54. Jahrgang Nr. 7 / Dezember 2024
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1. Was ist das eigentlich: Die Häresie?
2. SPRÜCHE DER VÄTER
3. DER WIEDERAUFBAU DER KIRCHLICHEN HIERARCHIE
4. UNTERWEGS ZUR WELTEINHEITSRELIGION
5. WENN APOSTASIE ZUR NORM WIRD
6. DER HL. JOHANNES KAPISTRAN
7. COMMUNIQUÉ DES ST. PETRUS CANISIUS-KONVENTES
8. VOM LEID DER ANDEREN
9. BILANZ DES SCHRECKENS: 3 MILLIONEN DEUTSCHE STARBEN
10. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN
11. MITTEILUNGEN DER REDAKTION
DER HL. JOHANNES KAPISTRAN
 
DER HL. JOHANNES KAPISTRAN

von  
Eugen Golla
 

Der Hauch eines Geheimnisses liegt über der Abstammung des Johannes von Kapistran, der 1386 als Sohn eines Landedelmannes in Capestrano in den Abruzzen geboren wurde. Bis heute ist es umstritten, welcher Nationalität sein Vater angehörte, der als Krieger dem König von Neapel diente; möglicherweise war ein Deutscher.

16-jährig bezog Johannes die Universität Perugia, wo er sich mit großen Eifer der Rechtswissenschaft widmete, um sich auf den Staatsdienst vorzubereiten. Seine Laufbahn begann er als Rat am königlichen Gerichtshof zu Neapel. Einige Jahre später wurde er Richter in Perugia, wo er es verstand, sich beliebt zu machen. "Er versäumte aber auch nichts, der Welt zu gefallen. Seinem Äußeren widmete er eine sorgfältige Pflege, besonders seinem Haupthaar, das er über die Schultern herabwallend trug, schön gekräuselt und mit Goldfäden gebunden. Nicht um tausend Dukaten hätte er seine Haare hergegeben, gestand er später. Wenn so die gedrungene, kleine Gestalt des Richters, elegant gekleidet und festlich geputzt, durch die Starßen der Stadt schritt, grüßte alles freundlich den 'Messer Giovanni1, wie er sich nannte." (Vgl. Hofer I, S.48.)

Bald heiratete er, aber die Ehe wurde nie vollzogen, sondern wahrscheinlich unmittelbar nach seinem "Damaskuserlebnis" gelöst, welches das Weltkind in einen Mönch verwandelte, der sich im Dienst des HERRN aufrieb. Und so spielte sich die große Wende in seinem Leben ab. In diesen Jahren - unmittelbar nach Beendigung des großen Schismas - wurde Italien von Kämpfen, Fehden und Kriegen heimgesucht. Als stellvertretender Gouverneur Perugias beauftragt, Friedensverhandlungen aufzunehmen, fiel Kapistran als Unterhändler in die Gewalt eines der verbannt gewesenen Adelshäupter. In eine Turmzelle gebracht, versuchte er, sich mittels eines Stricks aus Bettzeug und Oberkleid in die Tiefe hinabzulassen. Aber das Seil riß. Von neuem gefangengenommen, wurde er trotz eines Schenkelbruchs im Turmverließ, bis zu den Knien in Wasser stehend, mit eisernen Ketten an die Mauer geschmiedet. In dieser Lage verfiel er in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf, aus dem ihn plötzlich ein Getöse weckte. Zugleich wurde das Verließ hell und eine Gestalt im Franziskanerhabit, in der er den hl. Franziskus vermutete, stand vor ihm. Als er sie umfassen wollte, verschwand sie, aber er mußte feststellen, daß er eine Tonsur nach Franziskanerart erhalten hatte. Auf diese Vision folgten Tage schwerer innerer Kämpfe. Mit allen Kräften sträubte er sich, dem geheimnisvollen Ruf zu folgen und die Welt zu verlassen. Als aber etwa eine Woche später die Erscheinung - diesmal drohend - wieder vor ihm stand, erklärte er sich bereit, alles zu tun, was Gott von ihm verlangen würde. Es war dies am Tage der hl. Büßerin Magdalena (22. Juli).

