IV.
Das Geheimnis des Kultes hat für Ratzinger keine größere Bedeutung, und
durch die näheren Ausführungen am Rande bezüglich der barocken
Atmosphäre, die ihn in seinem katholischen und gegen-reformatorischen
Bayern genährt hat, erscheint es eher eine Frage komplementärer
Äußerlichkeit, die ihm seiner Meinung nach die Reinheit des Glaubens
gegen das Luthertum bewahrt hat. Vor allem, wenn er zu unterscheiden
weiß zwischen "Feierlichkeit" und "Triumphalismus". Er zeigt auch nicht
die Physiognomie eines Humanisten, noch die eines für die Tiefe der
Poesie (der alten oder der modernen, der deutschen oder der
christlichen) offenen Geistes, noch die eines Intuitiven, der sich
nährt von der Schönheit, der Innerlichkeit, die sie weckt, von ihrem
möglichen, empfehlenswerten und zweckmäßigen Weg zum Herzen des
lebendigen Gottes. Mit anderen Worten: nach einer Erzie-hung in der
ratio studiorum jesuitischen Ursprungs geht seine Frömmigkeit ohne
Zweifel aus der ignatianischen Disziplin hervor, sein philosophischer
Stil, welcher der Tiefe des Thomismus wenig verdankt, ist
wahrscheinlich heimisch in der deutschen Phänomenologie, im sogenannten
christ-lichen Existenzialismus, bei Romano Guardini, Max Scheler und
anderen. Seine Theologie kommt von Karl Rahner her, und seine Bibel
wird gemäß der judaisierenden Philologie dieses halben Jahr-hunderts an
exegetischer Arbeit gelesen. Es ist daher klar, daß von keinem dieser
mutmaßlichen, wenn auch nicht explizierten und systematisch
ausgeführten Gesichtskreise aus, irgendein Weg zum Herzen des
liturgischen Geheimnisses gangbar wäre, umso mehr, wenn man die
Unbedarftheit oder das ästhetische Unvermögen seines rationalistischen
Geistes hinzurechnet, der voll ist von einem naiven und verheerenden
Historismus und der glaubt, das Neue Testament sei eine Verkehrsampel,
oder umgekehrt, die "Botschaft", die er nach seinen Analysen
wiederzufinden meint, sei das onti-sche Fundament der Kirche. Dieser
lange Abschnitt spekulativer Identifikation ist in keiner Form eine
überhebliche Kritik - bei der Zeichnung seines intellektuellen Lebens.
Nein. Mein Problem besteht darin, in Erfahrung zu bringen, ob man von
diesen Ufern aus und mit diesen Parametern die Frage nach der Existenz
der Kirche und vor allem das Geheimnis des Kultes in der Kirche angehen
kann; und folglich, ob man eine Ekklesiologie aufbauen kann, die für
immer den Unsinn des Kon-zils oder wie er sagt, den "Konzils-Ungeist",
beseitigt. Ich glaube, daß das nicht möglich ist. Und das ist
dramatisch, um nicht zu sagen katastrophal.
Nichts über die griechischen Väter, nichts über die trinitarische
Mystik, nichts über Dionysius Areo-pagita, nichts über die Kappadozier
etc. All das ist vielleicht zulässig, auch als formativer Kompro-miß
oder als geistige Vorliebe für andere Wege, die niemand ausschließen
will. Aber nicht zulässig, mehr noch, inkongruent, kontradiktorisch und
in gewisser Weise ungeheuerlich ist es, zu behaup-ten, man bekämpfe den
semantischen und religiösen Umsturz, der in der Apokalypse im voraus
beschrieben ("loquebatur sicut draco" - Ap. 18,11) und von dem
deutschen Prälaten irgendwie erkannt wird, ohne auf die unverletzlichen
Quellen zurückzugreifen. Oder man stelle die Einheit zwischen Kult und
göttlichem Mysterium wieder her mit dem sogenannten Konzils-Geist, ich
würde, den 'Kardinal' imitierend, sagen: dem Unkonzils-Geist. Das
bedeutet, eine Kirche postulieren, die im prophetischen Wort gegründet,
durch eine jahrhundertealte, unheilvolle semantische Operation
zergliedert, durch die ökumenische Perspektive wieder zusammengesetzt
wird, der eine von der historischen und faktischen Immanenz lebende
Mentalität eigen ist. Von hier kommt die übertriebene Bewertung anderer
zeitgenössischer Verlautbarungen, die Entwertung des Altertums, das
Vergessen der gott-menschlichen Mystik.
