54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Hyopstatische Union - Teil 2
 
Hyopstatische Union
- Teil 2

von
Dr. Ante Križić

Im ersten Teil dieser Arbeit ging es um die Frage nach dem Verhältnis Jesu Christi zum  Gott-Vater. Die Theologen versuchten mit den Begriffen homo-ousios (wesenseins) und homoi-ousios (wesensähnlich) dieses innertrinitarische Verhältnis zu bestimmen. Die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus darzustellen, war das abschließende und krönende Thema, welches auf dem Konzil von Chalcedon 451 festgelegt wurde. Zuerst mal sei die Definition dieses Konzils über diese Einheit  vorangestellt:

„In der  Nachfolge der heiligen Väter ist unsere übereinstimmende Lehre und unser  Bekenntnis zu ein und demselben Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, derselbe vollkommen in der Gottheit, derselbe auch vollkommen in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, derselbe  mit vernünftiger Seele und Leib, dem Vater wesenseins der Gottheit  nach, derselbe auch uns wesensgleich der Menschheit nach, uns in  allem ähnlich, die Sünde ausgenommen, vor den Zeiten aus dem Vater geboren der Gottheit nach, am Ende der Tage aber eben derselbe unsertwegen und um unseres Heiles willen (geboren) aus Maria der Jungfrau, der  Gottesgebärerin, der Menschheit  nach, ein und derselbe Christus, Sohn, Herr, Eingeborener in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert erkennbar, niemals wird der Unterschied der Naturen aufgehoben der Einigung wegen, vielmehr wird die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen bewahrt, auch im Zusammenkommen zu einer Person und einer Hypostase, nicht geteilt oder getrennt in zwei Personen, sondern ein und derselbe eingeborener Sohn, Gott, Logos, der Herr Jesus Christus, wie schon die Propheten von alters her über ihn verkündet haben, und Jesus Christus selbst uns gelehrt hat, und wie das Symbol der Väter uns überliefert hat.“

Für die Hypostatische Union ist die folgende Formulierung am wichtigsten: Jesus Christus ist eine Person, eine Hypostase in zwei Naturen! Die Väter von Chalcedon glaubten, dass sie mit dieser Formulierung die via media zwischen einer Trennungs- und einer Vermischungschristologie gefunden hätten. Die Trennung beider Naturen vertrat Nestorius und vor allem seine Anhänger, eine Vermischung derselben dagegen Eutyches. Aber das Gegenteil geschah. Chalcedon führte zu der größten und andauernden Spaltung der Christenheit. Diese Spaltung bewirkte andererseits das Bemühen um eine vertieftere Rezeption dieser Gehalte, damit sie durch die Klärung der ontologischen Differenzen und der Offenbarung überwunden wird...Dem wollen wir ein bisschen tiefer auf den Grund gehen.

Die „Zwei-Naturen-Sprache“ des Chalcedons führte zu Missverständnissen und provozierte so gut wie in allen Provinzen des Ostens die „Ein-Natur-Sprache“. Vor allem die vier kahlen Bestimmungen: „unvermischt“, eine Bestimmung, die sich gegen den monophysitischen identitätsphilosophischen Anspruch der Mia-Physis-Lehre („Ein-Natur-Sprache“) richtet. „Unveränderlich“, d.h., dass die menschliche Natur nicht in der göttlichen Machtfülle verschwindet,  andererseits Gott nicht verendlicht wird. Des weiteren „untrennbar“ und „unteilbar“ besagt die Einheit der Person (Hypostasis) Christi, die sich nicht in eine göttliche und eine menschliche Person aufteilen lässt. Dieses hohe Abstraktionsniveau überforderte die allermeisten christlichen Gemeinden. Die  nachchalcedonische Zeit in Byzanz war eine Ära des zähen Ringens um eine wahrheitsgetreue Weitergabe des Glaubens an Jesus Christus: Jesus Christus als der Logos und Sohn des Vaters unterzieht sich dem geschichtlichen Prozess der Menschwerdung und steht sozusagen in seiner gott-menschlichen Wirklichkeit vor den Augen der glaubenden Menschen als „Endresultat“. Gerade dieses Wort „Apotelesma“  (Endresultat) wurde damals im 6. Jahrhundert oft verwendet. Im 4. Jahrhundert ging es um die trinitarische Formel zur Unterscheidung der Begriffe von Physis (ousia, Substanz) einerseits und Hypostasis-Person andererseits. Das war den Kappadokiern Basilius und Gregor von Nazianz zu verdanken (s. Teil 1). Was für die Trinitätslehre erarbeitet wurde, übertrug vor allem Gregor von Nazianz auf die Inkarnationslehre, d.h. auf die Heilsökonomie. Trinitarisch spricht man von drei Hypostasen in der einen Ousia (Physis), christologisch jedoch von der einen Hypostase in den zwei Naturen – einer göttlichen und einer menschlichen.

Aber diese Anwendung wurde nicht von allen mitvollzogen. Cyrill von Alexandrien prägte die Mia-Physis-Formel, und die Severianer behaupteten demzufolge, dass es in Christus nur eine Natur, nämlich die göttliche gäbe. Cyrill entwickelte ursprünglich diese Mia-Physis-Formel in seinem Kampf gegen die Nestorianer, die die Theorie  vertraten, dass es in Christus nicht nur zwei Naturen, sondern auch zwei Hypostasen (Personen) gäbe. Göttliche und menschliche Natur stehen nur in einer moralischen Beziehung zueinander und die menschliche hat die Aufgabe eine „Bewährungsprobe“ gegenüber der göttlichen zu bestehen. Beide Naturen sind also völlig getrennt, deswegen bezeichnet man dies mit dem Terminus „Trennungschristologie“. Diese Mia-Physis-Formel wurde dann von Severus, dem Patriarchen von Antiochien, übernommen und mit ihr bekämpfte er nicht nur die nestorianische Ansicht über die zwei Naturen, sondern auch die Zwei-Naturen-Lehre des Chalcedon. Es sei nochmal betont, dass die Vollständigkeit der Menschennatur, des Menschseins Christi gegenüber der Mai-Physis-Tradition sowohl Chalcedon als auch der Nestorianismus  verteidigten, aber unter  völlig  entgegengesetzter Interpretation.

So entstanden also hauptsächlich zwei Pole in der nach-chalcedonischen Christologie, die sich in den beiden Formeln präsentierten und miteinander konkurrierten.
1. „Zwei-Naturen-Lehre“: Eine Hypostase in zwei Naturen (Chalcedon).
2. „Ein-Natur-Lehre“ (Mia-Physis): Eine Natur d.h. eine Hypostase des
     fleischgewordenen Wortes (cyrill-severianische Richtung).

Es war also eine Konfrontation zweier Begriffssysteme. In diesen beiden Richtungen bestand Einmütigkeit darüber, dass Gottheit und Menschheit in Christus in einer Weise verbunden waren, dass sie als „ungetrennt“ (asynchytos) und „unvermischt“ (adihairetos) einen Dauerzustand bildeten. Diese beiden Parteien betonen das gleiche, dass nämlich das Menschsein Christi als vollkommenes Werk Gottes betrachtet werden muss: „Ein und derselbe vollkommen in der Gottheit, derselbe auch vollkommen in der Menschheit…Wahrer Gott und wahrer Mensch“. Wahrer Mensch mit seinem Fleisch  (Sarx), mit seiner Seele, mit seinem Erkennen und Wollen. Da in der „Mia-Physis-Lehre“ die Natur Christi identisch ist mit der Hypostase, sprach man dann abwechselnd von der vollkommenen Gottheit und der vollkommenen Menschheit Christi. Beide Parteien mussten sich also klar absetzen nicht nur von dem Nestorianismus, sondern auch vom Apollinarismus. Apollinarius  lehrte, dass Jesus nur eine göttliche Natur habe, aber keine  vollkommen menschliche. An die Stelle der menschlichen Seele tritt der göttliche Logos, der sich mit dem menschlichen Fleisch mischt. Da die Seele das bestimmende Element ist, ist die Natur Christi dementsprechend nur göttlich. Die menschliche Natur wird damit geleugnet. Apollinarius wurde auf dem Konzil von Konstantinopel (381) zum Irrlehrer  erklärt. Beide  Begriffssysteme haben jedoch in ihrer Grundannahme von wahrer Gottheit und wahrer Menschheit Christi doch verschiedene Vorstellungen über das Verhältnis beider  Naturen im einen Christus. Es gab also ganz unterschiedliche Christusbilder, sowohl  im Gegensatz von Miaphysiten und Dyaphysiten, als auch innerhalb der beiden Gruppen. In der Nachfolge Cyrills verschärfte und überspitzte Severus, der Patriarch von Antiochien, Cyrills Lehre und entwickelte eine Christologie „von oben“ her. Ihm folgten vor allem Theodosius von Alexandrien, Anthimus und eine Menge von Severianern: Weil es im Christus nur eine Hypostase, die sie Natur (Physis) nennen, gibt, durfte keinerlei „Zweiheit“ in ihm angenommen werden. Es gab nur eine Energeia, nur einen Willen, nur ein Wissen, sozusagen nur den einen göttlichen Fluss „von oben“ her. Das hatte eine sehr  unrühmliche Wirkungsgeschichte gehabt, die sich später als Monotheletismus manife-stierte, der vor allem im politischen Bereich sein Unwesen trieb. Davon wird noch die Rede sein.

