Zum Tode von Johannes Paul II.
von
Eberhard Heller
Die Pilgerströme haben sich aufgelöst, die Trauernden aus aller Welt
sind wieder nach Hause gefahren, in Rom ist wieder Ruhe eingekehrt. Der
Vatikan bedankte sich bei den römischen Behörden und Sicherheitskräften
für die beeindruckende Betreuung der drei- bis vier Millionen Menschen,
die den Beisetzungsfeierlichkeiten für Johannes Paul II. am letzten
Freitag beiwohnten, der am 2. April nach längerem und für alle Welt
sichtbarem Leiden gestorben war. Allein aus Polen waren ca. zwei
Millionen Gläubige angereist. Ein größeres Interesse bzw. eine solche
Anteilnahme an der Beisetzung einer Person, die für sich beansprucht
hatte, Papst, Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, Bischof von
Rom, Nachfolger des hl. Petrus, Stellvertreter Jesu Christi, Patriarch
des Abendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der
Kirchenprovinz Rom und Souverän des Vatikan-Staates zu sein und die von
der Welt als solcher auch anerkannt worden war, hatte es bisher noch
nie gegeben. Selbst die religions- und kirchenfeindlichen Medien
huldigten dem verstorbenen Johannes Paul II. Noch vor seinem zu
erwartenden Ableben erschienen die Fernsehsprecher in dezent dunklen
Anzügen, selbst der "Wetterfrosch" erschien in Schwarz mit schwarzer
Fliege. Inzwischen ist das Grab in der Krypta des Petersdomes frei
gegeben worden - und wiederum stehen Scharen an, es zu besuchen. (Ich
schreibe diese Zeilen am 15. April - am 18.4. soll das Konklave
zusammentreten, um einen Nachfolger für Wojtyla zu wählen.)
Wie war es möglich, daß diese Person in solch intensiver Weise das
Interesse der Menschen, besonders das der Jugend auf sich ziehen
konnte, der er als Charismatiker und moralisches Vorbild galt. Als
Karol Wojtyla, dessen Ernennung zum Erzbischof von Krakau das
kommunistische Regime Polens ausdrücklich zugestimmt hatte, nachdem es
vorher sechs Kandidaten abgelehnt hatte, die Wahl zum Nachfolger
Lucianis, dem sog, 33-Tage-Papst angenommen hatte und bereits bei
seinem ersten öffentlichen Auftritt seine Medienwirksamkeit sichtbar
wurde, wie er direkt nach seiner Wahl spontan die skeptischen Römer für
sich einnehmen konnte, wie er sie faszinierte, stellte einer unserer
Mitarbeiter mit Wehmut fest, daß ein Mann mit solcher Begabung in
unseren Reihen leider fehlen würde.
Wem haben die Massen, darunter 2500 Vertreter der Weltreligionen auf
dem Petersplatz die letzte Ehre erwiesen? Irrtümlich dem, den sie für
den Papst der römisch-katholischen Kirche hielten, für den Nachfolger
des hl. Petrus, dessen Herr auch der Herr Wojtylas sein sollte, oder
wissend dem, der den gefürchteten und gehaßten Absolutheitsanspruch der
Kirche in öffentlichen Bekundungen permanent aufgegeben hatte, der
nicht Protestanten zu den Sekten rechnete, sondern fundamentalistisch
gesinnte Christen der Sektiererei bezichtigt und sie als gefährlich
eingestuft hatte?
Wojtyla, der als junger Mann auch daran gedacht hatte, Schauspieler zu
werden, hat sich in konsequenter Form selbst inszeniert, und zwar auf
eine eindrucksvolle Weise, in die er schließlich auch seine öffentlich
zur Schau gestellten Krankheit mit einbezog, um so der Welt eine
Christus-Nachfolge zu suggerieren, die auch den Weg nach Golgotha mit
einzubeziehen schien. Dies hat die Menschen beeindruckt und vergessen
gemacht, daß er Christus in anderer Hinsicht schmählichst verraten hat.
