„Wenn die Kirche nicht göttlich wäre,
so hätte dieses Konzil sie begraben.“
Ein fiktiver Dialog zweier Vertreter des Revolutionsprinzips
am Vorabend des Konzils
von
Dr. Wolfgang Schüler
Vorbemerkungen
Bei einer längeren Abhandlung, wie der vorliegenden über das Konzil,
besteht die Gefahr, daß der Leser nach ihrem Studium nur noch
Bruchstücke des Argumentationszusammenhanges geistig prä-sent hat und
ihm der rote Faden, der das Ganze durchzieht, abhanden gekommen ist.
(...) Im Mittelpunkt steht ein fiktiver Dialog, den zwei Konzilsväter
am Vorabend des Konzils miteinander führen. (...) Die Tatsache, daß wir
bei dieser Zusammenfassung die glaubenskonformen Passagen der
Konzils-texte, die wir vorfanden, beiseite lassen, bedarf der
Rechtfertigung. Rechtgläubigkeit ist kein besonderes Verdienst eines
Konzils, sondern eine selbstverständliche Voraussetzung, wenn es sich,
inhaltlich gesehen, um ein gültiges Konzil handeln soll. Das
Spektakuläre und in der Kirchen-geschichte Einmalige an Vatikanum II
ist das Auftreten einer zweiten, nicht glaubenskonformen Linie,
jedenfalls in den Dokumenten, die wir analysiert haben, und dieses
Spektakuläre gilt es in erster Linie herauszuarbeiten und
hervorzuheben. (...)
***
Am Vorabend des Konzils treffen sich zwei Vertreter des
Revolutionsprinzips, wobei der eine, den wir Revoluturus nennen, den
anderen über seine Absichten informiert, welche zugleich die Absichten
der radikalen Konzilsfraktion sind. Ihm legen wir in den Mund, was
schließlich an Antikatholischem in die Konzilstexte eingeht, soweit sie
Gegenstand unserer Untersuchung waren, und stellen es als seine
persönliche „Leistung“ dar. Er ist also sozusagen die Inkarnation der
negativen Konzilslinie, und er ist ausgestattet mit einem hohen Maß an
Skrupellosigkeit. Dabei besitzt er die Fähigkeit, den Ablauf des
Konzils in seinen Grundzügen vorherzusehen, verfügt über den großen
Überblick und ist in der Lage, die einzelnen Momente, die den Umschwung
herbeiführen, miteinander zu verbinden.*
Indem wir seinen Ausführungen eine systematische Form geben, wollen wir
zeigen, daß die Abweichungen von der Glaubenslehre, die sich das Konzil
zu schulden kommen ließ, nicht nebeneinander stehen, sondern
aufeinander aufbauen. Es soll deutlich werden, wie sie
ineinandergreifen und ein geschlossenes, wohldurchdachtes Ganzes
bilden. Neben der inhaltlichen Seite berücksichtigen wir auf diese
Weise auch die strukturelle Seite, was umso wichtiger ist, als diese in
den bisherigen Veröffentlichungen über das Konzil weithin
unterbelichtet blieb.
Seinen Freund nennen wir Moderaturus, weil er eine
gemäßigt-modernistische Position einnimmt und bestrebt ist, einerseits
Glaubenstreue zu bewahren, andererseits aber revolutionären Ideen
Rechnung zu tragen. Nach dem Sieg der Revolutionäre auf dem Konzil ist
die Position des Revoluturus im Innenraum der Kirche vorherrschend
geworden. Es ist dies die Position des konsequenten Modernisten,
während die Position des Moderaturus im Spektrum der Halbkonservativen
bzw. der gemäßigten, man kann auch sagen der inkonsequenten Modernisten
anzusiedeln ist. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels präzisieren wir
diese Begriffe.
An dieser Stelle möchten wir den Blick des Lesers auf eine
bemerkenswerte Tatsache lenken. Viele Tragödien in der Geschichte der
Menschheit haben durch Künstler den Weg auf die Theaterbühne bzw. die
Kinoleinwand gefunden, nicht selten sogar in mehreren Versionen. Die
Tragödie des Konzils hingegen - über die Pfarrer Milch am
spes-unica-Sonntag im Dezember 1981 unter dem Thema sprach: Das
sogenannte Zweite Vatikanische Konzil - die größte Katastrophe der
europäischen Geistesgeschichte - harrt noch einer künstlerischen
Bearbeitung. Vielleicht kann der folgende Dialog einen Anstoß dazu
geben.
***
„Wenn die Kirche nicht göttlich wäre, so hätte dieses Konzil sie begraben.“
Revoluturus: Du kennst, mein Freund, das schöne Gedicht von Chr.
Morgenstern, das mit den Worten beginnt: „Wer vom Ziel nicht weiß, kann
den Weg nicht haben“. Deshalb wollen wir zuerst über unsere Ziele auf
dem bevorstehenden Konzil sprechen und dann über die Wege, wie wir zu
ihnen gelangen können. Wir träumen doch schon lange von einer anderen
Kirche, einer volksnahen Kirche, einer Kirche, die dem modernen,
liberalen Staat die Hand reicht und die auf die anderen Religionen
zugeht.
Moderaturus: Ja, wir wollen die Kirche aus ihrem Ghetto befreien, in
dem sie sich der Welt und den anderen Religionen gegenüber befindet,
und wir wollen den Menschen unserer Zeit nahe kommen. Wir wollen ihnen
helfen, ihren Alltag zu bewältigen und wir wollen, gemeinsam mit ihnen,
mit beiden Beinen im Leben stehen. Unsere Priester stört es schon lange
„Hochwürden“ genannt zu werden, sie wollen nicht mehr der auserwählte
Gottesmann sein, bei dessen Anblick jedermann an seine ewige Bestimmung
erinnert wird, sondern sie wollen ganz normale Bürger sein. Sie
beabsichtigen, ihrer Solidarität mit den Menschen auch durch ein
verändertes Äußeres Ausdruck zu geben, indem sie die Priesterkleidung
ablegen. Aus der heiligen, hoheitsvollen Kirche wollen wir eine
alltagsbezogene Kirche machen, die ihre Vertrautheit mit der Welt durch
Politik- und Wirtschaftskompetenz unter Beweis stellt. Im Mittelpunkt
aller unserer Bestrebungen soll der Mensch stehen. War die Kirche
bisher theozentrisch geprägt, so soll sie nun von uns anthropozentrisch
geprägt werden; vom Humanismus und der Aufklärung gibt es da einiges zu
lernen.