Auch der Zwei-Naturen-Christologie der Byzantiner ist es nur in  Einzelvertretern gelungen, die menschlich-geistige und menschlich-sinnliche  Aktivität Christi zu erklären und zu würdigen. Um einen besseren Einblick in das jeweilige Begriffssystem zu gewinnen, versuchen wir einige ihrer Vertreter eindrücklich  vorzustellen. Beginnen wir mit den Mia-Physis- Anhängern, die man in der Dogmengeschichte mit dem Namen Monophysiten bezeichnet, obwohl dieser Ausdruck anfangs nur als Spottname gedacht war.

Es wurde schon erwähnt, dass Cyrill von Alexandrien die Mia-Physis-Formel als Ausgangspunkt seiner Bekämpfung des Nestorianismus geprägt hat. Nun diese Formel widerspricht eindeutig der Zwei-Naturen-Lehre des Chalcedons. Diese cyrillisch-chalce-donische Kontroverse wurde zum Hauptthema der Christologie nach 451. Wie verhält sich die Hauptformel des vierten Konzils in Chalcedon zu der Lehre von der Mia-Physis des fleischgewordenen Wortes? Es gab eine Bewegung, die im sogenannten Florilegium Cyrillianum (FlorCyl) aus einer Vielzahl von Belegen versuchte, die Übereinstimmung Cyrills mit Chalzedon aufzuweisen, ja ihn sogar als Verfechter der Zwei-Naturen-Lehre zu präsentieren. Dem widersprach entschieden der mächtige Patriarch von Antiochien Severus, der einige Stellen im cyrillischen Christusverständnis hervorhob, um Cyrill als unbedingten Vertreter der Mia-Physis-Christologie hinzustellen. Das Cyrill-Florileg hatte damals einen entscheidenden Wert als chalcedonisch motivierte Auswahl aus seinen Werken. Es war nicht schwer aus Cyrill zahlreiche Stellen anzuführen, worin der Unterschied der zwei Naturen zu Ausdruck kommt und dass dieser Unterschied auch  in der Vereinigung der Naturen bewahrt bleibt. Von daher wäre auch die Folgerung klar, dass der fleischgewordene Logos in der Menschwerdung „zwei Naturen hat“ oder „in zwei Naturen ist“. Aber eine ausdrückliche Aussage darüber findet sich bei Cyrill nicht. Er sprach nie von zwei Naturen.

Der Nachteil dieses Florilegs besteht darin, dass er nur die Stellen anführte, welche eine reale Unterschiedenheit von Gott und Mensch aussagten, aber noch nicht die formale Aussage von einer Zweiheit nach der Einigung. Hier konnte Severus einhaken. Er verweigerte stets die logische Ableitung des chalcedonischen „in zwei Naturen“. Der zweite Nachteil des Florilegs besteht darin, dass er nicht erklärt hat, dass nach Chalcedon die Einheit in der Hypostase (Person) eine reale Union darstellt, die die nestorianische Zweiheit der Personen ausschloss und dennoch die reale Zweiheit der Naturen erhielt. Das allerwichtigste Versäumnis des Florilegs war es gewesen, aus der Formel des Chalzedons aufzuzeigen, dass Cyrill und auch Severus die Einheit und Verschiedenheit auf derselben ontologischen Ebene suchten, nämlich auf der Ebene der Natur, was notwendig zum Widerspruch führen musste. Aus diesem Grunde war das Cyrill-Florileg kein durchschlagender Beweis dafür, dass die alexandrinisch-monophysitische Terminologie nichts Unvereinbares  für das chalcedonische Christusverständnis enthielt. Angesichts dieser gravierenden Mängel des Florilegs konnte Severus aus demselben cyrillischen Material, von seinen Voraussetzungen her die entgegengesetzten Folgerungen ziehen. Und er tat es nachdrücklich. Er polemisierte u.a. auch gegen zwei bekannte Befürworter des Chalcedons: Naphalius und Johannes Grammaticus von Caesarea, der sich in seiner „Apologie des Konzils von Chalcedon“ als wahrer Vermittler zwischen Cyrill und Chalcedon bewährt hat.

Ungeachtet dessen machte sich Severus zur Aufgabe die sprachlich-terminologischen Stolpersteine aus dem Erbe von Cyrill zu beseitigen, um die alleinige Gültigkeit seiner Ein-Natur-Lehre zu beweisen. Er gibt zwar zu, dass die Zwei-Naturen-Lehre bei Cyrill zum Greifen nahe ist, aber der hl. Cyrill „der König der Dogmen“ kann es nicht so gemeint haben. Es gibt auch keinen Väterbeweis für zwei Naturen, Cyrill sprach auch nie davon, er erwähnte nur „geeinte Naturen“. In Chalcedon wurde vorgeschlagen, dass der Ausdruck „aus zwei Naturen“ in die Definition einfließt, aber die Legaten von Papst Leo drohten mit ihrer Abreise, falls „aus zwei Naturen“ erhalten bliebe. Sie bestanden auf die Formulierung „in zwei Naturen“, und das könne nicht in Deckung gebracht werden, selbst wenn der Zustand des Geeintseins ausdrücklich betont wird.

Denn „es ist nicht dasselbe zu sagen aus zwei Naturen und in zwei Naturen sei Christus nach der Einigung, auch wenn der Ausdruck hinzugefügt wird geeinte Naturen. Das bezeugt die Synode selbst.“ Severus ist ein tiefgläubiger Mensch gewesen, es ging ihm vor allem darum, die Inkarnation des fleischgewordenen Wortes den Gläubigen zu verdeutlichen und diese Wahrheit von jeder Verunreinigung „von unten“ her zu schützen. Nun gibt es auch Briefe von Cyrill, die zwei Naturen nahelegen und das war auch entscheidend für die Union 433. Severus lehnt das kategorisch ab. So zitiert er selbst Cyrill, der das Bild der Inkarnation mit dem Beispiel der „glühenden Kohle“ vergleicht:
„Nun sagen wir, dass die Kohle für uns das Symbol und Bild des menschgewordenen Logos darstellt... Man kann in der Kohle, wie in einem Bild, den Logos sehen, der vom Vater ausgegangen und der Menschheit geeint worden ist. Er hat aber nicht aufgehört, das zu sein, was er war... Wie sich nämlich das Feuer dem Holz mitteilt und darin ausbreitet, wie es Besitz davon ergreift, ohne jedoch das Holz aufhören zu machen, Holz zu sein, es vielmehr übergehen lässt in das Aussehen und die Kraft des Feuers, wie dies (das Feuer) in ihm (dem Holz) das ihm Eigene wirkt und so ganz mit ihm eins zu werden scheint, so stell dir auch die Dinge mit Christus vor ! Denn Gott hat... auf unaussprechliche Weise der Menschheit geeint, was diese war, ist aber selbst geblieben, was er war: einmal wahrhaft geeint, gilt sie (die Menschheit) eins mit ihm. Denn er hat sich zu eigen gemacht, was das Ihrige ist und gießt nun selbst in sie die Wirklichkeit seiner eigenen Natur“ (Alle Zitate nach Grillmeier).

Aus diesen Worten Cyrills zieht Severus in seiner „Apologie des Philalethes“ nicht den Schluss auf zwei Naturen sondern auf eine: „Denn in zahlreichen Fällen zeigt sich, dass der Logos nicht zugelassen hat, dass sich das Fleisch nach dem Gesetz der Fleischnatur bewegt hat.“ Dann kommen Hinweise auf das Wandeln Jesu auf dem See oder die wunderbaren Vorgänge beim Tod auf dem Kalvarienberg, bei der Auferstehung und in den Erscheinungen vor den Jüngern…Und dann schreibt Severus weiter „… wie gehörte (dies alles) zum Fleisch, wenn es nicht ausgestattet war mit der Gott zustehenden Wirkkraft (energeia) des Logos, wenn es nicht als eins mit ihm zu betrachte war, entsprechend dem Wort des heiligen Cyrill ?... Dies umso mehr, als dieses (Fleisch) zwar materiell und mit der Hand berührbar war, also nicht aufhörte Fleisch zu sein, wobei es über der Verderblichkeit stand...“ Und dann schreibt Severus weiter: „Wenn er also dem Fleisch erlaubte, dass es manchmal das ihm Eigene ertrug, so ist evident, dass er (der Logos) ihm nicht ohne Einschränkung die Eigenschaften beließ, die ihm eigen sind, je nach den Gelegenheiten und den Gesetzen, welche die Gottlosen bestimmten.“ Diese einseitigen Interpretationen entsprechen aber nicht dem Modell der Einheit in Christus, das Cyrill gemeint hat. Sein Modell war nach der Analogie: Gottheit : Menschheit = Seele : Leib.  Das bedeutet, Gottheit und Menschheit bilden eine unzertrennliche Einheit so wie Seele und Leib.

