54. Jahrgang Nr. 7 / Dezember 2024
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1. Weihnachten einmal anders: „Mama Merkel baut uns ein Haus“
2. Legende von der Christrose
3. „Er sah ihn und ging vorüber“ – Priester ohne kirchliche Sendung: das Legitimitätsproblem
4. Kann man die römisch-katholische Kirche verlassen? 2. Offener Brief an die Redaktion der EINSICHT
5. Die Bergpredigt
6. Vernichtung keimenden Lebens
7. Du sollst nicht falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten - Internet - Segen oder Fluch?
8. Buchbesprechung:
9. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN...
10. Mitteilungen der Redaktion
Die Bergpredigt
 
Die Bergpredigt

von
Norbert Dlugai

I. Einleitung


Das Thema, mit dem wir uns hier befassen wollen, ist wegen seiner großen Heilsbedeutung für den Menschen geeignet, Bände zu füllen. Ob insoweit jedoch der interessierte Leser immer mit der unverfälschten katholischen Lehre, die allein maßgebend ist, in Berührung kommt, mag dahingestellt bleiben.

Was unsere Überlegungen betrifft, so sollen die wesentlichen Aspekte des biblischen Zeugnisses über die Bergpredigt und die Konsequenzen daraus für den Christen aufgezeigt und transparent gemacht werden. Denn die Worte Jesu in seiner Bergpredigt füh-ren uns Hochziele und Verhaltensweisen vor Augen, die zu erstreben, für das wahre zeitliche und ewige Heil von größtem Gewicht sind.

II. Die Schriftzeugnisse über die Bergpredigt


Sie sind uns in Matth. 5, 2-10 und Luk. 6, 20-22 überliefert. Ein Unterschied in den bei-den Quellen besteht insofern, als die Lehre Jesu in der lukanischen Fassung nicht die Ausführlichkeit aufweist wie bei dem Evangelisten Matthäus. Jedoch beginnen beide Schrifttexte mit den eindringlichen, Mahnungen Jesu, welche wir die "Seligpreisungen" nennen. Das Matthäus-Evengelium erwähnt acht Seligkeiten, während die kürzere Lukasversion sich auch bei den Seligkeiten niederschlägt, weil es nur vier sind, die Lukas benennt.

Auf diese Unterschiede fixiert, schlußfolgerten manche Exegeten, man müsse davon ausgehen, daß zwei verschiedene Bergpredigten existierten. Die Unhaltbarkeit einer solchen Theorie erhellt sich aber schon daraus, daß die Predigten Jesu, bevor sie in die Evangelien Eingang fanden, häufig unter verschiedenartigen Fassungen und Ausformungen in der urchristlichen Katechese verwendet und vorgetragen worden sind. Eine dieser Predigten fügte Matthäus in sein Evangelium ein, eine andere übernahm Lukas für seine Frohbotschaft. Doch wird nicht in Zweifel gezogen, daß die matthäische Textfassung den wahren, den eigentlichen Sinn der Herrenworte wiedergibt. Somit soll der Matthäus-Text der Bergpredigt den Gegenstand der Betrachtungen bilden.

III. Die acht Seligpreisungen


Welches ist ihr Sinngehalt? - so die entscheidende Frage für den Christen. Jesus Christus, der Gottessohn und Erlöser, will des Menschen Sinne, Herz und Verstand gewissermaßen umpolen, damit er fähig werde, schon während seines irdischen Pilgerdaseins als Hochziel die wahre göttliche oder himmlische Seligkeit zu suchen und nach ihr zu streben. Eine Seligkeit, die nichts gemeinsam hat mit der grauen, vergänglichen Seligkeit, die an Fadheit und Trostlosigkeit zunimmt, je intensiver man sich ihr ausliefert.

Der Jesuit P. Jules Lebreton beschreibt in seinem Buch "Jesus Christus, Leben und Lehre" (Alsatia Verlag, Colmar 1952, S.129) den Akt der Verheißung der Seligkeiten wie folgt: "Ihre Verheißung ist keine losgelöste Gemütserhebung mehr, die sich in Gebet oder Beschauung aufschwingt, sondern die feierliche Zusage der Seligkeit durch den, der weiß, was sie bedeutet, der sie auch verleihen kann und durch diese letzte Sanktion die Erfüllung der höchsten Pflichten heiligt (…). Die gleiche Seligkeit nun wird von Christus unter verschiedenen Bezeichnungen gelehrt."