Revoluturus: Zutreffend hast du die Mentalität eines Großteils unseres
Klerus beschrieben. Insbesondere junge Kleriker rufen: „Hin zur Welt!
Wir müssen zeitgemäß sein!“ Alles Hohe, Erhabene, dem Alltag Entrückte
schreckt sie ab, weil es sie vom Volke absondert. Als sie noch
Seminaristen waren, haben wir ihnen versprochen, daß bald alles anders
wird, daß sie den Menschen ganz nahe kommen werden und selbst in der
Liturgie die Maxime gelten wird „gemeinsam handeln“. Nun fordern sie,
wie du richtig sagst, eine alltagsbezogene und, sagen wir es ruhig,
eine entsakralisierte Liturgie. Deshalb sprechen sie auch lieber von
Eucharistiefeier als von heiliger Messe, um das Gemeinschaftliche
dieses Geschehens zu betonen. Gemeinschaftliches, demokratisches
Handeln soll künftig Trumpf auf allen Ebenen in der Kirche sein, und
das Konzil soll die Rahmenbedingungen für diesen Umschwung schaffen,
insbesondere die Rahmenbedingungen für eine neue Meßordnung. Wir stehen
bei ihnen im Wort und nun ist mit dem Konzil die Stunde gekommen, unser
Versprechen einzulösen.
Moderaturus: Aber wie sollen wir vorgehen? In der Zielbestimmung
stimmen wir überein, deshalb laß uns nun konkret werden. Ich möchte
wissen, wie du dir die Durchführung unseres Vorhabens vorstellst.
Revoluturus: Gerne will ich dir meine Vorstellungen entwickeln, doch
will ich dir erst einmal danken, für den großartigen Rotwein, den du
mir kredenzt. (Er liest auf dem Etikett) „Assmannns-häuser Höllenberg,
Spätburgunder, Spätlese“. (Revoluturus ist entzückt): Er stammt aus dem
herrlichen Rheingau und dann auch noch der große Jahrgang 1953. (Sie
trinken auf ihr gegenseitiges Wohl) Welch ein edler Wein, glutvoll und
samtig-weich zugleich, mit duftig-fruchtigem Bukett, harmonisch, ohne
jede Untugend! Doch zurück zu unserem Problem. Wir wollen eine andere
Kirche, eine Kirche in der nicht nur die Beziehungen zur Welt und zu
den anderen Religionen verbessert, sondern in der diese Beziehungen auf
eine völlig neue Grundlage gestellt werden.
Moderaturus: Aber diese Verhältnisse bestimmen sich doch nach dem
Selbstverständnis der katholischen Kirche. Du kannst sie gar nicht
grundsätzlich verändern, weil das Selbstverständnis unserer Kirche
diesem Vorhaben einen Riegel vorschiebt.
Revoluturus: Du hast den springenden Punkt erkannt. Eine grundsätzliche
Änderung jener Beziehungen setzt eine Veränderung des
Selbstverständnisses unserer Kirche voraus.
Moderaturus: Inwiefern willst du denn das Selbstverständnis der Kirche verändern?
Revoluturus: Gerne will ich es dir darlegen und auch die Konsequenzen
aufzeigen, die sich aus diesem veränderten Selbstverständnis der Kirche
ergeben, aber du mußt mir versprechen, daß du zu niemandem über das
sprechen wirst, was ich dir heute abend enthülle.
Moderaturus: Darauf hast du mein Ehrenwort.
Revoluturus: Nun denn, die von uns angestrebte Veränderung des
Selbstverständnisses der Kirche ist vielfältiger Art und kann nur in
einer Reihe von Schritten durchgeführt werden, die gut aufeinander
abgestimmt sind. Laß mich dir im Bilde erklären, worauf alle diese
Veränderungen abzielen: Nach dem Selbstverständnis der katholischen
Kirche steht diese ganz da oben (er deutet auf die Zimmerdecke) und die
Welt sowie die anderen Religionen sind ganz unten (er deutet auf den
Boden). Wenn wir uns denen annähern wollen, die unten sind, dann muß
unsere Annäherungsstrategie in zwei Richtungen gehen:
Erstens müssen wir unserer Kirche die konkurrenzlose Hoheit nehmen, sie
also von ihrem hohen Podest herunterholen, und zweitens müssen wir die
Welt und die anderen Religionen hochheben. Kurz: Wir müssen die
katholische Kirche abwerten und die anderen Religionen und die Welt
aufwerten; das ist die Doppelstrategie, die wir verfolgen! Dabei werden
wir automatisch auch das andere Ziel erreichen, nämlich den Menschen
näher zu kommen.
Moderaturus: Du solltest nicht vergessen, daß es Christus selbst war,
der Seine Kirche auf das „hohe Podest“ gehoben hat, indem Er sie
stiftete und ihr die Heilsgüter anvertraute. Aber lassen wir das einmal
zur Seite. Ich möchte wissen, wie die Schritte aussehen, mit denen du
deine Doppelstrategie zu verwirklichen gedenkst.
Revoluturus: Bevor ich sie dir erkläre, sollten wir die erste Aufgabe
bedenken, die wir auf dem Konzil zu lösen haben. Es gilt nämlich
zunächst einmal ein großes Hindernis zu beseitigen, das der
Verwirklichung unseres Vorhabens im Wege steht: Wir müssen erreichen,
daß die Vorlagen der Vorbereitenden Kommission abgelehnt werden, denn
diese tragen die Handschrift der Konservativen.
