INKONSEQUENZEN, INKONSEQUENZEN...
Vor einigen Jahren kam in einem Gespräch, welches ich mit einem
Bekannten führte, die Rede auf das Verhalten von Personen, die
einerseits zwar gewisse Erscheinungen mit Recht kritisieren, die es
aber andererseits unterlassen, daraus bestimmte Konsequenzen für ihr
eigenes Vorgehen zu ziehen. Der Bekannte berichtete von einem General
im Zweiten Weltkrieg, der bekannt für seine oppositionelle Haltung
gegenüber Hitler war. Als eines Tages junge Offiziere, die ebenfalls in
kritischer Distanz zu dem 'Führer' standen, zu dessen Truppenteil
versetzt wurden und um die Einstellung ihres Kommandeurs wußten, nahmen
sie an, ihrem Ärger über Hitler einfach freien Lauf lassen zu können.
Der betreffende General ließ sie bald zu sich zitieren und machte sie
darauf aufmerksam, daß es nicht darum ginge, bloß "herumzumeckern".
Wenn sie, die jungen Offiziere, davon überzeugt seien, daß Hitler
unrechtmäßig im Amt sei, dann müßten sie dies auch in aller Klarheit
behaupten und alles daran setzen, ihn daraus zu vertreiben und notfalls
seinen Kopf fordern müßten, wobei sie sich aber bewußt sein sollten,
daß sie dann auch ihren eigenen riskierten. Ansonsten hätten sie
letztlich loyal zu sein.
An dieses Gespräch fühlte ich mich erinnert, als ich letztes Jahr einen
Briefwechsel zwischen M. Lefebvre und 'Kard.' Ratzinger las, den der
erstere in der Absicht veröffentlicht hatte (im MITTEILUNGSBLATT der
Bruderschaft vom Okt. 1985, S.8 ff), seinen Anhängern über den Stand
der Verhandlungen mit "Rom" - was immer das auch meinen soll in
concreto - zu berichten. Ohne sich wahrscheinlich darüber im klaren zu
sein, deckte darin der Chef von Econe selbst in dankenswerter Klarheit
all jene Inkonsequenzen auf, auf die wir immer wieder hingewiesen
haben. Und es liegt in der Konsequenz dieser Inkonsequenzen, daß
Ratzinger genau den inneren Widerspruch der lefebvreischen Position
herausgreift, um Econes Bemühungen um eine sog. 'kirchenrechtliche'
Anerkennung durch die sog. 'Reformkirche' wieder einmal zurückzuweisen.
Im folgenden veröffentlichen wir zunächst die beiden Briefe und geben
im Anschluß daran Ausschnitte eines Artikels von H.H. Pater Groß wieder
(vgl. KE von 1985, Nr.3, S.15 f.), der in aller Schärfe die
widersprüchlichen Positionen beider Kontrahenten aufzeigt.
Eberhard Heller
***
Mgr. Lefebvre an 'Kard.' Ratzinger:
Eminenz !
Econe, den 17. April 1985
In Ihrem letzten Brief unter dem Datum des 2o.7.1983 fassen Sie die
Möglichkeit ins Auge, die sachbezogenen Ausdrücke der vorgeschlagenen
Erklärung, enthalten in Ihrem Brief vom 23. Dezember 1982, abzuändern
und gegebenenfalls den neuen Vorschlägen anzufügen. Die folgende
Antwort entspricht diesem Anerbieten.
In diesem Zusammenhang scheint es mir unabdingbar, die Erklärung nicht
von den ihr folgenden Bemerkungen zu trennen, um ihren vollen
praktischen Gehalt herauszustellen und so unsere Haltung zu verstehen,
die nichts zu tun hat mit Abspaltung oder Rebellion, die vielmehr den
Fall einer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an das Lehramt der Kirche
darstellt, das uns durch gewisse Konzilsdokumente in Frage gestellt zu
sein scheint. Dies hat übrigens auch zur Abfassung des "Offenen
Briefes" von Bischof Antonio de Castro Mayer und mir selbst unter dem
Datum des 21. November 1983 geführt.