Friedrich Wilhelm Graf schreibt in der SZ vom 4.3.2005, also vier
Wochen vor Wojtylas Tod, über diese Zurschau-Stellung: "Der
Schmerzensmann auf Petri Stuhl ist kein hilfloses Opfer machtlüsterner
Klerikergruppen im Vatikan. Das derzeit aufgeführte Papstpassionsdrama
entspricht vielmehr bis in kleine Herrschaftsgesten hinein dem
religiösen Selbstbild und dem postmodernen Amtsverständnis dieses
Papstes. (...) Hilfreich ist zudem der Mut der Einsicht, dass
langjährig demonstrierter physischer Verfall nur ein weiterer Höhepunkt
in einer Papst-Performance ist, die viel mit Aktionskunst gemein hat.
Der Leidenskultus reagiert auf moderne Körperreligion, den Body-Kult
der ewig Jungen in den Fitness-Tempeln."
Es ist hier nicht der Ort, auf die religiösen- und kirchlichen
Skandale, die Johannes Paul II., der die Cathedra Petri, wie S.E.
Erzbischof Ngô-dinh-Thuc in seiner Vakanz-Declaratio vom 25. Februar
1982 nur okkupiert hatte, im einzelnen einzugehen. Das haben wir in den
vergangenen Jahren getan. Denkwürdig aber bleibt die Tatsache, daß
Johannes Paul II. mit seiner ständigen Betonung, Christen, Muslime und
Juden glaubten an den gleichen Gott - obwohl Christus, den er doch
vorgab, auf Erden zu vertreten, das Gegenteil gelehrt hatte, nämlich,
daß "niemand zum Vater [kommt] außer durch [ihn]" (Jo. 14,6),
nicht nur die Trinität leugnete und die Einzigartigkeit der Offenbarung
Gottes "in seinem Sohn" (Hebr.1,1), sondern damit zugleich die
Absolutheit der von Christus gegründeten Kirche. Obwohl Apostat, galt
er vielen wegen seiner moralischen und Positionen - er war gegen
Abtreibung, Empfängnisverhütung - als konservativer Papst mit
archaischer Integrität, die ihre Faszination auch auf protestantische
Christen und a-religiöse Personen ausübte.
Ich hatte in den letzten Jahren versucht, dieses Charisma, welches er
gerade auf Jugendliche, die er zur "Zukunft und Hoffnung der Kirche"
bestimmt hatte, ausstrahlte, zu verstehen und zu analysieren. Ich habe
eine Reihe von Notizen angelegt, um dieses Phänomen zu dokumentieren,
um auch darüber einmal zu schreiben. Es ist bei der Sammlung
literarischer Fragmente geblieben. Ich darf aber vielleicht ein
Zwischen-Resume vorlegen. Meiner Meinung nach bestand die Faszination,
die er auf die Jugend ausübte, darin, daß er sie mit einem allgemeinen
religiösen Impetus ansprach und ihnen das Gefühl einer gewissen
Hoffnung, ja moralischen Geborgenheit vermittelte, die jedoch von den
so Angesprochenen keinerlei Mühe und Anstrengung einforderte, das Leben
intensiv auf Gott auszurichten. Seine so vermittelte Botschaft blieb
der Unverbindlichkeit verhaftet, sie suggerierte das Gefühl des
Gerechtfertigtsein im status quo: "Schaut auf Christus, aber bleibt so,
wie ihr seid." Jemand, dem tatsächlich die Gnade zuteil geworden wäre,
moralische Impulse zu vermitteln, wie z.B. der hl. Don Bosco es tat,
hätte vielleicht eine Umkehr bei der Jugend bewirkt, gerade auf dem
Gebiet der lax gehandhabten Sexualmoral. Vielleicht könnte ein Don
Bosco heute den jungen Mädchen oder Burschen klarmachen, daß sie vor
der Ehe Enthaltung üben sollten. Um es kraß zu sagen, er hätte sie
bewegt, die "Pille" nicht mehr zu nehmen. Aber ich habe nicht gehört,
daß die ach so begeisterten Wojtyla-Fans ihre moralischen
Verhaltensweisen geändert hätten. Die Mädchen nehmen die Pille weiter
ein!