Wenn das gelungen ist - und dafür stehen die Chancen gut, denn die
meisten Väter wollen einen Wandel - dann ist unsere Stunde gekommen.
Denn dann steht die Bischofsversammlung ohne Diskussionsgrundlage da,
und wir können mehrheitsfähige Vorlagen erarbeiten, die unsere
Handschrift tragen. Dabei baue ich auf die hochkarätigen Berater der
Väter, die auf unserer Seite stehen, wie Rahner, Lubac, Congar und
Schillebeeckx, die schon lange auf einen Wandel in der Kirche hoffen,
und die zur Zeit Pius XII. z.T. mit der römischen Zensur schmerzhafte
Bekanntschaft gemacht haben. Seit Johannes XXIII. am Ruder ist, wittern
sie Morgenluft; einige von ihnen können sich schon seiner Gunsterweise
erfreuen und hoffen, daß nun noch viel deutlicher die Stunde ihrer
Rehabilitierung schlägt.
Moderaturus: Deine Rechnung mit der Ablehnung der Vorlagen könnte
aufgehen, aber nun sage mir endlich, wie du das Selbstverständnis der
Kirche ändern willst.
Revoluturus: In mehreren Schritten werden wir Christus von der katholischen Kirche distanzieren.
Moderaturus: Wie kannst du hoffen so etwas zu erreichen? Die innige
Verbindung zwischen Christus und Seiner Kirche findet ihren Ausdruck in
der Hl. Schrift und sie wurde vom Lehramt durch alle Jahrhunderte
bekräftigt, zuletzt noch in der großen Kirchenenzyklika von Pius XII.
Revoluturus: Wirf die Flinte nicht so schnell ins Korn. Wohl weiß auch
ich um diese Verbindung, die sich darin ausdrückt, daß die
Christozentrik der Kirche ekklesiozentrisch geprägt ist.
Moderaturus: Wie könnte sie es auch anders sein?
Revoluturus: Wir streben eine Christozentrik an, die eben nicht
ekklesiozentrisch geprägt ist, mehr noch, die im Gegensatz zur
Ekklesiozentrik steht, weshalb unser Motto lautet: Christozentrik
contra Ekklesiozentrik.
Moderaturus: Für diese Christozentrik bekommst du nie und nimmer die erforderliche Stimmenmehrheit.
Revoluturus: Natürlich nicht, wenn wir diesen Gegensatz herausstellen.
Wir werden uns aber viel diskreter ausdrücken und sagen, daß Christus
das Licht der Völker ist, das auf dem Antlitz der Kirche widerstrahlt.
Moderaturus: Ich verstehe, du willst nicht mehr mit Pius XII.
behaupten, daß das Licht, das von Christus kommt, in Seinen mystischen
Leib, die Kirche, hineinstrahlt und von ihr aus zu den Menschen,
sondern du willst zum Ausdruck bringen, daß das Licht Christi der
Kirche sozusagen äußerlich bleibt, indem es sich nur auf ihrem Antlitz
widerspiegelt. Zugegeben, das hast du fein ausgedacht, so daß dieser
Distanzierungsschritt gelingen kann. Aber bei ihm soll es doch wohl
nicht bleiben?
Revoluturus: Natürlich nicht, bei den nun folgenden
Distanzierungsschritten konzentrieren wir uns auf Eigenschaften der
Kirche, insbesondere ihre Heiligkeit. Diese relativieren wir, indem wir
die Kirche als solche mit der Sünde in Verbindung bringen und sie so
von dem heiligen Gott trennen.
Moderaturus: Gib acht, daß du dich dabei nicht selbst versündigst!
Willst du es wirklich wagen, Hand an eine Wesenseigenschaft der Kirche
zu legen? Sagt nicht der hl. Paulus im Epheserbrief: „Christus hat die
Kirche geliebt und hat sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen,
indem er sie reinigte durch das Bad des Wassers im Wort, um sich die
Kirche herrlich zu gestalten, ohne Flecken und Runzel oder dergleichen,
sondern damit sie heilig und makellos sei."
Und bekräftigt nicht, um nur eine Stimme des kirchlichen Lehramtes zu
nennen, Pius XI. in seiner Enzyklika Mortalium animos die
Sündenfreiheit der Kirche mit den Worten: „Die mystische Braut Christi
ist ja im Laufe der Jahrhunderte niemals befleckt worden, und sie kann
nie befleckt werden nach den schönen Worten Cyprians: 'Zum Ehebruch
läßt sich die Braut Christi nicht führen, sie ist unbefleckt und
züchtig. Nur ein Haus kennt sie, die Heiligkeit eines Schlafgemaches
bewahrt sie in keuscher Scham '." Wie kannst du da hoffen, eine
Stimmenmehrheit für einen Text zu gewinnen, der die Kirche als solche
mit der Sünde in Verbindung bringt?
Revoluturus: Gewiß, dieser Punkt ist sehr heikel und verlangt ein
kluges Vorgehen unsererseits. Die Problematik hängt eng mit der
Definition der Kirche zusammen. Ich werde dir nachher
auseinandersetzen, daß wir die Volk-Gottes-Beschreibung der Kirche als
ihre zentrale Beschreibung einführen und die beiden anderen
hauptsächlichen Beschreibungen derselben, nämlich die Kirche als der
mystische Leib Christi bzw. die Kirche als die Braut Christi
zurückdrängen. Nimm dies bitte für den Augenblick einmal als gelungen
hin und auch den weitergehenden Schritt, daß wir die Kirche mit dem
Volk Gottes identifizieren werden. Diese Identifikation erlaubt es uns
dann, den Unterschied zwischen der Kirche und ihren Gliedern einzuebnen
und dann schlägt die Sündhaftigkeit der Volksangehörigen auf die Kirche
selbst durch. Deshalb können wir sagen, daß sie der Reinigung bedürftig
ist und stets den Weg der Buße gehen müsse.
