In der Diaspora
... oder: jeder steht an der Front
von
Eberhard Heller
Die Vorstellung, in der "Vereinzelung" zu leben, ist uns wahrlich nicht
mehr unbekannt. Aber daß sie die Form sein wird, in der wir zukünftig
unser geistiges, unser religiöses Leben führen müssen, ist für viele
noch gewöhnungsbedürftig, aber sie nimmt immer realistischere Züge an.
Der sog. Widerstand hat sich vor Ratzingers theologischem
Intelektualismus verflüchtigt wie die "Nebel vor der Sonne" - ein
Vergleich, den bereits Johannes XXIII. bemühte und auf die Zeitirrtümer
bezog, "die sich vor dem Licht der Wahrheit" verflüchtigen sollten wie
die "Nebel vor der Sonne"... heute sieht man, mit welchem 'Erfolg'
dieser Prozeß eingesetzt hat: es genügte, die "Sonne Ratzingers"
scheinen zu lassen, jenes Arianers, der seinen Eucharistiebegriff an
den Luthers anlehnte (vgl. Ratzinger, Joseph: "Ist die Eucharistie ein
Opfer", CONCILIUM von 1967). Die Traditionalisten haben vor ihm
kapituliert.
Hier zeigen sich nun auch die verheerenden Folgen der Unterlassung, den
Wiederaufbau der Kirche voranzutreiben. Selbst die Idee der
mexikanischen Priesterunion Trento, erst Seelsorge zu betreiben, um
dann später einmal an den Aufbau kirchlicher Strukturen zu denken, ist
falsch... und funktioniert nicht. "Seelsorge" - so wie sie
üblicherweise betrieben wird! - ist konkret nur individuelle
Sakramentenversorgung. Darin hat sich das Engagement der Priester bis
heute erschöpft und mehr wollten auch die meisten Gläubigen nicht!
Treibende Intention: Heilsegoismus. Anstatt dieses Egoismus hätte die
Vorstellung vorherrschend sein müssen, die Gläubigen als
Kirchengemeinschaft zu begreifen, die den mystischen Leib Christi
bildet, so wie ihn Pius XII. in seiner Enzyklika "Mystici Corporis"
definiert hat.
Wir haben es schon früher festgehalten (EINSICHT 30/3, vom August 2000, S.75):
Die Kirche ist (nach der Definition des Kirchenlehrers Bellarmin) „die
Gemeinschaft aller Gläubigen, die durch das Bekenntnis desselben
Glaubens, durch die Teilnahme an denselben Sakramenten vereinigt sind
unter der Leitung der angeordneten Hirten und besonders des einen
Stellvertreters Christi auf Erden, des römischen Papstes“ (De eccles.
milit. c. 2). Diese Gemeinschaft betrifft in besonderer Weise die
Bischöfe und Priester: „Damit aber der Episkopat selbst eins und
ungeteilt sei und durch die untereinander eng verbundenen Priester die
gesamte Menge der Gläubigen in der Einheit des Glaubens und der
Gemeinschaft bewahrt werde, errichtete er, indem er den seligen Petrus
an die Spitze der übrigen Apostel stellte, in ihm ein dauerhaftes
Prinzip dieser ... Einheit.“ (Vatikanisches Konzil, Konstitution Pastor
aeternus, DS 3051). Aber auch die Gläubigen müssen untereinander
verbunden sein: „... die Kirche (muß) vor allem aus dem Grund ein Leib
genannt werden, weil sie aus einer rechten und zusammenstimmenden
Mischung und Verbindung von Teilen zusammenwächst und mit
verschiedenen, untereinander im Einklang stehenden Gliedern
ausgestattet ist.“ (Pius XII., Enzyklika "Mystici corporis" vom 29.
Juni 1943, DS 3800). Damit ist gemeint, daß zu den Kriterien der
Kirchenzugehörigkeit auch die Intention gehört, die Gemeinschaft der
Gläubigen untereinander zu befördern. Diese allseitige Einheit muß sich
sichtbar nach außen darstellen: „Daraus folgt, daß sich in einem großen
und ebenso verderblichen Irrtum befinden, die sich die Kirche nach
ihrem eigenen Gutdünken gleichsam als verborgen und keineswegs sichtbar
vorstellen und entwerfen ...“ (Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, 29.
Juni 1896, DS 3301).
D.h. ohne diesen katholischen Geist, d.h. ohne die Idee und den Willen
zur Communio, zur kirchlichen Gemeinschaft der Gläubigen untereinander
zu manifestieren, fehlt all den sog. Meßzentren -den Klerikern und den
Gläubigen - die wahrhaft kirchliche Gesinnung.