Nachdem er bald darauf auffallend leicht seine Freiheit wiedererlangt hatte, löste er seine Ehe auf und bat um Aufnahme in dem Franziskanerkloster auf dem Monte Ripida bei Perugia. Dort warteten seiner harte Prüfungen. Man glaubte anfangs nicht an eine echte Berufung und sparte gegenüber dem verwöhnten Intellektuellen nicht mit Spott und Demütigungen. Hinzu kamen n ch seelische Qualen durch Rückblicke auf sein vergangenes Leben, sowie sinnliche Phantasien und Versuchungen. Um ihrer Herr zu werden, fügte er sich Brandwunden zu und stürzte sich in Haufen schmutzstarrender Wäsche, in der Ungeziefer nur so wimmelte.

Der Franziskanerorden konnte zu dieser Zeit trotz der schweren Krisen, die durch die Armutsstreitigkeiten im 13. und 14. Jahrhundert über ihn hereingebrochen waren, bereits auf 2oo Jahre erfolgreiches Wirken zurückblicken. Ursprünglich hatte der hl. Franziskus nicht die Absicht gehabt, einen neuen Orden zu gründen, sondern er wollte nur mit einer I kleinen Schar Gleichgesinnter Christi Wanderleben in vollständiger Armut bis zur letzten Konsequenz nachahmen. Der große Zulauf zwang allerdings bald dazu, einen festorganisierten Orden zu gründen, was zur Folge hatte, daß die Frage, wie weit das Armutsideal gelebt werden könne, bzw. ob, wie bei anderen Orden,wenigstens gemeinsames Eigentum erlaubt sei, zu immer neuen Krisen führte. Diese spitzten sich gefährlich zu, als aus der Richtung der Spiritualen, den Verfechtern absoluter Armut, die schwärmerische, bald auch kirchlich verurteilte Sekte der Fraticellen hervorging. Soweit es sich um das echte Anliegen des Armutsideals handelte, wurde es von den Observanten aufgegriffen, während im Gegensatz zu diesen reformeifrigen Brüdern die Konventualen in großen, geräumigen Klöstern lebten. Unser Heiliger erhielt die Gnade, im Kloster auf dem Monte Ripido eine Stätte gefunden zu haben, welche die echte Observanz pflegte, und ihm so die Grundlagen mitgab, die ihn befähigten, einer der führenden Männer im Kampf um die Observanz zu werden.

Bald nach dem Erhalt der Weihen - wahrscheinlich schon 1418 - begann er als Inquisitor den Kampf gegen die Fraticellen, die unter dem Schütze mächtiger Gönner Anarchie in Kirche und Gesellschaft zu verbreiten drohten. Hier tritt schon deutlich seine Kampfnatur zum Vorschein. So schreibt er: "Jede andere Beschäftigung muß der Verteidigung des Glaubens weichen; sie ist mir die angenehmste Tätigkeit, ich schätze sie höher als jede andere Arbeit." (Hofer I, S.96.) Es wäre aber einseitig, in Kapistran nur den Inquisitor zu sehen, denn bald sollte sein Hauptarbeitsfeld auf dem Gebiete der Wanderpredigt liegen.

Für Italien ist insbesondere das 15. Jahrhundert die große Zeit der Bußprediger gewesen, von denen viele der strengen Richtung der Franziskanerobservanz angehörten, so auch neben Kapistran der hl. Bernhardin von Siena. Eine Zeit lang arbeiteten beide zusammen. Als Redner war wohl Bernhardin der bedeutendere, aber Johannes ergänzte den kränklichen Sienesen durch sein organisatorisches Talent und seine juristischen Kenntnisse, denn oft fiel den Bußpredigern die Aufgabe zu, Fehden und komplizierte Prozesse zu schlichten. 1427 mußte sich der hl. Bernhardin in Rom wegen Ketzerei verantworten, weil er angeklagt worden war, beim Einzug in die Städte eine Standarte mit dem Namen Jesu, der von 12 Sonnenstrahlen umgeben und mit einem Kreuz gekrönt war, voraustragen zu lassen. Kapistran trug wesentlich dazu bei, daß sein Gefährte gerechtfertigt aus dem Prozeß hervorging, ja sogar vom Papste beauftragt wurde, drei Monate in Rom zu predigen.