Moderaturus: Dagegen wende ich zweierlei ein: Erstens ist die Methode
der Ebenenvermischung, nämlich die Vermischung der Ebene der Kirche als
solcher mit der Ebene ihrer Glieder, unlauter, und zweitens wirst du
auch nicht durch diesen Trick einen mehrheitsfähigen Text vorlegen
können.
Revoluturus: Wenn du das schon als unlauter bezeichnest, dann mußt du
dich noch auf Schlimmeres gefaßt machen, denn ich bekenne dir offen:
Wir werden unsere Ziele nicht erreichen, wenn wir nur moralisch
einwandfreie Methoden anwenden. Schiller hat schon Recht, wenn er
seinen Octavio sagen läßt:
„Es ist nicht immer möglich,
Im Leben sich so kinderrein zu halten,
Wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten.“
Wenn wir in dieser Hinsicht unsere Unschuld bewahren wollen, dann
können wir die Revolution gleich an den Nagel hängen. Ein skrupulöser
Revolutionär ist ein Widerspruch in sich. Der Revolutionär muß bereit
sein, nach dem Motto zu handeln: Der Zweck heiligt die Mittel!
Doch nun zu deinem zweiten Einwand, daß wir die notwendige
Stimmenmehrheit verfehlen werden. Du hättest recht, wenn wir nicht noch
ein zweites Mittel gebrauchen würden, das du zweifellos ebenfalls unter
die anrüchigen Methoden einordnen wirst. An gewissen Punkten dürfen wir
nicht davor zurückschrecken, Widersprüche im Konzilstext zuzulassen und
das ist ein solcher Punkt. Bei der heiklen Frage nach der Beziehung
zwischen Kirche und Sünde, müssen wir nämlich unseren Gegnern dadurch
entgegenkommen, daß wir an der einen Stelle die traditionelle Position
zum Zuge kommen lassen, um an anderer Stelle unsere Position
durchbringen zu können.
Deshalb wird es an der einen Stelle, zur Beschwichtigung der
Konservativen, heißen: „Nach seinem Willen soll sie [die Kirche] als
die von ihm Gereinigte ihm gehören und in Liebe und Treue ihm untertan
sein", aber an anderer Stelle wirst du in unserem Sinne lesen: „Sie
[die Kirche] ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie
geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung."
Insofern die Kirche reinigungsbedürftig ist, ist sie natürlich unheilig
und durch diese Unheiligkeit von Christus getrennt. Es handelt sich
hier also um einen bedeutenden Distanzierungsschritt, der durch den
Nachsatz „sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ noch
bekräftigt wird.
Moderaturus: Du vertraust offenbar darauf, daß deine Methode, zu
gewissen glaubenskonformen Aussagen an anderen Stellen diesen
widersprechende Aussagen in die Konzilstexte einzuschleusen, unseren
Gegnern verborgen bleibt. Was berechtigt dich zu dieser Hoffnung?
Revoluturus: Mein Freund, es kommt hier sehr auf die Verpackung an!
Solche Äußerungen, mit denen wir der überlieferten Lehre widersprechen,
müssen wir sorgfältig „abfedern“, und zwar mit emphatischen
Treuebekundungen zu derselben. Eine solche Aussage werden wir in ein
Textumfeld einbetten, das den Beifall der Konservativen findet, weil es
reichlich ausgestattet ist mit Zitaten aus der Hl. Schrift, Äußerungen
der Kirchenväter und des vorkonziliaren Lehramtes. Dann aber plötzlich,
wie ein Blitz aus heiterem Himmel, plazieren wir den „Querschläger“,
und geben uns anschließend sofort wieder glaubenskonform. Eine solche
Tarnung ist unverzichtbar, wenn wir einen widersprüchlichen und
trotzdem mehrheitsfähigen Text vorlegen wollen.
Moderaturus: Ich brauche dir nicht zu sagen, daß auch dieses Vorgehen
zu den unlauteren Methoden zählt, stellt es doch zweifellos einen
Täuschungsversuch dar, der übrigens, bei hinreichend langatmigen
Texten, erfolgversprechend ist. Aber wie werden wir in nachkonziliarer
Zeit mit diesen Widersprüchen umgehen? Werden uns nicht die
Konservativen auf die korrekten Passagen festnageln?
Revoluturus (gelassen): Wenn wir uns der Methode der widersprüchlichen
Aussagen bedienen, dann natürlich in der Absicht, die uns genehmen in
nachkonziliarer Zeit aufzugreifen und die gegenteiligen unter den Tisch
fallen zu lassen. Die Tat verlangt bekanntlich eine eindeutige
Direktive. Das, was wir mit den Texten auf den Weg bringen, wird sich
in nachkonziliarer Zeit immer mehr gegen die retardierenden Kräfte, die
sich auf die traditionskonformen Passagen beziehen, durchsetzen. Wir
können, darüber müssen wir uns im klaren sein, die innerkirchliche
Revolution auf dem Konzil nicht vollenden. Unsere Aufgabe ist es, sie
in Gang zu setzen, eine Lawine loszutreten, die sich aus ihrer inneren
Dynamik heraus in nachkonziliarer Zeit immer mehr vergrößert und
schließlich alles niederwalzt, was sich ihr in den Weg stellt. Die
Konzessionen, die wir machen müssen, werden die Revolution nicht
verhindern, sie werden den Prozeß nur verlangsamen.
Moderaturus: Kommen wir von den Methoden wieder zurück zu den Inhalten.
Du willst mir darlegen, mit welchen Schritten du die Kirche herabsetzen
und die anderen Religionen aufwerten willst. Was ist dein nächster
Schritt?
Revoluturus: Der nächste Schritt steht im Zeichen der Aufwertung der
anderen christlichen, insbesondere der protestantischen Denominationen;
er besteht in der Zuerkennung der Kirchlichkeit für diese. Dabei kommt
uns zustatten, daß das Kirchenrecht von 1917 die in der apostolischen
Sukzession stehenden orthodoxen Gemeinschaften als ecclesiae orientales
bezeichnet und damit von „Kirchen“ im Plural spricht.
