54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Die Auserwählung Marias
 
Die Auserwählung Marias 

nach den Visionen der Maria von Agreda
Vorwort der Redaktion:

Es ist erstaunlich, daß uns Gott in der Form von Visionen, die er auserwählten Seelen gewährt, an seinen Ratschlüssen und Entscheidungen gleichsam als Zuschauer teilnehmen läßt und uns so Einblicke zeigt, die weit über die nüchternen Berichte der Evangelisten hinausgehen. Bereits früher hatte Gott der spanischen Äbtissin Maria von Agreda (* 2. April 1602; † 24. Mai 1665) genaue Kenntnisse und besondere Einblicke in das Leben Marias und ihre Erwählung zur Mutter Gottes zuteil werden lassen. Die Visionen erschienen nach ihrem Tod  unter dem Titel »Mistica Ciudad de Dios« (»Die mystische Stadt Gottes«) In den Schauungen gewährt Gott der Maria von Agreda solch tiefe Einsichten in die göttlichen Geheimnisse, weswegen die Lektüre der »mystischen Stadt Gottes« bis weit in das zwanzigste Jahrhundert einen bedeutenden Anteil an der theologischen Mariologie ausmachte und gleichsam als Lehrbuch galt. »Die mystische Stadt Gottes« enthält nicht nur die besonderen Schauungen auf das Leben Marias, sondern löst auch theologische Probleme. So hatte bereits Kard. Aguirre am 4. August 1699 an den Erzbischof von Paris geschrieben: "Es ist gewiß, daß kein Mensch, so gelehrt er auch sein mag, zur Abfassung dieses Werkes rein natürlich so erhabene Erkenntnisse hätte beibringen können. Jedermann muß moralisch überzeugt sein, daß diese große Dienerin Gottes alles, was sie geschrieben hat, auf Eingebung des Heiligen Geistes und unter dem besonderen Beistand der allerseligsten Jungfrau Maria geschrieben hat." (Klappentext)


Wie sehr die Jungfrau Maria selbst, die damals 14 Jahre alt war, die Erlösung der Menschheit herbei gesehnt hat, die vor dem Besuch des Engels Gabriel nicht wußte, daß sie von Gott auserwählt war, um den Sohn Gottes zu gebären, sollen die nachfolgenden Ausführungen zeigen, um zu verstehen, was es bei Lukas heißt: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort." (Lk. 1, 38)
Eberhard Heller

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11. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes

Vor Himmel und Erde, vor ihren Bewohnern und dem Schöpfer des Weltalls, dem ewigen Gott, bekenne ich, daß meine schwachen Kräfte schwinden, meine Zunge verstummt, meine Worte erstarren, meine Seelenkräfte machtlos werden und mein Verstand wie gehemmt und betäubt ist, wenn ich ihn auf das göttliche Licht richte, das mich leitet und unterweist, um das unergründliche Geheimnis der Menschwerdung zu beschreiben. Man erkennt in diesem Licht alles ohne Täuschung, versteht es ohne Umschweife. Ich sehe in ihm, wie unfähig ich bin, wie leer und unzulänglich die Ausdrücke sind, um den Inhalt eines Geheimnisses wiederzugeben, das Gott selbst und das größte Wunderwerk Seiner Allmacht in sich schließt. Ich sehe in diesem Geheimnis die göttliche Harmonie der Vorsehung und Weisheit, mit der Gott es von Ewigkeit her angeordnet und seit Erschaffung der Welt vorbereitet hat. Alle Seine Werke und Geschöpfe gebraucht Er als Mittel, daß Gott auf die Erde niedersteige und Mensch werde.