In Wirklichkeit sind es die Bischöfe, Theologen, Experten,
Bibelwissenschaftler, welche den Glau-ben an das Mysterium des Kults
als Wesenszeichen für das Mysterium der Kirche, und diese als
Sacramentum Trinitatis, verloren haben. Diese sakramentale Kongruenz
inkardiniert sich in das Mysterium der Menschwerdung und der
Auferstehung Christi, ohne das nichts von dem existiert, was Ratzinger
zu verteidigen, zu korrigieren, geradezubiegen und zu verkünden
vorgibt. Und das ist das große Paradox, das uns sprachlos macht
angesichts des Panoramas von Ruinen und von einem alles profanierenden
Unverstand. Wenn "die Christen wieder Minderheit sind, mehr als zu
irgend-einer Zeit, seit dem Ende der Antike", wie Ratzinger zu Beginn
des Dialogs (S. 35) sagt, wenn diese absolute Minderheit mitten in
dieser erschreckenden Krise, die sich im Herzen der Strukturen der
römischen Kirche ereignet hat, von ihren 'Hirten' allen Glanzes beraubt
wurde, begreift man nicht, wie man das Ausstrahlungszentrum des
lebendigen Zeugnisses für einen Lebendigen minimalisiert und sich
dagegen auf die charismatischen Bewegungen verläßt, die ohne jede
sakramentale Eingliederung sind.
Vor dem Konzil und während des Konzils legte ich in meinen Vorlesungen
über die "Quelle der Kul-tur" die Verbindungen dar zwischen Cultus
mystericus und Cultura religiosa. Vorher noch hob ich in meiner
Vorlesung "Einführung in die katholische Kultur und in die Quellen des
Humanismus" an-dere Aspekte der großen Konstellation von verursachenden
und ursprünglichen Glaubensbekenntnissen hervor. Ich werde jene
Argumentation nicht wiederholen. Nur versuche ich in diesem Kapitel
meiner Antwort die folgenden unerläßlichen und zufolge der Hintergründe
der griechisch-christlichen Semantik feststehenden genaueren Angaben in
Erinnerung zu bringen.
1. Der Kult als Feier der Geheimnisse in der Kirche gehört einer Ebene
zu, die der Wirklichkeit des Mysteriums Christi näher ist als die
Schrift, die Konzilien, die Theologie, die Dokumente der Hierarchie, so
wichtig sie auch gewesen sein mögen. Deshalb zieht das Beispiel für
fehlerhafte semantische Modulation seitens Ratzingers (S.59) und das
völlige Vergessen der Veränderungen im Text des Kanon die
Aufmerksamkeit auf sich. Aber am Rande dieser Frage, die von
Integristen und Progressisten, von Traditionalisten und Modernisten
diskutiert wird, ohne daß immer die wahren semantischen Gründe des
Problems zum Vorschein kommen, will ich hier nicht die Semantik des
Kults entfalten, sondern den Kult in seiner Konnotation als res eximiae
(die außerodentl. Dinge) wie der Text der berühmten Sequenz "Lauda
Sion" sagt. Mit dieser res ist natürlich die kongruente Semantik
vereinigt, die ich aber lieber unterscheide, um nicht angeklagt zu
werden, ich polemisiere über Wortkategorien, was nicht wahr ist. Es
handelt sich um ein untrennbares organisches Gefügt-Sein. Res +
kongruentes Verbum geben uns den ontischen Maßstab für das gefeierte
Geheimnis, und auch hier nimmt das Wort einen anderen und dichteren
Raum ein als das prophetische Wort. In letzter Instanz stehen wir
vielleicht einer "Theologie des Wortes" gegenüber, die vom
Gesichtspunkt der trinitarischen Offenbarung aus sich nur entfalten und
integrieren kann in die Vision vom fleisch-gewordenen Wort.
2. Der Kult als Feier der Geheimnisse ist Gebet der Ecclesia (im Sinne
des genitivus subiectivus) und folglich neues Mittel, neue Wendung oder
neues Zeichen der trinitarischen. Der Kult als Feier der Geheimnisse
ist Zeichen und Sakrament der Gegenwart des Geistes und das verbindet
mit dem sacramentum Christi. Daraus folgt also, daß kein Charisma, so
vorzüglich es auch wäre, ihn ersetzen kann, weil er das bleibende und
vollkommene Charisma ist. Und so zieht der prophetische Enthusiasmus
Ratzingers wegen der zeitgenössischen charismatischen Bewegung (vgl.