Dies wird noch klarer, wenn Romano Guardini in seinem Werk "Der Herr - Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi" Werkbund-Verlag, Würzburg 1951, schreibt: "Etwas Himmlisch-Mächtiges drängt in den Seligpreisungen durch. Sie sind nicht bloß Lehren einer höheren Ethik, sondern Kunde vom Durchbruch einer heilig-höchsten Wirklichkeit (…). Das ist von einer allem Irdischen gegenüber neuen, himmlischen Größe. Dieses Unerhörte drückt Jesus dadurch aus, daß er alle unmittelbar verständlichen Wertungen umkehrt". (a.a.O., S. 80)

Und so muß, wie bereits gesagt, eine "Umpolung" des inneren Menschen vonstatten gehen und zur Reife gelangen, soll der Durchbruch des "Himmlisch-Mächtigen" gelingen, - und so den christlichen Laien wie den Verkünder des Evangelium im Priesteramt empfänglich und aufgeschlossen machen für den wahren, tiefsten Sinn der Seligpreisungen, um zu versuchen, der "heilig-höchsten Wirklichkeit" möglichst nahe zu kommen.

1. Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.

Unsere Generation erlebt eine Gesellschaft, die seit Jahrhunderten durch Umwälzungen großen Ausmaßes entscheidend geprägt ist. Als Folge davon wurde u.a. ein neuer Menschentyp geboren, dessen Verhaltensweisen und Anschauungen sich ebenfalls änderten. Das betrifft insbesondere die geistig-religiösen Wertvorstellungen samt den sie vermittelnden Institutionen.

Der Mensch emanzipierte sich von angeblich althergebrachtem "Verstaubtem" und schließlich konnte es nicht ausbleiben, daß der Emanzipations-Enthusiasmus auch vor Gott, der allerhöchsten Institution, nicht Halt machte. Es wuchsen aus vergiftetem Boden zerstörerische Ideologien, die den göttlichen Anspruch, der Mittelpunkt allen Weltgeschehens zu sein, verdunkelten und statt dessen den Menschen als das allein Maßgebende gelten ließen. Kurz gesagt: Ein gefährlicher Anthropozentrismus löste den bis dahin vorherrschenden Theozentrismus ab.

Zurück zu unserer Seligpreisung. Das oben Gesagte läßt ahnen, daß sich sehr viele Christen weit von dem befinden, was die Schrift unter "geistiger Armut" versteht. Insofern ist eindeutig satanische Böswilligkeit am Werk, wenn geistlose Spötter die geistige Armut als "geistiges Minderbemitteltsein" oder gar als "krankhaftes Irresein" abqualifiziert.

Die "Armut im Geiste" - wie unser Herr Jesus sie einfordert, damit das Himmelreich des Christen Besitz werde - ist ein die menschliche Begrenztheit durchbrechender Anruf: Der Mensch, ob materiell arm oder reich, muß erkennen und einsehen, daß er wegen seiner Unvollkommenheit, seiner Hinfälligkeit, der Gefahrenträchtigkeit des Daseins und vor allem wegen seiner Verstrickung in Schuld und Sünde in Wahrheit vor Gott ein armes, ein armseliges Geschöpf ist und bleibt bis zur Vollendung des Lebens. Das erfordert eine ständige Haltung der Demut dem Schöpfergott gegenüber.

