54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Alles wird gut werden
 
Alles wird gut werden
Vor 650 Jahren schrieb Juliana von Norwich
das Buch ihrer Offenbarungen

von
Magdalena S. Gmehling

Sie muss eine ganz besondere Frau gewesen sein. In der Kathedrale von Norwich erinnert eine imponierende Statue von David Holgate an Lady Julian. So wenigstens wurde die Mystikerin aus dem 14. Jahrhundert nach dem Ort ihres Aufenthaltes, einer Reklu-senzelle in der Kirche St. Julian in Norwich (Ostengland), genannt. Nach alter Überlieferung soll das Bauwerk noch in die Zeit der normannischen Eroberung zurück reichen. 1373 begann Juliana als Dreißigjährige nach schwerer Krankheit am 14. Mai die „Revelations of Divine Love“ zu schreiben. Es handelt sich um das älteste englischsprachige Buch einer Frau.

Man weiß wenig Persönliches von der gemütvoll erhabenen Einsiedlerin, die immer wieder als weiblicher Eckehart bezeichnet wurde. Ihre Offenbarungen aber, die bis in das Jahr 1393 reichen, zeugen von einer philosophisch und theologisch hochgebildeten Persönlichkeit. Offensichtlich stammte die Mystikerin aus vornehmem Stande und verdankte ihre Bildung den Benediktinerinnen von Carrow. Auch scheint sie – die sich stets als „Arme“ und „Einfältige“ bezeichnete - über eine ungewöhnliche seelsorgerische Begabung verfügt zu haben. Am Fenster ihrer Behausung verdeutlichte sie den Ratsuchenden immer wieder mit einer Art radikalem Optimismus, dass es eine Charakteristik Gottes ist, das Gute über das Böse siegen zu lassen („All shall be well and all shall be well and all manner of thing shall be well“).

Zwei große Gedanken, jener von der Allwirklichkeit und jener von der Allwirksamkeit der göttlichen Majestät durchziehen das Denken der Reklusin. Nichts geschieht ohne Gott. Er wirkt in Allem. In der 13. Offenbarung spricht der Herr zu Juliana: „Ich darf alles gutmachen, und ich kann alles gutmachen, und ich werde alles gutmachen, und ich will alles gutmachen, und du selbst sollst sehen, dass alles gut sein wird.“(1) Die Frage, die Juliana sich nun stellt lautet: Was ist dann Sünde? Was ist der Sinn des Bösen? Eine Antwort darauf ist das Hauptanliegen ihrer Offenbarungen. Eine Art selige Überzeugung erfüllt sie, dass Gottes Barmherzigkeit an der Sünde ihr eigentliches Objekt hat und die Trennung von Gott nicht das Letzte sein kann. Die Anachoretin schreibt: „Denn unendlich stark und wunderbar ist die Liebe, die nicht gebrochen werden kann durch Sünde. Das ist das eine. Und das andere ist die Demut und milde Güte, zu der wir gerade durch die Erfahrung unserer Sünden gelangen. Reue und Gnade wird uns lösen von allem, was ungöttlich ist, und so wird unser gebenedeiter Erlöser uns vollkommen heilen und eins machen mit ihm.“  Wir sollen uns an Gottes unendlicher Liebe erfreuen, dies ist Julianas Botschaft.

Klug und mit betonter Akzeptanz der kirchlichen Lehre, äußert sich die Mystikerin zur Idee der All-versöhnung (Apokatastasis). Diese Vorstellung wurde von Origines prominent vertreten und von Ambrosius und Gregor von Nyssa zumindest in Betracht gezogen. Unbeirrbar hält Juliana fest, dass alle Menschen die gleiche Chance auf das ewige Heil haben. Sie sieht voraus, dass Gott selbst eine, zur Allversöhnung führende Tat, setzen wird. Welcher Art diese sein soll, bleibt letztlich das Geheimnis Gottes. Von seltsamer Hellsichtigkeit sind ihre Aussagen bezüglich der Muttergottes im Heilsplan. Sie bezeichnet Christus als den vollendeten Menschen und Maria als jene, die uns umschließt, weil sie Christus geboren hat. Julianas Feststellung „Jesus ist die himmlische Mutter der Barmherzigkeit“ erläutert sie selbst in der 14. Offenbarung: „Jesus Christus ist es, der den Kampf des Guten mit dem Bösen führte, und so ist er unsere wahre Mutter. In ihm haben wir unser Leben. Er ist der Grund aller Mütterlichkeit ... Daher müssen wir Gott lieben...wir müssen zu unserer Mutter kräftiglich um Barmherzigkeit und Mitleid flehen...denn durch die Schöpfung, die Barmherzigkeit und die Gnade haben wir unser Leben.“ (2) Die Mystikerin erneuert die alte theologische Idee der göttlichen Mutterschaft. Sie, die möglicherweise während ihrer rätselhaften Krankheit, selbst tiefe und zärtliche Mutterliebe erfahren hat, sieht die mütterliche Funktion Gottes. „Ausgangspunkt für das Verständnis dieser Idee ist die Tatsache, dass Gott traditionellerweise zwar als männlich gilt, dass er aber auch weibliche, ja speziell mütterliche Eigenschaften besitzt.“ (3) Juliana schreibt: „In einem Dreifachen ist unser Leben gegründet. Von der Schöpfung haben wir unser Sein, durch Barmherzigkeit gedeihen wir, und durch Gnade werden wir vollkommen. Ich sah ...dass die hehre Macht der Dreieinigkeit unser Vater ist und die tiefe Weisheit der Dreieinigkeit unsere Mutter und die große Liebe der Dreieinigkeit unser Herr.“ (4)

