT zitiert:
ich hoffte, daß in dem neuen Seminar, das die SAKA eröffnen will, ein
anderer Geist als der engstirnig neuscholastische und sulpizianische
von Econe und Weißbad herrschen werde. Vielleicht ist es für unsere
Leser nicht uninteressant zu wissen, woran ich dabei des näheren
gedacht hatte. Es waren - nach allem, was ich selbst an den genannten
Orten gesehen und was ich von meinem verstorbenen Freunde Dr. Katzer zu
hören bekommen hatte - die Worte Léon Bloys, mit denen er den Geist
jener vorkonziliaren Seminare bezeichnet hat, aus welchen wir die
Reform und Zerstörung der Kirche haben hervorgehen sehen: "une glaire
sulpicienne qu'on se repasse de bouche en bouche depuis deux cents ans,
formée de tous les mucus de la tradition et mélangée de bile gallicane
recuite au bois flotté du libéralisme; une morgue scolastique à
défrayer des millions de cuistres; une certitude infinie d'avoir inhalé
tous les soufles de l'Esprit Saint et d'avoir tellement circonscrit la
Parole que Dieu même, après eux, n'a plus rien à dire." ("Le disespéré,
1953, S.147. Übers.: "Schleim aus St. Sulpice, den man sich seit
zweihundert Jahren von Mund zu Mund weiterreicht, zusammengerührt aus
allem überkommenen zähen Seim und gallikanischer Galle, gekocht auf
Flößholz des Liberalismus; scholastischer Hochmut, um eine Million
Federfuchser damit auszustatten; eine unbegrenzte Gewißheit, alles
Wehen des Heiligen Geistes eingesogen und das Gotteswort derart
innezuhaben, daß Gott selbst, nach ihnen, nichts mehr sagen
vermöchte.") Man wird im folgenden sehen, wie genau diese Worte auf die
Herren Holzer, Erren und die Häupter von Econe zutreffen.
Herr Holzer will mich auf Grund dieser Worte des Idealismus
verdächtigen und leitet zu diesem Zweck auf meine philosophische
Position wie folgt über: "Der Grund dieser Hoffnung ist vermutlich der
zum Regens dieses Seminars erkorene Dr. Storck (...). Ist doch Dr.
Storck immerhin (...) philosophischer Jünger von Prof. Lauth". Dieses
vage "vermutlich" ist also der ganze Zusammenhang, den Herr Holzer
zwischen meiner geäußerten Hoffnung und meiner (und angeblich Dr.
Storcks) philosophischen Haltung herstellen kann. Aus meiner
Gegnerschaft gegen einen engstirnigen neuscholastischen Geist wird dann
einen Absatz tiefer bei Holzer "Prof. Lauths Geringschätzung der
scholastischen Philosophie". Mir wird ein "idealistisches Vorurteil"
zugesprochen, wobei dieser mein Idealismus
"idealistisch-naturalistisch" sein soll, und der Bischof und Regens des
künftigen Seminars der SAKA aufgefordert, sich "eindeutig und offen von
der Lauthschen philosophischen Konzeption (zu) distanzieren und sich zu
der von der Kirche vorgeschriebenen (...) Philosophia perennis (...)
des hl. Thomas im besonderen (zu) bekennen", obwohl Herr Holzer, was
dies letztere betrifft, in einer Paranthese zugeben muß, daß die
kirchliche Anweisung aus dem letzten Jahrhundert, auf die er sich
bezieht, nur "im Sinne (...) einer 'norma tuta directiva"1 zu nehmen
ist. Durch einen weiteren Gedankensprung wird mein Idealismus mit dem
angeblichen Idealismus "des Freimaurers Fichte" identifiziert - und
nun, lieber Leser, denke Dir selbst, womit du Lauth und Kaplan Storck
und das neue Seminar zu identifizieren hast! Denke an die Hetz- und
Verleumdungskampagne von Seiten des unter Pius XII. exkommunizierten
und laisierten Priesters Dettmann, die Unwahrheiten, die Pater Boxler
wieder besseres Wissen verbreitet, an die fideistischen Schreckensrufe
des Herrn Professor Erren. Mußt Du nun nicht das Schlimmste fürchten?
