Anhang:
Ratzingers Stellungnahme zu verschiedenen Themen
Zur Lage der Ökumene
"Den mehr oder weniger deutlich wirksamen Relativismus hinsichtlich der
Glaubenslehre und des Bekenntnisses muß man entschieden ablehnen. Aber
wir sollten dennoch eine neue Geduld - ohne Indifferenz - in diesem
Bereich miteinander und füreinander zu finden versuchen; eine neue
Fähigkeit, das andere und den anderen zu lassen; eine neue
Bereitschaft, die Ebenen der Einheit zu unterscheiden, also die jetzt
möglichen Einheitselemente zu verwirklichen und das jetzt Unmögliche im
Bereich des Pluralismus zu belassen, der auch positive Bedeutung haben
kann. (Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 228)
Wir sollten uns daher auch immer wieder von eigenen Institutionen
befreien, damit das Wesentliche in seiner Weite und Größe erscheine.
Dann kann es Freiheit zu vielerlei Formen geben, die wir mit weitem
Herzen annehmen sollten, ohne pastorale Einheitskonzepte. Immer gilt
dabei die Bedingung, daß diese menschlich entwickelten Formen nicht
absolut gesetzt werden, sondern sich zum Gemeinsamen und Wesentlichen
hin öffnen. So wird es auch Querverbindungen zwischen einander
ähnelnden Gestaltungen in den einzelnen Kirchen und Gemeinschaften
geben ... (Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 232)
Zum Opfercharakter der Messe
a) Es scheidet zwar die Vorstellung der Messe als eines eigenständigen,
in sich beruhenden Opfers schlechterdings aus, aber um so mehr drängt
sich der Gedanke auf, ob sie als Zuwendung der Christus-Gabe an die
Seinigen nicht auch auf irgendeine Weise Gegenwart dieser Gabe,
Gegenwart des Heilstums Jesu Christi bedeuten müsse. b) Von da aus
drängt sich der Gedanke auf, daß das danksagende Empfangen die
christliche Weise des Opfers ist, indem es Gegenwart des
Christus-Opfers und unser Erfülltwerden von ihm bedeutet. (Ist die
Eucharistie ein Opfer?, Theologisches Jahrbuch, 1969, S. 317)
“Für viele” und “für alle”
Nach Mt-Mk sagt Jesus, das Bundesblut des Abendmahles werde »für viele«
vergossen; Lk aktualisiert die grundsätzlich unbegrenzte Universalität,
die der alttestamentliche Begriff der vielen einschließt, auf die
anwesende kultische Gemeinde zu, indem er aus der Gewißheit, die die
Universalität enthält, konkret zur Gemeinde sagen läßt: »für euch«. Das
hebt die Universalität, wie gesagt, nicht auf, sondern bedeutet, sie
praktisch anzuwenden, sie auf ihrem hic et nunc zu behaften. Paulus
bietet das »für euch« nur im Zusammenhang mit dem Brotwort (wo es sich
bei Lk, der es zweimal ausspricht, ebenfalls findet), läßt es dagegen
beim Becherwort wegfallen. Dieses Wort vom Dienst »für viele« nimmt das
Herzstück der Gottesknechtslieder des Deutero-Jesaja in die
Abendmahlsworte hinein; vom Knecht Gottes wird ja gesagt, daß er die
Sünden der vielen getragen (53,12) und sie so von Schuld befreit habe
(53,11). Der Gottesknechtsgedanke, dem wir auf diese Weise in der
Abendmahlstheologie begegnen, ist übrigens bei Jesaja eng mit dem
Bundesgedanken verknüpft (42,6; 49,8). Die prophetische Bundesidee
erhält durch diese Verbindung eine neue Tiefe: Der kommende Bund
erscheint nicht mehr bloß auf der Verinnerlichung des Gesetzes
gegründet, sondern auf der stellvertretenden Liebe dessen, der für alle
trägt. (Ist die Eucharistie ein Opfer?, Theologisches Jahrbuch, 1969,
S. 320)
Wesen der Eucharistie
Die christliche Eucharistie ist als solche nicht Wiederholung des
letzten Abendmahles, das rein als solches nicht wiederholbar war. (Das
Fest des Glaubens, Kempten 1993, S. 41).