In den 3o-iger Jahren ist unser Heiliger bereits Oberer und Gesetzgeber der Observanz, deren positive Entwicklung oft die Besten aus den Reihen der Konventualen veranlaßte, zu ihr überzutreten, was die Auseinandersetzung in der Ordensfamilie immer heftiger werden ließ, zumal die Konventualen durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit die Macht besaßen, Provinzial- und Generalkapitel in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Die franziskanische Askese bis zur letzten Konsequenz verlangte allerdings der Heilige in erster Linie von sich selbst: "Die ersten sieben Jahre ging er ganz barfuß, dann trug er offene Sandalen, erst in den letzten Jahren, dieseits der Alpen, geschlossene Schuhe. (...) Nächtigte er in Häusern, dann ließ er aus dem Bett bis auf den Strohsack alles entfernen. Am Mendizieren (= betteln) der Brüder beteiligte er sich in Italien während seiner Missionen persönlich; mit dem Brotsack am Halse ging er von Tür zu Tür, die Almosen in Empfang zu nehmen. (...) Saß er an einer Tafel, dann konnte es vorkommen, daß er die vorgesetzten Speisen unberührt ließ und sich aus seinem Brotsacke sättigte mit der Begründung, die selbstgesammelten Stücke mundeten ihm besser." (Hofer I, S.145 f.)

In diese Zeit fallen auch seine ersten großen Reisen. Infolge der Übernahme der Kustodie des hl. Grabes durch die Franziskanerobservanten dürfte er 1439/4o eine Palästinafahrt unternommen haben, über welche allerdings nichts näher bekannt ist. Danach übte er das Amt eines Visitators für die Provinzen nördlich der Alpen aus und besuchte die Konvente in Burgund und Flandern. Nebenbei erübrigte er auch noch Zeit, schriftstellerisch tätig zu sein. Am bekanntesten wurde sein Traktat "Klerikerspiegel". In ihm ruft er den Priestern zu: "Wohlan, ehrwürdige Brüder, beeilt euch, nicht dem Judas, sondern Petrus und den anderen Aposteln und Jüngern Christi zu folgen; bewahrt diese überragende Würde in Ehren, daß ihr durch makellose Heiligkeit euch die Achtung der Könige und Fürsten verdienet." - "Unter Tränen und Schweiß müssen sich die Priester täglich die Gabe der Frömmigkeit erflehen." (Hofer I, S.22o/221.) In der Schrift über die päpstliche Machtvollkommenheit wird gegenüber der seit dem großen Schisma mächtigen Konzilsbewegung die alte katholische Lehre von der päpstlichen Gewalt bedingungslos verteidigt.

Das Jahr 1444 brachte für Kapistran eine schwere Erschütterung: den Tod des hl. Bernhardin von Siena. Obwohl schon zu seinen Lebzeiten wie ein Heiliger verehrt, nahm der gleich nach seinem Tode beginnende Kanonisationsprozeß, der zu einem großen Teil in den Händen Kapistrans lag, mehrere Jahre in Anspruch. Im Jahre von dessen Abschluß, I45o, erhielt Johannes vom Papst den Auftrag, das Oberhaupt des Deutschen Reiches, Kaiser Friedrich III. in seiner Residenz in Wiener Neustadt zu besuchen. Der eigentliche Grund für diese Reise war wohl nicht missionarische Tätigkeit und die Errichtung von Observantenklöstern in Österreich, sondern seine Unterstützung bei der Beilegung der politischen Wirren in Österreich und Böhmen.