Noch einmal Holzers Gedankengang: Weil ich vermutlich meine Hoffnung
auf den hochw. Herrn Dr. Storck gründe, der vermutlich Regens des
geplanten SAKA-Seminars sein wird, und weil Dr. Storck vermutlich mein
philosophischer Jünger ist, der also vermutlich meine Philosophie
vertritt, die vermutlich eine idealistische und als solche vermutlich
identisch mit der "des Freimaurers Fichte" ist, muß die Seminarleitung
sich eindeutig von meiner Philosophie distanzieren. Sie soll sich zu
der des Hl. Thomas "bekennen", obwohl - leider - die Kirche sich in der
jüngeren Vergangenheit so verlautbart hat, daß man nur "zumindest" ihre
Anweisung als Richtschnur ansehen kann (und nicht als etwas, das
ausschließlich geboten wäre).
Man kann aus diesem auf sechs "vermutlich" aufgebauten Sorites mit der
(stillschweigenden) Conclusio, die im zukünftigen Seminar gelehrte
Philosophie werde die Fichtesche sein, auf die denkerischen Kapazitäten
des Herrn Holzer recht vergnügliche Rückschlüsse ziehen. Noch mehr aber
sagt, wes Geistes Kind er ist, der Ausdruck "philosophischer Jünger von
Prof. Lauth" aus. Offensichtlich glaubt man nach Herrn Holzer an eine
Philosophie und "bekennt" sie wie seinen religiösen Glauben.
Sehen wir uns zunächst den Sorites des Herrn Holzer näher an. Ich hatte
bei jener Hoffnung für das neue Seminar gar nicht speziell an Herrn Dr.
Storck gedacht. Ich habe dieselbe Hoffnung ausgesprochen, als Econe
eröffnet wurde - leider ohne daß sie sich erfüllt hätte. Das erste
vermutlich ist also eine Gratisannahme des Herrn Holzer, die er aber
unbedingt braucht, um alles weitere bis zu der sicherlich im künftigen
Seminar gelehrten Philosophie daran aufhängen zu können. Ob Herr Kaplan
Storck Regens des neuen Seminars werden wird, ist mir nicht bekannt.
Nach allem, was ich höre, ist die Frage noch gar nicht entschieden.
Aber für einen Herrn Holzer, für den vermutlich und gewiß dasselbe
sind, steht es offenbar schon fest.
Herr Kaplan Storck ist nun vermutlich mein Jünger. Vielleicht möchte
sich Herr Holzer daran erinnern, daß auch die Herren Patres
Schmidberger und Wodsack sowie ein weiteres Seminarmitglied- in
Zaitskofen meine philosophischen Schüler sind. Herr Dr. Storck hat bei
Professor Scheffczyk promoviert, der bekanntlich als Nachfolger von
Kardinal Ratzinger im Gespräch ist. Aber er hat bei mir philosophische
Vorlesungen gehört, er muß also mein Jünger sein. Die Herren
Schmidberger, Wodsack und Prosinger hingegen müssen das nicht sein,
denn gewiß ist nach der Logik des Herrn Holzer ja = vermutlich, was
aber vermutlich ist, kann auch vielleicht nicht sein. (Wie ärgerlich
übrigens, daß ausgerechnet Lauth mit seiner Freimaurerphilosophie
etliche seiner Studenten zur Konversion und zum Priestertum gebracht
hat. Man sollte doch Mgr. Lefebvre, dessen Ordinator der so
rechtgläubige, vom Verdacht jeglicher Freimaurerei himmelweit entfernte
Kardinal Lienart ist, noch einmal warnen!)