Hier also zunächst die vorgeschlagene Erklärung:
"Wir haben immer erklärt und wir
erklären, die Texte des Konzils gemäß dem Kriterium der Tradition, d.h.
gemäß dem überlieferten Lehramt der Kirche anzunehmen. Wir haben nie
behauptet und wir behaupten nicht, daß der Novus Ordo Missae, gefeiert
gemäß dem Ritus, wie er sich in der römischen Ausgabe findet, in sich
ungültig oder häretisch ist."
Man erlaube uns einige Bemerkungen, die aus dieser Erklärung hervorgehen
oder sie klärend erweitern:
1. Wir sehen die Erklärung über die Religionsfreiheit als dem Lehramt
der Kirche entgegenstehend an; darum bitten wir um die völlige
Überarbeitung dieses Textes. In gleicher Weise halten wir weitreichende
Überarbeitungen der Dokumente wie "Die Kirche in der modernen Welt",
"Die nichtchristlichen Religionen", "Der Ökumenismus" für unabdingbar;
ebenso Richtigstellungen in zahlreichen Texten, die Anlaß zur
Verwirrung bieten. Ebenso ist der neue Kodex des Kirchenrechtes an
mehreren Stellen von vorrangiger Bedeutung unannehmbar aufgrund seines
Gegensatzes zu dem, was die Kirche in ihrem Lehramt als endgültig
definiert hat.
2. Wir sehen, wie die Liturgiereform beeinflußt worden ist durch den
Ökumenismus mit den Protestanten und aus dieser Tatsache heraus eine
sehr schwere Gefahr darstellt für den katholischen Glauben; darum
bitten wir, die Reform vollkommen zu überarbeiten und ausdrücklich die
katholischen Dogmen herauszustellen nach dem Vorbild der Messe aller
Zeiten.
3. Angesichts des ungeheuren Vorrückens des atheistischen Kommunismus
und Sozialismus, der Zerstörer aller menschlichen und christlichen
Werte, bitten wir nachdrücklich, diese teuflischen Lehren und
Unternehmungen öffentlich zu verurteilen und die katholischen Staaten
zu ermutigen, die katholische Religion als alleinige offizielle
Religion anzuerkennen mit allen heilsamen Konsequenzen dieser Erklärung
in ihren Verfassungen.
Schiene es darüber hinaus nicht angemessen, dem ausdrücklichen Wunsch
der Muttergottes in Fatima Folge zu leisten und Rußland in namentlicher
Erwähnung ihrem Unbefleckten Herzen zu weihen zu dem Ziel, diesem
höllischen Ansturm ein Ende zu bereiten?
Des weiteren glauben wir von der Überzeugung getragen, der Kirche und
dem Nachfolger Petri einen ausgezeichneten Dienst zu erweisen durch die
Aufrechterhaltung der Tradition der Kirche in Lehre, Seelsorge und
Liturgie, daß dieser Dienst noch weit wirkungsvoller wäre, wenn wir ihn
unter den folgenden Bedingungen leisten könnten:
1. Man gebe uns die offizielle Anerkennung wieder, wie sie für uns von
197o bis 1975 bestanden hat; man anerkenne die Bruderschaft als
pontifikalen Rechts angesichts ihres Fußfassens in zahlreichen Diözesen
der Welt.
2. Aufgrund einer solchen Anerkennung sollen die Sanktionen nicht mehr erwähnt werden.
3. Das Benützen der vier liturgischen Bücher, die Papst Johannes XXIII. neu herausgegeben hat, möge uns anerkannt werden.
4. Um mich in meinen bischöflichen Funktionen in der Bruderschaft und
ihren über die Welt zerstreuten Werken zu ersetzen, soll der
Generalobere "ternae" (d.i. die Nennung von drei Kandidaten für das
Bischofsamt, aus denen dann 'Rom' einen zur Weihe auswählen kann; Anm.
d.Red.) einreichen können für die Ernennung von zwei oder drei
Bischöfen, und dies ab sofort.
