54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Tracy Gillett über Kinder-Erziehung
 
Tracy Gillett über Kinder-Erziehung

im Videointerview mit der Huffington Post

THE BLOG

Als mein Vater ein Kind war, hatte er jeden Winter nur einen Pullover. Einen. Insgesamt.
Er erinnert sich noch daran, wie gut er auf seinen Pullover achtgegeben hat. Wenn an den Ellenbogen Löcher waren, hat meine Großmutter sie geflickt. Wenn er seinen Pullover verlor, überlegte er sich, wo er überall gewesen ist, um ihn wiederzufinden. Er passte gut auf den Pullover auf, da er für ihn ein kostbares Geschenk war.

Er hatte alles, was er brauchte, und nicht viel, viel mehr. Die einzige Regel lautete, dass er zum Abendessen zu Hause sein musste. Meine Großmutter wusste meist nicht so genau, wo ihre Kinder steckten. Sie waren unterwegs und errichteten Lager, bauten Pfeile und Bögen, zogen sich blaue Flecken und blutige Knie zu und hatten die beste Zeit ihres Lebens. Sie waren komplett in ihre Kindheit eingetaucht.

Die Welt hat sich seitdem verändert. Wir haben uns weiterentwickelt. Und befinden uns nun in einer einzigartigen Zeit, in der Eltern nicht mehr damit zu kämpfen haben, dass sie ihren Kindern nicht genug bieten können, sondern in der sie nicht widerstehen können und ihren Kindern viel zu viel bieten. Mit diesem Verhalten erzeugen wir unwissentlich ein Umfeld, das einen Nährboden für psychische Krankheiten bietet.

Als ich das Buch Simplicity Parenting von Kim John Payne las, stach mir eine Botschaft ganz besonders ins Auge. Ganz normale persönliche Eigenarten können in Kombination mit dem Stress von "zu viel von Allem" dazu führen, dass Kinder Störungen entwickeln. Kinder, die gerne methodisch vorgehen, können dadurch zu zwanghaftem Verhalten gedrängt werden. Verträumte Kinder können ihre Konzentrationsfähigkeit verlieren.

Payne führte eine Studie durch, in der er das Leben von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom vereinfachte. Innerhalb von nur vier Monaten wurden 68 Prozent der Kinder wieder als klinisch unauffällig eingestuft, bei denen vorher klinische Auffälligkeiten festgestellt worden waren. Außerdem stiegen die akademische Eignung und die kognitiven Fähigkeiten der Kinder um 37 Prozent an, ein Ergebnis, das nicht einmal mit häufig verschriebenen Medikamenten wie Ritalin erreicht wird.

Als frischgebackene Mutter finde ich das ermutigend und erschreckend zugleich. Wir haben ganz offiziell die riesige Chance und Verantwortung, eine Umwelt zu erschaffen, in der unsere Kinder körperlich, emotional und geistig aufblühen können. Was machen wir also falsch und wie können wir es besser machen? Das könnte dich auch interessieren: Warum man ein Kind nicht für einen Wutanfall bestrafen sollte.

Die Last des Zuviels

Zu Beginn seiner Karriere arbeitete Payne ehrenamtlich in Flüchtlingslagern, in denen die Kinder an Posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Er beschrieb sie als "schreckhaft, nervös, extrem wachsam, misstrauisch gegenüber jeglichen Änderungen oder Neuem.“Jahre später hatte Payne seine eigene Privatpraxis in England. Dort stellte er fest, dass viele Kinder aus wohlhabenden Familien die gleichen Verhaltensmuster zeigten wie die Kinder, die er in Kriegsgebieten beobachtet hatte. Warum wiesen diese Kinder, die in völliger Sicherheit lebten, ähnliche Symptome auf?