Mit dem gleichen Prinzip, Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, ist eine Einheit „aus zwei Naturen“ und nicht „in zwei Naturen“, wie es Chalcedon formuliert, geht Severus auch gegen einen anderen aus derselben anti-chalcedonischen Richtung vor: Julian von Halikarnass. Julian übertrug nun diese Vorstellung vom Primat der göttlichen Wirkkraft (energeia) in Christus auch auf die bleibenden Qualitäten des Leibes Christi. Im Gegensatz zum menschlichen Leib, der der Verderbtheit (phtharsia), dem Leiden durch die Sterblichkeit unterworfen ist, ist der eine Christus, der neue Mensch, schon von Geburt an bis zum Tode durchgehend,  durch Unverderbtheit (aphthartasia), Leidlosigkeit(apatheia) und Unsterblichkeit (athanasia) ausgezeichnet. Der Leib Christi ist also  auch vor der Auferstehung der Verderbtheit (phtharsia) enthoben. Diese supranaturalistische Interpretation behauptete, dass der Leib Christi vom Moment der Einigung von Gottheit und Menschheit unverderbt, leidensüberlegen und unsterblich war. Damit schloss sich Julian der der apollinaristischen Mia-Physis Richtung an, die mit Severus nicht vereinbar war. Allerdings muss man betonen, dass der Begriff der Verderbtheit bei Julian nur jene Verderbtheit besagt, die als Folge der Sünde mit Notwendigkeit auf dem Menschen liegt. Mit Basilius unterscheidet Julian zwischen „physischen Leiden“ und „Leiden aus Schlechtigkeit“. Physische Leiden (pathe) können nicht Verderbtheit (phthora) genannt werden. Christus ist ihnen ja nicht mit Notwendigkeit unterworfen. Nach Julian hat Christus auch physisch gelitten, aber nur aus freier Entscheidung, in Freiheit und Vollmacht.

Für Severus dagegen bedeutet phthartos nicht nur verderbt, sondern auch verderblich und das ist austauschbar mit leidensfähig (pathetos) und sterblich (thnetos). Sie redeten aneinander vorbei. Julian sprach von den Eigenschaften in Christus, Severus übertrug dies sofort auf das Verhältnis von Gottheit und Menschheit in Christus als solches. Julian behauptet nicht, die beiden ousiai, Gottheit und Menschheit seien in Christus. Sie sind aber dasselbe auf der Ebene des Konkreten. Er sucht ihre Identität nicht auf der abstrakten Ebene, sondern auf der Ebene des Konkreten, dort wo auch nach Severus die Einheit realisiert ist: in der einen Physis. Julian ist also ein Realmonophysit. Severus wirft ihm auch vor, er leugne, dass der Leib Christi uns homoousios ist, womit er in die Nähe von Manes und Eutyches rückt. Dieser Vorwurf ist aber unberechtigt. Was Julian unter aphtharsia, Unverderbtheit des Leibes Jesu versteht, bedeutet keine Aufhebung der menschlichen Wirklichkeit Christi, wohl aber ein Vorrecht Jesu, des neuen Adam. Da er über die Sünde erhaben ist, ist er auch der Strafverfallenheit des nachadamitischen Menschengeschlechtes nicht unterworfen. Er hat aus freier Entscheidung des göttlichen Logos in ihm Leib, Leiden und Tod auf sich genommen. Alles in allem muss man aber sagen, dass Julian eine Mia-Physis Richtung eingeschlagen hat, die man als Christologie der Vergöttlichung bezeichnen kann. Schon den irdischen, vorösterlichen Jesus als „unverderbt“ zu bezeichnen ist äußerst missverständlich, denn jedem musste die Vorstellung von einer Verklärtheit des Leibes Christi als einem Dauerzustand kommen. Julian meinte das nicht so, aber seine Nachfolger, Julianisten, gingen in die Falle der gnostisch-supranaturalisti-schen Christologie, d.h. eine Christologie der Vergöttlichung des Menschlichen.

Zu dem unversöhnlichen Zwist innerhalb des antichalcedonischen Lagers beigetragen hat u.a. noch ein anderer Miaphysit namens Sergius. Er wendete die aristotelische Kategorienlehre auf Christus an. Von einer Physis ausgehend schreitet er zur Annahme einer Ousia, einer Wesenheit in Christus, weiter. Physis und ousia besagen dasselbe, denn beide kommen vom Sein (einai). Die Inkarnation ist also ein Ereignis im Reich des Seins. Wenn wir also lehren, meinte er, dass die eine fleischgewordene Natur (physis) des Logos aus zwei Naturen (physeis) sei, welche Sünde begehen wir dann gegen das Mysterium, wenn wir sagen: aus zwei Wesenheiten (ousiai) sei die eine fleischgewordene Wesenheit (ousia) des Logos? Daraus schloss er, dass es nur eine ousia in Christus geben kann. Sie umfasst den Logos und die Menschheit Christi mit Leib und Seele. Mit der Fleischwerdung des Logos ist also eine neue Spezies in die Hierarchie des Seienden eingetreten. Aus zwei Wesenheiten entsteht also eine neue. Die Mitte von ihnen bildet ein Mittelwesen. Am besten versteht man Sergius, wenn man das aristotelische Verhältnis von Materie und Form an die Einheit von Gott und Mensch in Christus heranträgt. Form und Materie kommunizieren gegenseitig als Wesensteile und ergeben damit eine wesenhafte Synthesis. Man kann dann sagen, Sergius ist kein Realmonophysit wie Julian, er ist ein metaphysischer Monophysit.

Severus bekämpfte ihn ebenfalls leidenschaftlich. Auf Einzelheiten wollen wir hier verzichten. Dafür aber sei der grundsätzliche Konstruktionsfehler bei allen anti-chalcedo-nischen Theologen herausgestellt: Sie lehnen die begriffliche Unterscheidung zwischen physis (Natur) und hypostasis (Hypostase, Person, Subjekt) ab und verbleiben auf der Stufe der vorchalcedonischen Unklarheit, welche die Wurzel aller Missverständnisse war. Die Vergöttlichung des Menschlichen in Christus soll also auf dem Wege der naturhaften Angleichung erreicht werden. Während die Antichalcedonier also  auf der Ebene der Natur sowohl Einheit als auch Unterschiedenheit in Christus suchten, haben die Väter des Chalcedon einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Sie suchten die Einheit in Christus auf der Ebene des Subjektes, d.h.des Trägers von wahrer Gottheit und Menschheit, die Verschiedenheit jedoch auf der Ebene der Natur (ousia). Sie unterschieden also zwischen der Frage nach dem quis, wer? Und der Frage nach dem quid, was? Die Einheit des quis, des tragenden Subjektes sollte mit hypostasis ausgedrückt werden.  Da die Verschiedenheit zwischen der göttlichen und menschlichen Natur besteht, soll dieser  quidditative Unterschied mit physis (ousia) bezeichnet werden.  Also zwei Naturen in einem Subjekt. Ein Subjekt ist der Träger von zwei Naturen.

Nachdem wir in Grundzügen einige Vertreter der Anti-chalcedonier kennengelernt haben, betrachten wir kurz zwei wichtigste Vertreter der chalcedonischen Christologie: Leontius von Byzanz und sein Namensvetter Leontius von Jerusalem. Leontius von Byzanz (im weiteren Leontius v.B.) setzte sich schon 518 und noch mehr nach 527 mit der severianischen Mia Physis und der julianischen Aphtharsia-Christologie auseinander. Sein Thema ist Jesus Christus, der sowohl Gott als auch Mensch ist. Der Ausgangspunkt von Cyrill-Severus war dagegen Joh. 1,14: Der Logos ist im Fleisch anwesend. Leontius v.B. geht es vor allem darum, den Unterschied und die Verbindung von zwei Naturen in Christus herauszustellen. Er hat sich auch intensiv um die Bestimmung von Hypostase im Gegensatz zur Natur bemüht, ohne zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen. Er blieb in der kappadokischen Hypostasen-Metaphysik hängen, die nur das Individuum entdeckt hat. Die Hypostase ist bei ihm weder göttlich noch menschlich, obwohl Christus  ganz als Gott und ganz als Mensch existiert und handelt. Sie habe charakteristische Merkmale (idion), die sie von den zwei Naturen abhebt. Leontius v.B. hat sich aber bemüht, Natur und Hypostase sprachlich und  begrifflich voneinander abzuheben, um den chalcedonischen Weg zu rechtfertigen. So gibt er folgende Bestimmungen an: Die Natur (physis, ousia) hat das Prädikat „Sein“ und die Bedeutung von eidos (spezies, Art, Gattung) und zeigt die Eigenart der allgemeinen Wirklichkeit. Die Hypostase dagegen hat das Prädikat „Für sich sein“ (kath‘ heauto einai), sie offenbart „diesen oder jenen“, das heißt das Individuum und sie hebt das Eigensein vom Allgemeinen ab. Diese charakteristischen Eigenschaften des Eigenseins (idion) sind praktisch das, was man mit Individualität bezeichnet, aber sie sind weit davon entfernt, Person zu sein. Immerhin wird durch Leontius v.B. die Entwicklung dahingehend angestoßen, die Subjekthaftigkeit als zentralen Wesenszug des trinitarischen Personbegriffes zu identifizieren.