5. Die Bruderschaft ihrerseits bemüht sich, dem Ruf jener Bischöfe
Folge zu leisten, die das Apostolat ihrer Mitglieder schätzen. In der
Hoffnung, daß dieser Brief als ein erneuter Versuch zu einer
glücklichen Lösung betrachtet werde, bitte ich Sie, Eminenz, meine
ehrfurchtsvollen und brüderlichen Grüße in Christo et Maria
entgegenzunehmen.
+ Marcel Lefebvre
Alterzbischof von Tulle
***
'Kard.' Ratzinger an Mgr. Lefebvre:
Exzellenz!
Rom, den 29. Mai 1985
Der hochwürdigste apostolische Nuntius in der Schweiz hat mir Ihren
Brief mit Datum vom 17. April zukommen lassen. Ich danke Ihnen dafür.
Ich habe ihn mit größter Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, zumal
ich ihn als Fortsetzung unserer Unterhaltung vom 2o. Januar 1985
betrachte.
Im letzten Teil dieses Briefes führen Sie fünf konkrete Vorschläge an,
um die kirchenrechtliche Situation der Bruderschaft St. Pius X. zu
regularisieren. Ohne Zweifel handelt es sich hier um ein
wünschenswertes Ziel, das in der Vergangenheit schon oft ins Auge
gefaßt worden ist. Zuvor wäre es gut, wenn die augenblickliche Lage
(errichtete Häuser, Art und Zahl der Mitglieder etc.) dem Heiligen
Stuhl besser bekannt wäre; darum wäre es wünschenswert, daß Sie mir
über diesen Punkt genaue Angaben zukommen lassen könnten.
Diese kirchenrechtliche Bereinigung hat indes eine vorausgehende
Bedingung, die Ihnen wohlbekannt ist: eine Erklärung, von Ihnen selbst
und den Mitgliedern Ihrer Bruderschaft unterzeichnet. In Ihrem Brief
vom 17. April, S.l, schlagen Sie eine äußerst kurze Fassung vor, die in
sich annehmbar wäre, die es aber leider nicht mehr ist in Verbindung
mit den Anmerkungen der S.2, die gemäß Ihren Ausführungen aus ihr
hervorgehen und sie erklärend erweitern.
Tatsächlich erklären Sie im ersten Punkt, "die Texte des Konzils gemäß
dem Kriterium der Tradition anzunehmen; d.h. gemäß dem überlieferten
Lehramt der Kirche". Aber die Anmerkungen verlangen dann nicht nur
weitreichende Überarbeitungen mehrerer Konzilsdokumente, sondern sogar
eine völlige Überarbeitung der Erklärung über die Religionsfreiheit,
die "als dem Lehramt der Kirche entgegenstehend" betrachtet wird. Ich
kann hier nur wiederholen, was ich Ihnen im Namen des Heiligen Vaters
in meinem Brief vom 2o. Juli 1983 (S.3) schrieb: "Sie können den Wunsch
nach einer Erklärung oder einer erklärenden Entfaltung zu diesem oder
jenem Punkt zum Ausdruck bringen. Aber Sie können nicht die
Unvereinbarkeit von Konzilstexten - die lehramtliche Texte sind - mit
dem Lehramt und der Tradition behaupten". Dasselbe gilt hinsichtlich
der neuartigen und besonders schwerwiegenden Anklage, die Sie gegen den
neuen Kodex des Kirchenrechtes vorbringen, den Papst Johannes Paul II.
in der Fülle seiner Autorität veröffentlicht hat.
Im zweiten Punkt erklären Sie, nicht zu behaupten, "daß der Novus Ordo
Missae, gefeiert gemäß dem Ritus, wie er sich in der römischen Ausgabe
findet, in sich ungültig oder häretisch sei." Dessen ungeachtet halten
Sie in Ihrer zweiten Anmerkung beträchtliche Anklagen gegenüber der
Liturgiereform aufrecht, die "eine sehr schwere Gefahr für den
katholischen Glauben" darstelle. Noch einmal kann ich Sie nur hinweisen
auf das, was ich Ihnen in dem bereits angeführten Brief (S.l und S.2)
geschrieben habe, insbesondere dieses: "(...) den Wunsch nach einer
neuen Überarbeitung zum Ausdruck zu bringen ist möglich (...). Aber
dies unter der Bedingung, daß die Kritik nicht am Gehorsam hindert oder
diesen zerstört und daß sie nicht die Rechtmäßigkeit der Liturgie der
Kirche in Zweifel zieht".