Unterbrechen wir, lieber Leser, einen Augenblick unsere Überlegungen
und stärken wir uns mit dem Abgesang des logischen Kanons (horribili
dictu in modo Barbara): "Der Mensch hat zwei Beine, die Gans hat zwei
Beine, folglich ist der Mensch eine Gans!" Und nun wieder weiter, zum
vierten vermutlich! Herr Dr. Storck vertritt vermutlich meine
Philosophie, sagt Herr Holzer. Ich möchte mit ihm eine Wette eingehen,
daß Herr Dr. Storck den bei weitem größten Teil meiner philosophischen
Artikel und Bücher gar nicht gelesen hat und kennt. Da man aber nach
Herrn Holzer eine philosophische Wahrheit nicht erkennt, sondern
"bekennt" und als "Jünger" an sie glaubt, fällt dies vielleicht nicht
sehr ins Gewicht. Aber woher weiß er denn - vermutlich ist ja bei ihm
wissen - daß Herr Storck meine Philosophie "bekennt". Nenne er doch der
Öffentlichkeit die Artikel oder Bücher, in denen sich auch nur die Spur
eines solchen Bekenntnisses findet! Zur wahren Philosophie kann man
sich überhaupt nicht bekennen oder an sie glauben; man kann sie nur
erkennen und wissen, was sie aussagt! Und der Ausdruck "meine
Philosophie" hat in unserer Wissenschaft überhaupt keinen Sinn! Aber
dies liegt jenseits des Horizonts der Herren Holzer u. Co.
Also, Herr Storck muß meine Philosophie vertreten, obwohl er höchstens
einen Teil derselben kennt und sich nirgends Spuren dieser
Anhängerschaft finden lassen, denn vermutlich vertritt er sie, heißt
eben in Holzers Logik (an welche Holzer selbst vermutlich glaubt), er
vertritt sie gewiß. Pause. Erneuter Abgesang des logischen Kanons zum
Gebrauch auf Holzwegen: "Der Mensch usw. ist eine Gans".
Und nun auf zum fünften vermutlich. Lauths Philosophie ist vermutlich
eine idealistische. Lauth hat zwar ausdrücklich das Gegenteil
geschrieben und eine ganze Festschrift für seinen 60. Geburtstag trägt
den Titel "Zur Erneuerung der Transzendentalphilosophie", welche
Transzendentalphilosophie gleicherweise im Gegensatz zum Realismus wie
zum Idealismus gestellt wird, Lauth ist auch für seine Ablehnung der
Schellingschen und Hegeischen Philosophie in Fachkreisen bekannt, aber
das beweist für Herrn Holzer nichts, Lauth kennt seine Philosophie nur,
man muß aber eine Philosophie "bekennen" und an sie glauben, um zu
wissen, was sie ist. Vor allem aber, Lauths Philosophie muß
idealistisch sein, denn er ist ja Herausgeber von Fichtes Werken!
An dieser Stelle ist der Leser aufgefordert, den mitgeteilten
Holzweg-Kanon in fortissimo anzustimmen, denn wir nähern uns nun dem
sechsten und höchsten vermutlich.
Lauth gibt die Werke "des Freimaurers Fichte" heraus! Also ist er
Idealist. Herr Holzer hat bei seiner Unkenntnis der Philosophie noch
nie etwas davon gehört, daß die von Fichte dargestellte
Wissenschaftslehre den Idealismus (ebenso wie den Realismus) als
wissenschaftlich unhaltbar überwindet. Es gibt sogar ein Buch von I.
Schüßler über "Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in
Fichtes Wissenschaftslehre"; aber davon braucht Herr Holzer nichts zu
wissen, der eine Philosophie im Glauben erfaßt und folglich besser
(be)kennt als Leute, die philosophisch (nur) erkennen.
Übrigens: Lauth ist doch auch Herausgeber von Reinhold, Jacobi und
Solovjev - warum wird denn gerade auf Fichte insistiert, warum ist er
nicht vermutlich Jünger des Illuminaten Reinhold oder des Konvertiten
Solovjev? Dumme Frage - das sagt einem eben der bekenntnisfrohe Glaube.