Im Juni und Juli 1451 hielt sich Kapistran in Wien auf, wo er fast täglich predigte. Diese von einer gewaltigen Volksmenge besuchten Predigten von zwei bis drei Stunden Dauer wurden in Latein gehalten, da der Heilige des Deutschen nicht mächtig war. Ein Dolmetscher übersetzte dann für die Zuhörer, die des Latein nicht mächtig waren. Mehr als 15o dieser Predigten sind uns, wenn auch unvollständig, so doch mindestens dem Gedankengang nach, überliefert.

Die Hauptthemen des Wiener Predigtenzyklus waren: Gnade, Messianität Jesu, das Weltgericht, die Gottesmutter Maria, die Vorzüge des Ordensstandes. Sie kehren auch andernorts wieder. Aber sein beweglicher Geist wird durch Wünsche der Zuhörer, dazwischenfallende Feste oft zu Änderungen angeregt, so daß manche Predigtfolge unvollendet blieb. Es ist von Interesse, daß Kapistran es war, der die Deutschen bei den Marienpredigten lehrte, den damals im Reiche noch nicht üblichen zweiten Teil des Ave-Maria zu beten.

Viele seiner Predigten sind wichtige Quellen für seine Biographie: Von seinem Leben als Weltmensch, seiner Ehe, seiner Bekehrung spricht er ebenso freimütig, wie er auch nicht unterläßt, von seinen Leistungen als Ordensmann zu berichten.Natürlich bekämpft er von der Kanzel aus die schlechten Sitten und moralischen Verfehlungen. Aber er gehört nicht zu jenen Bußpredigern, deren Hauptstärke das Moralisieren ist. Andererseits waren seine südländische Art des Vortrages, die lebhaften Gesten, der Wechsel in der Lautstärke, auch das "Misericordia"-Rufen bei Bußpredigten dem nüchternen Charakter der Deutschen nicht genehm. Enea Silvio Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., damals Sekretär des Kaisers, gibt uns eine in ihrer lapidaren Kürze vortreffliche Charakteristik des großen Predigers: "Ich habe ihn in Wien gesehen: ein kleiner, alter Mann, hager, dürr, ganz ausgetrocknet, nur aus Haut und Knochen zusammengesetzt". (Hofer II, S.39) Und dieser kleine alte Mann hatte den ganzen Tag aufgeteilt in Beten, Messelesen, Predigen und Krankenbesuche, letztere oft bis tief in die Nacht. Diese bei ihm Trost suchenden Kranken waren ihm ein gewisser Ersatz dafür, daß ihm infolge der Unkenntnis der Landessprache die Seelsorge im Beichtstuhl versagt blieb. Aber es handelte sich nicht nur um die Fürsorge für die Leidenden: zu Lebzeiten keines anderen Heiligen wurden urkundlich so viele Krankenheilungen bezeugt. Natürlich bleibt bei der großen Anzahl der Wunder - Kapistran berichtet z.B. allein von 7oo Wundern nach einigen Monaten Aufenthalt in Wien - die Frage offen, ob es sich wirklich allesamt um dauernde Heilung handelte.

Von Wien aus betrat Johannes v. Kapistran den Boden Böhmens und Mährens. Der radikale Hussitismus, der mit Feuer und Schwert seine Lehre verbreitete und noch 1431 ein gegen ihn gesandtes Kreuzzugsheer in die Flucht geschlagen hatte, sank kurz darauf zur Bedeutungslosigkeit herab, da es der gemäßigten Richtung, den Utraquisten gelang, mit der Kirche, d.h. mit dem Basler Konzil, welches damals allerdings bereits schismatisch war, da es dem rechtmäßigen Papst den Gehorsam aufgekündigt und einen Gegenpapst aufgestellt hatte, Frieden zu schließen. Das Hauptzugeständnis, die Spendung der Kommunion unter beiden Gestalten, war an die Bedingung geknüpft, die Gläubigen daran zu erinnern, daß unter jeder Gestalt der ganze Christus enthalten sei. Dies wurde aber von den Utraquisten meist mißachtet, ebenso verneinten viele von ihnen weiterhin die Lehre vom Fegefeuer, die Nützlichkeit der Gebete für die Verstorbenen, den Ablaß und die Heiligenverehrung. Schließlich verboten die Prager Ratsherrn sogar die Kommunion unter einer Gestalt. Somit war der Utraquismus, an dessen Spitze zielbewußte und energische Männer standen, im Begriffe, unter Verdrängung der katholischen Kirche eine national-tschechische Konfession zu werden.