S.48-51) die Aufmerksamkeit auf sich: in meinen Augen ein neuer Beleg
für eine in Auflösung befindliche Ekklesiologie und für eine Zerstörung
des Geheimnisses des Kultes als Zeichen des sa-cramentum Trinitatis.
Denn die charismatischen Bewegungen (die es mit anderen
Charakteri-stika schon in der Geschichte der Kirche gegeben hat) bauen
die redintegratio holistica (Opfererneue-rung) des Kultes ab und reißen
den bewohnbaren Raum der Kirche aus den Fugen, den Raum der domus
constitutiva des Glaubens (das festgefügte - bestimmte - Haus).
3. Wort (verbum), heilige Handlung (sacra facere) und volles
semantisches Zeichen (sacramentum), diese anti-faustische Einheit von
Wort und Tat, nährt sich aus dem Gottmenschentum und der göttlichen ,
ohne die die Feier der Geheimnisse nicht existierte. In dieser Konstanz
und gemäß dieser lebendigen, konkreten, physischen geschichtlichen
Erscheinungsebene gliedert sich die christliche Kunst ein, das Wirken
und die Gegenwart der Schönheit, als Widerschein der gott-menschlichen
Herrlichkeit selbst. Daraus folgt dann die erzieherische und
ästhetische Kraft der christlichen Kunst, die nicht abhängig sein kann
vom und sich nicht erschöpfen kann im derzeitigen Umstürzen der Stile
und Formen. Es ist wahr, daß eine kulturelle Veränderung stattgefunden
hat (vgl. S.142) und "eine anthropologische Veränderung, vor allem bei
den Jugendlichen, deren akustisches Empfindungsvermögen seit den
sechziger Jahren durch den Einfluß der Rock-Musik oder ähnlicher
Produkte verkümmert ist" und daß es heute schwierig sein dürfte, viele
Jugendliche zum Hören der alten Choräle aus der deutschen Tradition zu
bewegen, und noch viel weniger dürften sie Zugang haben zur warmen -
ich würde sagen: geläuterten - Spannung des gregorianischen Gesangs.
Aber die Kirche kann die Pädagogik des Gesangs nicht aufgeben noch sich
den Deformierungen oder angeblichen Deformierungen des Gehörs ergeben,
wie Ratzinger andeutet. Was soll man da machen? Man mußte nicht
unbedingt Experte sein, um diesen Widerspruch zu bemerken, der wohl
schon seit den Tagen Pius X. herrscht. Der 'Ungeist' - würde Ratzinger
sagen - der 'Ungeist' des Konzils und folglich der römischen 'Kirche'
optierte für die Rhytmen und das Gestampfe der Hölle, während die
Konzilsväter, offensichtlich mit der konstruktiven Umsicht Pius XII.
Gesetze gemacht hatten. Wo hat das Geheimnis dieses Widerspruchs seine
Wurzel? Sie muß sehr stark und sehr tief sein, die verborgene Wurzel
dieses Unsinns; denn Ratzinger, der das deutsche Gespenst namens
"Ungeist" verabscheut, legt nie und noch weniger in diesem Falle mit
der erforderlichen theologischen, ästhetischen und pädagogischen
Klarheit dar, was denn nun der Geist sein soll, der in dem verborgen
ist, was in der Konstitution über die Liturgie sichtbar wird. Wozu
diese bewußte Unterlassung?