Heutzutage sind Kinder einer ständigen Informationsflut ausgesetzt

Payne erklärt, dass sie sich zwar körperlich in Sicherheit befänden, doch psychisch lebten sie ebenfalls in einer Art „Kriegsgebiet." „Da sie sich der Ängste, Ziele, Ambitionen ihrer Eltern und der extremen Schnelligkeit ihres Lebens bewusst waren, versuchten die Kinder durch letztlich nicht besonders hilfreiche Verhaltensweisen, ihre eigenen Grenzen, ihr eigenes Maß an Sicherheit, zu finden.“ Kinder, die unter einer "Reaktion auf kumulativen Stress“ leiden, welche durch den Schneeballeffekt von "zu viel von Allem" hervorgerufen wird, entwickeln ihre eigenen Bewältigungsstrategien, um sich sicher zu fühlen. Eltern und die Gesellschaft sind sich bewusst darüber, dass sie ihre Kinder körperlich schützen müssen, doch dass sie auch auf die psychische Gesundheit ihrer Kinder achten müssen, ist weit weniger bekannt.

Heutzutage sind Kinder einer ständigen Informationsflut ausgesetzt, die sie nicht verarbeiten oder rationalisieren können. Sie werden schneller erwachsen, weil wir sie in die Rolle von Erwachsenen drängen und unsere Erwartungen an sie erhöhen. Deshalb suchen sie nach anderen Bereichen ihres Lebens, die sie kontrollieren können. Das könnte dich auch interessieren: Das passiert mit Babys, die man schreien lässt.

Die vier Säulen des Überflusses

Wir Eltern wollen unseren Kindern selbstverständlich den besten Start ins Leben ermöglichen. Wenn ein wenig gut ist, so denken wir, dann ist mehr noch besser, oder etwa nicht? Wir melden sie zu unzähligen Aktivitäten an. Und füllen jedes Fleckchen ihres Zimmers mit lehrreichen Büchern, Geräten und Spielzeugen, wobei ein durchschnittliches westliches Kind mehr als 150 Spielsachen besitzt. Eine derart große Auswahl verblendet Kinder und erdrückt sie mit Auswahlmöglichkeiten. Sie spielen nur oberflächlich, statt sich vollkommen einzulassen und ihrer blühenden Fantasie freien Lauf zu lassen.

In Simplicity Parenting wird empfohlen, Kindern weniger Spielsachen zu geben, damit sie sich stärker mit dem Spielzeug beschäftigen, das sie haben. Laut Payne bestehen die vier Säulen des Überflusses aus zu viel materiellem Besitz, zu vielen Wahlmöglichkeiten, zu vielen Informationen und zu viel Geschwindigkeit. Wenn Kinder überhäuft werden, verpassen sie die wertvolle Auszeit, die sie zum Entdecken, Nachdenken und Entspannen brauchen. Zu viele Wahlmöglichkeiten machen Kinder unglücklich und rauben ihnen das Geschenk der Langeweile, das Kreativität und selbstgesteuertes Lernen fördert. Das könnte dich auch interessieren: 7 Wege, ein Kind zu verletzen, ohne es zu schlagen.

Die Kindheit schützen

Ähnlich wie bei der Anekdote, in der die Hitze langsam aufgedreht und der nichts ahnende Frosch gekocht wird, hat unsere Gesellschaft die Wunder der Kindheit ebenfalls schleichend zerstört. Sie hat sie neu definiert und nun lässt sie die unreifen Gehirne unserer Kinder beim Versuch, Schritt zu halten, ertrinken. Dies wird oft als "Krieg gegen die Kindheit" bezeichnet.

Der Entwicklungspsychologe David Elkins berichtet, dass Kinder in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als zwölf Stunden Freizeit pro Woche verloren haben, was bedeutet, dass sie kaum mehr Gelegenheit haben, frei zu spielen. Selbst Vorschulen und Kindergärten legen ihren Fokus verstärkt auf Bildungsaktivitäten. In vielen Schulen gibt es keine Pausen mehr, damit die Kinder mehr Zeit zum Lernen haben. Es hat sich gezeigt, dass die Kreativität von jungen Erwachsenen, die als Kinder Zeit mit Vereinssport verbracht hatten, bedeutend gesunken war, wohingegen die Zeit, die Kinder mit informellem Sport verbringen, mit einem Anstieg an Kreativität in Verbindung gebracht wird.

