Clemens August Kardinal Graf von Galen
von
Hans-Joachim von Leesen
Hinweis der Redaktion:
Auch wenn der nachfolgende Beitrag anläßlich der sog. Seligsprechung
von Clemens August Graf von Galen, des Bischofs von Münster zwischen
1933 und 1946, durch Ratzinger/Benedikt XVI. am 9. Oktober geschrieben
wurde, so gibt es keinen Grund, nicht eines mutigen Bekenners zu
geden-ken, der Nationalsozialisten und Alliierten gleicherweise ein
Dorn im Auge war. Clemens August Kardinal Graf von Galen wurde wegen
seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus als "Löwe von
Münster" bekannt. Geboren 1878 in Dinklage, wurde der Kämpfer gegen
Nazismus, Sozialismus und Liberalismus 1933 zum Bischof von Münster
geweiht. Er bekämpfte besonders die NS-Rassenlehre, aber auch den
Antisemitismus. Seine Predigten bewirkten gar zeitweilig die
Unterbrechung des Euthanasie-Programms. Bormann erwog, ihn hängen zu
lassen, doch Goebbels wollte keinen "katholischen Märtyrer" schaffen.
Galen hatte Kontakte zum Kreis der Männer des 20. Juli 1944 und seine
Predigten regten junge Studenten zur Gründung der Widerstandsgruppe
Weiße Rose an. Nach Ende des Krieges kämpfte Galen ebenso couragiert
gegen Kollektivschuldthese und Besatzungswillkür und erklärte, die
Alliierten als Feinde zu betrachten. Die Briten qualifizierten ihn als
einen "Aristokraten von Eichenholz und deutschen Nationalisten durch
und durch". Galen starb 1946 in Münster.
Eberhard Heller
***
"Nec laudibus, nec timore" wählte er als Wappenspruch. Und wenn der
Spruch "Nicht für Lob, nicht aus Furcht" auf ein Leben zutrifft, dann
auf das des vor 59 Jahren als Bischof von Münster und Kardinal
gestorbenen Clemens August Graf von Galen, der am 9. Oktober
seliggesprochen wird. Bald nach seinem Tode wurde der
Seligsprechungs-Prozeß eingeleitet und im November 2004 positiv
abgeschlossen. Welches Lebenswerk wird damit von der katholischen
Kirche so deutlich herausgehoben, wer war der Mensch, dem diese
Erhöhung zuteil wird?
Clemens August Graf von Galen, geboren 1878 im Münsterland, entsprach
wohl in keiner Phase seines Lebens dem jeweiligen Zeitgeist. Er kam als
elftes von 13 Kindern des Zentrums-Abgeordneten Ferdinand Heribert Graf
von Galen und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene von Spee, auf die
Welt. Sowohl die Galens als auch die Spees waren alte westfälische
Adelsgeschlechter, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Offiziere
und Geistliche hervorbrachten. Clemens wurde 1904 zum Priester geweiht.
Von 1906 bis 1929 diente er als Pfarrer einer Gemeinde in Berlin.
Engagiertes Handeln gegen die NS-Euthanasiepolitik
Mit vielen Auswirkungen der nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland
herrschenden Geistesrichtung war er nicht einverstanden. Mehrfach
äußerte er sich kritisch über die Parteienherrschaft. Er sah, wie sich
Entchristlichung und Gottlosigkeit ausbreiteten und wie der
Parlamentarismus nicht in der Lage war, dem deutschen Volk eine stabile
Lebensgrundlage, sei es in moralischer, sei es in wirtschaftlicher
Hinsicht zu geben. Im selben Jahr, in dem Hitler als Vorsitzender der
stärksten Partei Reichskanzler wurde, weihte man den Grafen von Galen
zum Bischof von Münster.
Mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus geriet er sehr bald in
Konflikt. So bezog er mit anderen katholischen Persönlichkeiten offen
Stellung gegen das Buch Alfred Rosenbergs "Der Mythus des 20.