4. Der Kult als Feier der Geheimnisse ist "Verwirklichung" (und ohne
diese gibt es keine Kirche) und "Teilnahme/Mitwirkung" (und ohne diese
gibt es kein Emporkommen des christlichen Staates, der christlichen
Kultur). Das ist das objektive, vollständige, wenn auch freilich
summarische Bild. Das ist außerdem das Problem einer pädagogischen
renovatio (Erneuerung). Aber in zwanzig Jahren setzte sich die
Unvernunft, der rationalistische Hochmut, die historische und
ästhetische Ignoranz der Experten durch, und damit zerstören die Kräfte
der Hölle, denen sich Rom fröhlich anschloß, den Kult, um die Kirche zu
zerstören. Ich werfe hier in keinem Sinn das Problem des möglichen
Aufhörens des eucharistischen Opfers als Folge der unheilvollen
Manipulationen an der Messe auf. Persönlich glaube ich, daß wenige
wirkliche Konsekrationen bleiben. (...) Wir wissen nicht, ob die so
lange und schmerzliche Spaltung mit der Semantik der griechischen
Kirche jetzt ein provisori-sches Heilmittel darstellt, bis der Endsturm
losbricht. Bei der Antwort an Ratzinger nehme ich mir jedenfalls vor,
nicht auf eine Thematik einzugehen, die nicht ausdrücklich im
"Rapporto" enthalten ist, und ich will deshalb nicht gegen die
anfängliche Absicht dieser Untersuchung verstoßen. Aber immerhin ist
sein verschiedentlich programmatisches Schweigen, wie ich schon
bemerkte, recht selt-sam: nichts über die Liturgie-Konstitution, nichts
über den gregorianischen Gesang, nichts über Pius X., nichts über aie
liturgische Teilnahme, nichts über die Zerstörung oder zumindest
kultische Änderung der Messe, nichts über die Pädagogik für das Opfer,
die ohne Zweifel wichtiger ist als die Katechese und die die Kirche
wiedergewinnen oder wieder schaffen oder anregen und schützen müßte.
Viel rätselhaftes Schweigen, das besonders hervortritt angesichts
inkongruenter Urteile, Behauptun-gen und stellenweiser Aufwertung
dessen, was in irgendeiner Form Zeichen der Katastrophe ist.
5. Schließlich bewahren Kult und Kirche eine wesentliche konstitutive
eschatologische Beziehung. In diesem Sinne könnte man ein Grundpostulat
aufstellen, das man in den Überlegungen Ratzingers nicht entdecken
kann: jede Ekklesiologie beginnt mit einer Theologie des Kults und
gipfelt in einer trinitarischen Schau wie der des Sehers von Patmos.
Das ist der einzige Weg, um die Schrift eng an die Verwirklichung
anzuschließen, die Prophétie an die Ontologie, die Geschichte an die
Auferstehung und Verherrlichung Christi. Konsequenterweise wird jede
immanentistische, historizistische, rein biblische Konzeption des
Kultes, die sich auf eine Perspektive der semantischen Änderung als
günstiger Prägestempel gründet, um die Änderung der heutigen Zeiten
aufzunehmen, sich unver-meidlich auf eine immanentistische und
projektive Ekklesiologie hinbewegen.
Zu diesen komplexen und katastrophalen Umständen kommt hinzu die
revolutionäre Semantik vom "Bund" zwischen "Kirche" und "Welt", die für
Ratzinger zum Geist (im positiven Sinne) des Kon-zils zu gehören
scheint, der durch - wer weiß - welches Geheimnis der Bosheit in
Ungeist (negativ gemeint) verkehrt wurde. Aber der Böse (der) steckt in
dem von der neuen Theologie, der neuen Leseweise des Neuen Testaments,
dem neuen Kult, dem neuen Menschen und folglich auch in dem von der
neuen 'Kirche' vorgeschlagenen Bund. Um meine Antwort zu beschließen,
ein paar Worte noch zu diesem revolutionären Bund Ratzingers und
Johannes Pauls II., dieser versteck-ten Umwandlung der Quellen in
generative Prozesse.
Der erste Brief des hl. Johannes ist eine vollendete und innige
Zusammenfassung seines Evangeliums, eine Verklärung seines eigenen
Berichts und seiner Theologie. Gerade der zweite der drei aus dem Brief
ausgewählten Sätze (vgl. S. l48) legt eine Dimension über die Agape
(Liebe) des Vaters gegenüber dem (die Welt lieben) vor, an der niemand
vorbeikommt. Denn es gibt keine Versöhnung zwischen der essentia
agapistica (dem Wesen der Liebesverpflichtung) und der austauschbaren
Welt-Kategorie. Die essentia (das Wesen), der Inhalt, die Bedeutung, um
es schließlich mit meinem Vokabular zu sagen, die Semantik des
Begriffes Agape schließt eine radikale Forderung ein: die Welt
absondern und ausschließen. Wenn wir die Semantik des Begriffs "Welt"
im Evangelium und allgemein im Neuen Testament überprüfen, finden wir
außerdem keine Handhabe, um den konziliaren und ökumenischen Bund von
Vaticanum II in die Theologie und noch viel weniger in die
trinitarische Mystik zu integrieren.