Exzellenz, ich hätte gewünscht, Ihnen schon jetzt, und zwar von Seiten
des Obersten Hirten, eine günstigere Antwort zukommen zu lassen und
ohne weiteren Verzug die Inangriffnahme eines Prozesses der
kirchenrechtlichen Bereinigung ins Auge fassen zu können, der so oft
schon zwischen uns mündlich und schriftlich zur Sprache kam. Mit
Bedauern stelle ich fest, daß dies noch nicht möglich ist. Nach meinem
Gewissen muß ich Ihnen ein weiteres Nachdenken im Angesichte des Herrn
Jesus und der Jungfrau Maria, Mutter der Kirche, nahelegen.
Seien Sie jedoch wenigstens dessen versichert, daß ich in diesem ganz
besonderen Anliegen mein Gebet mit dem Ihrigen vereinige. Wollen Sie
den Ausdruck meiner frommen und hochachtungsvollen Ergebenheit
entgegennehmen.
Joseph Kardinal Ratzinger
***
Aus dem Artikel von H.H. Pater Groß: "Statt logischer Argumente und
fairer Diskussion - Verhöhnung"; KE Nr.3, 1985, in dem Pater Groß auf
bestimmte Äußerungen von Herrn Natterer, einem der Econer
Distriktsoberen, eingeht (S.15 f.):
"Die Konzilspäpste geben sich mit solcher Art 'Anerkennung' (d.h.
einerseits Anerkennung der gültigen Amtsinhabe des Papsttums von
Montini, Luciani und Wojtyla, andererseits aber Verweigerung des
Gehorsams gegenüber den Anordnungen und Bestimmungen der genannten
Herren, die Econe als rechtmäßige Päpste anerkennt; Anm.d.Red.) nicht
zufrieden. J.B. Montini kämpfte gegen Mgr. Lefebvre - und machte ihn
dadurch erst weltweit bekannt. K. Wojtyla läßt ihn, taktisch viel
geschickter, von sich aus in Ruhe. Mgr. Lefebvre und die Bruderschaft
sind so unbedeutend, daß sie seine Stellung nicht gefährden können. Nur
weil Mgr. Lefebvre einen anerkannten Status in der Konzilskirche
anstrebt, befaßt er sich mit ihm.
Damals wie jetzt ergibt sich dabei folgende verdrehte Situation:
Die apostatische Konzilskirche dringt auf Glaubens- und praktischen
Gehorsam und beruft sich dabei zu Unrecht auf die Glaubenswahrheit von
der Autorität des Hirten- und Lehramtes. Mgr. Lefebvre weigert sich,
Irrlehren zu glauben und sich an der Zerstörung der Liturgie zu
beteiligen usw., und beruft sich dabei zu Unrecht auf die Häresie, man
brauche dem Papst nicht zu gehorchen - wenigstens, wenn man als Bischof
zu diesem Urteil kommt. (...) So werden (die Anhänger von Mgr.
Lefebvre, die bei ihm die Erhaltung der Liturgie und des wahren
Glaubens erwarten), dazu gebracht, eine besonders 'gründliche' Häresie
- das Papsttum ist schließlich der Felsengrund, auf dem Christus seine
Kirche gebaut hat - für eine offenbarte Wahrheit zu halten. Das ist
relativ schlimmer als das, was das Konzil tatsächlich angerichtet hat.
(...) Sein Ziel war natürlich, alle Katholiken zu ungläubigen Liberalen
zu machen. Das hat es nicht erreicht. Viele von denen, die ihm
widerstanden haben, fielen dann aber der irrgläubigen Papsttheorie Mgr.
Lefebvres zum Opfer.