Jahrhunderts". Daß er auch während des Zweiten Weltkrieges sowohl in
Predigten als auch in Schriftstücken an die Regierung die willkürliche
Beschlagnahme von Gebäuden katholischer Orden anprangerte, ist ebenso
bekannt wie seine öffentlichen Predigten, als immer häufiger Gerüchte
an die Öffentlichkeit drangen, daß Insassen von Heilstätten, die als
unheilbar galten, auf Anordnung staatlicher Stellen als "lebensunwert"
getötet wurden. Und nicht nur das: Er erstattete im August 1941 bei der
Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Mordes. Tatsächlich wurde die
Euthanasieaktion daraufhin eingestellt, wenn auch weiterhin Tötungen in
Einzelaktionen vorgenommen wurden.
Im Gegensatz zu anderen Systemgegnern stand er im Zweiten Weltkrieg
nicht auf seiten der Kriegsgegner Deutschlands. Als Anfang April 1945
die Alliierten meldeten, er habe nach der Einnahme Münsters Kontakt mit
den Besatzungsmächten aufgenommen, reagierte er heftig. Er wehrte sich
dagegen, daß man "geflissentlich diese Lüge verbreitet habe". Als
einige Tage später tatsächlich die ersten britischen und
US-amerikanischen Pressevertreter den als Gegner des
Nationalsozialismus bekannten Bischof aufsuchten, nahm er dezidiert
Stellung: "Den mich besuchenden Herren von der englischen und
amerikanischen Presse habe ich erklärt, daß ich als deutscher Bischof
mit meinem deutschen Volk fühle und leide - daß ich es ablehne, solange
der Krieg nicht beendet sei, mit ihnen über politische Fragen zu
sprechen oder irgendwelche Erklärungen abzugeben ...".
Nach dem Einmarsch der Alliierten löste sich die öffentliche Ordnung in
Deutschland teilweise auf. Der Bischof ermahnte den Chef der
Militärregierung in Westfalen, Colonel Leadenham, seiner Pflicht
nachzukommen und Leben und Eigentum der Deutschen vor unnötiger Gewalt,
Zerstörung und Plünderung zu schützen. Diese Plünderungen, Morde und
Vergewaltigungen gingen ebenso von frei durchs Land streifenden
Fremdarbeitern und Kriegsgefangen aus wie von amerikanischen Soldaten.
"Es ist unbegreiflich, daß so wenig Zucht und Ordnung herrscht,
besonders bei Nacht. Am 10. April wurden in Lendenhorst vier Mädchen
vergewaltigt und Kirchen entweiht."
Als am 12. Juni 1945 ein Pfarrer von marodierenden russischen
Fremdarbeitern zusammengeschlagen und beraubt wurde, geriet er
gegenüber dem belgischen Offizier, der ihm nach Festnahme der Russen
die geraubten Gegenstände zurückgab, in äußerste Erregung: "Sie wissen,
wie ich den Nazifrevel bekämpft habe. Nun wohl, so werde ich jedes
Unrecht bekämpfen, von wannen es auch kommen mag. Sagen Sie das Ihrem
Vorgesetzten", soll er den Offizier angeherrscht und dabei mit seiner
Faust auf den Schreibtisch gehauen haben.
Gegen eine ungerechte Beschuldigung und Bestrafung
Mit zunehmendem Nachdruck wendet er sich gegen die damals hochkommenden
Parolen von der deutschen Kollektivschuld. Berühmt wurde seine am 25.
Juli 1945 in Telgte gehaltene Predigt. "Wenn man heute es so darstellt,
als ob das ganze deutsche Volk und jeder von uns sich schuldig gemacht
habe durch die Greueltaten, die von Mitgliedern unseres Volkes im
Kriege begangen worden sind, so ist das ungerecht. Es ist Verleugnung
der Gerechtigkeit und der Liebe, wenn man uns alle, jeden deutschen
Menschen, für mitschuldig an jedem Verbrechen und darum für strafwürdig
erklärt. Die unvermeidlichen Kriegsfolgen, das Leid um unsere Toten, um
unsere zerstörten Städte, Wohnungen und Kirchen wollen wir annehmen und
mit Gottes Hilfe geduldig tragen. Nicht aber ungerechte Beschuldigung
und Bestrafung ...". Er wird daraufhin zur britischen Militärregierung
in Warendorf zitiert. Dort wird ihm vorgehalten, er mache es der
Militärregierung unmöglich, das deutsche Volk zu erziehen, wenn er die
Kollektivschuld ablehnt. Die Zudiktierung der Schuld, so sagt der
britische Oberst, sei nicht so sehr als Strafe, sondern als
erzieherische Maßnahme gedacht.