Die totale Bezogenheit und Hinordnung auf den unaussprechlich heiligen Gott tut sich hier auf, die einer vom menschlichen Willen getragenen Akzeptanz in allen Lebensbeziehungen bedarf, in die der Mensch von Gott hineingestellt ist und verharren muß. Das gilt besonders für den heutigen, vom Zeitgeist versklavten Menschen, der weithin davon abgekommen ist, sich die Demutshaltung des Zöllners anzueignen, der ausruft "Herr, sei mir armem Sünder gnädig" (Luk.18,13 f.). Auf solche wahrhaft "Armen" im Geist trifft die Seligpreisung des Herrn zu, denn sie gestalten als bessere Menschen eine bessere und gerechtere Welt. Und sie erweisen sich so als die Freunde Gottes, die sich einst zu den Erben des Himmelreiches zählen dürfen. Der Mensch der Gegenwart ist für das alles geistig blind und taub geworden. Seine (emanzipatorischen) Verirrungen sind die Ursachen, welche den verstockten Sünder für ewig von Gott trennen, wenn er sich nicht zu seiner geistigen Armut vor Gott bekennt und Reue zeigt. Der glaubensstarke Christ aber sollte nicht nachlassen, für die Bekehrung der blind und taub gewordenen Seelen zu beten!

2. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

Die Trauer, mit der wir uns im Sinne der Seligpreisungen auseinandersetzen, hat zwei Gesichter, welchen wir jederzeit und überall unausweichlich begegnen. Das eine Gesicht ist das des Todes eines Menschen, der aus unserer Mitte gerissen wurde. Das andere Gesicht ist die Trauer über Erlebnisse, Zustände und - heute immer seltener - das sündhafte Versagen vor Gott. Angesichts der Endlichkeit des Menschen sollte das Versagen den Christen stets mit Schmerz und tiefer Reue erfüllen! Nun drängt sich die Frage auf unsere Lippen: Wie stehen wir zum Tod? Ist er für uns etwas Normales - auch wenn er in unserer Gegenwart jeden Tag reiche Ernte hält? Oder ist er gar zum "Bruder Tod" geworden, als den ihn der heilige Franz von Assisi in seinem Lobgesang pries? Nein - selbst die allermeisten Christen verabscheuen ihn als das Unheilvoll-Unnatürliche, dem, so die trügerische Hoffnung, vielleicht einmal der Garaus erwächst.

Wir haben vergessen oder nehmen es nicht mehr ernst, was der Apostel Paulus als die Wahrheit in Röm. 5,12 uns ins Gedächtnis ruft: "Durch die Fehlhaltung eines Menschen kam die Sünde in die Welt, und mit ihr kam der Tod". Und mit ihm die Trauer mit dem düstersten Gesicht, dem wir begegnen.

Jedoch, "die Trauernden werden getröstet werden". Diese Worte sind absolute Wahrheit, weil sie uns von dem, der die Wahrheit ist, ins Herz gelegt wurden. Wir müssen lernen, die Macht der Verheißung mehr und mehr zu verspüren! Die Tröstung der Trauernden, die einen Menschen verloren haben, wird ihre Vollendung im Himmel finden, wenn die dem Toten Nahestehenden mit ihm zusammen die Wonnen der himmlischen Herrlichkeit erfahren, wenn sie durch die Gnade Gottes gerettet sind.

Das strenge Gebot der christlichen Nächstenliebe nimmt aber schon hier auf Erden den Menschen, und vor allem den Diener Gottes im Priesteramt in die Pflicht, den Trauern-den tröstenden Beistand zu gewähren. Doch was z.B. ein Geistlicher bei einer Grabrede nicht selten an himmlischem Trost zu vermitteln glaubt, hätte er zuweilen besser unterdrücken sollen. 

Wenn uns schließlich das Gesicht der Trauer von dem durch anderes Leid Schmerzgebeugten entgegenblickt, dann ist die einstige himmlische Seligkeit in gleicher Weise kein Grund, dem Leidgeprüften schon hier unten Beistand und Trost zu versagen, insbesondere einem mit Schuld und Sünde beladenen Menschen. Letztlich jedoch ist es Gott, "der jede Träne abwischen wird. Es wird kein Tod, keine Trauer, keine Klage und kein Schmerz mehr sein. Denn was einst war, ist vergangen" (Offb. 21,4).

3. Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land als Erbe besitzen.

Diese Seligpreisung ist auf den ersten Blick geeignet, erneut Mißverständnisse hervorzurufen, indem man die Meinung vertritt, die "Sanftmütigen", wie sie Jesus sieht, seien sozusagen ein Amboß, auf den man nach Belieben einschlägt, ohne eine Gegenwehr zu befürchten, welche einem Christen ohnehin verwehrt ist.