Diese moralische Instanz, die Johannes Paul II. ungerechtfertigterweise
für sich in Anspruch nahm, geht sogar soweit, daß Leser, die unsere
Arbeit sehr schätzen, unsere kirchliche Grundposition, daß nämlich
Sedisvakanz herrscht, nicht mittragen.
Um aber hinsichtlich der Grundüberzeugung, die das Handeln Johannes
Paul II. geprägt haben, niemanden im Unklaren zu lassen, lasse ich ihn
selbst reden und zitiere die entscheidenden Passagen aus seinem
Testament, die er am 17.3.2000 geschrieben hat: "Auf der Schwelle des
dritten Jahrtausends “in medio Ecclesiae†stehend, will ich noch einmal
dem Heiligen Geist Dankbarkeit ausdrücken für das große Geschenk
des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dessen Schuld ich mich zusammen
mit der ganzen Kirche - und vor allem dem ganzen Episkopat - fühle. Ich
bin davon überzeugt, dass noch lange die neuen Generationen aus dem
Reichtum schöpfen werden, die dieses Konzil des 20. Jahrhunderts uns
angehäuft hat. Als Bischof, der am Konzilsereignis vom ersten bis zum
letzten Tag teilgenommen hat, will ich dieses große Erbe allen
anvertrauen, die jetzt und in Zukunft dazu gerufen sein werden, es
umzusetzen. Ich für meinen Teil danke dem ewigen Hirten, der mir
erlaubt hat, dieser großen Sache in all diesen Jahren meines
Pontifikates zu dienen. “In medio Ecclesiaeâ€â€¦ von den ersten Tagen des
bischöflichen Dienstes an ist es mir – dank dem Konzil – gegeben
worden, die brüderliche Gemeinschaft im Bischofsamt zu erleben. Als
Priester des Erzbistums Krakau hatte ich erfahren, was die brüderliche
Gemeinschaft der Priester untereinander bedeutet - das Konzil hat eine
neue Dimension dieser Erfahrung eröffnet. (...) Wie könnte ich nicht an
die vielen christlichen Brüder erinnern - die nicht-katholischen! Und
den Rabbiner von Rom und so viele Vertreter der nicht-christlichen
Religionen! Und die vielen Vertreter der Welt der Kultur, der
Wissenschaft, der Politik, der Medien! (...) Allen möchte ich das eine
sagen: “Gott vergelte es euchâ€- “In manus Tuas, Domine, commendo
spiritum meum†A.D. 17.III.2000". (Das Testament Johannes Paul II. -
Volltext im Internet unter www.vatikan.de - 07/04/2005 15.21.16)
Wenn man weiß, daß auf dem II. Vatikanum der Absolutheitheitsanspruch
der Kirche aufgegeben wurde, daß nämlich nun auch "salus extra
Ecclesiam" angeboten wird, versteht man, in welch konsequenter Weise
Wojtyla diese Relativierung - beginnend mit seinem synkretistischen
Spektakel 1986 in Assisi - umgesetzt hat.
Nachtrag:
Inzwischen habe ich in einem Gespräch mit einem katholischen Christen,
der durch Econe geprägt ist, erfahren, in welcher Weise diese
Bruderschaft das Problem der Sedisvakanz umgeht. Der Papst sei
vergleichbar mit einem Familienvater. Auch ein schlechter Vater -
vielleicht denken die econe-istischen Vordenker dabei an jemanden, der
im Suff Frau und Kinder schlägt - sei dennoch Vater. So sei es auch mit
dem Papst. Auch wenn er ein schlechter ist, bliebe er der rechtmäßige
Inhaber der Cathedra Petri. Ich halte diesen Vergleich für einen
semantischen Betrug und für perfide. Ich glaube, daß diese Erklärung
auf Wojtyla bezogen, den Econern inzwischen Schwierigkeiten bereiten
wird. Wie aber wollen diese theologischen Schönfärber Johannes Paul II.
zum schlechten Vater stempeln, den schon alle Welt als Heiligen
verehrt, dessen Grab inzwischen nicht abreißende Pilgerströme anzieht
und von dem Kard. Ratzinger meinte, er sei sicher, "dass unser
geliebter Papst jetzt am Fenster des Hauses des Vaters steht, uns sieht
und uns segnet." (SZ vom 9./10.4.2005) |