Mgr. Lefebvre hat gesagt: 'Satans Meisterstück wird es demnach sein,
die revolutionären Grundsätze, die die kirchliche Autorität selbst
bereits in die Kirche eingeführt hat, weiter auszubreiten' (MB Nr.15,
S.4). Satans Supermeisterstück war es, Erzbischof Lefebvre meinen zu
machen, es sei die wahre und rechtmäßige kirchliche Autorität gewesen,
die das getan hat; ihn meinen zu machen, das sei möglich trotz der
Zusage unseres Herrn Jesus Christus: 'Was auch immer du auf Erden
binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was auch immer
du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein."
Nachtrag:
Als Fortführung des Dialogs und als Antwort auf ein Schreiben an
'Kard.' Ratzinger vom 31.8.1985, welches von Mgr. Lefebvre zusammen mit
Mgr. de Castro Mayer unterzeichnet worden war, hat sich Ratzinger
erneut brieflich an den Chef von Econe gewandt. Die Antwort aus Rom,
von Ratzinger am 2o.1.1986 verfaßt, wurde jetzt im MITTEILUNGSBLATT der
Bruderschaft, Nr.89 vom Mai 1986, veröffentlicht. Sie ist ein solches
Meisterwerk an Verschleierung, daß wir es für angebracht halten, sie
hier als Nachtrag zu veröffentlichen. Zugleich zeigt sie überdeutlich,
wie Mgr. Lefebvre, der in Sachen der Wahrheit zu taktischen Finessen
glaubte greifen zu müssen, gerade dadurch taktisch ins Hintertreffen
geraten ist. Denn jeder, der den Brief unvoreingenommen liest, wird
feststellen können, daß es Ratzinger 'gelungen' ist, an Hand von Texten
nachzuweisen, daß das Dekret "Unitatis Redintegratio" in der Tradition
von "Mortalium animos" eines Pius XI. steht, daß Vatikanum 2 kein Bruch
mit ihr bedeutet, sondern nur ihre lebendige Kontinuität durch die
heutige veränderte Welt darstellt.... Da kann man nur Beifall auf
offener Szene klatschen.
E. Heller
***
'Kard.' Ratzinger an Mgr. Lefebvre:
Exzellenz!
Rom, am 2o. Januar 1986
Wie ich Ihnen am 14. November vorigen Jahres geschrieben habe, wurde
Ihr Brief mit Datum vom 31. August 1985, mitgezeichnet von Seiner
Exzellenz Mgr. Antonio de Castro Maer, auf meine Veranlassung dem
Heiligen Vater übermittelt. Nachdem ihn der Papst gelesen hatte,
beauftragte er mich sogleich, Ihnen in seinem Namen zu antworten.
Gleichwohl verzögerte Ihr jüngster Aufenthalt außerhalb Europas die
vorliegende Antwort, da sie Ihnen persönlich zu übergeben war.
Der Heilige Vater weiß Ihre Wünsche und Ihre Gebete für die
Außerordentliche Synode zu würdigen. Ebenso hat er die Überlegungen
aufmerksam zur Kenntnis genommen, die Sie ihm bei dieser Gelegenheit
hinsichtlich der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere
bezüglich der Religionsfreiheit und des Ökumenismus vorgetragen haben.
Es sind im übrigen Gesichtspunkte, zu deren Darlegung Sie in
verschiedener Form und zu wiederholten Malen Gelegenheit genommen
hatten.