Es wäre kein Problem gewesen, die Seelsorge unter der leitenden Idee
des Wiederaufbaus zu betreiben. Dieser hätte mit der Bildung intakter
Gemeinden beginnen müssen. Aber aus den anfänglichen Notgemeinschaften,
wo es zunächst vorrangig um die Wahrung des hl. Meßopfers ging, hat
sich in der Regel keine kath. Kirchengemeinschaft entwickelt. Im
deutschsprachigen Raum ist das m.W. nach nur dem inzwischen
verstorbenen H.H. Pfr. Molitor gelungen, der neben einer
funktionierenden Katechese auch verschiedene Gruppen (z.B.
Jugendgruppen) mit bestimmter Aufgabenzuteilung installieren konnte.
Aber nun lösen sich auch diese Zentren, in den lediglich die hl. Messe gefeiert wird, wegen 'Personal'-Mangels auf.
In der Tat, jeder steht bald für sich allein da... umgeben von
Mitmenschen, denen unsere intransingente Haltung von Tag zu Tag fremder
und unverständlicher wird.
Und unser Kampf, unser Kampf um's geistige Überleben fängt eigentlich
erst jetzt an! Der Kampf gegen uns selbst, gegen unsere Resignation,
unsere Einsamkeit, gegen unsere Trägheit, gegen steigendes
Desinteresse, gegen unsere Gleichgültigkeit, gegen unsere geistige
Müdigkeit, gegen unsere Erfolgslosigkeit. Wie befreiend wäre es, sagen
zu können: "Das war's, wir nehmen das Angebot Ratzingers an". Aber dann
klingt uns Christi Frage an seine Zwölf im Ohr, nachdem ihn schon viele
Jünger verlassen hatten: "Wollt auch ihr gehen?" und Petrus antwortet:
"Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens. Wir haben
geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist." (Jo. 6,67 ff.)
Und das allein sollte uns trösten.
Nein, wir haben uns etwas vorgemacht! Auch bisher haben wir mit all
diesen deprimierenden Momenten zu tun gehabt, sie werden jetzt nur
deshalb überdeutlich, weil es keine Kriterien mehr gibt, an denen sich
unsere Opposition festmachen könnte. Wojtylas Skandale wirkten für uns
wie ein Alibi, um zu übersehen, daß das, was wir taten, längst nicht
ausreichte, erneut die alten Fundamente zu legen. Ratzinger ist
geschmeidig! Er küßt keinen Koran! ... und kaum jemand bemerkt noch...
und es will auch niemand mehr bemerken, wie er gegenüber einer
jüdischen Delegation das Wesen der (gleichberechtigten!) Religionen -
Judentum, Christentum, Islam - erklärt: Ihre Aufgabe bestehe in
allgemeiner Friedenssicherung, kultureller Entfaltung unter
Respektierung der jeweiligen Symbole und der heiligen (sic!) Stätten.
Er legte den Titel "Patriarch des Abendlandes" ab, den Leo d.Gr. im
Jahre 450 eingeführt hatte und den die Päpste seither geführt hatten,
um "die Ökumene zu fördern"... und nur die SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (vom
24.3.2006) nimmt noch Notiz davon.
Was können, was müssen wir tun?
- Wir müssen uns darüber klar werden, ob wir kompomißlos Träger der gesamten Offenbarungswahrheit sein wollen.
- Wir müssen überlegen, wie wir unser Leben in der Vereinzellung religiös führen,
- wie wir unseren Glauben stärken können,
- wie und in welcher Form wir den mystischen Leib aufbauen und erhalten können. d.h. auch,
- wie wir untereinander in Kontakt treten können...
- wie wir anderen Zeugnis geben können.
Charles des Foucauld ging zu den muslimischen Arabern nicht primär als
Missionar zur Bekehrung der Mohammedaner, sondern er kam zu ihnen, um
ihnen durch seine Lebensführung zu zeigen, was christliches Leben
bedeutet, wie man es praktisch führt.
Als das alte römische Reich zusammenbrach, hat sich der hl. Benedikt um
529 mit seinen Gefährten in die Einsamkeit vom Monte Cassino
zurückgezogen, um in deren Gemeinschaft das Christentum zu bewahren.
Wir können uns auch, wo das möglich ist, in (Wohn)Gemeinschaften
zusammenfinden, zu Gebetsgemeinschaften zusammenschließen. Es gilt,
unseren ganzen Mut zusammenzunehmen, um der gegeben Situation - auch
allein (!) - mit Zuversicht durchzustehen. Die Möglichkeiten, etwas für
den wirklichen Wiederaufbau der Kirche zu tun, haben wir - zumindest
bis jetzt - leichtfertig vertan. Kein Außenstehender hat uns daran
gehindert, nur wir uns selbst. Aber wenn es in Gottes Heilsplan
begründet ist, wird er Seine Kirche auch wieder erstarken lassen, ihr
neues Leben schenken.
Derweil harren wir dieser "Auferstehung" mit großem Gottvertrauen entgegen.
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Der hl. Petrus Forrer (Fourier), regul. Kanoniker, Pfarrer von Mattainsourt:
„Vier ganze himmlische Lehrerinnen soll man hören:
Die Liebe,
die Geduld,
das Stillschweigen und
die vollkommene Demut." |