So besteht das Hauptverdienst von Leontius v.B. darin, die Einigung in Christus als eine Einigung „dem Wesen nach“, als substantielle Verbindung zu erweisen. Worauf er hinauswill, heißt kurz: „das Ergebnis muss eine echte substantielle Einheit aus unvermischter Eigenheit von Gottheit und Menschheit sein. Die Christuseinheit ist also eine Henosis von zusammengesetzten Teilen, ohne Vermischung, wie Docht und Flamme, Leib und Seele, Logos und Leib-Seele. Er scheint hier von Nemesius von Emesa beeinflusst zu sein, der gegen Eunomianer polemisierte. Sie lehrten, dass der Gott-Logos dem Leib nach nicht seiner Ousia nach geeint ist, sonder aufgrund von Potenzen, sei es die der Gottheit, sei es die der Menschheit Christi. Sie folgten hier Aristoteles, der Leib und Seele nur aufgrund dieser Potenzen ansah. Demgegenüber bestand Nemesius auf der „Einung der Ousia nach“. So schreibt er: „Die rein unkörperliche Natur durchdringt ungehindert alles, sie selber aber erfährt von keiner Seite her eine Durchdringung. Eben dadurch, dass sie durchdringt, ist sie geeint; weil sie aber selber keine Durchdringung erfährt, bleibt sie aber ohne Mischung und Vermischung.“

Die Einheit in Christus vollzieht sich also von „Wesen zu Wesen“, ohne Vermittlung der geistigen oder körperlichen Potenzen, wie sie der Gottheit oder der Menschheit Christi je eigen wären, - wie Sinne, Erkennen, Wollen etc. - sondern durch Gemeinsamkeit der Wesen (Substanzen). Die Ousiai (Substanzen) in Christus sind also Gottheit und Mensch-heit, teilen sich unvermittelt gegenseitig mit und zwar auf dem Wege einer Durchdringung (penetratio), die sich aber nur vom Logos her gegenüber der der körperlichen Natur vollzieht, nicht aber umgekehrt. Das ist ein Leib-Seele-Vergleich und Leontius v.B. übernimmt ihn, betont jedoch, dass Gottheit und Menschheit in Christus nicht in einer „naturhaften Einheit“ verbunden sind, wie es bei Leib und Seele der Fall ist. So lockerte er die Leib-Seele-Einheit, um die Mia Physis von Severus zu widerlegen. Er betont nur, dass die „Weise der Einung“ substantiell ist und dass diese Henosis „unvermischt“ (asynchytos) sein muss und nicht eine bloße Beziehung. Um seine Ansicht noch näher zu präzisieren verwendete er  den Ausdruck „enhypostaton“, ein Adjektiv, das schon seit dem 4. Jahrhundert benutzt wurde, besonders aber häufig  von seinem Zeitgenossen Johannes von Caesarea. Dieses Adjektiv  bedeutet soviel wie „in eigener Wirklichkeit sein“, wobei sowohl die Wirklichkeit der zu vereinigenden Gottheit und Menschheit in Christus, als auch die Realität der Einung und die Einheit selbst, gemeint ist. Henosis und enhypostaton bedeuten also substantielle und wirklich-konkrete Einigung zugleich. Mit Enhypostaton als mittlerer Stufe zwischen Natursein und hypostatschem Sein vermochte Leontius v. B. einen Keil in die Beweisführung des Severus zu treiben.  Dieses Adjektiv wird uns noch später begegnen.

Das zweite wichtige Verdienst von Leontius v.B. besteht darin, dass er sowohl julianische als auch eine Gruppe von chalcedonischen Aphthartikern bekämpfte, die einem ungesunden Supranaturalismus verfallen sind. Die Aphthartiker befürchten, dass mit der Annahme eines von Natur aus leidensfähigen und verderblichen Fleisches in Christus Leiden und Tod  gar keine Heilsbedeutung mehr haben können. Verdienstlich könne erst ein über das Leiden erhabenes Fleisch sein, indem es aus eigener Entscheidung das Leiden wählt. Leontius v.B. zeigt nun, dass der Aphthartiker ganz in der Idee des Fleisches befangen ist und gar nicht die rechte anthropologische Voraussetzung für die Lösung des Problems mitbringt. Wollen und Nichtwollen, so betont er, sind nicht Akte des Fleisches, sondern der vernünftigen, freien Seele, die sich dafür oder dagegen entscheiden kann. Er lenkt also den Blick von der„Sarx“ auf den geistigen Willen Christi. Die Erlösung hängt nicht davon ab, ob Christus in einem  unverderbten oder einem verderblichen Leib ins Leiden geht, sondern in ersten Linie von der freien Entscheidung des menschlichen Willens. Das Fleisch (Sarx), das auch nach der übernatürlichen und wunderbaren Henosis mit dem Logos verbleibt in seiner Natürlichkeit, entsprechend den für das körperliche geltenden Gesetzen. Sofern das Fleisch selbst übernatürlicher Eigenschaften teilhaft werden soll, so setzt dies ebenfalls das Verbleiben der Natur in ihrer Natürlichkeit voraus.  Leontius v.B. hat hier wichtige Erkenntnisse und Formulierungen für das Verhältnis von Natur und Übernatur gefunden, die für das lateinische Mittelalter maßgebend waren. Übernatur setzt Natur voraus, gratia supponit naturam. Die Aphthartiker ließen sich jedoch davon nicht beeindrucken, sie lehnten dies in Gänze ab und blieben bei ihrer Grundthese: Die Leidensfähigkeit wird dem Leib Christi nach Art des Wunders zuteil, die Unverderbtheit und die Unsterblichkeit sind der natürliche Normalzustand, der sich aus der Henosis mit dem Logos von selbst ergibt.

Diese theologischen Standpunkte standen sich unversöhnlich gegenüber, und es gab keinen Ausweg daraus. Im Gegenteil, die Spannungen und Zwistigkeiten wurden noch mehr radikalisiert, die zu einer neuen Kontroverse führten, nämlich dem Monoenergetismus und Monotheletismus. Eigentlich war es ein altes Problem im neuen Gewand. Apollinarius hat die menschliche Seele in Christus geleugnet, für ihn war der Logos das einzige geistige Prinzip der Sarx, in dem die Sündenlosigkeit angesiedelt ist.  Bei Severus ist es „energeia“ in Christus. Gregor von Nyssa war der erste, der mit einer mutigen theologischen Überlegung behauptete, dass die Seele den Willensakt setzt und der Leib ihn ausführt. Demzufolge ist die menschliche Seele in Christus dasjenige Vermögen, das den freien Willen ermöglicht und dadurch die Entscheidung trägt. Gregor von Nyssa, wie auch Theodor von Mopsuestia haben das nachdrücklich behauptet, weil sie in der apollinaristisch-arianischen Leugnung der Seele Christi die wahre Begründung des Heils gefährdet sahen. Aber Cyrill von Alexandrien hat diesen wichtigen Punkt nicht beachtet, so dass bei ihm die menschliche Seele Christi völlig unberücksichtigt blieb. Nur der Logos und Sarx stehen sich gegenüber. So erklärt er die hl. Eucharistie mit „energeia“. In dem 4. Brief des Ps.-Dyonisius Areopagita übernimmt dieser die Auffassung von Cyrill, in dem er von der „...neuen theandrischen Energeia“ spricht, die Christus unter uns vollbracht hat. So haben sich für die Erklärung des Wirkens Jesu Christi in den Wundertaten vom 4. bis zum 6. Jahrhundert zwei Linien herausgebildet: die cyrill-areopagiti-sche, die auch Severus übernimmt und die Linie von Gregor von Nyssa, die von Leontius v.B. wieder aufgenommen wird. Die Reflexion, die mit Leontius v.B. erreicht ist, ist schon viel höher als bei Gregor, weil Leontius die Erkenntnisse von Chalcedon, wie z.B. „Unvermischt und Ungetrennt“ in die Diskussionen miteinbezogen hat.

Im Vergleich zu  Leontius v.B., gibt sich Leontius von Jerusalem (v.J.) als ein scharfer Denker, der in Auseinandersetzung mit den Nestorianern eine scharfe Fassung des einen Subjekts in Christus und damit den Begriff der Hypostase erarbeitet, und darüber hinaus eine vertiefte Theorie der Henosis der beiden Naturen Christi in der einen Hypostase bestimmt hat. Die Darstellung orientiert sich auch hauptsächlich an Grillmeier. Der Fortschritt besteht darin, dass er reflexiv unterscheidet zwischen einer Natureinigung (unio in natura et secundum naturam) und einer Hypostasen-Einigung (unio in hypostasi et secundum hypostasim). Darin liegt eine klare Absetzung vom Apollinarismus und jeglichem Monophysitismus. Und das ist etwas ganz Neues: gegenüber der apollinaristischen Natursynthese (Logos mit Sarx ohne Seele) des 4. Jahrhunderts und der Unklarheit der cyrillisch-severianischen Mia-Physis-Formel. Die Nestorianer behaupten, dass es zwei Hypostasen in Christus gibt: Christus sei einerseits dem Vater wesenseins (homo-ousios), andererseits auch dem König David. Die Väter von Chalcedon haben aber definiert, dass der eine Christus  vom Endprodukt der Inkarnation in der Unverermischtheit beider Naturen sich manifestiert, die aber zusammenkommen zu einer Person bzw. zu einer Hypostase. Aber die Väter wussten auch, dass das ganze Einigungsgeschehen  als Ausgangspunkt den hat, der vollkommen Logos und Sohn in der Präexistenz ist. Die Frage ist dann, was ist „Hypostase“, wenn sie schon im präexistenten Logos gegeben ist und dennoch eine zweite menschliche Existenz in sich einbeziehen soll, die man physis, (Natur, ousia) nennt, wenn auch in geschichtlicher Endlichkeit? Was geschieht mit dieser menschlicher Natur, wenn sie vollständig in die göttliche Hypostase hineingenommen wird? Das Problemfeld war in der Tradition noch dadurch verunklärt, dass die Chalcedonier ein schweres Erbe der kappadokischen Terminologie und die von Gregor von Nazianz her eingeführte Vereinigung der trinitarischen und inkarnatorischen Dogmatik übernahmen: In der Trinität  gibt es  eine Natur (physis, ousia) und drei Hypostasen, in der „Oikonomia“ (Heilsgeschichte)) dagegen eine Hypostase aus der Dreifaltigkeit in zwei Naturen. Diesem Problem begegneten die Nestorianer damit, dass sie zwei Personen, bzw. Hypostasen in Christus behaupteten: eine göttliche und eine menschliche. Darüber hinaus sagen sie, dass zwei Hypostasen oder Prosopa (Personen) im Fleischgewordenen festzustellen sind, nämlich ein Prosopon des Gott-Logos. Davon ist Christus-Prosopon abgehoben, dessen Einheit und Einzigkeit auf der Henosis beruht.