Und nun der "Freimaurer" Fichte! Herr Professor Erren, der auch schon
im Verlauf der derzeitigen Kampagne gegen den "Freimaurer Fichte"
schreiben zu müssen glaubte, macht in einem einzigen Satz, den er über
diesen schreibt, gleich vier historische Fehler. Nach ihm trat Fichte
1811 in die Loge Royal York ein, verließ sie wieder aus persönlichen
Gründen und blieb doch Freimaurer!! ! Was für Vorstellungen und
Kenntnisse müssen diese Leute haben! Jedenfalls solche ohne jede
sachliche oder historische Fundierung. Aber das tut nichts, sie glauben
an das, was sie sagen, und bekennen es. Lesern, die denn doch nicht nur
einfach irgend etwas betreffs Fichte glauben, sondern sich
wissenschaftlich orientieren wollen, empfehle ich seinen Brief vom 3o.
Sept. 1792 an Th. von Schön nachzulesen und alles Weitere in Fichtes
Leben damit zu vergleichen. Vielleicht geht ihnen dann auch ein Licht
auf, warum Fichte nach einer heftigen Auseinandersetzung während einer
Logensitzung am 24. Juni I80I der Loge "Pythagoras zum flammenden
Stern" Anfang Juli I80I "seinen Entschluß, aller Logen-Mitgliedschaft
für immer zu entsagen, kund machte" (Vgl. J.G. Fichte-Gesamtausgabe der
Bayer. Akademie der Wissenschaften, Stuttgart, Bd. 111,4, S.271.), d.h.
nach Herrn Erren: trotzdem Freimaurer blieb. (Das, lieber Leser, müssen
sie einfach glauben, ja nicht etwa wissenschaftlich prüfen. Als
Glaubensquelle dient in solchem Falle am geeignetsten ein
Freimaurer-Lexikon.)
Also die "idealistische" Philosophie dieses "Freimaurers" Fichte, die
in der von Freimaurerei ach so gänzlich freien Bundesrepublik mit
vielen Mitteln totgeschwiegen wird (die Leute verstehen eben ihre
eigene Sache nicht, vermutlich weil sie sie nur kennen und nicht
glauben) - ist die Philosophie Lauths, weil er Fichte herausgibt. Es
macht nichts, daß in Lauths systematischen Büchern etwas anderes steht
als Fichtesche Philosophie - nunmehr darfst Du, verehrter Leser, nicht
mehr damit zurückhalten, deinen Holzweg-Kanon in einen Triumphgesang zu
verwandeln. Ich schalge aus Wagners "Parsifal" vor: "Der Glaube lebt!"
Lauths Philosophie - o schrecklich! - ist, sagt Herr Holzer - eine
"kirchlich nicht anerkannte *), aber aus der 'Einsicht' geborene
Philosophie, die die (vielleicht nicht zugegebene, aber dennoch)
tatsächliche Grundlage der Orientierung (des neuen Seminars) bilden
wird". (Bewiesen nach dem Mensch-Gänse-Sorites aus dem ehemaligen
Vorderösterreich.)
Ich fordere den Leser auf, sich der besonderen Perfidie der Holzerschen
Wendung "aus der 'Einsicht' geborene Philosophie" bewußt zu werden.
Einsicht steht in Anführungszeichen. Der Leser muß also annehmen, daß
damit die Zeitschrift EINSICHT bezeichnet werden soll. Dann hieße der
Satz: Lauth hat seine Philosophie erst aus den Beiträgen der EINSICHT
gewonnen! Schöne Philosophie, die aus lauter nichtphilosophischen
Beiträgen herrührt! Aber das wollte Herr Holzer auch nicht sagen, wird
man einwenden, sondern nur gehässig nebenbei mit einfließen lassen und
noch dazu Lauth der Gnosis verdächtigen. Also dann heißt seine Wendung:
Lauths Philosophie ist tatsächlich das Produkt einer Einsicht,
vielleicht nur einer vermeinten Einsicht, aber immerhin aus Einsicht.