Eine derartige Fehlargumentation verkennt die Intention der Seligpreisung total. Wer sind aber die Sanftmütigen i.S. der Heilandsworte? Es sind jene, die vor Gott innerlich ruhig, demütig und gütig wurden. Sie gelangten zu einer Haltung der Klarheit und der echten Gelassenheit. Einer Haltung, die nichts gemein hat mit dem Stumpfsinn eines Alles-über-sich-Ergehenlassen. Nein, vielmehr zeigt der Sanftmütige eine mildgewordene Kraft, die ihn befähigt, aus der Wahrheit heraus die Lebenssituationen unbeirrt zu meistern. Bereits in Ps. 37,11 heißt es, "daß die Stillen das Land besitzen und sich an der Fülle des Friedens erfreuen". Doch während ihrer irdischen Pilgerschaft setzen die Sanftmütigen ihre Kräfte und Fähigkeiten vor allem dafür ein, das Böse durch das Gute zu überwinden (Röm. 12,21).

Ein geistiger Ansporn für die Sanftmütigen ist unser Heiland Jesus Christus, da er sich selbst als sanftmütig bezeichnet (Matt.11,29). Der Apostel Paulus ermahnt die Christen (2 Kor. 10,1) "bei der Sanftmut und Milde Christi". Doch begegnen wir einem Sanftmütigen, wie ihn uns Christus vor Augen stellt, so sehen wir in ihm vielleicht einen guten Mitmenschen bzw. einen Nachbarn, der uns keinen Ärger bereitet und von dem keine Unannehmlichkeiten zu erwarten sind. Aber es bleibt dem Blick verborgen, daß von diesem "Gutmenschen" etwas Himmlisch-Machtvolles ausstrahlt, was fähig macht, das Böse durch das Gute zu überwinden, um dem Satan keinen Raum zu geben (Joh. 8,44).

4. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.


Hunger und Durst im natürlichen Sinne sind etwas Quälendes. Das haben Millionen von Menschen erfahren, die Opfer von Kriegen, Katastrophen und ähnlichen Schicksalsschlägen heimgesucht worden sind. Doch was bedeutet der Hunger nach Gerechtigkeit, der gestillt werden wird, wie es Jesus verheißt? Um welche Art von Gerechtigkeit handelt es sich?

Nicht gemeint ist sicher jene Art Gerechtigkeit, die z.B. ein überempfindsamer Mensch als erfüllt ansieht, wenn über einen streitsüchtigen Nachbarn Unglück und Leid hereinbrechen, als angeblich wohlverdiente Strafe für sein Verhalten. Nein, auch die vierte Seligpreisung offenbart ebenso das Himmlisch-Machtvolle, das in die Welt hereinbricht, um letztlich den Menschen mit einer wichtigen Botschaft zu konfrontieren. Sie besagt, daß der nach wahrer Gerechtigkeit strebende Mensch Gott suchen und finden soll, denn Gott allein ist die einzig wahre Gerechtigkeit, nach der wir Hunger und Durst verspüren sollen, bis Gott das Verlangen in der Ewigkeit befriedigen wird.

Dieses Ausgerichtetsein "nach oben" (Kol.3,1) muß als Wichtigstes die Vollkommenheit, ja die Heiligkeit ersehnen - als Meilensteine der Befriedigung der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, die sich mit Gott verbindet. Es bilden so Gott, das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit eine Einheit. Verschiedene Schrifttexte bezeugen das klar und eindeutig. Eine grundlegende Schriftaussage ist die Stelle (Matth. 6,33), wo Jesus seine Zuhörer mit folgenden Worten mahnt: "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch hinzu gegeben werden". Der Apostel Paulus verurteilt in Bezug auf das Gottesreich irdische Vorstellungen und Irrtümer, wenn er in Röm. 14,17 an seine Gemeinde schreibt: "Das Reich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist".