Die Antworten des Leontius v.J. , in mehreren Anläufen unternommen, waren folgende: Es werden ja nicht Prosopa geeint, sondern Naturen ins Prosopon. Es bleibt also das eine Prosopon, das der präexistente Logos hat, zugleich auch das eine Prosopon Christi, d.h. des mit der Menschheit geeinten Logos. Es gibt also eine völlige Identität des Prosopon, der Person, des Subjektes vor und nach der Menschwerdung. Die präexistente Hypostase des Logos selbst ist das Subjekt der Menschwerdung, und dieses Subjekt nimmt die menschliche Natur an, die kein Prosopon ist oder hat. Auf diese Weise entsteht nicht ein Besitzverhältnis, wie wenn eine Person eine andere in einem Herr-Knechtschaftsverhältnis vereinnahmt. Der Logos ist Fleisch geworden. Während dieser Logos sich zuerst nur in einem Prosopon „einer Natur“ darstellt, ist er nun ein Zwei-Naturen-Prosopon. Er trägt somit göttliche und menschliche Naturprädikate. Dieser Zugriff ist nur Gott möglich. Denn wenn er allein Ursache von Natur und Hypostase ist, was kann ihn daran hindern, eine Natur in eine andere zu versetzen. Leontius v. J. gibt im weiteren eine Reihe von Bedeutungen des Wortes Hypostase, wie beispielsweise: „Von Hypostase ist die Rede, wenn verschiedene Einzelnaturen zu einem Selbigen zusammenkommen, mit ihren  Idiomen (d.h. Eigenarten, Besonderheiten) um sie herum...“ Und weiter: „Von Hypostase redet man bei einer Natur (physis), sei sie einfach oder zusammengesetzt, sei sie eine besondere oder allgemeine, wie die göttliche, sei sie nur eine einzige oder eine aus mehreren bestehende, sofern sie nur Existenz haben: diese Natur unter Idiomen stehend oder geeint, seien diese Teilidiome oder ein allgemeines Idiom, gedacht in einem SUBJEKT: das heißt eine Hypostase.“ Die Einzelfälle, die Leontius v. J. meint, sind die göttliche Natur, die einfach, aber auch  allgemein ist, weil sie im Vater, Sohn und Geist ist. Des weiteren, die menschliche Natur, die aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, oder Christus mit seinen zwei geeinten Naturen. Aber nicht diese verschiedenen Betrachtungsweisen der getrennten oder geeinten Naturen machen die Hypostase aus, sondern nur ein Zusammenkommen mehrerer  Einzelidiomata in einer einfachen oder zusammengesetzten Natur, sofern damit ein SUBJEKT mit unaufhebbarer Absonderung gegeben ist, also ein ganz bestimmtes, unwiederholbares Subjekt. So sagt er schließlich: „Jede Hypostase hat ein monadisches Eigensein.“

Mit solchen klaren Begriffen ausgerüstet kann er den Nestorianern sagen: „ Der Logos hat seine ewige Hypostase, die vor der menschlichen Natur besteht, und die vor den Zeiten bestehende fleischlose Natur in den letzten Zeiten mit Fleisch umkleidet und die menschliche Natur der eigenen Hypostase….einfügt.“  Denn „...vom ersten Augenblick des Bestehens an ist dieser gewisse Mensch Christus der Hypostase nach göttlich. Dies ist gleichbedeutend mit der Aussage: Gott wurde seiner Hypostase nach Mensch, und zwar durch Einung einer menschlichen Ousia mit der göttlichen Ousia.“

Die Nestorianer haken da ein, ihnen geht es darum, zwei Hypostase in einem Christus nachzuweisen. Wenn Jesus ein individueller Mensch ist, dann ist er eine Hypostase.  Denn wenn Christus sowohl dem Gott-Vater wesenseins (homo-ousios) als auch dem König David ist, dann ist es unmöglich, dass der Mensch Jesus dem König David ohne eigene Hypostase sei. Denn das Nicht-Hypostatische (anhypostatos, d.h. das Nicht-Wirkliche) kann nicht dem Enhypostatischen, d.h. dem Wirklichen und das ist David, wesenseins sein. Wenn der Chalcedonier annimmt „dass der Mensch Jesus subsistiere, d.h. existiere, aber keine Hypostase sei oder habe, wie soll da nicht ein Widerspruch gelehrt werden, wenn man sagt, dass der Existente anhypostatisch sei, d. h. keine Realität habe?“ Wenn der Chalcedonier der Menschennatur Christi die Bezeichnung Hypostase verweigere, wird sie für den Nestorianer als Natur irreal, also ein Anhypostaton.

Leontius v. J. greift zur Lösung zum Wort „enhypostatos“. Es ist der Gegenterminus zu „anhypostatos“, was unwirklich, nicht-existent bedeutet.  Enhypostatos bedeutet dann also wirklich, existent, real und wird hier nur auf die zwei Naturen Christi bezogen. Die Anerkennung der Gottheit und der Menschheit Christi als „enhypostata“ bedeutet nicht, dass sie idiohypostata seien, also eine eigene Hypostase je für sich darstellen. So bedeutet für ihn  enhypostatos  - „insubsistent in einer anderen Hypostase“. Hier die ganze Erklärung: „Die zwei Naturen, sagen wir, subsistieren in ein und derselben Hypostase, nicht so freilich, als ob eine der beiden  anhypostatisch in ihr sein könnte, vielmehr so, dass beide in der einen gemeinsamen Hypostase subsistieren können, und zwar jede der beiden Naturen in ein und derselben Hypostase, wobei jede (der beiden Naturen) enhypostatisch ist. Denn um etwas sein zu können, ist es nicht nötig, dass dieses Etwas auch gänzlich für sich sei. Wenn nun die Naturen Sein haben, so müssen sie auch subsistieren (= existieren) und enhypostatisch sein. Weil sie aber nicht für sich unabhängig voneinander sind, da ja zugegebenermaßen eine Einung zwischen ihnen stattgefunden hat, muss auch nicht jede von beiden für sich existieren. So ist klar, dass die beiden Enhypostata (= die beiden Naturen) nicht Heterohypostata (= Hypostase neben Hypostase) sein müssen, sondern in ein und derselben Hypostase gedacht werden.“

Oft wurde hierfür die Analogie zwischen zwei unzertrennlichen  Naturen im Menschen – Leib und Seele - , die in einer Person des Menschen  vereinigt sind, herangezogen. Leontius v. J. hat also die von Chalcedon gestellte und nicht ganz gelöste Aufgabe in  Angriff genommen, wie nämlich die Henosis in Christus als eine synthesis in hypostasi et secundum hypostasim, also als eine Einheit aufzuweisen ist, welche die beiden Naturen in ihrer Unversehrtheit belässt, sie aber doch zu einer seinshaften Verbindung führt, ohne daraus eine neue Natur zu machen. Er  schreibt: „Er (Christus) ist in Wirklichkeit nur eine einzige und zwar nicht-menschliche Hypostase. Denn er hat die göttliche Natur mit ihren göttlichen Idiomen (Eigenschaften). Aber nicht nur in den göttlichen Idiomen ist er. Zum Göttlichen hinzu wird er überreich an Besonderheiten, die auf ihn gesammelt werden durch die Annahme der neueren, zweiten Natur.“ Dementsprechend ist nur eine Hypostase aktiv, sie bleibt bestehen.Sie erfährt keine Synthesis (Zusammensetzung) durch eine andere fertige Hypostase, sondern eben nur eine „Bereicherung“ ihrer göttlichen Idiome, durch die Idiome der menschlichen Natur. So ist in Christus keine Synthesis aus zwei Hypostasen. Auf die Frage, ob nicht eine Synthesis der Natur nach geschieht, wenn nun die menschliche Physis mit der göttlichen geeint wird, verneint er dies immer wieder. Vielmehr geschieht nur etwas an den Idiomen der Hypostase des Logos. Die Idiome werden in der Tat etwas mehr zusammengesetzt als vor der Menschwerdung, ohne dass die Hypostase des Logos als solche verändert wird. Das will er mit dem „Feuer gewordenen Eisen“, wenn es in die glühende Kohle gesteckt wird, vergleichen: „Nicht jede Synthese bringt notwendig eine neue Natur oder Hypostase hervor. Das in die Kohle gesteckte, vom Feuer durchglühte Eisen zeigt weder eine fremde Natur noch eine neue Hypostase. Die Hypostase des Eisens und die der feurigen Kohlen verhalten sich nämlich auf dieselbe Weise. In der Hypostase des Eisens wurde die Natur des Feuers, die für sich anhypostatisch ist, der Natur des Eisens geeint, indem sie mit der Natur des Eisens zu einer Hypostase zusammenkam.“ ( Zum Verständnis dieses Vergleiches muss man vorausschicken, dass man in der damaligen Naturphilosophie die Ansicht vertrat, dass das Feuer als solches nichts Substantielles ist, keine in sich bestehende Natur  hat, sondern nur eine Eigenschaft ist, die eine andere Natur als Grundlage braucht).