Und damit stoßen wir auf das in den Augen des Freiburger Jerusalem
unverzeihliche Verbrechen. Der Mann will einsehen, statt zu glauben,
philosophisch einsehen, nicht philosophisch glauben! Horreur! Horreur!
Wie sagte doch Luther: Er verkehrt mit der "Hure Vernunft". "Wenn man
zu dem bedenkt", stöhnt Holzer, "mit welcher Emphase der Kreis um Lauth
auf Grund seines idealistischen Vorurteils die subjektive 'Einsicht'
des Einzelnen gegenüber jeglicher Autorität, auch der des Papstes,
vertritt (vgl. Einsicht Mai 1977 S.5 f)".
Ich gestehe Ihnen, lieber Leser, das ich selbst erst einmal meinen vier
Jahre zurückliegenden Artikel wieder hervorsuchte, um mich zu
vergewissern, was ich denn gesagt habe. Ich wollte es (zu meinem
Glück!) nicht holzerisch glauben. Und ich tat gut daran. Wir werden den
Artikel noch einmal in dieser Zeitschrift abdrucken, und ich fordere
dazu auf zu sagen, was darin nicht richtig ist.
Aber hier rühre ich nun geradezu an einen sakrosankten Komplex der
lieben (Vorder)Österreicher: Unser Herr Kaiser! Nicht wahr, Franz
II.ist doch unser Herr Kaiser geblieben, als er komischerweise aus dem
II. 18o4 der I. wurde. Herr Kaiser, Herr Kaiser, du liebe Majestät!
Was? Er hat die Auflösung des Heiligen Reichs verkünden lassen? Macht
doch nichts! Er ist dafür Kaiser von Abessinien, pardon, ich habe mich
verschrieben, ich wollte sagen von Österreich/Ungarn geworden und
unsere liebe Majestät geblieben. Wie bitte? Paul VI. und Johannes Paul
II. sind keine Päpste mehr? Nur weil sie den alten Glauben und das
Testament Christi verraten haben? Aber gehn's, Sie sehen doch, daß
Johannes Paul II. alle unsere Bischöfe anerkennen; er ist doch immer
noch Papst der Reformkirche. Unser lieber Heiliger Vater! Und darum Küß
die Hand, gnädiger Herr ... Kardinal König oder ... Lienart!
Man muß der Autorität des Papstes glauben, tönt es mit Stentorstimme
aus (Vorder)Österreich zurück! Aus Ihnen aber spricht die Hure
Vernunft! Nehmen wir an, ein Soldat erfülle im Krieg an der Front seine
Pflicht, um seine Heimat zu verteidigen. Der Kampf wogt hin und her.
Eines Tages läßt der Befehlshaber die Truppe antreten und verkündet
hochpersönlich in einem Tagesbefehl: Ich gehe hiermit mit der gesamten
Truppe zum Feinde über. Was hat der Soldat zu tun? (Vorder) Österreich
zögert nicht, zu antworten: er darf seinen Ohren nicht trauen, darf um
Himmels willen nicht denken, dies sei Hoch- und Landesverrat und von
jetzt an dürfe man diesem General nicht mehr gehorchen, sondern müsse
ihn bekämpfen. Der Soldat würde ja dann "subjektive Einsicht"
"gegenüber der Autorität" des Generals behaupten. Er muß glauben, daß
alles richtig ist, was der General sagt und befiehlt. Und - o schöne
Belohnung - er behält dafür ja seinen General, die liebe Autorität. Er
hat dann immer noch seinen König und seinen Johannes Paul-Papst!
Dieser blinde Fideismus liegt den Ansichten der Herren Holzer und Erren
zugrunde! Man darf es nicht wagen, eigene Einsicht zu haben. Man kann
gar keine Evidenz erlangen. In allem muß man erst die kirchliche
Autorität befragen, bevor man etwas "glaubt".