Objektiv richtiger ist es unter diesen Bedingungen, den nicht
sachgemäßen Begriff «Mahlgestalt» überhaupt fallenzulassen. Das
tragende Element ist die Eucharistia; da diese als Teilhabe am Danken
Jesu auch den Tischdank für die Gaben der Erde mit einschließt, ist
hier bereits ausgedrückt, was an Mahlgestalt im liturgischen Geschehen
wirklich enthalten ist. (Das Fest des Glaubens, Kempten 1993, S. 44 f.).
Eucharistia bedeutet ebenso das Geschenk der Communio, in der der Herr
uns zur Speise wird, wie sie die Hingabe Jesu Christi bezeichnet, der
sein trinitarisches Ja zum Vater im Ja des Kreuzes vollendet und in
diesem «Opfer» uns alle dem Vater versöhnt hat. Zwischen «Mahl» und
«Opfer» gibt es keinen Gegensatz; in dem neuen Opfer des Herrn gehören
sie beide untrennbar zusammen. (Das Fest des Glaubens, Kempten 1993, S.
45 f.).
Zum Missale Pius V.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze Bemerkung über den Streit
um die sogenannte tridentinische Liturgie einschieben. Es gibt nämlich
keine tridentinische Liturgie, und bis 1965 hätte sich kein Mensch bei
diesem Wort irgend etwas vorstellen können. Das Trienter Konzil hat
keine Liturgie «gemacht». Und es gibt, streng genommen, auch kein
Missale Pius' V. Das Missale, das im Jahr 1570 im Auftrag Pius' V.
erschien, unterschied sich nur in Winzigkeiten von der rund hundert
Jahre früher erschienenen ersten Druckausgabe des Missale Romanum. Bei
der Reform Pius' V. ging es im Grunde nur darum, die
spätmittelalterlichen Wucherungen, die sich weithin eingeschlichen
hatten, und die Fehler, die sich beim Abschreiben und Abdrucken ergeben
hatten, dadurch zu beseitigen, daß erneut das stadtrömische Missale,
das von diesen Vorgängen weitgehend unberührt geblieben war, für die
ganze Kirche vorgeschrieben wurde. Zugleich sollten die Unsicherheiten,
die sich im Durcheinander der liturgischen Bemühungen der
Reformationszeit ergeben hatten, in denen ja der Unterschied zwischen
katholisch und reformatorisch weithin fließend geworden war, durch die
einzige Verbindlichkeit des in Rom gedruckten Missale typicum beseitigt
werden. Daß es nur um dies ging, sieht man daran, daß ausdrücklich
liturgische Gewohnheiten, die älter als zweihundert Jahre waren, von
der Reform ausgenommen wurden. Bereits 1614 erschien unter Urban VIII.
eine neue Ausgabe des Missale, die wiederum verschiedene Verbesserungen
enthielt, und so hat vor wie nach Pius V. jedes Jahrhundert seine
Spuren im Missale hinterlassen, das stets in einem kontinuierlichen
Vorgang des Reinigens einerseits, des Wachsens andererseits begriffen
war, in dem es doch immer dasselbe Buch blieb. Von diesen Tatsachen her
muß man das Beharren auf dem «Tridentinischen Missale» als irreal
kritisieren, aber doch auch Kritik an der Form üben, in der das
erneuerte Missale präsentiert worden ist. Den «Tridentinern» muß man
sagen, daß die Liturgie der Kirche mit dieser selbst immer lebendig und
daher auch immer in einem Prozeß des Reifens ist, in dem es größere und
kleinere Einschnitte geben kann. Für die katholische Liturgie wäre ein
Alter von vierhundert Jahren viel zu wenig - sie reicht wirklich bis zu
Christus und den Aposteln und ist von dorther in einem einzigen
stetigen Prozeß auf uns gekommen; das Missale ist so wenig
mumifizierbar wie die Kirche selbst. Zugleich muß man bei allen
Vorzügen des neuen Missale kritisch feststellen, daß es herausgegeben
wurde, als wäre es ein von Professoren neu erarbeitetes Buch und nicht
eine Phase in einem kontinuierlichen Wachstum. Derlei ist in dieser
Form nie geschehen, es widerspricht dem Typus liturgischen Werdens, und
erst dieser Vorgang hat überhaupt die absurde Vorstellung provoziert,
als hätten Trient und Pius V. vor vierhundert Jahren ihrerseits ein
Missale verfaßt. Die katholische Liturgie wurde so zu einem Produkt der
frühen Neuzeit herabgedrückt und damit eine Verschiebung der
Perspektiven hervorgerufen, die beängstigend ist. Obgleich die
wenigsten von denen, die heute Unbehagen äußern, diese Zusammenhänge
deutlich überblicken, gibt es ein instinktives Wissen darum, daß
Liturgie nicht Produkt kirchlicher Verordnung oder gar professoraler
Gelehrsamkeit sein kann, sondern nur als Frucht der lebendigen Kirche
das ist, was sie ist. (Das Fest des Glaubens, Kempten 1993, S. 76 f.).
Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich sagen, daß ich inhaltlich
(von einzelnen Kritiken abgesehen) sehr dankbar bin für das neue
Missale... Das Missale Pauls VI [ist] nichts anderes als eine erneuerte
Fassung desselben Missale, an dem schon Pius X., Urban VIII, Pius V.
... gewirkt haben. (Das Fest des Glaubens, Kempten 1993, S. 78).
Zum Verhältnis “alte” und “neue” Messe
Jenen Uniformismus, mit dem man jetzt das absolute Verbot des Missale
von 1962 zu rechtfertigen versucht, hat es in der Geschichte allenfalls
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben, aber er gehört nicht
zum Wesen der lateinischen Liturgie. Mit Recht hat Mailand seine alte
Liturgie festgehalten; mit Recht suchen Toledo und Lyon ihre alten
Traditionen neu zu beleben. Ich möchte eigens darauf hinweisen, daß der
Titel, mit dem 1970 das sogenannte Missale Paul's VI. vorgelegt wurde,
liturgiegeschichtlich durchaus korrekt ist: Missale Romanum ex Decreto
Sacrosancti Concilii Vaticani II in-stauratum. Auctoritate Pauli PP. VI
promulgatum. Hier ist die Kontinuität der Entwicklung durchaus
ausgedrückt, die aber in der faktischen Einführung und Durchführung in
der Kirche nicht zur Geltung gebracht wurde. Ich sehe, wie ich bereits
gesagt habe, dieses Missale »in vielem als eine wirkliche Verbesserung
und Bereicherung« an. Was der Kirche tief geschadet hat und immer noch
schadet, ist der Graben, den man zwischen »vorkonziliar« und
»nachkonziliar« aufgerichtet hat, als ob es sich um zwei Kirchen und
zwei Liturgien handelte, als ob das damals Heiligste nun das
Verbotenste und Schlimmste wäre. Eine Institution, die so mit ihrer
Geschichte und den ihr zugehörigen Menschen umgeht, braucht sich über
negative Auswirkungen nicht zu wundern. Im übrigen hat gerade dieses
Insistieren auf einem angeblichen Gegensatz mehr als alles andere der
Rezeption des erneuerten Missale geschadet. Darum kann ich nur immer
wieder mit Nachdruck sagen, daß diese »Exkommunikation« des alten
Missale aufhören muß, auch gerade um der rechten Aneignung des neuen
willen. (Aus meinem Leben, München 1998, S. 189 f.)
Verhältnis zu den Juden
Unser Dank gilt daher unseren jüdischen Brüdern, die trotz der
Schwierigkeiten ihrer Geschichte bis heute den Glauben an diesen Gott
bewahrt haben und ihn vor den anderen Völkern bezeugen, die, ohne die
Kenntnis des einzigen Gottes, „in Finsternis sitzen und im Schatten des
Todes" (Lk 1,79). (Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 236)
-
Kommentar Heller: Man reibt sich die Augen! Die Juden die neuen
Missionare, nachdem diese von den modernen Katholiken als überflüssig
abgetan werden kann, da ja auch die anderen Religionen legitime Wege
zum Heil darstellen? Und welchen Gott predigen sie? Den des Alten
Bundes? obwohl Christus sagt "Keiner kommt zum Vater außer durch mich"
(Jo 14,6)?