Die Betonung liegt also ganz auf der Logoshypostase, das Fleisch wird an sie gebunden. Die Offenbarung der göttlichen Logos-Idiome an der Menschheit Christi hat eine durchschlagende Bedeutung: Die Vergöttlichung wird dadurch in den Bereich der „Idiome“ verlegt zum Unterschied von der Ousia. Damit will Leontius v. J. sowohl der Zwei-Personen-Lehre der Nestorianer entgehen, als auch die Vermischung der Naturen vermeiden. Wenn es keine Synthesis der Naturen gibt, dann bleiben die Ousiai unberührt,nur die Idiome der göttlichen Hypostase teilen sich mit.  Es erhebt sich dann die Frage, wie das Mysterium der Inkarnation des Sohnes Gottes in den Regeln der sogenannten communicatio idiomatum, der Gemeinschaft der Eigenschaften oder der praedicatio idiomatum, der Zuteilung göttlicher Prädikate an ein und dasselbe Subjekt gerechtfertigt werden kann. Dazu nimmt Leontius v. J. den Terminus Henosis (Einigung), vertieft und erweitert ihn durch den Begriff der  Synthesis. Man muss anmerken, dass dieses Wort Synthesis (compositio, Zusammensetzung) innerhalb der chalcedonischen Christologie in vielen Schulen benutzt wurde, bei den skythischen Mönchen auch in lateinischer Übersetzung. Das Wort selbst stammt vom Mönchsvater Euthymius in Palästina. (Nebenbei bemerkt, Euthymius war der Auffassung, dass Cyrill auch die Zwei-Naturen-Lehre vertreten habe). Im Wort Synthesis findet also Leontius v. J. die Präzisierung des Wortes Henosis. Er erklärt das so: „Denn die Henosis, die nicht auch Synthesis ist, muss betrachtet werden entweder als örtliche Parathesis (Beispiel: Stein in der Goldfassung des Fingerringes oder zwei Nachbarländer wie Judäa und Samaria), oder als Verbindung kraft einer moralischen Beziehung oder als physische Verwandtschaftsbeziehung (Beispiel: Eltern-Kinder; Einzellebewesen derselben Art; Urbild-Abbild).“ Nach Leontius v. J. drückt also die Synthesis eine  seinshafte Beziehung aus, nämlich die Synthesis der göttlichen und der menschlichen Natur.

Aber Vorsicht!!  Dabei muss man beachten, dass man nicht von einer Synthesis der Naturen (physis synthetos) sprechen darf. Denn damit wäre eine Vermischung der Naturen gemeint. Ebenso darf man nicht von einer „Synthesis der Hypostasen“ sprechen, was Nestorianismus wäre. Eine „zusammengesetzte Hypostase“ (hypostasis synthetos) ist ebenfalls fehl am Platz, denn Christus ist nicht „aus Hypostasen.“ Nur eine Formulierung ist gültig: „Die Naturen erfahren eine Synthesis der Hypostase nach.“  Dies geschieht dadurch, das das Idiom der Hypostase des Logos durch seine Inkarnation und die Annahme der Menschennatur eine Zusammensetzung (Synthesis) erfährt. Der Synthesis-Vorgang wird damit ausdrücklich in die Idiome verlagert, die Physis und die Hypostasis werden von Synthesis und Verwandlung ausgenommen. Dies ist für die weitere Geschichte der Interpretation der Chalcedon-Christologie von großer Bedeutung.  Wie diese Synthesis stattfindet, das übersteigt das Begriffsinstrumentarium der griechischen Ontologie, in der die Nestorianer befangen sind. Es wurde schon betont, dass die Vollständigkeit der Menschennatur des Menschseins Christi gegenüber der Mia-Physis-Tradition sowohl Chalcedon als auch die Nestorianer verteidigen.  Aber die letzteren können nicht glauben und sich gar nicht vorstellen, wie das Unendliche mit dem Endlichen zu einer Synthese gelangen kann.

Leontius v. J. beruft sich dabei auf die biblische Inkarnationslehre, die über die griechische Ontologie hinausgeht.  Eine „Hypostase Christi ist in zwei Naturen“ ist nur erklärbar in der Möglichkeit einer Synthese von Unendlich und Endlich durch den „christlichen Glauben und die hebräische Lehre.“ Jesus von Nazareth ist freilich nicht in Stufen zum Gott-sein aufgestiegen, wie es die Nestorianer lehren, sondern er ist von Anfang an im Schoss der Jungfrau die hypostatische Union von Logos und Sarx. Maria ist der heilige Ort (hagion horion), wo die Einigung der göttlichen und der menschlichen  Natur von Anfang an geschehen ist. In der Menschwerdung Christi fallen die Erschaffung des Leibes und die Aufnahme in die eine Hypostase des Logos zusammen. Mit einem Wortspiel beschreibt Leontius v.J. die dogmatische Eigenart der Inkarnation: Die Natur des Logos hat in Maria nicht den Anfang der Existenz (ousios), sondern nur den Anfang der Zusammenexistenz (syn-ousios) mit der Sarx erfahren. Das Fleisch aber hat den Anfang sowohl der Ousios als auch der Synousios genommen. Im Zusammenfallen von Empfängnis und Aufnahme in die hypostatische Union ergibt sich auch  die Sohnschaft in Christus.  Davon unterscheidet sich unsere  Adoptivsohnschaft. Diese wunderbare Geburt Jesu ist aber Urbild unserer Neugeburt aus Glaube und Taufe und der Eingliederung in die Kirche. Es war ein Herzensanliegen von Leontius v.J. die chalcedonische Zwei-Naturen-Lehre so auszuwerten, dass in einem Erscheinungsbild Christi die beiden Naturen jederzeit in ihren charakteristischen Merkmalen erkennbar sind, aber auch, dass kein Spielraum für die Zwei-Hypostase Interpretation bleibt.

In der Abwehr gegen den Nestorianismus und damit auch den Arianismus fordert natürlich die Behandlung der Gottheit Jesu eine besondere Aufmerksamkeit. Um Christi Gottheit abzusichern, rekurriert er auf das Wunderbare im Christusbild: „Christus zeigt in den wunderbaren Begebenheiten (bei der Auferstehung), dass er selber der Schöpfer und Bereiter der sarkastischen (= fleischlichen) und pneumatischen Natur ist….dies dadurch, dass er allzeit Wunder wirken kann.“ Geburt aus der Jungfrau, Heilung des Blindgeborenen, Auferstehung von den Toten, dies sind die Zeichen, in denen die göttliche Schöpfermacht Christi am deutlichsten zum Aufleuchten kommen: Sie sind darum Demonstrationen seiner göttlichen Natur, die sein ganzes Leben und Sein erfassen muss, dies besonders nach der Erhöhung. Weil es der Logos, der den Leib Christi bildet, gibt er dem Leib auch die Kraft „auf geistige Weise heraus- und hervorzutreten.“

Leontius v. J. musste sich allerdings in diesem Punkt nicht nur gegen die julianischen, sondern auch gegen die chalcedonischen Aphthartiker absetzen. Beide hatten in der damaligen Zeit im ganzen Orient einen enormen Einfluss. Die chalcedonischen Aphthartiker meinten, dass die Menschennatur Christi durch die hypostatische Einigung in die göttliche Natur versetzt wurde, so dass alles Menschliche von diesem Punkt her beurteilt werden muss. Verderblichkeit, Leidensfähigkeit, Sterblichkeit sind nicht der normale Zustand der menschlichen Natur in Christus. Deswegen muss der göttliche Logos seine Erlaubnis geben, wenn sein Leib das Leiden ertragen  und überhaupt die Alltäglichkeit des Menschenlebens bewältigen muss. Auch die Kenosis ist eine Ausnahme, was chalcedonisch gesehen das Selbst-verständlichste für den Menschgewordenen ist. Die nach Phil. 2,5-11 erst am Ende der Laufbahn Jesu gegebene Erhöhung, setzt für die Aphthartiker bereits mit der Empfängnis ein. Das nennt man Vergoldung-Christologie. So wird Jesus supranaturalistisch gedeutet. Die alltägliche Frömmigkeit wird dadurch unmöglich gemacht, denn das Chalzedonische „in allen uns gleich-geworden“ wird kein nachvollziehbarer Gedanke mehr. Das „Unvermischt“ von Chalcedon wird umgangen, obwohl diese Aphthartiker sich zu Chalcedon und und zu seiner Lehre bekennen. Der Grundfehler liegt bei ihnen darin, dass sie die substantielle Henosis in Christus als „Natur-Einheit“ auffassen, trotz des Bekenntnisses zu Zwei-Naturen-Lehre des Chalcedon.