Moderaturus: Du nennst ja selbst den entscheidenden Unterschied, denn
diese Gemeinschaften, die in der apostolischen Sukzession stehen, haben
bei ihrem Auszug aus dem Vaterhaus, der römisch-katholischen Kirche,
gültige Sakramente bewahrt. Davon kann bei den protestantischen
Gemeinschaften keine Rede sein.
Revoluturus: Natürlich werden wir nicht plump die protestantischen
Gemeinschaften „Kirchen“ nennen, vielmehr diesem Terminus einen zweiten
zur Seite stellen und in einem Atemzug von Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften sprechen. Dabei bleibt offen, auf welche Gruppierung die
erste bzw. die zweite Bezeichnung zutrifft. Das hat zwei Vorteile,
erstens gibt es nämlich protestantische Gruppierungen, welche die
Bezeichnung „Kirche“ für sich ablehnen und zweitens werden die
Konservativen die schwammige Bezeichnung „kirchliche Gemeinschaften“
auf die protestantischen Denominationen anwenden.
Dabei genügt es uns völlig, wenn es gelingt, protestantische
Gemeinschaften an einer einzigen Stelle als Kirchen anzuerkennen. Das
muß selbstverständlich mit der gebührenden Vorsicht geschehen, und
deshalb sagen wir unter der Überschrift Die getrennten Kirchen und
Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland: „Die Kirchen und Kirchlichen
Gemeinschaften, die in der schweren Krise, die im Abendland schon vom
Ende des Mittelalters ihren Ausgang genommen hat, oder auch in späterer
Zeit vom Römischen Apostolischen Stuhl getrennt wurden, sind mit der
katholischen Kirche durch das Band besonderer Verwandtschaft verbunden,
..."
Moderaturus: Nebenbei bemerkt, dient die Zuerkennung der Eigenschaft
„Kirchen“ zu sein nicht nur der Aufwertung der betreffenden
protestantischen Denominationen, sondern auch der Abwertung der
katholischen Kirche, denn dadurch wird ihre Eigenschaft, die einzige
Kirche zu sein, relativiert. Insofern rückst du durch diesen Gebrauch
des Plurals Kirchen zugleich die Wesenseigenschaft der Einheit der
Kirche ins Zwielicht, denn diese bedeutet auch Einzigkeit, und darüber
hinaus tangierst du auch noch ihre Katholizität, d.h. ihre
Allgemeinheit. Aber wie ich dich kenne, hast du mit dem Plural Kirchen
noch mehr vor.
Revoluturus (lacht): Du traust mir inzwischen wohl alles zu. Nun, der
nächste große Abwertungsschritt besteht darin, daß wir die Identität
der katholischen Kirche mit der Kirche Jesu Christi aushebeln.
Moderaturus: (schüttelt den Kopf) Jetzt ist dir wohl der Sinn für das
Erreichbare völlig abhanden gekommen. Hat nicht zuletzt noch Pius XII.
in seinen Enzykliken Mystici corporis und Humani generis die Identität
der Kirche Gottes mit der katholischen Kirche klipp und klar zum
Ausdruck gebracht? Du willst ja die Grundfesten der Kirche erschüttern.
Revoluturus: Mein Lieber, wenn ich von einem neuen Selbstverständnis
der Kirche spreche, dann meine ich damit einen ganz grundsätzlichen
Wandel. Ich lege die Axt an die Wurzel, und begnüge mich nicht damit,
einige Äste abzuschlagen.
Moderaturus: (entsetzt) Genau dieses Vorhaben hat Pius X. in seiner
Enzyklika Pascendi Dominici gregis als das Vorhaben der Feinde der
Kirche bezeichnet, insbesondere der Feinde, die sich in ihrem Inneren
befinden, nämlich unter den Laien und Klerikern, sagt er doch, daß
diese „... nicht an Äste und Zweige, sondern an die Wurzel ihre Hand
anlegen, an den Glauben und an die tiefsten Fasern des Glaubens. Ist
aber einmal diese Wurzel des Lebens getroffen, dann werden sie das Gift
durch den ganzen Baum verbreiten; kein Stück der katholischen Wahrheit
werden sie dann unberührt, keines unverdreht lassen wollen.“*
Da beruhigt es mich nur, daß dein Vorhaben, jene Identität aufzugeben, nicht mehrheitsfähig sein wird.
Revoluturus: Wenn ich so dumm wäre, meine Absicht auszuposaunen, dann
hätte ich allerdings keine Chance. Mir schwebt aber eine so geschickte
Formulierung vor, daß der Coup trotzdem gelingen wird.
Übrigens, da wir gerade bei der Sprache sind, werde ich dir zunächst
eine weitere Methode nennen, die wir uns zunutze machen werden. Wir
werden von der scholastischen Sprache unter dem scheinbar unschuldigen
Vorwand abgehen, daß das Konzil eine pastorale Zielsetzung hat und sich
den Menschen unserer Zeit verständlich machen will. Dafür, so werden
wir sagen, ist die theologische Fachsprache ungeeignet, weshalb wir sie
durch eine pastorale Sprache, also die Umgangssprache, ersetzen müssen.
Dieser Schachzug wird unsere Gegner verunsichern, denn in der
pastoralen Sprache sind die Grenzen zwischen wahr und falsch bei weitem
nicht so scharf wie in der scholastischen Sprache, in der sie sich seit
eh und ja bewegen. Die Biegsamkeit und Mehrdeutigkeit der
Umgangssprache werden wir weidlich ausnutzen, insbesondere an dieser
Stelle.
Moderaturus: Mit der Einführung mehrdeutiger Begriffe ist dein
Sündenregister der unlauteren Methoden weiter angewachsen; aber lassen
wir das einmal zur Seite. Sage mir endlich, welchen Ersatz du für die
Identität der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche schaffen
willst.