Nachdem wenige Jahre vorher das Basler Konzil ein unrühmliches Ende gefunden hatte und Papst Nikolaus V. nunmehr allgemein anerkannt worden war, zeigten die Utraquisten großes Interesse an einer vollständigen Aussöhnung mit Rom. Allerdings verstanden sie darunter nichts anderes als die bedingungslose Anerkennung der ihnen in Basel gewährten Konzessionen. Im Gegensatz dazu sah aber Kapistran den Zweck seiner Mission darin, den Utraquismus zu vernichten, der in seinen Augen eine regelrechte Häresie war, obwohl, rein äußerlich gesehen, die Unterschiede gegenüber der katholischen Kirche nicht bedeutend waren. Die wichtigste Abweichung im Kult war der Laienkelch sowie die Kommunion der unmündigen Kinder. Es wäre daher ein Irrtum zu glauben, es wäre z.B. anstelle der Messe ein Produkt wie der sog. 'Novus Ordo' getreten: es wurde der römische Ritus gelesen, nur Epistel und Evangelium wurden tschechisch vorgetragen.

Kurz zusammengefaßt ist zu sagen, daß sämtliche Bemühungen Kapistrans, seinen Verhandlungen, Predigten, seinen Hussitentraktaten kein Erfolg beschieden war. Teilweise mag dies ein Mangel an diplomatischem Vorgehen gewesen sein, vielleicht war es aber noch schwerwiegender, daß es damals weder Kaiser noch Papst für opportun hielten, den Utraquismus bedingungslos zu verwerfen. Der weitere Gang der Geschichte gab allerdings unserem Heiligen recht. In den 15 Jahren nach seinem Tod spielte sich die Entlarvung des Utraquismus als Ketzerei sowie der offene Kampf mit ihm ab, der mit dem Sieg des Katholizismus endete.

Die Periode vom Juli 1452 bis Juli 1454 ist ausgefüllt mit Reisen durch Franken, Thüringen, Sachsen, Schlesien und Polen. Abwechselnd ist Kapistrano Missionar, Schiedsrichter, Inquisitor, Visitator der Observanten und Gründer von Klöstern dieser Richtung. In Nürnberg hielt er 27 Predigten. In der zweiten teilte er mit, daß auch die Juden kommen sollten. Oft wurde ihm vorgeworfen, ein grausamer Judenverfolger gewesen zu sein. Eines steht fest: mag er sich auch bei der Durchführung der damaligen Judengesetze bedauerlicherweise unnötige Härten zuschulden kommen lassen haben - wir können ihn von diesem Vorwurf nicht freisprechen -, so ist es doch falsch, in ihm einen Wegbereiter des modernen Antisemitismus zu sehen, der sein Dasein pseudowissenschaftlichen 'Erkenntnissen' des 19. und 2o. Jahrhunderts verdankte. Durchdrungen von der Polarität der christlichen und jüdischen Religion sah der mittelalterliche Mensch in den Juden die Nachkommen derjenigen, welche das "Kreuzige ihn" geschrieen hatten. Es mußten noch Jahrhunderte vergehen, bis Lessing seinen Nathan das Credo des Indifferentismus aussprechen läßt und Mgr. Wojtyla verkündet, daß Juden und Christen denselben Gott haben. Zitieren wir noch kurz den Biographen unseres Heiligen: "Die Leute mögen geduldig zuhören, mahnt er am folgenden Tag: 'Ich will diesen Gegenstand fortsetzen; ich hoffe, er wird unseren Freunden, den Juden von Nutzen sein.1 - 'Unsere teuersten Juden' nennt er sie ein andermal. Das war durchaus nicht ironisch gemeint. Von Judenhaß weiß er sich frei. Er bekennt sich zu den Worten des hl. Hilarius: 'Wenn ich die Juden nicht liebe, bin ich kein guter Christ. War nicht Christus ein Jude, und die seligste Jungfrau Maria? Waren nicht auch die Apostel Juden?' Den Juden, aus deren Geschlecht Christus geboren werden sollte, Gnade zu erwirken, halte er diese Predigten. (...) Seine christlichen Zuhörer warnt er vor den Reden der Juden, man könne in jedem Glauben sein Heil finden. 'Wenn jeder in seiner Religion selig werden kann1 bemerkt er einmal, 'dann muß es so viele Religionen als Menschen geben.1 'Geh, geh, geh! Dann darfst Du nicht mehr sagen: Im Namen des Herrn, oder ich glaube an den einen Gott.' In diesem Streben der Juden, ihren christlichen Wirtsvölkern den religiösen Indifferentismus einzuträufeln, sieht er die religiöse Gefahr, die von den Juden ausgeht. Ihr zu begegnen gibt es für ihn nur zwei Wege: entweder sie bekehren sich zum Christentum oder, wenn sie in ihrem Unglauben verharren, müssen die zum Schutz der Christen erlassenen Judengesetze streng durchgeführt werden."(Hofer II, S.154/55.)