Juliana denkt in Antinomien, Paradoxien und Kontrasten. Man hat sie „theodidacta, profunda, ecstatica“ (gottbelehrt, tief, eksatatisch) genannt (vgl. O. Karrer a.a.O., S. 10). Die nahezu hymnische Wirkung ihrer Texte spricht auch den modernen Leser an. Ihre Visionen greifen weit in die Zukunft. Fraglich ist es, ob es nicht doch Versuche gab, ihr Werk zu unterdrücken. Man denke in diesem Zusammenhang an das traurige Schicksal der etwas jüngeren, in manchen Punkten durchaus geistesverwandten Begine Marguerite Porete und deren Mystik der Freiheit. Mit ihrem Buch (Le mirouer des simple ames anienties / Spiegel der einfachen Seelen) in der Hand, bestieg sie am 1. Juni 1310 auf dem Place de Grève in Paris den Scheiterhaufen.

Seit einiger Zeit ist das Interesse an Julianas Leben und Werk neu erwacht. Am 1. Februar 2004 erschien der Bestseller „Enfolded in Love“: Daily Readings with Julian of Norwich“ von Robert Llewelyn. Es handelt sich um eine Neuausgabe der Revelationes in modernem Englisch. Die anglo-irische Schriftstellerin Iris Murdoch setzt sich in dem 1980 erschienen Roman „Nuns and Soldiers“ mit der Einsiedlerin auseinander. In T.S. Eliots 1943 entstandenem Langgedicht „Four Quartets“ sind Juliana-Zitate eingearbeitet.  Der Allrounder mit Tiefgang, Thomas Adès, Komponist und Pianist, verarbeitet Julianische Spiritualität in seinem 1997 erstmals aufgeführten Werk „Asyla“. In Norwich wurde die, von deutschen Bomben zerstörte Zelle der Rekluse, originalgetreu wieder rekonstruiert und ist zur Touristenattraktion geworden. Es konnte nicht ausbleiben, dass man die selbstbewusste Klausnerin in unserer Zeit auch für feministische Interessen zu vereinnahmen suchte, wobei eine Beurteilung im Zusammenhang mit europäischer weiblicher Geistigkeit, mit historischen Bedingtheiten und gedanklichen Verbindungen zu den mystischen Strömungen des Festlandes, wenig Berücksichtigung fand.

Juliana lebt durch ihr Werk. Dieses verfasste die Inklusin sicher abseits der Gesellschaft, was jedoch nicht ausschließt, dass man den Rat der gescheiten seelenkundigen Frau suchte und schätzte. Durch den Schleier der sichtbaren Ereignisse ist ihre Sehnsucht und ihr Streben auf das Jenseitige „the Beyond“ gerichtet, auf die ewige göttliche Liebe. Das österliche Heilsbewusstsein des Erlösten gewinnt bei ihr eine nahezu urchristliche Kraft. So schreibt sie am Ende ihrer Offenbarungen hinsichtlich des göttlichen Wirkens in ihrer Seele:

So wisse: Liebe war seine Absicht!
Wer offenbart es dir? Liebe!
Warum offenbart er es dir? Aus Liebe!

Anmerkungen:
1)Juliana von Norwich. Offenbarungen der göttlichen Liebe. Hg. Otto Karrer. Paderborn 1926, S. 87
2) ebd. S. 140 f
3) Zu den „properties of motherhood“ vgl. McNamer, The Exploratory Image, God as Morther in Julian of Norwichs Revelastions of Divine Love” MQ 15 (1989), 21-28,26
4) Juliana von Norwich. Offenbarungen der göttlichen Liebe. Hrsg. Otto Karrer. Paderborn 1926, S. 138/139

 
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