Ich sehe, wie das ewige Wort, um vom Schoße Seines Vaters niederzusteigen, als passendste Stunde die stille Mitternacht der Unwissenheit der Menschen wählte und abwartete, als die ganze Nachkommenschaft Adams im Schlafe der Vergessenheit und Unkenntnis des wahren Gottes begraben und versunken war und niemand den Mund öffnete, um Gott bekennen und zu preisen, ausgenommen einige wenige Seines Volkes. In der ganzen übrigen Welt herrschte Schweigen und dichte Finsternis während einer langen Nacht von ungefähr 5200 Jahren. Ein Jahrhundert und ein Geschlecht folgte dem andern, jedes in der Zeit, die von der ewigen Weisheit vorherbestimmt war, damit alle ihren Schöpfer erkennen und gleichsam mit Händen greifen könnten. Alle Menschen waren Ihm ja so nahe; denn "in Ihm leben wir, bewegen uns und sind wir" (Apg 7, 30). Da jedoch der Tag des unzugänglichen Lichtes noch nicht erschien, wandelten die meisten wie Blinde, sahen und fühlten zwar die Geschöpfe, fanden und erkannten die Gottheit aber nicht, sondern gaben sich den sinnlichen und verächtlichsten Dingen hin.

Endlich kam der glückliche Tag, an dem der Allerhöchste, über die tiefe Unwissenheit der Jahrhunderte hinwegsehend, sich den Menschen offenbarte und ihre Erlösung begann, indem Er im Schoße Mariä ihre Natur annahm. Um das mir geoffenbarte Geheimnis besser zu erklären, muß ich zuvor von einigen Geheimnissen sprechen. Der Glaube lehrt, daß es in Gott drei Personen gibt, die aber eins sind in ihrem Wesen, Ihrer Natur, Ihrer Weisheit, Allmacht und in allen übrigen göttlichen Vollkommenheiten. Wie sie so gleich sind in ihrem Sein, so ist auch Ihr Wirken nach außen ungeteilt zwischen den drei göttlichen Personen; denn alle drei wirken, weil Sie ein und derselbe Gott sind und eine Weisheit, einen Verstand und einen Willen haben. Wie also der Sohn weiß, will und wirkt, was der Vater weiß und will, so weiß, will und wirkt auch der Heilige Geist das gleiche wie der Vater und der Sohn.

In dieser Ungeteiltheit vollführen alle drei Personen das Werk der Menschwerdung in ein und derselben Tätigkeit, obwohl nur die Person des Wortes in hypostatischer Union die menschliche Natur annahm. Darum sagen wir, daß der Sohn vom ewigen Vater, aus dessen Erkennen Er hervorgeht, gesandt worden ist; daß der Vater Ihn gesandt hat durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes. Als nun die Person des Sohnes auf die Welt kommen wollte, brachte Er, ehe Er vom Himmel niederstieg - ohne den Schoß Seines Vaters zu verlassen -, im Namen der Menschheit, die Er annehmen sollte, einen Vorschlag und eine Bitte im göttlichen Rate vor. Er stellte nämlich Seine vorhergesehenen Verdienste vor und bat um das Fiat des heiligsten Willens des Vaters, damit dem ganzen Menschengeschlecht von der göttlichen Gerechtigkeit Erlösung und Verzeihung gewährt werde durch die Werke, Leiden und Geheimnisse, die Er in der neuen Kirche und dem Gesetze der Gnade vollbringen wollte. Der ewige Vater gewährte Ihm alles und empfahl Ihm Seine Auserwählten als Sein Erbe. Darum sagt Jesus durch Johannes, daß jene, die Sein Vater Ihm gegeben habe, nicht verloren gehen werden, ausgenommen Judas, der Sohn des Verderbens. Ein anderes Mal sagt Er, daß niemand eines Seiner Schäflein Seiner Hand oder der des Vaters entreißen werde. Das würde für alle Menschen gelten, wenn sie sich bemühten, die Erlösung für sich wirksam zu machen. Niemand ist von der göttlichen Barmherzigkeit ausgeschlossen.