Wir wollen hier einen kurzen Blick auf das Alte Testament werfen. Da lebten die Juden zur Zeit Jesu in dem Glauben, die Verwirklichung der wahren vollkommenen Gerechtigkeit finde mit dem Erscheinen Gottes in Macht und Herrlichkeit statt. Jedoch ist dem entgegen zu halten, daß nach Jesu Worten (Matth. 6,33) der Mensch sich auf die Suche nach der Gerechtigkeit schon auf Erden begeben soll. Demzufolge vermag er dann dar-aus seinen geistigen Gewinn verbuchen, wenn auch in unvollkommener Weise. Das läßt den Menschen, der beharrlich ist und bleibt, ebenso auf anfängliche Weise das erfahren, was unser Herr eine "Sättigung" nennt.

Sie wird dem Menschen in grenzenloser Fülle in der Ewigkeit zuteil werden, wenn der Suchende auf Erden sehnsüchtig oder eben "hungrig und durstig" seinen Blick auf die verheißene Sättigung richtet. Das Sichausrichten nach etwas ist ganz allgemein zu allen Zeiten ein Urtrieb des Menschen. Denn im Tiefsten bewegt alle die Sehnsucht, ja ein Hunger und Durst nach dem Göttlichen, welches Halt gibt, selbst wenn man sich dies nicht eingestehen will. Aber es ist da, als eine seltsame Unruhe, die den Menschen mehr oder weniger umtreibt.

Diese Unruhe aber als Positivum gesehen, vermag gekrönt werden durch die volle ungeteilte Hinwendung zum einzig wahren Ziel, welches angestrebt werden will, welches den ruhelos Suchenden auffängt: Gott und seine immerwährende Gerechtigkeit. Dort allein findet und erfährt der Irrende und Suchende die ersehnte Sättigung seines Verlangens, die restlos zu beglücken vermag.

5. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.


Diese Seligpreisung ist mit der vorhergehenden eng verbunden, wobei die biblische Offenbarung öfter die Barmherzigkeit in enge Beziehung zur Gerechtigkeit stellt. Vgl. Matth. 23,23 wo es heißt: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Anis und Kümmel, laßt aber das Wichtigste des Gesetzes außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Dies soll man tun, das andere nicht unterlassen".

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind Geschwister. Sie inspirieren den Menschen zu allen guten Werken, die vor Gottes Augen "gut und gerecht" sind. Die Barmherzigkeit, die dann der Mensch an sich selbst erfährt, ist die Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber. Und der Herr läßt das in das Gebet einfließen, welches er uns auftrug: "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern".

In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, daß z.B. alle drei Synoptiker die inhaltsschweren Worte Jesu überliefern: "Mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird euch gemessen werden." Aber wird das Hören und Befolgen gerade dieser Worte Jesu nicht zu einem unausweichlichen Muß? Weshalb? Wir können nicht die Tatsache verschleiern, gegen die heute selbst der Christ, und Gott sei es geklagt, die sog. Kirchen einen Schutzwall errichtet haben - nämlich, daß das Maß, mit dem uns gemessen wird, auch die Verdammnis sein kann!?

Offenbart sich da nicht die volle absolute Gerechtigkeit Gottes neben seiner Heiligkeit und Barmherzigkeit als Ausfluß der überragenden Fülle göttlicher Allmacht zu allen Zeiten - einer Allmacht, die alles das, was als gnadenlos und unbarmherzig den Menschen entwürdigt und verletzt, ahnden muß?

Dem (möglichen) göttlichen Zorngericht zu entgehen, setzt die Existenz wahrhaft neuer Menschen voraus, die - ob am Freund oder am Feind - Barmherzigkeit und Samariter-dienste leisten. Der Samariter der Bibel, dessen Stammesangehörige mit den Juden in Feindschaft lebten, stellt ein leuchtendes Beispiel an Barmherzigkeit und Nächstenliebe dar. "Gehe hin" - so würde Jesus sagen - "und tue das Gleiche, damit auch du Barmherzigkeit erlangst". Ohne sie gerät die Welt in eine erschaudernde Kälte. Dies erleben wir heute überall auf dem Erdenrund.

Diesen Teufelskreis zu durchbrechen vermag allein das Aufblicken zu Christus, dem Sühne leidenden Durchbohrten am Kreuz, der seine Liebe und Barmherzigkeit in unermeßlicher Fülle verströmte, bis zum schmachvollen Tod am Kreuz. Und sogar noch vom Kreuz aus öffnete der sterbende Gottessohn die Herzenstür seiner Barmherzigkeit dem reumütigen Schächer, der die trostvollen Worte hörte: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein".