Es sei Sache der Priester und Bischöfe, zu entscheiden, ob der jetzige
Papst wirklich Papst ist oder nicht, schreibt Abbé Coache, aber nicht
der Laien. Ich fordere ihn und alle, die so wie er denken, auf, uns die
Bischöfe und Priester zu benennen, die uns das zuverlässig sagen
können. Ein von einem Kardinal Lienart geweihter (oder nur
'geweihter'?) Mgr. Lefebvre, der seiner ersten Pflicht, juristische
Anzeige gegen die Häresien der Bischöfe und Päpste der reformierten
Kirche zu erstatten, beharrlich aus dem Wege geht und bereit ist, auf
demselben Tisch das hl. Meßopfer zu zelebrieren, um den herum die
Reform-Derwische ihrer Mahlfeier präsidieren, gewiß nicht! Welchen
Priester deutscher Zunge sollten wir fragen? Etwa den rechtmäßig
exkommunizierten und laisierten 'Kaplan' Dettmann? Pater Boxler? Man
nenne sie uns!
Aber kommen wir zum Kern der ganzen Sache. Warum die Wut ausgerechnet
auf meinen Hörer Storck? Doch wohl nur, weil er nicht, wie meine
Schüler Wodsack und Schmidberger - um einen Ausdruck von jener Seite
aufzunehmen - sein Gehirn an der Pforte von Econe abgeliefert hat! Das
ist das unverzeihliche Verbrechen! Die Leute denken selbst!
Wer die Entwicklung im Lager der Gegenreform aufmerksam beobachtet hat,
dem muß schon lange klargeworden sein, worauf wir hier in der EINSICHT
schon des öfteren hingewiesen haben: Man hat es da mit zwei sehr
verschiedenen Lagern zu tun. Die einen, die sich Traditionalisten
nennen, haben ihr Hirn in gute Verwahrung gegeben. Sie wollen nicht
über die Ursachen der kirchlichen Katastrophe nachdenken. Zurück zur
Neo-Scholastik und zur sulpizianischen Frömmigkeit - und alles ist
wieder in Ordnung; so denken sie. Die anderen - und zu denen gehören
wir - sind zu der Einsicht gekommen, daß die Katastrophe ihre Ursachen
tiefgreifender Art in der vorkonziliaren Kirche hat. Sie forschen nach
diesen Ursachen und suchen nach durchgreifenden Heilmitteln.
Heute kann wirklich niemand mehr übersehen, daß, seit der Jesuitenorden
die Führung in der geistigen Auseinandersetzung übernommen hat, die
Kirche die philosophische Arbeit nicht mehr, wie zur Zeit des
Mittelalters, grundlegend bewältigt, sondern dies anderen überlassen
hat. So verwundert es nicht, daß die Jesuiten nach Aufhebung des Ordens
1773 scharenweise in die Freimaurerlogen gingen und zu wichtigen
Vorkämpfern der (josephinischen) Reformen wurden. Die Jesuiten verloren
den systematischen Boden in der Philosophie. Sie stellten sich, um ein
Wort von Marx zu verwenden, nur mehr auf die Schulter eines Riesen und
riefen impertinent: Ich sehe mehr! Dieser Riese hieß in den letzten
Jahrzehnten bei ihnen erst Heidegger, dann Teilhard de Chardin,
schließlich - Marx! Dieselben Professoren, die mich zum Beispiel als
hundertprozentige Thomisten in früheren Jahrzehnten öffentlich als
"liberalen Katholiken" verdächtigten, wurden Heideggerianer,
Teilhard-Anhänger, schließlich Marxisten und Theologen der Befreiung.
Ich hingegen bin heute in ihren Augen "erzreaktionär".