Was die Religionsfreiheit anbelangt, hat die Kongregation für die
Glaubenslehre das Studium der "dubia", die Sie ihr vorgelegt hatten, in
Angriff genommen. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß das Zweite
Vatikanische Konzil die Lehre der Kirche in diesem Punkt nur
weiterentwickelt, aber nicht geändert hat. Denn es bekräftigt in der
Erklärung "Dignitatis Humanae" von Anfang an, daß es "die heilige
Tradition und die heilige Lehre der Kirche eingehend erforscht und
daraus in ständigem Einklang mit dem Alten Neues hervorholt." Danach
stellt es den fundamentalen Grundsatz auf, daß "Gott selbst dem
Menschengeschlecht die Erkenntnis des Weges verliehen hat, auf dem die
Menschen, wenn sie Ihm dienen, in Christus das Heil wirken und zur
Glückseligkeit gelangen. Diese einzige und wahre Religion (...) ist in
der katholischen und apostolischen Kirche vorhanden. (...) Andererseits
sind alle Menschen verpflichtet, die Wahrheit zu suchen, besonders, was
Gott und seine Kirche anbelangt, und, wenn sie sie erkannt haben, sie
aufzunehmen und ihr treu zu sein" (Nr.l).*) Darin wird man sicher nicht
die Grundlagen eines religiösen Indifferentismus finden, der den
katholischen Glauben zum Ruin führen würde. Wenn die Erklärung ferner
noch andere Einzelheiten darüber enthält, in welcher Weise jeder "die
Pflicht und das Recht hat, im Bereich der Religion die Wahrheit zu
suchen, um sich in Klugheit ein rechtes, wahres Gewissensurteil zu
bilden" (Nr. 3), dann tut sie nichts anderes als in Kontinuität eine
Lehre weiterzuentwickeln nach den schon vom hl. Vinzenz von Lerin in
klassisch gewordenen Sätzen ausgedrückten Regeln: "innerhalb derselben
Ordnung, desselben Dogmas, desselben Sinnes und derselben Lehre"
(Commonitorium, Kap. 23, P.L. 5o,668).
Dieselben Bemerkungen können auf die Lehre und die Praxis des
Ökumenismus angewendet werden, den Sie ebenso in Frage stellen. Die
Enzyklika Pius' XI. "Mortalium animos" verwirft zu Recht die Tendenz,
die Einheit mit den getrennten christlichen Konfessionen auf Kosten der
Wahrheit der Lehre im Handeln zu suchen. Das Dekret "Unitatis
Redintegratio" bewegt sich auf derselben Linie, wenn es darin zum
Beispiel heißt, daß "die ganze Fülle der Mittel zum Heil einzig durch
die katholische Kirche Christi erlangt werden kann, die das allgemeine
Mittel zum Heil ist. Denn allein dem Apostelkollegium, dessen Oberhaupt
Petrus ist, sind nach unserem Glauben alle Reichtümer des Neuen Bundes
anvertraut worden, um auf Erden einen einzigen Leib Christi zu
begründen, dem alle jene eingegliedert werden müssen, die in gewisser
Weise schon zum Volk Gottes gehören" (Nr.3).*)
Sicherlich können Sie hinsichtlich gewisser Auslegungen, die von
verschiedenen Konzilstexten gegeben wurden, Besorgnisse äußern. Sie
können auch berechtigte Kritik an diesen Auslegungen üben. Aber es ist
nicht möglich, daß Sie die authentische Lehre des Zweiten ökumenischen
Vatikanischen Konzils wieder in Frage stellen, dessen Texte
lehramtlichen Charakter haben und die die größte lehrmäßige Autorität
besitzen.
Das ist auch der Grund, weshalb man nicht ins Auge fassen kann, daß die
Außerordentliche Synode die Lehren dieses ökumenischen Konzils in einem
oder dem anderen Punkt abändert oder aufhebt. Der Heilige Vater hat ihr
übrigens ein begrenzteres Ziel festgesetzt: eine Rückkehr zu den
Quellen des Konzils zu sein, nicht nur um seine Atmosphäre der
kirchlichen Gemeinschaft wiederzubeleben, sondern auch um die
Erfahrungen und Informationen über seine Anwendung auszutauschen und
schließlich um seine weitere Vertiefung und seine dauernde Einfügung in
das Leben der Kirche zu fördern (vgl. Allokution vom 25. Januar 1985).
Wie die Schlußbotschaft und der offizielle Bericht zeigen, hat sich die
Synode bemüht, gerade das zu verwirklichen: im Gebet, in der
Gelehrigkeit gegenüber dem Heiligen Geist und im Vereintsein mit dem
Nachfolger des hl. Petrus.
Schließlich bittet der Heilige Vater, der eine eventuelle Absicht, die
Sie am Ende Ihres Briefes aussprechen, nicht zu bemerken verfehlt hat,
nämlich "alle notwendigen Beschlüsse zu fassen, damit die Kirche einen
dem katholischen Glauben treuen Klerus behält", Sie - und das mit dem
äußersten Ernst -, keinen Akt vollziehen, der einen endgültigen Bruch
mit der Gemeinschaft der Kirche bedeuten würde.