Wenn wir den Artikel von Kittel ("Theologisches Wörterbuch zum Neuen
Testament" Bd.III; unterzeichnet von H. Sasse, besonders S. 889 ff.)
genau untersuchen, so stimmt es, daß wir einen positiven Raum ergründen
können bezüglich der Menschwerdung, der Erlösung, der Sendung der
Kirche. Aber diese Beziehungen heben die formative Semantik von "Welt"
nicht auf, sondern betonen die Tat des Zurückeroberns dessen, was zwar
in der Welt, aber nicht von der Welt ist. Von dieser besonderen
ausdrucksvollen Flanke, die auf einer bivalenten
syntaktisch-semantischen Beziehung beruht, eine positive Auffassung von
der "Welt" abzuleiten, wie sie das "Aggiornamento" seit Johannes XXIII.
und das Konzil praktiziert haben, wie es noch immer praktiziert wird,
erscheint als theologischer und mystischer Widersinn, insofern als sich
durch eine Gleichsetzung des semanti-schen Gewichtes zwischen Kirche
und "Welt" eine wahre "geologische" Katastrophe ereignet, wel-che die
tiefsten semantischen Schichten der Offenbarung und des
gott-menschlichen Glaubens an-greift.
In der Tat, wenn wir aufmerksam den griechischen Text des Neuen
Testamentes lesen, bleibt kein Zweifel, daß immer, ausgesprochen oder
unausgesprochen, die in dem vorher erwähnten Satz des hl. Johannes
eingeschriebene Glut vorherrscht, und daß der Apostel von der Agape her
das gesamte Geheimnis des Vaters (das Ratzinger so stark beschäftigt)
und die gesamte Existenz der Welt bemißt. Diese Überlegung bestätigt
ohne Zweifel in den Anfängen der apostolischen Kirche die erwähnte
Unvereinbarkeit, die nicht beseitigt werden kann, außer daß die Agape
als Erfahrung und Einsichtigkeit des Glaubens zerstört wird. Ist nicht
gerade hier, in dieser Gegebenheit, und ihrem revolutio-nären Ausufern,
das Ratzinger, eher um zu verschleiern als um aufzudecken, "Ungeist"
nennt, die tiefste Ursache für die Krise des Glaubens an Gott, den
Vater und den Schöpfer der Welt, und kommt nicht von diesem Schwinden
des Glaubens (fides) agapistica der Verfall von allem übrigen? Wie wird
man die Weltmystik Johannes Pauls II. korrigieren können, wie den Kult
des Menschen Pauls VI., die Inkulturation der Kirche in die in den
modernen Zeiten weiterbestehenden Stammes-instanzen, die absurde
Kapitulation vor einer Wissenschaft oder angeblichen Wissenschaft, die
ihrerseits die größte Krise einer wirklich im Menschen liegenden
Erkenntnis durchmacht?
Menschlich gesehen gibt es keine Rettung für die Weltkirche. Ihre Güter
werden geplündert werden bis zum Ende, ihre Mystik beseitigt und ihre
Sakramente ignoriert, zerstört und verhöhnt. Und dann? Dann wird in der
Kirche ein Stephanus aufstehen, der ohne Umschweife das trinitarische
und gottmenschliche Geheimnis feierlich verkünden wird und der
gesteinigt werden wird von den neuen Pharisäern und Sadduzäern, von den
neuen Schriftgelehrten und Lehrern der Äquipotenz zwischen Agape und
Welt. Manchmal werden es die Brüder 'Bischöfe' selbst sein, eifrige
Gläubige dieser bös-artigen Äquipotenz (Gleichgewichtigkeit,
Gleichmächtigkeit), die glauben, mit diesem Tod die umfassenden,
umgebenden Glauben) endgültig auf die Begriffe dieser verderbten Welt
zu reduzieren.
Hier ist das Herz der Frage für die ganze Thematik, die in meinen
bescheidenen Überlegungen vor-überzieht, die indes in der Tradition
begründet sind, welche redlich untersucht und verstanden wur-de. Weder
die Kirche, noch a fortiori das trinitarische Geheimnis, noch der Kult,
noch der Glaube, noch die Canones, noch die Schrift können im Schoß der
semantischen Äquipotenz zwischen Agape und Kosmos (Liebe und Welt) - im
Sinnverständnis des Neuen Testaments - überdauern und den organischen
theologischen Inhalt des erhabenen Textes des Apostels Johannes (im 1.