Der hl. Thomas, auf den Herr Holzer schwört, fand die Philosophie zu
seiner Zeit in einer ähnlichen Situation. Dieser di vus Thomas zögerte
nicht, auf die Philosophie des Heiden (und nicht, wie im Falle Fichte:
des Christen) Aristoteles zurückzugreifen, um philosophische Irrtümer
erfolgreich zu beseitigen. Ich weiß, daß Leo XIII. die Notbremse
angesichts des jesuitischen Versagens gezogen und den Thomismus für
alle Seminare vorgeschrieben hat. Aber ich weiß auch, daß die Päpste
jeder einzeln bis ins vierzehnte Jahrhundert hinein die Sorbonne vor
der thomistischen Philosophie gewarnt haben. Im übrigen ist hier gar
nicht die Rede von der Philosophie des hl. Thomas, sondern von einem
engstirnigen Neuthomismus, als dessen Paradebeispiel ich den Thomisten
J. Maritain anführe, den geistigen Lehrer Pauls VI. der unter Verrat an
Léon Bloy einen Bergson verdächtigte und einen Descartes mißhandelte,
um angeblich zu Thomas zurückzuführen.
Dieser Vorgang ist nur ein kleines Mosaiksteinchen aus der immensen
Fehlentwicklung der Jahrzehnte vor der Reform. Wir von der EINSICHT und
andere Gruppen in Deutschland und Frankreich versuchen diese Fehler zu
erkennen und aus ihnen zu lernen. Uns ist es auf jeden Fall klar, daß
unser Glaube nicht mehr in der engstirnigen neuscholastischen und
sulpizianischen Form der Vergangenheit vertreten werden kann. Unser
Glaube ist der Glaube aller Jahrhunderte unserer Kirche, der Glaube
nicht nur der lateinischen, sondern auch der griechischen und syrischen
Kirchenväter, der Glaube nicht nur der römischen, sondern auch der
griechischen und aramäischen Liturgie. Für uns hat ein Gregor der Große
und ein Gregor von Nyssa ein ganz anderes Gewicht als ein Franz von
Ales oder ein Grignion von Montfort; für unseren Horizont gibt es nicht
Cönobiten, sondern auch Anachoreten, nicht nur Priester, sondern auch
Propheten.
Was aber die Philosophie betrifft, so kann diese nur wissenschaftlich
vertreten werden. Es gibt ebensowenig eine katholische Philosophie als
eine katholische Mathematik. Unsere Wissenschaft hat seit dem 13.
Jahrhundert nicht stillgestanden. Der große (katholische) Philosoph
Descartes hat eine umwälzende Veränderung gebracht, indem er das
transzendentale Prinzip aufstellte, und wir denken, daß Kardinal
Bérulle und die Orden, die Descartes' Erkenntnisse dem
Philosophieunterricht in den Seminarien zugrundegelegt haben, richtig
gehandelt haben, daß hingegen die sophistischen Objektionen gegen
Descartes "Meditationen" des Jesuitenpaters Bourdin - typisch
jesuitisch sind. Wer in der Philosophie etwas Relevantes gesagt haben
will, der muß es einsichtig gemacht haben. Dank dem Versagen der
Philosophen in den kirchlichen Seminarien sind wir heute gezwungen,
entscheidende Argumente von großen Philosophen wie z.B. Kant oder
Fichte herzuholen, um ungewöhnlich gefährliche, schwierig aufzudeckende
und zu widerlegende Scheinphilosopheme wie die vor allem Hegels und
seiner Nachfolger zu widerlegen. Die Argumente der Scholastik reichen
dazu nicht mehr aus.
Es geht jedoch nicht nur um die Philosophie, die heute allein
wissenschaftlich möglich ist. Es geht schließlich um das Prinzip der
Einsicht überhaupt. Herr Dr. Katzer sagte mir kurz vor seinem Tode, er
habe es nicht einmal erlebt, daß unter den Leitern des Seminares von
Weißbad ein anstehendes theologisches Problem diskutiert worden sei.
Meine Beobachtungen bestätigen das nur. Wenn ich nur die geistige
Arbeit der "Contre-réforme catholique" des Abbé de Nantes, dessen
Auffassungen ich in mancher Hinsicht nicht teile, mit derjenigen von
Econe vergleiche, so sehe ich einen Himalaja neben einem flachen Hügel.