Sie wissen, Exzellenz, der Heilige Vater läßt nicht ab, Ihrer in seinem
Gebet zu gedenken. Erlauben Sie mir, Ihnen auch von meiner Seite
dasselbe zu versichern und Ihnen meine respektvollst ergebenen Gefühle
im Herrn zum Ausdruck zu bringen.
Joseph Kardinal Ratzinger
***
*) Anmerkung der Redaktion des MITTEILUNGSBLATTES:
Dieser lediglich als Feigenblatt eingefügte Konzilstext steht gerade im
Widerspruch mit dieser Grundsatzerklärung nach dem römisch gewordenen
Usus der reinen "Stilklausel", die man zur Vermeidung von Vorwürfen
einfügt, an die man sich aber in der Folge keineswegs hält. Dieser Usus
scheint, jedoch nur für Ausnahmefälle, durch Leo XIII. eingeführt
worden zu sein; gleichsam gewohnheitsmäßig wurde er nach dem Tod Pius
XII. im Jahre 1958. Siehe dazu auch Erzbischof Lefebvre selbst in
"Meine drei Kriege", Mitteilungsblatt Nr.88, April 1986, S.29 rechts:
"Der Papst ließ diese beiden kleinen Texte einfügen, die mit dem ganzen
Text über die Religionsfreiheit in Widerspruch stehen. Doch er tat
dies, um zu versuchen, die zum Nachgeben zu bringen, die sich dem
Dekret widersetzten." (Anm.d.Red. EINSICHT: Wenn ein Dokument sich
widersprechende Aussagen enthält, kann man immer sehr leicht die einem
nützliche Position vertreten, und dies wechselweise, je nach Bedarf.)
Anmerkung:
Ich möchte Herrn Prof. Ratzinger fragen, wie er in folgenden Äußerungen
von Mgr. Wojtyla eine Weiterentwicklung der Lehre in der Kontinuität zu
der Enzyklika "Mortalium ·nimos" sehen kann: "Die Frucht des Dialogs
(zwischen verschiedenen Religionen) ist die Einheit zwischen den
Menschen und die Einheit der Menschen mit Gott." (So gesagt auf seiner
Indienreise in Madras.) - "Dank dieser Einheit können wir uns zusammen
dem großartigen Erbe des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen
Religionen kundgetan hat, wie die Erklärung Nostra Aetate des II.
Vatikanischen Konzils'sagt" - nach Ratzinger: unfehlbar!. Dank dieser
Einheit nähern wir uns gleichzeitig allen Kulturen, allen
Weltanschauungen und allen Menschen guten Willens." (Enzyklika
"Redemptor hominis", 12)
Dagegen heißt es in "Mortalium ·nimos": "Zu diesem Zwecke halten sie
vor einer zahlreichen Zuhörerschaft Konferenzen, Versammlungen und
Vorträge, zu denen sie alle ohne Unterschied zur Aussprache einladen:
Heiden jeder Art und Christen, und endlich auch jene, die
unseligerweise von Christus abgefallen sind oder die Seine göttliche
Natur und Seine göttliche Sendung erbittert und hartnäckig bekämpfen.
Derartige Versuche können von den Katholiken in keiner Weise gebilligt
werden. Sie gehen ja von der falschen Meinung jener aus, die da
glauben, alle Religionen seien gleich gut und lobenswert, weil alle,
wenn auch in verschiedenen Formen, doch gleichermaßen dem uns
angeborenen und natürlichen Sinn Ausdruck geben, durch den wir nach
Gott verlangen und uns seiner Oberherrschaft gehorsam unterwerfen.
Die Vertreter solcher Ansichten sind nun nicht nur in Irrtum und
Selbsttäuschung befangen, sondern sie lehnen auch die wahre Religion
ab, indem sie ihren Begriff verfälschen. Auf diese Weise kommen sie
Schritt für Schritt zum Naturalismus und Atheismus. Daraus ergibt sich
dann ganz klar die Folgerung, daß jeder, der solchen Ansichten und
Bemühungen beipflichtet, den Boden der von Gott geoffenbarten Religion
vollständig verläßt."
