Zur aktuellen Situation
von
Eberhard Heller
Die bayerischen Trachtler, die zur Amtseinführung von
Ratzinger/Benedikt XVI. nach Rom gereist waren, sind wieder zu Hause.
Benedikt XVI. hat nach dem Weltjugendtag in Köln im Flugzeug eine
Schleife über seinen Geburtsort Marktl am Inn gedreht und ist wieder in
Rom gelandet. Uns hat inzwischen auf sehr sicheren Füßen die Realität
"Benedikt XVI." eingeholt, den alle Welt für einen rechtgläubigen Papst
hält, auf dem nicht nur die Hoffnungen von Econe ruhen, die Kirche
wieder "in Christus zu erneuern", sondern den man auch befähigt hält,
eine theologische Bewältigung der nach-konziliaren Probleme zu
vollziehen. Und Benedikt tut alles, diesen Erwartungen gerecht zu
werden. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Johannes Paul II., dem es
anscheinend egal war, wie er theologisch eingeschätzt wurde, will
Ratzinger ausdrücklich als rechtgläubig und nicht als Häretiker gelten.
Das geht sogar soweit, daß gewisse Textrevisionen in verschiedenen
Neuauflagen seiner Bücher vorgenommen werden, um ihm vom Makel des
Arianismus zu befreien. Modern will er sein, aber diese Einstellung
bedeutet, daß er an den aktuellen Problemen unserer Zeit "nahe dran"
sein will. Die Lage der Kirche bzw. 'Kirche' ist ihm sehr wohl bewußt,
wenn er am Karfreitag dieses Jahres betete: "Herr, oft erscheint uns
deine Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und
ganz und gar leck ist. Und auf deinem Ackerfeld sehen wir mehr Unkraut
als Weizen. Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche
erschüttert uns. Aber wir selber sind es doch, die sie verschmutzen."
(Gebet zur 9. Station - zitiert nach KIRCHLICHE UMSCHAU Nr. 6, Mai/Juni
05)
Dabei wirkt Ratzinger als Benedikt XVI. wie ein Katalysator, der zwar
bestimmte Prozesse in Gang setzt, ohne sich selbst zu verändern. Man
denke nur an den Versuch Econes, die Möglichkeiten der
Wiedereingliederung in die 'Konzils-Kirche' zu ventilieren. Und mit
welchem Geschick hat Ratzinger seinen ehemaligen Kollegen Küng, -
seinen schärfsten Kritiker auf der Seite der Modernisten -, den er von
seiner Tübinger Zeit als Professor bestens kannte, 'besänftigt' - ich
will nicht sagen: zum Schweigen gebracht - hat! In der Tat, ein Mann
großzügiger Nobless.
Seine Einstellung zu den Tendenzen, die in der Welt von heute
grassieren, hat er vor dem Konklave verdeutlicht: "Einen eindeutigen,
dem kirchlichen Credo folgenden Glauben zu haben wird häufig mit dem
Etikett des Fundamentalismus belegt, während der Relativismus, also das
Hin- und Hergetriebensein vom Widerstreit der Meinungen, als einzige
Haltung erscheint, die der heutigen Zeit entspricht. Es bildet sich
eine Diktatur des Relativismus heraus, in der nichts als endgültig
anerkannt wird und die als letzten Maßstab nur das eigene Ich und
dessen Wünsche zulässt." (DT vom 21. April 2005, S. 12) Er beklagte,
daß auch "das kleine Schiff des Denkens vieler Christen nicht selten
von diesen Wellen erfasst" wird, und forderte, der kirchliche Weg müsse
der des Neuen Testamentes sein: "Die Wahrheit in Liebe tun" (Eph 4,15).
Ich kann mir gut vorstellen, daß er den Eindruck seiner
Rechtgläubigkeit nicht nur dadurch untermauert, daß er die 'alte' Messe
wieder zuläßt - er feiert sie sogar selbst auch! -, sondern daß er
zusätzlich versuchen wird, die durch die vatikanischen Reformen
ungültig oder zweifelhaft geworden Riten durch orthodoxe Einschübe zu
validisieren. Wie das aussehen könnte? Er beläßt den N.O.M. wie er ist,
fügt aber in allen Sprachen die richtigen Wandlungsworte wieder ein.
Kirchenpolitisch wandelt er auf den eingeschlagenen Wegen seines
Vorgängers. Er wird das Verhältnis mit dem Judentum intensivieren und
die Ökumene weiter voranbringen, allerdings in einem von ihm
abgesteckten theologischen Rahmen. Und dieser Rahmen ist durch das II.