1453 eroberte Sultan Muhamed II. Konstantinopel. Aber der Türke rüstete weiter, und zwei Jahre später beschloß er, Ungarn anzugreifen. Auf diese drohende Gefahr hin begab sich Kapistran als Kreuzzugsprediger dorthin, nahm an den Beratungen des Reichstages teil und wandte sich in Hilferufen an den Kaiser und den Papst. Die Vorbereitungen zum Krieg lagen in den Händen des Legaten Kardinal Carvajal, des Oberbefehlshabers Hunyadi sowie Kapistrans. Dieser schrieb kurz vor seiner Abreise zum Kriegsschauplatz an seine Verwandten: "Ich hoffe, mit dem christlichen Heere gegen die Ungläubigen ziehen zu dürfen. Mein Wunsch ist, mein Leben zu beschließen mit dem Martyrium für den, der für uns am Kreuze gestorben ist. Nur fürchte ich, einer solchen Gnade nicht würdig zu sein". (Hofer II, S.365.)

Vor dem belagerten Belgrad wurde Johannes von Capestrano der eigentliche Feldherr. Als der Angriff der türkischen Übermacht bevorstand, sahen Hunyadi und Carvajal keinen anderen Ausweg, als die Stadt zu räumen, denn sie waren der Ansicht, mit der schlecht ausgebildeten und gerüsteten, bunt zusammengewürfelten Schar der Kreuzfahrer führe jeder Kampf zur totalen Katastrophe. Aber Kapistran war in "heiligem Starrsinn" entschlossen, mit seinen Leuten die Festung zu halten. Infolgedessen durfte es der ungarische Feldherr nicht wagen, das Kreuzfahrerheer seinem Schicksal zu überlassen. Die folgenden Tage brachten wechselweise höchste Gefahr und siegreiche Abwehr, bis es unter der Führung des Heiligen zu dem entscheidenden Ausfall kam, der die Türken zwang abzuziehen. Wenn er in seinem Bericht an den Papst schreibt, er habe sich wie ein zweiter Josua an die Spitze des christlichen Heeres stellen müssen, so ist dies keine eitle Prahlerei. Die Prüfung sämtlicher Schlachtenberichte gibt vielmehr dem treuen Begleiter des Heiligen, Johannes von Tagliacozzo recht, wenn er schreit; daß durch die Verdienste, die unermüdliche Tätigkeit und das Gebet Kapistrans Belgrad gerettet worden sei.