Und wie will Ratzinger jene Sätze aus "Redemptor hominis" (11)
kontinuierlich (!) aus der gleichen Enzyklika Pius XI.
weiterentwickeln, wo sein 'Heiliger Vater' sagt: "Diese Einheit in den
verschiedenen Bereichen des Lebens, der Tradition, der Strukturen und
Disziplinen der einzelnen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften kann
nicht verwirklicht werden ohne aufrichtiges Bemühen, das nach
gegenseitigem Sichkennenlernen und nach Beseitigung der Hindernisse
(Anm.d.Red.: das schaut so aus, daß die amtlichen, unfehlbaren!
Entscheidungen der Kirche einfach aufgehoben und als zeitbedingte
Mißverständnisse hingestellt werden) auf dem Wege zu einer vollkommenen
Einheit strebt."
In "Mortalium animos" wird ausgeführt: "An dieser Stelle müssen wir
eine falsche Ansicht erwähnen und zurückweisen, von der diese ganze
Frage abhängt, und von der auch die ganze vielgestaltige Arbeit und die
Versuche der Nichtkatholiken zur Wiedervereinigung der christlichen
Kirchen, die wir oben erwähnt haben, ihren Ausgang nehmen. Die
Wortführer dieser Bemühungen führen unzählige Male das Wort Christi an:
"Damit alle eins seien" und "Es wird werden ein Hirt und eine Herde"
(Joh. 17,21; lo, 16). Diese Worte führen sie aber immer so an, als ob
darin ein Wunsch und ein Gebet Christi Jesu zum Ausdruck kämen, die
noch der Erfüllung warten. Sie sind nämlich der Meinung, die Einheit im
Glauben und in der Leitung der Kirche, die ein Kennzeichen der wahren
und einen Kirche Christi ist, habe bisher wohl noch zu keiner Zeit
bestanden und bestehe auch heute nicht."
Nun, da ja nach Ratzinger die Beschlüsse von Vatikanum 2 "die größte
lehrmäßige Autorität besitzen", d.h. wohl unfehlbar sind, wird es dem
Gralshüter der neuen Dialog- bzw. Einheitsreligion nicht all zu schwer
fallen, "Mortalium ·nimos" als störendes Hindernis zu beseitigen, in
dem diese Enzyklika wohl auch nur ein zeitbedingtes Mißverständnis ist,
um "allen Menschen guten Willes" "den Weg zu einer vollkommenen
Einheit" zu ebnen.
Um es nicht ganz zu vergessen: ausgeschlossen von diesem herrlichen
Zusammenschluß bleiben natürlich alle Menschen 'bösen' Willens.
E. Heller
***
'THEOLOGIE':
"Das Wesen des Heiligen Geistes als Einheit von Vater und Sohn ist die
Selbstlosigkeit des Erinnerns, die die wahre Erneuerung ist." Prof.
Ratzinger in: "Der Gott Jesu Christi, Betrachtungen über den
dreieinigen Gott" München 1976, S.92.
***
KORREKTUREN:
In das April-Heft der EINSICHT (16. Jahrg., Nr.1) haben sich -
teilweise gravierende - Fehler eingeschlichen, die ich die Leser bitte
zu korrigieren. Auf S.14, Z.4 oben muß es heißen: "Befähigt zu der
Vakanzerklärung sind aber nur Bischöfe, nach Ansicht von Mgr. G.d.
Lauriers, die die dem Bischofsamt innewohnenden zwei Bedingungen
erfüllen: '1.) Teilnahme an der Sessio, d.h. residierender Bischof zu
sein - möglicherweise auch ein Titularbischof". (Mgr. d.L. umschreibt
den Begriff des Titularbischofes mit dem alten Titel: Bischof "in
partibus infidelium" - dt.: Bischof "in Teilen der Ungläubigen" d.i. im
Land der Ungläubigen.) S.6, Z.6 (oben) muß es heißen: aversio a Deo,
anstatt: veritas a Deo. S.5, Z.27 (mitten) muß es heißen: veritates
catholicae, anstatt: veritas catholicae.
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