Gemeinsames Gebet mit Juden
Vielleicht gerade wegen der Dramatik dieser letzten Tragödie ist eine
neue Vision der Beziehung zwi-schen Kirche und Israel entstanden, ein
aufrichtiger Wille, jede Art von Antijudaismus zu überwinden und einen
konstruktiven Dialog gegenseitiger Kenntnis und der Versöhnung zu
beginnen. Ein solcher Dialog muß, um fruchtbar zu sein, mit einem Gebet
an unseren Gott beginnen, daß er vor allem uns Christen eine größere
Hochschätzung und Liebe zu diesem Volk, den Israeliten, gebe, welche
„die Sohnschaft haben, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, das
Gesetz, den Gottesdienst, die Verheißungen, die Väter, von denen
Christus dem Fleische nach stammt, der über allem als Gott steht, er
ist gepriesen in Ewigkeit. Amen" (Rom 9,4-5), und das nicht nur in der
Vergangenheit, sondern auch gegenwärtig, „denn unwiderruflich sind
Gnade und Berufung, die Gott gewährt" (Rom 11,29).(Weggemeinschaft des
Glaubens, Augsburg 2002, S. 237)
Messiaserwartung der Christen und Juden
Wir werden auch beten, daß er den Söhnen Israels eine größere
Erkenntnis Jesu von Nazaret gebe, ihrem Sohn und Geschenk, das sie uns
gemacht haben. Da wir beide in Erwartung der endzeitlichen Erlösung
sind, laßt uns beten, daß unser Weg auf zusammenlaufenden Linien
erfolge. (Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 237) Und wie
sollen Titel wie diese zu verstehen sein: "Der Gott Jesu Christi -
Betrachtungen über den dreieinen Gott" (München 1976)? Der Gott
Abrahams, ja! Aber der Gott Jesu Christi? Welchen Gott erkennt der
Gottessohn als Gott an?
Zum Thema “Wahrheit” und “Mehrheit”
An diesem Punkt sind alle auf Verhandlungen und Dialoge gegründeten
Einigungsversuche immer wieder ins Stocken geraten, nicht erst in
unserem Jahrhundert. Wahrheit ist keine Mehrheitsfrage. Sie ist oder
sie ist nicht. Deswegen sind Konzilien nicht verbindlich, weil eine
Mehrheit von quali-fizierten Vertretern etwas beschlossen hat. Wie
sollte man beschließen, daß etwas in Zukunft wahr sein soll? Konzilien
beruhen auf dem Prinzip der moralischen Einmütigkeit, und die wiederum
erscheint nicht als eine besonders hohe Mehrheit. Nicht der Konsens
begründet die Wahrheit, sondern die Wahrheit den Konsens: Die
Einmütigkeit so vieler Personen ist immer als etwas menschlich
Unmögliches angesehen worden Wenn sie auftritt, zeigt sich darin die
Überwältigung durch die Wahrheit selbst. Die Einmütigkeit ist nicht
Grund der Verbindlichkeit, sondern das Zeichen der erscheinenden
Wahrheit, und aus ihr fließt die Verbindlichkeit. In diesem
Selbstverständnis der Konzilien, das zugleich auch allem konziliaren
Beschließen eine Grenze zieht, ist Gott als wirklich handelndes Subjekt
vorausgesetzt. (Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 223 f.)