Auch Leontius v. J. legt für die Deutung des Christusbildes einen starken Akzent auf die hypostatische Einigung, die Henosis oder Synthesis. So stellt er sie als letzten Erklärungsgrund der wunderbaren Mysterien des Lebens Jesu, besonders der jungfräulichen Geburt, der Sündenlosigkeit und der Auferstehung hin. Leidenslosigkeit, Unverderblichkeit sind zwar erst nach der Auferstehung gegeben, sind aber nicht das Ergebnis einer akzidentellen, an Christus wirksamen Kraft, sondern Ausdruck der hypostatischen Union. Christus erweckt sich selbst als Gott und erweist sich dadurch als Gott. Der göttliche Logos hat sich selbst die Natur des verherrlichten Menschen – Kyriakos Anthropos – geschaffen. Damit begibt sich Leontius v. J. stark in die Nähe der chalcedonischen Aphthartiker. Die „Vergottung“ bestimmt das Christusbild.

Trotz dieser Nähe lässt er sich nicht auf deren Supranaturalismus ein. Diese Nähe zu ihnen ist dadurch zu erklären, dass er sich damit  von den Nestorianern radikal absetzen will. Denn er übernimmt die basilianische Idiomenlehre, genau dasselbe tun es auch die Nestorianer, allerdings sie verwenden sie noch radikaler als Leontius. Mit der Übernahme der Idiomenlehre bietet er also den Nestorianern eine offene Flanke. Die Rettung liegt in der Absage an diese Deutung und im Rückgriff auf die Idee der Insubsistenz, die mit „enhypostaton“ ihre Berechtigung bekam. Damit  ist man nicht mehr auf die kappadokische Fassung der Hypostase und die daraus sich ergebende Überbetonung der Theiosis angewiesen. Die Insubsistenz fordert auch eine neue Interpretation des Begriffes der Hypostase als dem letzten formalen Subjekt. In dieselbe Richtung drängt auch seine klare Unterscheidung von Natur- bzw. Hypostasensynthese. Wenn man die basilianisch-kappadokischen Reste aus der Henosis-Lehre entfernt, öffnet sich der Weg zu einem vertieften Verständnis der hypostatischen Union im Sinne von Chalcedon. Das Resultat ist bei Leontius v. J. folgendes: Es gibt eine wahre substantielle Einheit in Christus, in der Einheit der Subsistenz, d.h. des Subjektes, der Hypostase, welche den Naturen von Gott und Mensch ihre Eigenheit lässt und vor allem Raum schafft für die biblische Kenosis. Und so nimmt er wohl ein Zusammenwirken von Logos (bzw. Pneuma) und unserem Hegemonikon, worunter das echte menschliche Willensprinzip verstanden wird, insofern es in Christus ist.

Diese neue Erkenntnis, – auf dem Hintergrund der cyrillianisch-severianischen Logos-Hegemonie – ist ein echter Fortschritt, der kaum hoch eingeschätzt werden kann. Logos-Pneuma und menschlicher Wille gehen in Christus in eins. Hinter Logos-Pneuma sieht Leontius v. J. nichts anderes als das göttliche Gnadenprinzip, das auch der menschliche Wille Christi zur Verwirklichung braucht. Leontius erkennt, dass Christus für uns nur dann ein Vorbild sein kann, wenn seine menschliche Freiheit ins Spiel gebracht wird. Dabei braucht Jesus als Mensch die göttliche Gnadenhilfe, dies umso mehr, als Leontius in der Sündenlosigkeit den eigentlichen Erweis der Übermenschlichkeit Jesu, d.h. seiner Gottheit betrachtet. Die Gottheit in Christus ist dadurch garantiert, dass seinem menschlichen Autexousion (kraft eigener Autorität) das göttliche Gnadenprinzip, nämlich der Logos oder das Pneuma Gottes. hypostatisch, geeint ist. Zum Verständnis des Wortes „Pneuma“ sei erwähnt, dass es entweder personal für die Dritte Hypostase oder wesensmäßig für die göttliche Natur gebraucht wird. So oder so: Der Logos wirkt mit seiner Menschheit mit. Mit diesen neuen Erkenntnissen hätte Leontius v. J. die chalcedonischen Aphthartiker aus ihrer Verlegenheit herausführen können ! Nichtsdestotrotz ist Leontius v. J. ein Zeuge der theologischen Bezeichnung „Kyriakos Anthropos“. Dies ist eine enthusiastische Christologie der Vergöttlichung, die er herleitet aus seinem konstruierten Verständnis von Henosis und Synthesis. Gott und Mensch sind nach Leontius so nahe gerückt, dass das Überfließen der Gottheit in die Menschheit eine Selbstverständlichkeit ist.

Christus ist und bleibt der eine fleischgewordene Sohn Gottes ebenso in der Kenosis wie in der Theiosis.  Zum einen und ganzen Christusbild gehört jedoch für Leontius v. J die Annahme der ganzen Menschennatur mit Leib und Seele. Die Nestorianer fragen nach dem Empfänger der Wohltat der Menschwerdung, wenn man sie, wie Leontius, als eine Synthese des Gott-Logos „mit dem aus uns genommenen Menschen“ versteht. Der Empfänger sind wir, die Erlösten. Was uns geschenkt wird, ist offenbar geworden an Christus, dem Erstling, Erstgeborenen, Haupt der erlösten Menschheit. So kann er voll Enthusiasmus schreiben: „Wegen ihrer (d.h. der göttlichen Natur) ganz großen Freigebigkeit gegen uns geschah ihre Menschwerdung. So wurde wegen der Vereinigung mit Gott dem Kyriakos Anthropos der ganze Reichtum der Vergöttlichung zuteil, ihm als dem Erstling der menschlichen Masse und dem Erstgeborenen vieler Brüder und dem Haupt des Leibes der Kirche, ihm  zuallererst in Erstannahme, unvermittelt, durch ihre (d.h. der göttlichen Natur) Einung und Vereinigung mit ihm in der Hypostase, zur ihm eigenen Natur (d.h. sodass sie ihm zur eigenen Natur wurde). Auf die übrige Masse (oder: den übrigen Teig) der Menschheit und die übrigen Brüder des Samens Abrahams, und auf den Leib der Kirche griffen die Wirkungen der physischen Einigung mit ihm, dem aus uns erst beschenkten Kyriakos Anthropos erst in zweiter Linie und in Teilnahme und durch Vermittlung über, mit ihm also, der aus derselben Masse ist, aber als Erstlingsgabe,  der unser einzig-geborener Bruder ist, aber als Erstgeborener, der zum selben Leib gehört, aber als Haupt, der Mittler ist, aber der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus, unser Herr.“

Neben diesen zwei hervorragenden Zeugen der streng chalcedonischen Christologie, gab es noch einige wenige Verteidiger derselben Richtung, die allerdings von wechselnder theologischer Bedeutung waren. Erwähnt seien Hypatius, Erzbischof von Ephesus (531-538),  der Mönch Eusthatius, die Akoimeten des Eirenaion-Klosters im Raum Konstantinopels, skythische (gotische) Mönche am Schwarzen Meer, Heraklian von Chalcedon u.a. Im Jahre 532 fand sog. Collatio cum Severianis statt, also ein Glaubensgespräch zwischen den Chalcedoniern und den Severianern, zwecks der Einigung beider religiösen Parteien.Es wurden alle anstehenden Probleme diskutiert. Man berichtet, Kaiser Justinian habe diese Versammlung nicht „in kaiserlicher Autorität, sondern in väterlicher und priesterlicher Sorge zusammengerufen, damit die Syrer (d.h. Severianer) den Chalcedoniern ihre Zweifel vorbringen, worauf die Bischöfe zu antworten hätten. Probleme hatte es genug gegeben, etwa so: Was versteht ihr Chalcedonier unter hypostasis, wenn ihr davon physis abhebt? Wie denkt ihr euch die Verwirklichung der Henosis in Christus, wenn strikt als einer verstanden wird, und doch zwei Realitäten, zwei Naturen aufweist?  Wie kommt ihr am Nestorianismus vorbei? Und vieles andere mehr.