Dies alles ging - nach unserer Vorstellung - im Himmel auf dem Thron der heiligsten Dreifaltigkeit vor sich, ehe das Fiat der seligsten Jungfrau gesprochen wurde. Als der Eingeborene des Vaters in den jungfräulichen Schoß Mariä niederstieg, bewegten sich die Himmel und alle Geschöpfe. Wegen der untrennbaren Einheit aller drei Personen kamen der Vater und der Heilige Geist mit dem göttlichen Wort herab, das allein Fleisch annahm. Mit ihnen stiegen alle himmlischen Heerscharen nieder, voll Glanz und überwältigender Stärke. Es war nicht nötig den Weg zu bahnen, weil die allgegenwärtige Gottheit alles erfüllt und nichts sie hemmen kann. Die materiellen Himmel huldigten ihrem Schöpfer und bewiesen Ihm Ehrfurcht. Alle elf öffneten und teilten sich mit den niederen Elementen. Die Sterne strahlten in neuem Licht. Die Sonne, der Mond und die Planeten beschleunigten ihren Lauf im Dienste ihres Schöpfers, um bei diesem größten Wunderwerk zugegen zu sein. Die Menschen nahmen diese ungewohnte Bewegung aller Geschöpfe nicht wahr, weil es Nacht war, aber auch, weil nur die Engel darum wissen sollten. Beim Schauen so tiefer und ehrwürdiger Geheimnisse priesen sie Gott mit neuer Bewunderung. Den Herzen einiger Gerechter flößte Gott in dieser Stunde einen außerordentlichen Jubel ein. Sie wurden dadurch zur Betrachtung angeregt, zu neuen und großen Gedanken über den Herrn. Einige vermuteten infolge göttlicher Eingebung, daß diese ungewöhnliche Empfindung durch die Ankunft des Messias verursacht sei. Alle aber schwiegen, weil durch göttliche Fügung jeder glaubte, dieses außerordentliche Erlebnis allein gehabt zu haben.

Auch die übrigen Geschöpfe erfuhren diese Erneuerung und Änderung. Die Vögel erhoben sich mit außerordentlich freudigem Gesang. Die Kräuter und Bäume dufteten süßer, ihre Früchte wurden vortrefflicher. Auch alle andern Geschöpfe empfingen in ihrer Art eine geheime Belebung. Der heilige Erzengel Michael brachte den Vätern und Heiligen in der Vorhölle die frohe Botschaft, die sie mit Trost erfüllte. Voll Jubel lobten sie den Herrn. Nur in der Hölle war neuer Schmerz und neues Weh. Als das ewige Wort aus der Höhe herniederstieg, fühlten die bösen Geister die Gewalt der göttlichen Allmacht, die gleich den Wogen des Meeres über sie hereinbrach und sie alle in die unterste Tiefe jener finsteren Abgründe warf, ohne daß sie widerstehen oder sich erheben konnten. Nachher kamen sie mit Gottes Zulassung wieder herauf auf die Welt, spähten überall umher und forschten nach dem neuen Ereignis, dem sie ihre Erschütterung zuschreiben könnten. Aber sie konnten die Ursache nicht entdecken, obschon sie einige Beratungen darüber hielten. Der Allmächtige verbarg ihnen das Geheimnis der Menschwerdung und die Weise der Empfängnis des Gottmenschen. Erst bei dessen Tod am Kreuze erfuhren sie, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sei.