Revoluturus (schwankt bei seiner Argumentation zwischen der Ich-Form
und der Wir-Form, weil er seine Pläne formulieren und zugleich seinen
Freund für diese Pläne gewinnen will): Darüber habe ich lange Zeit
vergeblich nachgedacht. Die Lösung dieses Problems verdanke ich einem
jungen, ehrgeizigen Theologen namens Joseph Ratzinger, dem Berater von
Kardinal Frings, und dieser wiederum erhielt sie, dem Vernehmen nach,
von einem protestantischen Theologen. Danach werden wir die Identität
der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche durch die Aussage
ersetzen: „Diese Kirche [die Kirche Jesu Christi], in dieser Welt als
Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen
Kirche [subsistit in ecclesia catholica], die vom Nachfolger Petri und
von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird."
Moderaturus: Hm, klar und deutlich ist diese Aussage nicht, aber darin
liegt für dich ja wohl gerade ihr Vorteil. Jedenfalls machst du einen
Unterschied zwischen der katholischen Kirche und der Kirche Jesu
Christi. Willst du eigentlich sagen, die Kirche Jesu Christi ist nur
verwirklicht oder ist auch verwirklicht in der katholischen Kirche.
Revoluturus: „Ist nur verwirklicht“ will ich natürlich nicht sagen,
sonst könnte ich es ja gleich bei der Identität belassen. „Ist auch
verwirklicht“ möchte ich zwar sagen, kann es aber nicht, ohne auf
unüberwindlichen Widerstand zu stoßen. Also lasse ich es bei der
interpretationsfähigen Wendung „ist verwirklicht“, die wir Neuerer
natürlich später im Sinne von „ist auch verwirklicht“ interpretieren
werden. Damit sind wir übrigens auf eine weitere Methode gestoßen, die
wir für unsere Zwecke einsetzen werden, nämlich die Methode der
„offenen Formulierungen“. Dabei handelt es sich, wie schon der Name
sagt, um Formulierungen, die für verschiedene Interpretationen offen
sind.
Moderaturus: Zweifellos ist die Methode der offenen Formulierungen ein
Übel, nicht nur weil sie ebenfalls unter die unlauteren Methoden fällt,
sondern auch deshalb, weil sie Verwirrung stiftet. Ich sehe schon, die
Heilige Synode wird sich bei ihrer Textgestaltung gelegentlich sehr
unheilig gebärden.
Aber ich gebe zu, daß du jene Identität in einer Weise ersetzen willst,
welche die Kunst der Politiker, biegsam zu formulieren, noch
übertrifft. Diese Formulierung ist raffiniert, fast hätte ich gesagt
diabolisch-raffiniert. Dennoch rechne ich hier mit großen Widerstand.
Revoluturus: Den erwarte ich allerdings auch, aber es gibt drei
Umstände, die unserem Vorhaben im allgemeinen, also auch in diesem
Punkt, zustatten kommen. Wenn wir nämlich einmal die Konzilsväter unter
der Disjunktion konservativ - progressiv betrachten, dann lassen sie
sich in drei Gruppen einteilen, nämlich in die Gruppen der extrem
Konservativen, der extrem Progressiven und in die bei weitem größte
Gruppe der „Männer der Mitte“. Erfolg bzw. Mißerfolg der beiden
erstgenannten Gruppen wird davon abhängen, ob sie die „Männer der
Mitte“ mehrheitlich für sich gewinnen können.
Dabei kommt es uns sehr gelegen, daß wir, im Gegensatz zum
konservativen Flügel, über eine außerordentlich aktive Pressestelle
verfügen. Wir werden die Konzilsväter geradezu mit Flugblättern
bombardieren und diese werden ihre Wirkung nicht verfehlen. Auf diese
Weise ziehen wir die „Männer der Mitte“ immer mehr auf unsere Seite.
Bevor sich die Konservativen formieren, werden wir dadurch Erfolge
erzielen, auf denen wir weiter aufbauen können.
Der zweite Umstand, der mich hoffnungsvoll stimmt, ist die Einstellung
der Weltpresse. Sie steht natürlich auf unserer Seite und wird
erheblichen Druck auf die Versammlung ausüben. Sie wird ihr ständig in
den Ohren liegen mit den „Hoffnungen und Erwartungen der Welt, die das
Konzil nicht enttäuschen dürfe, wenn die Kirche von der Welt akzeptiert
werden will. Nur so könne sie die Menschen heute noch erreichen,
andernfalls würden sie der Kirche den Rücken kehren.“ Der dritte und
wichtigste Umstand, der für unseren Sieg über die Konservativen
spricht, ist die Haltung des Papstes, denn er steht im Grunde auf
unserer Seite, wenn er auch eine zu offensichtliche Parteinahme
vermeidet.
Moderaturus: Ob du mit Unterstützung dieser, für unser Vorhaben
zweifellos günstigen Umstände, die subsistit-in-Lehre durchsetzen
kannst, wird sich zeigen. Gesetzt, es gelänge; welche Konsequenzen
willst du aus ihr ziehen?
Revoluturus: Gestatte mir bitte, die Antwort ein wenig zurückzustellen.
Ich will dich zuvor mit einer neuen Strategie vertraut machen, mit
deren Hilfe wir zu einer gewaltigen Aufwertung der anderen christlichen
Denominationen, insbesondere der protestantischen Denominationen,
gelangen werden. Diese Strategie besteht in einer Uminterpretation
unseres Glaubens.
Moderaturus: Du bist doch ein unverbesserlicher Illusionist. Wie kannst
du denn hoffen, die „Männer der Mitte“, geschweige denn die
Konservativen, für eine Uminterpretation des Glaubens gewinnen zu
können? Dennoch will ich erst einmal von dir genauer erfahren, worauf
du überhaupt hinaus willst.
Revoluturus: Erinnerst du dich noch daran, daß wir uns gelegentlich
über die „Glaubensklötzchen“ der Konservativen lustig gemacht haben?