Vatikanum vorgegeben! Diese Marschroute hatte er nach seiner Wahl zum
Nachfolger Johannes Paul's II. während der ersten Messe
vorgegeben (nachzulesen auf der Homepage des Vatikan): "Per Magnum
Iubilaeum ea (Ecclesia) in novum est ingressa millenium gerens manibus
suis Evangelium directum ad hodiernum orbem per iteratam lectionem
magna cum auctoritate Concilii Vaticani Secundi". Ich gebe diesen Text
in der Übersetzung von Dr. Heinz-Lothar Barth wieder, der die
Übertragung des Textes in der DT vom 21.4.05 als "gefährliche
Fehlübersetzung" kritisiert hatte: "Mit dem Großen Jubiläum ist die
Kirche in das neue Jahrtausend eingetreten. Dabei hält sie in ihrer
Hand das Evangelium, das mit großer Autorität des Zweiten Vatikanischen
Konzils neu gelesen und dadurch auf die heutige Welt ausgerichtet
worden ist." (KIRCHLICHE UMSCHAU Nr. 6, Mai/Juni 2005; Hervorhebung vom
Autor). Wie diese Ausrichtung aussieht? Man kann sie mit einem einzigen
Schlagwort abdecken: "Ökumene" oder "Polyphonie"! "Einheit in der
Vielheit" der ökumenischen 'Wahrheiten'. Hier ist dann im einzelnen
auch anzusetzen, um seinen Anspruch auf Orthodoxie zu kippen, um den
Biedermann als Revolutinär zu enttarnen.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der all zu offenherzig große
Angriffsflächen bot, haben wir es nun mit einem äußerst geschickten
Gegner zu tun, der im Gewande der Orthodoxie durchaus den Widerstand
der sog. rechtgläubigen Christen paralysieren kann. Denn niemand wird
mehr begreifen, warum er die 'alte' Messe in einem Keller oder einem
Wohnzimmer besuchen soll, wenn diese wieder in einer wunderschönen
Kirche gefeiert wird. Es ist zu erwarten, daß Ratzinger den sog.
konservativen Klerikern nur all zu deutlich ihre theologische
Dürftigkeit spüren läßt; denn nicht nur im Bereich der spekulativen
Theologie ist er seinen Kontrahenten haushoch überlegen, er ist auch
fähig, in Systementwürfen zu denken. Ich kenne nur einen Kleriker, der
ihm problemlos Paroli hätte bieten können: der verstorbene Bischof
Storck. Über das Festhalten und die theologische Apologie der hl. Messe
sind die meisten Kleriker nicht hinausgegangen, ohne die damit
verbundenen kirchlichen Implikationen durchzureflektieren, um ein
Konzept des kompletten Wiederaufbaus der Kirche vorzulegen. Die Econer
gar haben ihre Auseinandersetzung mehr oder weniger auf einen
Ritenstreit reduziert. Selbst die Mexikaner, die doch von allen
traditionell eingestellten röm.-kath. Christen für ihren Widerstand aus
der Bevölkerung große Unterstützung erhalten, beschränken sich z.Zt.
programmatisch nur auf pastorale Fragen und beschäftigen sich nicht mit
der Restitution der Kirche als Heilsinstitution, was entschiedenen
Vorrang hätte.
Und sind die Econer einmal weggebrochen - davon gehe ich aus -, dann
lichtet sich die Phalanx der Opposition gegen Vatikanum II erheblich,
auch wenn deren sog. Widerstand wegen innerer Widersprüchlichkeiten mir
in all den Jahren immer suspekt war. Und wenn die alte Messe wieder
gefeiert werden kann, wenn sich keiner der vorgeblich rechtgläubigen
Kleriker für die Restitution der Kirche interessiert, geschweige für
sie einsetzt, wem wollen wir dann noch begreiflich machen, um was es
uns eigentlich geht? Wir werden es schwer haben, uns in Zukunft
verständlich zu machen, unser Anliegen einer Welt zu vermitteln, die
uns wegen unserer Intransingenz nur noch belächeln wird. Wir werden
mehr und mehr zu Diaspora-Christen, zu Christen, die in der
Vereinzelung Gott verherrlichen werden. Wenn sich unsere Kleriker nun
noch immer nicht darauf besinnen, daß sie nicht nur pastorale Aufgaben
zu erfüllen haben, sondern daß sie auch zur Behebung der kirchlichen
Krise verpflichtet sind, wozu auch die theologische Auseinandersetzung
mit dem Gegner gehört, werden sie bald ihre Pastoral im kirchlichen
Niemandsland, d.h. im katholisierenden Sektierertum ansiedeln müssen...
sie hätten ihre Aufgabe gründlich verfehlt.
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