Mit Blick auf das Paradies begeben sich auch heute hochherzige Menschen und Christus-jünger auf den Weg der uneingeschränkten Nachfolge Jesu Christi, um Liebe und Barmherzigkeit in eine erkaltete Welt hineinzutragen, damit sie wieder ein wenig wärmer und menschlicher werde. Und es scheint, daß nur eine generelle allumfassende und konsequente Christusnachfolge überhaupt das einzige und vielleicht das letzte Mittel ist, um Welt und Menschheit vor einem drohenden Untergang zu bewahren.

Von daher ist der 5. Seligpreisung in der Tat etwas Himmlisch-Mächtiges zu eigen, das für einen in Christus erneuerten Menschen den geistigen Raum bereitet, in welchem er sich mehr und mehr auf Gott hin zu entfalten vermag, wenn zudem sein Dasein von Liebe und Barmherzigkeit geprägt ist.

6. Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.


Lassen wir erneut Romano Guardini zu Wort kommen, der den Wesenskern der Seligpreisung in seinem Buch "Der Herr" (a.a. O, S. 77) wie folgt darlegt: "Selig gepriesen werden die, die lauteren Herzens sind, deshalb, weil sie Gott schauen werden. Diese Reinheit des Herzens meint nicht nur das Freisein von den Trübungen der Sinne, sondern die Lauterkeit des Innern überhaupt, den guten Willen vor Gott. Von dieser Gesinnung wird gesagt, daß sie Gott schaue; denn Gott zu erkennen, ist nicht Sache des bloßen Verstandes, sondern des lebendigen Blickes. Dieser Blick ist klar, wenn das Auge rein ist; die Wurzeln des Auges aber liegen im Herzen. Um Gott zu erkennen, hilft es nicht viel, den bloßen Verstand anzustrengen; das Herz muß lauter werden".

Daraus ergibt sich, daß die Herzensreinheit, wie sie von Jesus selig gepriesen wird, nicht bloß eine Art moralische Tugend ist, durch welche die sittliche Zügellosigkeit bekämpft werden soll, vielmehr steht die (geistige) Aufrichtigkeit, die Unschuld und die Geradheit des ganzen Menschen auf dem Spiel. Und auf diese Weise erhält der Mensch den "lebendigen Blick", dessen Wurzeln im Herzen liegen, wie Guardini es nennt. Ein bekannter Münchner Dominikaner, P. Magnus Maria Beck, hat vor Jahren in einer Fastenpredigt den Zuhörern einen schönen Gedanken zu beherzigen aufgetragen, indem er sagte: "Die Seligpreisungen, die Bergpredigt, ja das ganze Evangelium, laufen darauf hinaus, daß wir uns die Gesinnung Gottes aneignen. Nur so wird jemand ein wahrer Christ und ein neuer Mensch". Doch, so mag man vielleicht argumentieren, es gelingt zu jeder Zeit nur wenigen Auserwählten, sich die Gesinnung Gottes anzueignen.

Wer so denkt, verkennt, daß unser Erdendasein ein stetes "Sich-auf-den-Weg-machen" zu Gott ist, wobei es jedoch freilich den meisten Christen kaum gelingt, die letzte Stufe der Vollkommenheit zu erreichen. Wenn sie aber guten Willens danach gestrebt haben, wird Gott ihnen das letzte Stück Weg in väterlicher Liebe entgegenkommen.

Noch aber leben wir auf Erden, in Gottes Schöpfung. Es tönt aber ein lauter Klageruf an Gottes Ohr, und von da wieder an unser Ohr, weil wir das Antlitz der Schöpfung mehr und mehr verunstalten. Vernehmen wir die Klagerufe, oder sind wir taub? Taub, weil uns vielleicht die Verunstaltung der Schöpfung aus rein ökologischer Sicht berührt, je-doch nicht die Entstellung, welche sichtbar wird in der Degenerierung der menschlichen Persönlichkeit als das mit einer Geistseele ausgestattete Wesen, das die "Krone der Schöpfung" ist. Diese tendiert heute zu einem immer progredienter werdenden, vernaturalisierten Anthropozentrismus, von wo nur ein kleiner Schritt ist hin zum Agnostizismus oder gar zum Atheismus. In der Tat, dies ist das krasseste Gegenteil von Lauterkeit des menschlichen Herzens, es ist vielmehr eine geradezu satanische Unordnung der Herzen, die vom Bösen vergiftet sind.