Brief) prorogieren. Durch diese Äquipotenz würde die Kirche natürlich
verlieren, verliert und hat verloren die Dichte ihres umfassenden Amtes
und ihr Zerfall in der Geschichte ist unvermeidlich. Jedoch die
Ekklesia ist ewig und unzerstörbar.
Hier ist das Geheimnis unserer konfliktgeladenen Zeiten, der rußige
Halbschatten ihres höllischen Geschehens, das Frohlocken der weltlichen
Mächte, die die Heiligkeit und folglich auch den Heiligen verachten.
Hier ist auch der Widerspruch Ratzingers, dessen durch den Barock der
Gegenreformation vor dem Luthertum geschützter Glaube einen 'römischen
Glauben' verherrlicht, der in gewisser Weise die eifrige Fortsetzung
Luthers ist. Es dürfte unmöglich sein, in so finsteren Zeiten ein
größeres Paradox zu finden.
Die Ekklesiologie Ratzingers, vorausgesetzt, daß sie positive und
stützende Belege vorweist - und ich bin nicht abgeneigt, es zuzugeben -
erleidet tragischerweise Schiffbruch an den Klippen der "Welt", und
seine tridentinische und zweitvatikanische Frömmigkeit errichtet leere
Altäre im un-heilbaren Widerspruch seiner Kapitulation. Wozu so viel
biblische Gelehrsamkeit, wozu so viel Philosophie der Immanenz und der
begrenzten Erscheinung, wenn das Wort sich in Finsternis verwandelt,
die gerade die zunichte macht, die Pilgerin in der Welt, aber nicht von
der Welt ist, weil ihr Ursprung die verborgene trinitarische Freistatt
ist? Und wie kann die "Botschaft" - um einen Ausdruck zu gebrauchen,
der so sehr nach dem Geschmack des Konzils ist - fruchtbar sein, wenn
sie nicht in diese (Umgebung) inkardiniert ist? Der Glaube hat
unvermeidlich eine ausschließende Dimension, weil er ein Profil hat.
Und ich bestehe darauf: Glaube im zeitlich geschichtlichen Umfeld ist
Glaubensaussage, ist Semantik des Glaubens. Der durch das Konzil und
seine unseligen Theologen gezeugte revolutionäre Bund ist von Anfang an
und ohne größere dialektische Hilfsmittel gerade die Zerstörung dieser
Semantik. Wie könnte man eine Ekklesiologie aufstellen, die nicht nur
gültig wäre für unsere finstere Zeit, sondern auch jubelnd und
beseligend durch ihr eigenes Feuer, obwohl die Welt sie ablehnt?
So kommen wir denn zum Schluß unserer schmerzlichen Antwort, die an
ihrer eigenen Auffassung von heiß ersehntem Leben leidet und an ihrer
Einsamkeit gegenüber der Macht eines verweltlichten Klerus, einer
tyrannischen erloschenen Autorität, einer verirrten ungeeigneten und
destruktiven religiösen Kultur. Gibt es vielleicht einen Weg der
Entscheidung und fruchtbaren Klärung? Gibt es einen schmalen Pfad, um
aus dem Zwangsgesichtskreis Ratzingers herauszukommen, ohne in die
glatte Leugnung des Glaubens zu fallen? Sind etwa die, welche die
revolutionäre Semantik des Konzils entwarfen, durchführten und
fortsetzten, die gleichen, welche jetzt nach Ludwig XVI. oder Zar
Nikolaus II. rufen, das heißt nach Pius X. und Pius XII.? Die
Doppeldeutigkeit Ratzingers ist das beklagenswerte Detail des
"Rapporto". Es gibt jedoch nur zwei Wege: man muß der erste
"Stephanus" in dieser 'Kirche' des Konzilspharisäismus sein und
sanftmütig die physische oder geistige Steinigung für die Schau des
Sohnes Gottes auf sich nehmen - ohne weitere semantische und
theologische Anpassung - oder den katastrophalen Weg des Ungeistes bis
ans Ende gehen, der dann in der Un-Kirche endet. (...)
(aus EINICHT XVIII/6 vom Januar 1989 - eine verkürzte Fassung des
vorstehenden Artikels von Herrn Schröer kann bei der Redaktion bestellt
werden.) |