Zur Begriff der Glaubensgewißheit
Es ist [...] die Bereitschaft zu fordern, die Verengung meines
Verstehens von Wahrheit aufbrechen zu lassen, mein Eigenes besser zu
erlernen, indem ich den anderen verstehe und so mich auf den Weg zum
größeren Gott bringen lasse - in der Gewißheit, daß ich die Wahrheit
über Gott nie ganz in Händen habe und vor ihr immer ein Lernender, auf
sie hin immer ein Pilger bin, dessen Weg nie zu Ende ist. (Die Vielfalt
der Religionen und der Eine Bund, Bad Tölz 2005, S. 118)
Zur Aufgabe von Mission
Mission und Dialog [dürfen] nicht mehr Gegensätze sein [...], sondern
[müssen] sich gegenseitig durchdringen. Dialog ist nicht ziellose
Unterhaltung, sondern er zielt auf Überzeugung, auf Wahrheitsfindung,
sonst ist er wertlos. Umgekehrt kann Mission in Zukunft nicht mehr so
geschehen, als werde einem bisher aller Kenntnis Gottes baren Subjekt
endlich mitgeteilt, woran es zu glauben habe. Dies kann es zwar geben
und wird es vielleicht in der vielerorts atheistisch werdenden Welt
immer mehr geben. Aber in der Welt der Religionen treffen wir auf
Menschen, die durch ihre Religion von Gott vernommen haben und in
Beziehung zu ihm zu leben versuchen. So muß Verkündigung notwendig ein
dialogischer Vorgang werden. Dem anderen wird nicht das gänzlich
Unbekannte gesagt, sondern die verborgene Tiefe dessen erschlossen, was
er in seinem Glauben schon berührt. (Die Vielfalt der Religionen und
der Eine Bund, Bad Tölz 2005, S. 120)
Zum “Dialog der Religionen”
In diesem Sinn sollte im Dialog der Religionen geschehen, was [Nikolaus
von Cusa] in seiner Vision des Himmelskonzils als Wunsch und Hoffnung
ausgedrückt hat: Der Dialog der Religionen sollte immer mehr zu einem
Zuhören auf den Logos werden, der uns die Einheit mitten in unseren
Trennungen und Widersprüchen zeigt. (Die Vielfalt der Religionen und
der Eine Bund, Bad Tölz 2005, S. 120 f.)
Zum interreligiösen Gebet (Assisi 1986 und 2002)
Wird so nicht doch der Relativismus gefördert - die Meinung, daß es im
Grunde eben nur vorletzte Unterschiede seien, die zwischen den
»Religionen« stehen? Und wird damit nicht doch der Ernst des Glaubens
geschwächt und so letztlich Gott weiter von uns weggerückt, unser
Alleingelassensein verstärkt? Solche Frage darf man nicht leichtfertig
beiseite schieben. Die Gefahren sind unleugbar, und daß Assisi,
besonders 1986, von vielen falsch ausgelegt wurde, kann man nicht
bestreiten. Umgekehrt wäre es aber auch verkehrt, das multireligiöse
Gebet im beschriebenen Sinn total und bedingungslos zu verwerfen.
[...] Solches multireligiöses Beten kann nicht der Normalfall des
religiösen Lebens sein, sondern nur als Zeichen in außergewöhnlichen
Situationen bestehen, in denen gleichsam ein gemeinsamer Notschrei
aufsteigt, der die Herzen der Menschen aufrüttelt und zugleich am
Herzen Gottes rütteln soll.
[...] Miteinander beten kann man nur, wenn Einmütigkeit darüber
besteht, wer oder was Gott ist und darum auch grundsätzlich
Einmütigkeit darüber vorliegt, was Beten heißt: ein dialogischer
Vorgang, in dem ich zu einem Gott rede, der zu hören und zu erhören
vermag. Anders gesagt: Gemeinsames Beten setzt voraus, daß der Adressat
und damit auch der auf ihn bezogene innere Akt grundsätzlich gemeinsam
verstanden wird. Wie im Fall von Abraham und Melchisedek, von Ijob und
Jona muß klar sein, daß man mit dem einen Gott über den Göttern
spricht, mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde - meinem Schöpfer.
Es muß also klar sein, daß Gott »Person« ist, das heißt erkennen und
lieben kann; daß er Macht hat, mich zu hören und zu antworten; daß er
gut und der Maßstab des Guten ist und das Böse keinen Anteil an ihm
hat. (Glaube, Wahrheit, Toleranz, Freiburg 2004, S. 87 ff.) |