Würde es einem Bußprediger, wie Johannes dem Täufer, gelingen, die heutige Generation wieder für Gott zu begeistern und die Freude zu wecken über geläuterte Herzen, auf die Gott mit Wohlgefallen blickt könnte, weil sie rein und lauter sind? Die meisten Mensch heute verspüren keinerlei Bedürfnis mehr, nach dem zu streben, was Jesus Christus das "reine Herz" nennt. Daher kann auch keine Bindung zu und mit Gott entstehen, die unerläßlich ist für ein neues rechtes Verhältnis zur Schöpfung und zum Mit-menschen - und das will die Seligpreisung und die Bergpredigt zugleich bewirken.

7. Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.


Wiederum ist ein Bezug gegeben zwischen dieser Seligpreisung und der vorhergehen-den. Denn das menschliche Herz ist die wahre ureigentliche Quelle dessen, was man unter Frieden versteht bzw. zu verstehen sich bemühen sollte. Wer ist nun ein Friedfertiger? Wer mit sich selbst im Frieden lebt, den Frieden Gottes im Herzen trägt, wird auch zum Friedensstifter unter den Menschen.

Der Frieden ist ohne Zweifel eine der edelsten Gottesgaben. Er wurde anläßlich der Geburt unseres Heilands in Bethlehem allen Menschen guten Willens machtvoll verkündet. Von diesem himmlischen Friedenswunsch her gesehen ist es verständlich, daß in zahlreichen Stellen des Neuen Testamentes von Frieden und Friedfertigkeit die Rede ist - vom Frieden Gottes und von dem Frieden unter den Menschen, die guten Willens sind.

Die folgenden Texte belegen das klar und eindeutig: "Frieden", so spricht Christus, "hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch" (Joh. 14,27). - "Durch den Glauben gerechtfertigt, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus". (Röm. 5,1) - "Soweit es möglich ist und auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Schafft euch nicht selbst Recht, Geliebte, sondern überlaßt das dem Zorngericht Gottes". (Röm. 12,18)  - "Seid auf Frieden mit allen bedacht und auf eure Heiligung. Ohne sie wird niemand den Herrn scheuen". (Hebr.12,14) - Und ebenso mahnt der Apostel Petrus mit eindringlichen Worten (1 Petr. 3,8-12): "Seid endlich alle eines Sinnes, voll Teilnahme, reich an Bruderliebe, Erbarmen und Demut. Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung! Segnet vielmehr! Dazu seid ihr ja berufen, Segen zu erhalten. Denn wer sein Leben liebgewinnen und gute Tage sehen will, der bewahre vor Bösem seine Zunge, vor trügerischer Rede seine Lippen. Er lasse ab vom Bösem und tue das Gute. Er suche den Frieden und strebe ihm nach. Des Herrn Augen achten auf die Gerechten, und seine Ohren auf ihr Flehen. Die Übeltäter aber trifft der Zornesblick des Herrn" (vgl. Ps 34,13-17). Denn Gott ist ein Gott des Friedens, weil er der Gott der Güte und der Kraft ist.

Friedlosigkeit, Kampf und Streit hingegen bezeugen in abstoßender Weise die Enge und Widersprüchlichkeit des Daseins selbst. Soll Frieden errichtet werden, muß eine tiefe, lösende und überwindende Kraft am Werk sein. Jene, die dies mit dem Gnadenbeistand vermögen, sind aus Gottes Geblüt, und sie richten sich an dem Christuswort (Joh. 14,27 aus: "Friede sei mit euch, meinen Frieden gebe ich euch".