Moderaturus (erheitert): Allerdings, wir meinten damit, daß sie
peinlich genau darauf schauen, daß alle einzelnen Glaubenswahrheiten
geglaubt werden, also keine derselben relativiert oder gar geleugnet
wird. Ihr ganzes Denken dreht sich um die vollständige Bewahrung der
einzelnen Glaubenswahrheiten, das Glaubensganze spielt bei ihnen kaum
eine Rolle. Wegen dieser Fixierung auf die einzelnen Wahrheiten, die
sie geradezu wie Kinder ihre Holzklötzchen aneinanderreihen, sprachen
wir spöttisch von Glaubensklötzchen, die sie bewachen wie Fafner das
Gold der Nibelungen.
Revoluturus (sarkastisch): Aus ihrer atomistischen Vorstellung vom
Glauben, drehe ich ihnen einen Strick und werde sie so mit ihren
eigenen Waffen schlagen! Wir beide wissen ja, mein Freund, daß der
katholische Glaube sich nicht aus Glaubenswahrheiten zusammensetzt,
sondern ein unteilbares Ganzes ist. Die Rede von den Glaubenswahrheiten
bringt nämlich, bei Lichte besehen, zum Ausdruck, daß der Mensch dieses
Ganze jeweils unter einem bestimmten Aspekt betrachten kann, indem er
abstrahierend alle übrigen Aspekte ausblendet und den Inhalt des
betreffenden Aspektes als eine spezielle Glaubenswahrheit formuliert.
Aber die additistische Fehlvorstellung von der Glaubenswahrheit, die
freilich nicht nur bei den Konservativen verbreitet ist, kommt unserem
Vorhaben sehr zustatten.
Moderaturus: Das ist zwar wahr, aber du solltest bedenken, daß längst
nicht alle unsere Gegner additistisch denken, es unter ihnen vielmehr
zahlreiche Anwälte der Glaubenseinheit gibt und andere sind nur latent
in den Bahnen dieser Denkweise befangen.
Revoluturus: Deshalb müssen wir auch hier behutsam formulieren. Die
Mathematiker haben in ihrer Mengenlehre einen für unsere Zwecke
brauchbaren Begriff gebildet; sie sprechen nämlich von den Elementen
einer Menge und meinen damit diejenigen Objekte, die zu ihr gehören.
Daran orientieren wir uns und entwickeln eine Elemente-Theorie von der
Glaubenswahrheit, derzufolge sie aus Elementen besteht, ohne an die
große Glocke zu hängen, daß wir dadurch den Glauben eben doch in Teile
auflösen.
Der Terminus Elemente verdeckt zum Glück ein wenig diesen Tatbestand
und da nicht wenige unserer Gegner, sagen wir, „additistisch
angekränkelt“ sind, wird unsere Rechnung aufgehen.
Moderaturus: Nehmen wir einmal an, du hättest damit recht. Welches
Kapital gedenkst du denn aus deiner Elemente-Theorie von der
Glaubenswahrheit zu schlagen?
Revoluturus: Deine Frage freut mich sehr, denn sie bestätigt mir, daß
unsere Gegner nicht ahnen, welch ein Sprengstoff in dieser Lehre
steckt. Diese Lehre ist gleichsam das Trojanische Pferd, das wir in die
Stadt Gottes bringen werden. Glaube mir, ich werde ganz gewaltiges
Kapital aus ihr schlagen, und zwar in verschiedener Hinsicht. Um
sogleich auf das Wichtigste deinen Blick zu lenken, beantworte mir
bitte folgende Frage: Warum hat die katholische Kirche es bisher
abgelehnt anzuerkennen, daß sie Gemeinsamkeiten mit den
protestantischen Gemeinschaften besitzt und warum hat sie sich stets
als getrennt von ihnen verstanden?
Moderaturus: Der Grund war der innere Zusammenhang aller Glaubenssätze,
die Glaubenseinheit, derzufolge die Glaubenssätze Aspekte eines
unteilbaren Ganzen sind, wie du richtig sagtest. Alles, was der
Protestantismus an in sich Richtigem lehrt, ist, weil auch in dessen
System alle Aussagen miteinander verbunden sind, durch die Irrtümer
dieser Glaubenslehre insofern entwertet, als sie anstelle ihres
positiven einen zwiespältigen Wahrheitswert erhalten. Man darf sich
eben nicht von dem Trugbild gleichlautender Aussagen blenden lassen.
Deshalb sprachen schon die Kirchenväter von der Reinigungsbedürftigkeit
alles dessen, was in religiösen Lehren außerhalb der katholischen
Kirche, für sich betrachtet, richtig ist.
Revoluturus: Du benennst genau die Schwierigkeit, die sich uns in den
Weg stellt, wenn wir, von Gemeinsamkeiten mit dem Protestantismus
sprechen wollen, was aber für unser Vorhaben, sich diesem anzunähern,
unverzichtbar ist. Deshalb hilft es nichts, wir müssen an dieser Stelle
wieder einmal zweigleisig fahren. In der einen Textpassage formulieren
wir Aussagen, die im Sinne der Kirchenväter jene
Reinigungsbedürftigkeit zum Ausdruck bringen, in einer anderen lassen
wir sie aber unter den Tisch fallen und an diese knüpfen wir später an,
insbesondere dort, wo es uns darum geht, einen völlig neuen Ökumenismus
zu etablieren. So werden wir verallgemeinernd sagen: „Was an Gutem in
Herz und Sinn der Menschen oder auch in den jeweiligen Riten und
Kulturen keimhaft angelegt ist, wird folglich [durch die katholische
Kirche] nicht bloß nicht zerstört, sondern gesund gemacht, über sich
hinausgehoben und vollendet zur Herrlichkeit Gottes, zur Beschämung des
Satans und zur Seligkeit des Menschen." Andererseits wirst du aber die
folgende Aussage finden, welche die Reinigungsbedürftigkeit
unterschlägt: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was
in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ An dem, was wahr und heilig
ist, gibt es nichts gesund zu machen und zu reinigen. Diese Aussage
werden wir unserem neuen Ökumenismus zugrunde legen und natürlich nicht
die erstgenannte, die ihm den Boden entziehen würde. Du wirst sehen, in
nachkonziliarer Zeit kräht kein Hahn mehr nach der
Reinigungsbedürftigkeit.