Welche Anstrengung dort, den Grund der Katastrophe zu verstehen und dem
wahren Glauben zu neuem Leben zu verhelfen; welche geistige Galene bei
den Lefebvristen! Und die Seminaristen aus Econe, Weißbad und
Zaitskofen sollten gewappnet sein, sich mit den reißenden Wölfen
heutiger Intellektualität erfolgreich auseinanderzusetzen? Nein, zu
einem solchen Kampfe gehören andere Waffen. Not bricht Eisen! Die
Antwort auf eine Katastrophe solchen Ausmaßes wie der Zusammenbruch der
römischen Kirche erfordert andere Mittel, als Direktiven des
frömmelnden und unphilosophischen neunzehnten Jahrhunderts. Um die
Bereitstellung dieser Mittel ringen wir.
Und schlußendlich entscheidet in dieser Frage der Herr selber. Er will
keinen blinden Glauben, sondern einen Glauben, der ein "vernünftiger
Dienst" (rationabile obsequium) ist. Der hl. Paulus betont zu Anfang
des Römerbriefes, wieviele Wahrheiten uns Gott schon allein durch die
Vernunft offenbart. Auf diese als vernünftige Einsichten baut sich erst
die spezielle positive Offenbarungswahrheit auf. Schon unser Gewissen
und unser Verstand sagen uns in weiten Bereichen, was wahr ist. Und
deshalb wirft der Herr den Pharisäern, die ihm widersprechen und Seine
Lehre als die Beelzebubs verschrien (so wie Herr Holzer und Co.
wissenschaftliche Philosophie als Freimaurerphilosophie), vor: "Warum
urteilt ihr nicht aus euch selbst, was recht ist?" Urteilt! - Herr
Holzer! aus uns selbst!! Die Pharisäer hingegen nennt der Herr wegen
ihres blinden Glaubens: Blinde Anführer, die sich und die Blinden, die
ihrer Leitung folgen, in die Grube führen.
*Anm. Es wäre interessant zu wissen, welche kirchliche Stelle denn hier überhaupt gemeint sein könnte!
***
THEOLOGIE!
In den neuesten "Mitteilungen" der sog. "Römisch-katholischen
Traditionsgemeinde St. Pius V. e.v. Freiburg" vom lo.3.80 liest man von
Herrn Professor M. Erren unter vielen anderen Unmöglichkeiten *
folgenden Satz, der allein schon für die theologische Kompetenz Bände
spricht:
"wenn Mgr. Lefèbvre (sic!) wirklich der einzige treue Bischof wäre, wäre er nicht Gegenpapst, sondern Papst."
Herr Prof. Erren ignoriert, daß nur der zum Bischof von Rom erwählte
Bischof Papst ist. Unsere Frage: Ist Mgr. Lefebvre etwa inzwischen
stillschweigend in Rom zum Bischof gewählt worden? Und durch wen? Wenn
nicht - welche Vorstellungen hat dann Herr Prof. Erren vom Papstamt?
Herr Professor Erren schreibt weiter von Mgr. Lefebvre: "Wenn er nicht
der einzige ist, muß man nicht auch die andern fragen, wen sie zum
Papst wählen wollen? Oder bestimmt das die 'Einsicht' ganz allein?"
Herr Prof. Erren scheint also keine Ahnung zu haben, wie im Falle einer
Papstabsetzung zu verfahren ist. Hätte er die ihm so anstößige EINSICHT
wirklich gelesen, so würde er darin genaue Angaben über den Modus der
Wahl eines neuen Papstes gefunden haben.
*) U.a. liest man dort auch, J.G. Fichte sei "1811 (sic!) in die
Berliner Loge Royal York (sic!) eingetreten und später wegen
persönlicher (sic!) Streitigkeiten dort wieder ausgetreten, aber
Freimaurer geblieben (sic!)".
***
NÄCHSTES ROSENKRANZGEBET AM 5.6. (FRONLEICHNAM) UM 18 UHR. BETEN SIE
BESONDERS FÜR DIE IRRENDEN UND UM DEN BEISTAND DES HEILIGEN GEISTES.
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