Wie bereits erwähnt, ist ein rein menschlicher Friede ohne den Frieden Gottes im Herzen zu bewahren, nicht möglich. Ein derartiger Friede ohne die göttliche Gnadenzuwendung wird brüchig und muß schließlich scheitern. Gescheitert sind in geradezu katastrophaler Weise die Politiker und Staatsmänner, die besonders im vergangenen Jahrhundert, voller Haß und Unfrieden im Herzen, Kriege vom Zaun brachen, und so millionenfaches Elend, Not und Tod der Menschheit zugefügt haben. Diese Pseudopolitiker trugen alle auch den Haß und den Abscheu gegen Gott, Kirche und Christentum in sich und fanden ein mehr als klägliches Ende und hinterließen einen riesigen Trümmerfeldes in vielen Teilen der Welt.

Und heute? - Krieg, Feindschaft und Haß regieren überall weiter auf dem Erdenrund. Welches sind die tiefsten Ursachen? Übergroß und deutlich begegnen wir dem verzerrten Gesicht des Bösen, des Widersachers, weil wir das milde Antlitz des Königs über die Völker, Jesus Christus, nicht wahrnehmen. Weil wir Gott nicht mehr kennen und beachten  und seine Forderung, den wahren, echten, dauerhaften Frieden mit ihm und in ihm zu suchen und zu gewinnen für Zeit und Ewigkeit, nicht mehr erfüllen.

8. Selig die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.

Die letzte Seligpreisung unterscheidet sich von den vorausgehenden dadurch, daß der Jünger Christi nicht allein vor seinem Herrn und Meister steht, sondern sich in böser Gesellschaft der Feinde Christi befindet, die nicht zum Schafstall Christi gehören. Deswegen verfolgen sie den Jünger, der die Gerechtigkeit zu seinem festen Lebensprinzip gemacht hat, um ein wirklicher Jünger Jesu zu sein. Ihm wird sein Meister einmal eine "Wohnung im Hause des Vaters" bereiten.

Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen - wer zählt die Märtyrer seit Christus bis in unser Millenium? Es sind Heerscharen von Christusbekennern, die um ihres Glaubens willen Elend, Schmach und Grausamkeiten erduldeten. Doch braucht eine Verfolgung nicht immer gegen Leib und Leben gerichtet zu sein. Nicht minder demütigend und schmachvoll ist z.B. die Ausgrenzung und Rufschädigung eines Menschen wegen seiner Christustreue, die bei den Mitmenschen aus irgendwelchen dunklen Gründen Anstoß erregt. Dessen werden wir sogar in unserem sog. "christlichen Abendland" gewahr.

In dieser Situation vernehmen wir die bitteren und zugleich trostvollen Worte unseres Heilands, der zu seinen Jüngern sagt: "Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen" (Joh. 15,20). "Denn der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn. Der Jünger muß zufrieden sein, wenn es ihm geht wie seinem Meister, und der Knecht, wenn es ihm geht wie seinem Herrn. Hat man den Hausherrn Beelzebub geschmäht, um wieviel mehr seine Hausgenossen" (Matth. 10,24 f.).

Das alles sind schrille Mißtöne in den Ohren des Weltmenschen! Seine Seligkeit duldet keine Verfolgung wegen seiner - allenfalls noch rudimentären selbstgestrickten - Religiosität. Sein angeblich gesunder Sinn sträubt sich gegen das, was als Umwertung aller Werte an Gewicht gewinnt, gewinnen muß. Der moderne Mensch reagiert allergisch, wenn seine armselige Welt von oben erschüttert würde oder ihm gar wegen seiner Gesinnung Unbill droht. Aber früher oder später wird der "Nur-diesseits-Bürger" vor die Alternative gestellt, den Blick "nach oben" zu richten und gerecht zu werden oder die göttliche Verheißung des Himmelreiches zu verwirken, wenn sein Dasein sich nicht auf Gott und seine Gerechtigkeit ausgerichtet hat.

Wir verspüren bei alledem den Einbruch des "Himmlisch-Mächtigen" und der "Heilig-höchsten Wirklichkeit" in unser Dasein - das trifft auf alle Seligpreisungen zu und nicht nur auf diese, bei denen gleichsam die Macht der Nähe Gottes im besonderen für den wachen Christen spürbar sein sollte.
 
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