Moderaturus: Du bedienst dich also unredlicherweise eines Trugbildes,
nämlich, wie gesagt, des Trugbildes gleichlautender Sätze, um deinen
neuen Ökumenismus, den du mir noch erklären mußt, verwirklichen zu
können. Doch möchte ich zunächst wissen, was dich zu der Hoffnung
berechtigt zu meinen, daß jener Widerspruch unbemerkt bleibt.
Revoluturus: Zwei derartige Sätze dürfen natürlich nicht nahe
beieinander stehen und die zweite Aussage muß, wie immer bei unseren
„Querschlägern“, in ein traditionstreu klingendes Umfeld eingebettet
sein. Deshalb werden wir diese konträren Aussagen in zwei getrennten
Dokumenten unterbringen, was ein ausreichender „Puffer“ sein dürfte.
Abgesehen davon, werden es unsere Gegner in dieser Sache kaum auf eine
argumentative Auseinandersetzung ankommen lassen, denn soweit ich sehe,
ist es der Kirchenphilosophie bis heute nicht gelungen, jene
Reinigungsbedürftigkeit philosophisch zu untermauern, ganz abgesehen
davon, daß diese Philosophie seit langer Zeit kraftlos vor sich
hindämmert. Wenn sie die Reinigungsbedürftigkeit verteidigen wollen,
kommen sie in Argumentationsnot.
Moderaturus: Hm, schon möglich, aber was willst du denn mit der Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit nun konkret anfangen?
Revoluturus: Ich werde sie, wie gesagt, in mehrfacher Hinsicht
auswerten, nämlich im Hinblick auf unseren Glauben, im Hinblick auf die
anderen christlichen Religionen und schließlich auch noch über das
Christentum hinaus. Doch sprechen wir zunächst über die Folgen für
unseren Glauben. Die Umdeutung ins Quantitative, die der Glaube als
Ganzes durch diese Theorie erfährt, wirkt sich auf zentrale Begriffe
desselben aus, indem diese ebenfalls ins Quantitative umgedeutet
werden. Ich will dir das am Begriff der Fülle des katholischen Glaubens
erläutern. Fülle ist, darüber sind wir uns ja im klaren, nur eine
Bezeichnung für die Totalität der Glaubenswahrheit. Im Verständnis der
Elemente-Theorie hingegen, bedeutet Fülle den vollständigen Besitz
aller einzelnen, besser gesagt, aller vereinzelten Glaubenswahrheiten.
So wird es heißen: „Denn einzig dem Apostelkollegium, an dessen Spitze
Petrus steht, hat der Herr, so glauben wir, alle Güter des neuen Bundes
anvertraut.“
Moderaturus: Jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst. Durch die
quantitative Uminterpretation des Begriffs der Fülle, sind die
christlichen Denominationen hinsichtlich des Besitzes der
Glaubenswahrheit nur noch quantitativ voneinander unterschieden, die
katholische Kirche besitzt alle Glaubenswahrheiten und alle anderen
christlichen Denominationen besitzen sie in geringerem Maße. Auf diese
Weise machst du aus dem qualitativen Gegensatz wahr - falsch, den bloß
quantitativen Unterschied vollständig - unvollständig. Von
Reinigungsbedürftigkeit des in sich Richtigen in irrtumsbehafteten
Religionssystemen kann dann keine Rede mehr sein, denn sie fällt bei
der Elemente-Theorie, welche die Glaubenswahrheiten als nebeneinander
bestehend versteht, unter den Tisch.
Revoluturus: Genau, dieser ins Quantitative uminterpretierte Begriff
der Fülle erweist sich also als ein mächtiges Instrument zur Aufwertung
insbesondere der protestantischen Denominationen, und er befördert
damit zugleich unsere Annäherung an diese. Solange nämlich, wie in der
überlieferten Lehre, alle Glaubenswahrheiten miteinander verbunden
sind, gibt es im Grunde keine Gemeinsamkeit mit dem Protestantismus,
weil alles für sich betrachtet Richtige in diesem System an
Glaubensirrtümer gebunden und insofern entwertet ist. Infolge dieser
Entwertung kann von Gemeinsamkeit keine Rede sein.
Wenn wir aber, mittels der Elemente-Theorie, sowohl unseren als auch
den protestantischen Glauben in Partikel auflösen, dann gibt es viele
übereinstimmende Glaubenspartikel und mit diesen gewinnen wir die
Gemeinsamkeiten, die wir für unseren neuen Ökumenismus brauchen.
Gemeinsamkeiten, mein Freund, wird das große Zauberwort sein, mit dem
wir in nachkonziliarer Zeit die Annäherung an die anderen Religionen
immer weiter vorantreiben werden. Der Zauberkraft dieses Wortes werden
sich die weitaus meisten, Kleriker wie Laien, nicht entziehen können.
(Boshaft) Im Einsatz gegen unsere Gegner, die Vorbehalte gegen die
Verständigung mit den anderen Religionen haben, werden wir diesen
Begriff als Schlagwort benutzen, und sie können sich seiner Schläge
nicht erwehren, weil sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der
Gemeinsamkeitsproblematik argumentativ nicht gewachsen sind. Übrigens
sind Schlagworte ein wirkungsvolles Instrument in unserer Hand, weil
sie bei den von den Medien beeinflußten Menschen signalhaft die
Emotionen erzeugen, die wir erzeugen wollen.
Wie du siehst, wird uns die Ankopplung an den Protestantismus und
anschließend auch an die nichtchristlichen Denominationen über eine
neue philosophische Lehre gelingen, denn die Elemente-Theorie ist eine
philosophische Systemtheorie, die wir auf die Theologie anwenden. Aber
es kommt noch besser, denn wir werden die Elemente-Theorie nicht nur
auf die Lehre anwenden, sondern auch auf den sakramentalen Bereich.
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