Es ist nicht der Vereinssport an sich, der die Kreativität zerstört, sondern die fehlende Auszeit. Bereits die Möglichkeit, zwei Stunden pro Woche frei spielen zu können, reicht aus, damit Kinder eine überdurchschnittlich hohe Kreativität entwickeln können. Das könnte dich auch interessieren: 6 Sätze, die die Psyche deines Kindes prägen

Es liegt in der Hand der Eltern

Wie sollen wir Eltern also unsere Kinder in dieser neuen "Normalität“ schützen, die die Gesellschaft entwickelt hat? Ganz einfach indem wir Nein sagen. Wir schützen unsere Kinder und sagen Nein, damit wir ihnen mehr Raum verschaffen können, in dem sie Kinder sein dürfen. Nein, Sam schafft es am Samstag nicht zur Geburtstagsparty. Nein, Sophie schafft es diese Woche nicht ins Fußballtraining. Außerdem sorgen wir wieder für regelmäßige Auszeiten, damit sie in ihrer anderweitig chaotischen Welt Ruhe und Trost finden können. Die Kinder können sich darauf verlassen, dass sie sich während dieser Auszeit entspannen können und sich wieder erholen und wachsen können, was für die Entwicklung von Kindern extrem wichtig ist. Wir sortieren unnötige Aktivitäten aus und vereinfachen ihr Leben. Wir sprechen beim Abendessen nicht über die globale Erwärmung, wenn ein Siebenjähriger mit am Tisch sitzt.

Wir schauen uns die Nachrichten an, wenn unsere Kinder schlafen. Wir entfernen überflüssiges Spielzeug und Spiele aus ihrem Zimmer, wenn die Kinder schlafen. Wir erschaffen wieder eine Kindheit und halten sie in Ehren. Unsere Kinder können noch ihr ganzes Leben lang erwachsen sein und sich mit der Kompliziertheit des Lebens auseinandersetzen, doch sie haben nur einen sehr kurzen, flüchtigen Zeitraum, in dem sie Kinder sein dürfen. Ausgelassene, lebenslustige Kinder. Die Kindheit dient einem sehr wichtigen Zweck. Sie ist nichts, was man einfach nur "durchstehen“ muss. Sie ist da, um die Psyche von Kindern zu schützen und sie weiterzuentwickeln, damit diese Kinder zu gesunden und glücklichen Erwachsenen werden können.

Wenn die Gesellschaft zu stark in die Kindheit eingreift, reagiert das Gehirn darauf. Wenn wir unseren Kindern Ausgeglichenheit vermitteln und ihre Kindheit aktiv schützen, machen wir ihnen das größte Geschenk, das sie jemals erhalten werden.

Dieser Blog ist ursprünglich bei der Huffington Post Canada erschienen und wurde von Susanne Raupach aus dem Englischen übersetzt.

Kindern helfen

Seit Jahren schon warnen Experten, dass allein in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut lebt. Viel schwieriger noch die Situation von Kindern in Südeuropa, Afrika oder Südasien. Doch was fehlt ihnen wirklich? Wie kann man ihnen wirkungsvoll helfen? Zusammen mit der Spendenplattform betterplace.org nennt die Huffington Post einige spannende Projekte. Viele Kinder in Deutschland sind so arm, dass ihre Eltern sich nicht einmal eine warme Mahlzeit leisten können. Ihnen hilft das Deutsche Kinderhilfswerk mit Kinderhäusern. Hier können die Kinder in Ruhe essen, Hausaufgaben machen und sogar an Kochkursen teilnehmen. Das ist nur mit Spenden möglich.  Die Wirtschaftskrise in Griechenland trifft Kinder ganz besonders. Der Verein KRASS e.V. möchte den Kindern in Athen und wo immer möglich in Griechenland, eine Auszeit mit Spiel, Kunst und Spaß unter professioneller Begleitung ermöglichen.”

 
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