Gewiß, der Sieg bei Belgrad vermochte es nicht zu verhindern, daß 7o Jahre später die Heere des Sultans, weit über Belgrad vordringend, die Hälfte Ungarns überfluteten und 15o Jahre besetzt hielten. Aber eines müssen wir berücksichtigen: der großartige Plan Muhameds II., ganz Europa dem Islam zu unterwerfen, wovon Belgrad die erste Etappe sein sollte, war zunichte gemacht worden, und keiner seiner Nachfolger hatte den Willen oder die Fähigkeit, ihn konsequent durchzuführen.Vielleicht könnten wir auch mutmaßen, daß Wien zwar 1529 und 1683, aber nicht 1456 standzuhalten vermochte! Jedenfalls war der HERR mit Seiner Kirche, als ER es zuließ, daß ein 7o-jähriger, von Askese ausgezehrter Mönch sich an die Spitze eines kämpfenden Heeres stellte.

Kapistran war für eine möglichst sofortige Ausnützung des Sieges durch Verfolgung der Türken, ja er hoffte, die hl. Messe am Weihnachtsfeste in der Grabeskirche zu Jerusalem lesen zu dürfen. Aber es sollte anders kommen. Abgesehen davon, daß die Gleichgültigkeit der christlichen Mächte einen solchen Krieg unmöglich machte, brach in dieser heißen Jahreszeit eine furchtbare Lagerseuche aus, zu deren frühen Opfern auch Hunyadi gehörte. Aber auch unser Heiliger wurde von dieser Krankheit befallen. "In einer ruinösen Hütte wurde dem Kranken ein Lager bereitet; eine Matte auf dem Erdboden, ein Holzklotz als Kissen, mit seinem eigenen Mantel zugedeckt, so lag er da, vom Fieber geschüttelt, in der Gesellschaft von Mäusen, Schlangen, Eidechsen und Mükken". (Hofer II, S.411.) Schließlich wurde er in das zwischen Donau und Save gelegene Observantenkloster Ilok gebracht, wo er nach vorübergehender Besserung am 23. Oktober 1456 starb.

Wie über seine Abstammung väterlicherseits, so liegt auch über seinem Leichnam ein Geheimnis: er ist verschollen. Wahrscheinlich wurde das Grabmal in Ilok von den Türken zerstört und die sterblichen Überreste verstreut. Aber Wien darf sich rühmen, ein kostbares Andenken an den großen Mann zu besitzen. Mitten im Herzen der Weltstadt, auf dem Stephansplatz, an der Nordost-Seite des Stephansdomes befindet sich, gekrönt von barocken Siegestrophäen, die schlichte gotische Kanzel, von der herab er sich so oft an die Menge seiner Zuhörer wandte.

Die Heiligsprechung nahm mehr als 2oo Jahre in Anspruch und erfolgte erst 169o. Aber schon vorher wußte man, wen man in der Türkennot um Hilfe anflehen sollte. 1683, in den Wochen des Entscheidungskampfes vor Wien, stand in der altehrwürdigen Franziskanerkirche St. Maria Ara Coeli in Rom ein Bild Kapistrans auf dem Hochaltar.

Johannes Kapistran wurde zwar kein so populärer Heiliger wie z.B. Franziskus. Aber die als Folge des II. Weltkrieges mitten durch Europa gehende bedrohende Spaltung in Ost und West ließ die Idee eines friedlich geeinten Europas, sowie des christlichen Abendlandes sich neu beleben. Hierzu ist unser Heiliger, der über sämtliche Landesgrenzen hinweg im Dienste Gottes und der Kirche stand, ein besonders geeignetes Leitbild und in diesem Sinne gab ihm Pius XII. 1956 in einem Schreiben anläßlich des Doppeljubiläums seines Todes und des Sieges bei Belgrad den Namen "Apostel Europas". Fest am 28. März.

Benutzte Literatur:
Hofer, Johannes: "Johannes Kapistran" Heidelberg 1965.
Manns, Peter: "Die Heiligen" Mainz 1975.
Pastor, Ludwig v.: "Geschichte der Päpste" Bd.l, Freiburg 1901.

 
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