Nach mehrtägigen hochinteressanten Diskussionen  zeigten die Severianer wenig Kompromissbereitschaft. Darüber hinaus, um ihre Mia-Physis-Lehre abzusichern, brachten sie die sog. „Apollinaristischen Fälschungen“ ins Spiel. Dabei geht es um gefälschte Überlieferungen der Mia-Physis-Formel, die die Severianer als wahr zu ihren Gunsten beanspruchten. Die Gespräche scheiterten, Kaiser Justinian, getrieben von dem Willen, eine Einigung der sich verketzernden nach-chalcedonischen Patreien herbeizuführen, machte ihnen am Ende des Glaubensgespräches von 532 einen Kompromissvorschlag: Chalcedon anzunehmen, zur Sicherung des rechten Verständnisses aber die Verurteilung auszusprechen über Diodor von Tarsus, Theodor von Mopsuetsia, Theoderet von Cyrus, Ibas von Edessa, aber auch Nestorius einerseits und Eutyches andererseits, was die Chalcedonier beruhigen sollte. Um die Wiederherstellung der Glaubenseinheit willen war der Kaiser bereit die streng-chalcedonische Position zugunsten eines Kompromisses aufzugeben, ohne von den Severianern die Annahme der Substanz der chalcedonischen Definition zu verlangen. Dieser Vorschlag wurde von den Syrern auch abgelehnt. Das Ringen um sie hatte also keinen Erfolg. Nun am 6. August 536 auf der Synode von Konstantinopel erließ der Kaiser zum Abschluss eine Konstitution, durch die die Antichalcedonier Severus, Anthimus, Petrus und Zooras verurteilt wurden. Justinian verfügte auch die Verbrennung der severianischen Schriften. Dieses Urteil wurde aber nicht konsequent und auch nicht überall durchgeführt. In seinen Einigungsversuchen ging es dem Kaiser nicht nur  darum eine Einheit zwischen den Chalcedoniern und Nichtchalcedoniern zu ezielen, sondern auch um einen Graben zwischen Alexandrien und Antiochien zu schließen. Aber dieser Graben wurde durch den sog. „Drei- Kapitel-Streit“ noch mehr vertieft. Dabei ging es hauptsächlich um die Verurteilung der drei Namen: Theodor von Mopsuetsia, Theodoret von Cyrus und Ibas von Edessa, aber auch andere wie Diodor von Tarsus und die anderen Lehrer aus der antiochenischen Schule. Ihnen wurde der Nestorianismus vorgeworfen. Das war die bedeutendste und umstrittenste Aktion von Kaiser Justinian.

Der erste Fall des Drei-Kapitel-Streites ist ein Brief des Ibas an den Perser Mari gewesen, der im Jahre 433 nach dem Friedensschluss zwischen Cyrill von Alexandrien und den gemäßigten Antiochenern,  geschrieben sein muss. In diesem Brief schildert er, dass es nach dem Konzil von Ephesus 431 in der orientalischen Kirche zur Zwietracht gekommen  sei. Dieses Schreiben erregte nun in der  Anhängerschaft des Rabbula in Edessa schärfsten Widerspruch.  Rabbula war Bischof von Edessa und Bekenner der Mia-Physis.  Er wollte die „Schule der Perser“, der Theodor von Mopsuetsia, Theodoret und Ibass von Edessa gehörten, aus der Stadt vertreiben, weil sie „nestorianische Lehre“ übernommen hätten. Der Brief von Ibas wurde  nestorianisch ausgelegt.  Die Auseinandersetzung erreichte ihren Höhepunkt auf der von Kaiser Theodosius II nach Ephesus im Jahre 449 einberufenen Synode. Ibas, der in der Zwischenzeit Bischof in Edessa geworden war, wurde seines Amtes enthoben und aus der Kirche ausgeschlossen. Das gleiche geschah mit  Theoderet von Cyrus, Domnus von Antiochien und Irenäus von Tyrus. Das erboste die Antiochener und sie erklärten, dass sie sich lieber verbrennen lassen würden, als ihre beiden Kirchenlehrer Diodor und Theodor zu verdammen. Cyrill von Alexandrien mahnte zur Zurückhaltung, um ein Schisma zu vermeiden. Ohne Erfolg. Die Lage wurde zu gefährlich, deswegen hat man auf dem Konzil von Chalcedon zwei Jahre  später 451 die Verurteilung von 449 zurückgenommen, Theoderet von Cyrus und Ibas von Edessa wurden rehabilitiert.

Kaiser Justinian, der in seiner Confessio rectae fidei von 551 eine klare Terminologie im Geiste Chalcedons – mit der Unterscheidung von Hypostasis = Person und Physis = Natur-Wesenheit – zur Herrschaft brachte,   fasste nun eine folgenschwere Entscheidung, die für Chalcedon und die Kirche in Ost und West tragische Folgen hatte. Er beschloss, hundert Jahre später, die Drei Kapitel wieder zu verurteilen. Der zentrale Angriff gegen sie war das 5. ökumenische Konzil, das Constantinopolitanum II im Jahre 553. Dem Kaiser ging es um Neuinterpretation des Chalcedons mit dem Ziel, dadurch die Severianer zu gewinnen und so das eusebianisch-konstantinische Ideal der Reichseinheit noch zu retten. Da die Severianer im Reich in der Mehrzahl waren, war es  naheliegend, ihre Erzfeinde, die Nestorianer auszuschalten. Dieses Unternehmen wurde in einem großen Intrigenspiel durchgeführt. Die Verurteilung der Drei Kapitel geschah mit einer völlig unhistorischen Begründung.  Justinian beurteilte die Lehre der Drei Kapitel aus dem 5. Jahrhundert, einer Zeit also, in der die Antiochener, d.h. die Nestorianer, versucht haben, das radikal-apollinaristische Verständnis der Einheit in Christus durch Betonung der Ganzheit der Menschheit Christi abzuwehren. Aus dem Blickwinkel des 6. Jahrhunderts wurde aber die ungenügende Darstellung der antiochenischen Reaktion von Diodor von Tarsus bis zu Theodoret schärfer herausgestellt, als dies dem historischen Tatbestand um 431 entsprechen konnte. Dass die Antiochener selbst Fortschritte in Richtung einer vertieften Erfassung der Einheit in Christus gemacht haben, wurde in der Polemik unterschlagen. Der Kaiser selbst bemühte sich auch nicht die historische Bedingtheit der antiochenischen Christologie in deren Beurteilung mit einzubeziehen. Die Intriganten um ihn herum, die auf die Verurteilung der Drei Kapitel abzielten, verhinderten dies. So wurde der Graben zwischen Antiochien und Alexandrien entgegen allen Einigungsversuchen des Kaisers erneut aufgerissen. Die Union von 433 wurde entwertet, zu der sich Ibas ausdrücklich bekannt hatte. Zu allem Übel kam noch ein anders hinzu. Kaiserin Theodora, Justinians Ehefrau, die schon immer proseverianisch eingestellt war, fasste den Entschluss, zur Durchführung der Verurteilung der Drei Kapitel, den Papst Vigilius aus Rom nach Konstantinopel zu holen. Das war im November 545. Dort kam der Papst erst im Januar 547 an. Unterwegs hat er sich in Sizilien aufgehalten und dort zahlreiche Petitionen der sardinischen und afrikanischen Bischöfe erhalten, die Drei Kapitel nicht zu verurteilen. Der römische Klerus war ebenfalls gegen diese Verurteilung. In Konstantinopel angekommen, exkommunizierte er den Patriarchen Menas und setzte ihn ab. Die Exkommunikation galt auch allen anderen Unterzeichnern der Verurteilung der Drei Kapitel aus den Jahren 544/545.

Doch auf Betreiben der Kaiserin versöhnte sich der Papst mit dem Patriarchen. Im Geheimen verurteilte  Vigilius Mitte Juni 547 in zwei gleichlautenden Briefen an Kaiser und Kaiserin die Drei Kapitel. Diese Briefe hat Justinian später auf dem Konzil von 553 verlesen lassen. In einem Dokument, sog. Judicatum vom 11. April 548 teilte der Papst dem Patriarchen Menas mit, dass er die Drei Kapitel verdamme, aber unter Wahrung des Chalcedons. Der Westen und auch Afrika sahen in diesem Dokument eine Absage an Chalcedon. Der Widerstand dagegen wurde so heftig, dass  eine afrikanische Synode  ihn sogar formell wegen seiner Verurteilung der Drei Kapitel exkommuniziert hatte. Vigilius musste dann den Kaiser  bitten, ihm sein Dokument zurückzugeben und damit zu annullieren. Aber das Gegenteil geschah: Am 15. August 550 musste der Papst vor Justinian und Theodor Askidas, dem zwielichtigen Bischof von Caesarea, auf die vier Evangelien und die Kreuzesnägel schwören, im Sinne des Kaisers auf die Verurteilung der Drei Kapitel hinzuarbeiten und den Kaiser über alle Aktionen der Gegenpartei zu unterrichten. Papst Vigilius hat sich praktisch der Erpressung gebeugt. Unterdessen versuchte Justinian seine Argumentation gegen Theodor von Mopsuestia post mortem auszubauen. Dieser wurde praktisch nach seinem Tode verdammt. Das waren alles gezielte Vorbereitungen für die Verurteilung der Drei Kapitel, die auf dem 5. ökumenischen Konzil im Jahre 553 in Konstantinopel gefällt wurde. Nach diesem Urteil kam es praktisch zu einer Spaltung zwischen der orientalischen und der westlichen Kirche. Der ganze Orient wurde sozusagen monophysitisch. Ich glaube, es ist wichtig, diese Zusammenhänge einigermaßen zu kennen, um zu verstehen, warum Chalcedon für lange Zeit als gescheitert galt. Es dauerte insgesamt fast 200 Jahre, bis Chalcedon sich selbstreflektiert und verstanden hat.

Fortsetzung folgt
 
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