Galen läßt sich darüber nicht auf Diskussionen ein, sondern geht zum
Gegenangriff über. Das Plündern deutscher Wohnungen und Häuser, so der
Bischof, durch Fremdarbeiter und ehemalige Kriegsgefangene der
alliierten Armeen sei nur möglich geworden, "weil die gesamte
Propaganda in Presse und Rundfunk von Haß und Rachegedanken gegen
Deutschland sich leiten läßt".
Wegen seiner "äußerst patriotischen" Haltung wird er nach dem Krieg von
dem Historiker Lothar Kettenacker gerügt. Bald danach veröffentlicht
die Neue Zürcher Zeitung ein Interview, das Bischof von Galen ihrem
Reporter Fritz Rene Allemann gegeben hat, (und das in Anwesenheit eines
britischen Kontrolloffiziers). Darin wirft er der britischen
Besatzungsmacht vor, sie sei "in mancher Beziehung eine Nachahmung des
Nationalsozialismus". Die von den Siegermächten eingerichteten
Internierungslager, in die gegen jedes Völkerrecht die Deutschen zu
Hunderttausenden eingesperrt waren, nennt er Konzentrationslager. "Müßt
Ihr Engländer denn unbedingt die schlimmsten Lager (der
Nationalsozialisten) nachmachen, wenn Ihr sie schon nachmachen müßt?"
Er verweist darauf, daß zur nationalsozialistischen Zeit viele
Regimegegner, die aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden,
"wenigstens pensioniert oder doch in irgendeiner Weise abgefunden
wurden", während die heutigen Sieger die wirklichen oder angeblichen
Nationalsozialisten aus ihren Stellungen hinauswürfen und sie und ihre
unschuldigen Familien dem Elend preisgäben.
Herausragende Persönlichkeit des Klerus der britischen Zone
Schließlich kommt er auf die "gänzlich unbegreifliche Grenzziehung im
Osten und die Austreibung der Deutschen" zu sprechen. "Dies ist eine
Neuerung der Geschichte, die nicht mehr da gewesen ist, seitdem das
Christentum in die Welt kam, bis die Alliierten und der
Nationalsozialismus damit begonnen haben. Letzteres hat uns nicht
gewundert, was uns wundert ist, daß die christlichen Völker des Westens
zu solchen Methoden ihre Zustimmung geben ..."
Als überraschend um die Weihnachtszeit 1945 der Papst drei deutsche
Bischöfe zu Kardinälen ernennt, darunter auch Bischof Galen, deutet er
das als einen "Ausdruck der Liebe des Papstes für unser armes deutsches
Volk. Vor aller Welt hat er als übernationaler und unparteiischer
Beobachter das deutsche Volk als gleichberechtigt in der Gesellschaft
der Nationen anerkannt." Auf seiner Fahrt nach Rom Anfang 1946 besucht
er fast alle an seiner Reiseroute liegenden Kriegsgefangenenlager und
spricht den dort festgesetzten deutschen Soldaten nicht nur Mut zu,
sondern er schmuggelt auch in großer Anzahl ihre Briefe- und
Nachrichten an die Angehörigen aus dem Lager, um sie weiterzuleiten.
Bei seiner Rückkehr von der beschwerlichen Fahrt nach Rom wird der neue
Kardinal von den Westfalen begeistert gefeiert. Er hat nur noch wenige
Wochen zu leben. Am 22. März 1946 stirbt er an einem durchbrochenen
Blinddarm. Seine letzten Worte waren: "Wie Gott es will. Gott lohne es
Euch. Gott schütze das liebe Vaterland. Oh, Du lieber Heiland!" Er wird
in der Familiengruft der von Galens im zerstörten Dom zu Münster
beigesetzt. Das Foreign Office charakterisiert ihn als "die
herausragende Persönlichkeit des Klerus der britischen Zone.
Unnachgiebig in der Diskussion, ist dieser fest verwurzelte Aristokrat
ein deutscher Nationalist durch und durch".
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005
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