Der heilige Erzengel Gabriel trat in die Kammer, wo Maria betete. Unzählige Engel begleiteten ihn in sichtbarer menschlicher Gestalt. Alle strahlten, ihrem Rang entsprechend, in wunderbarer Schönheit. Maria blickte den Engel höchst bescheiden und zurückhaltend an und nur so viel, als hinreichte, ihn als einen Engel des Herrn zu erkennen. Alsbald wollte sie sich in ihrer gewohnten Demut verneigen. Der Himmelsfürst aber ließ es nicht zu. Vielmehr verbeugte er selbst sich tief vor seiner Königin und Herrin, in der er die göttlichen Geheimnisse seines Schöpfers anbetete. Dadurch erkannte er zugleich an, daß von nun an die alte Zeit und Gewohnheit sich änderten, nach der die Menschen vor den Engeln sich neigten, wie Abraham es getan hatte. Indem die menschliche Natur durch das göttliche Wort zur Würde Gottes erhoben wurde, wurden die Menschen als Kinder Gottes und als Genossen und Brüder der Engel angenommen, wie der Engel dem heiligen Evangelisten Johannes beteuerte, als er dessen Anbetung zurückwies (Offb 19,2). Dann grüßte der Engel seine und unsere Königin: "Ave, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus!" - "Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen!" Bei diesem Gruß erschrak Maria, ohne jedoch verwirrt zu werden. Dieses Erschrecken hatte zwei Ursachen; zunächst ihre tiefe Demut, in der sie sich als die Geringste von allen Menschen betrachtete. Da sie sich nun als die Gebenedeite unter den Frauen begrüßen hörte, geriet sie in Erstaunen. Während sie diesen Gruß im Herzen nach dem neuen Ereignis, dem sie ihre Erschütterung zuschreiben könnten. Aber sie konnten die Ursache nicht entdecken, obschon sie einige Beratungen darüber hielten. Der Allmächtige verbarg ihnen das Geheimnis der Menschwerdung und die Weise der Empfängnis des Gottmenschen. Erst bei dessen Tod am Kreuze erfuhren sie, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sei.

Der heilige Erzengel Gabriel trat in die Kammer, wo Maria betete. Unzählige Engel begleiteten ihn in sichtbarer menschlicher Gestalt. Alle strahlten, ihrem Rang entsprechend, in wunderbarer Schönheit. Maria blickte den Engel höchst bescheiden und zurückhaltend an und nur so viel, als hinreichte, ihn als einen Engel des Herrn zu erkennen. Alsbald wollte sie sich in ihrer gewohnten Demut verneigen. Der Himmelsfürst aber ließ es nicht zu. Vielmehr verbeugte er selbst sich tief vor seiner Königin und Herrin, in der er die göttlichen Geheimnisse seines Schöpfers anbetete. Dadurch erkannte er zugleich an, daß von nun an die alte Zeit und Gewohnheit sich änderten, nach der die Menschen vor den Engeln sich neigten, wie Abraham es getan hatte. Indem die menschliche Natur durch das göttliche Wort zur Würde Gottes erhoben wurde, wurden die Menschen als Kinder Gottes und als Genossen und Brüder der Engel angenommen, wie der Engel dem heiligen Evangelisten Johannes beteuerte, als er dessen Anbetung zurückwies (Offb 19, 2). Dann grüßte der Engel seine und unsere Königin: "Ave, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus!" - "Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen!" Bei diesem Gruß erschrak Maria, ohne jedoch verwirrt zu werden. Dieses Erschrecken hatte zwei Ursachen; zunächst ihre tiefe Demut, in der sie sich als die Geringste von allen Menschen betrachtete. Da sie sich nun als die Gebenedeite unter den Frauen begrüßen hörte, geriet sie in Erstaunen. Während sie diesen Gruß im Herzen erwog, gab ihr Gott zu erkennen, daß Er sie zu Seiner Mutter erwähle. Darüber erschrak sie noch tiefer. Darum sprach der Engel weiter: "Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst in deinem Schoße einen Sohn empfangen und gebären, und du wirst Ihm den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden." Darauf folgten die übrigen Worte der Heiligen Schrift (Lk 1, 30-32).

Maria allein konnte unter allen bloßen Geschöpfen ein so großes und ganzes Geheimnis nach Gebühr würdigen und hochschätzen. Darum war sie entsprechend erstaunt und betroffen. Doch sie wandte ihr demütiges Herz zum Herrn, der ihre Bitte nicht abschlagen konnte, und flehte in ihrem Innern um neues Licht und neuen Beistand, um sich in einer so schwierigen Angelegenheit zu entscheiden; denn Gott ließ sie bei Vollziehung dieses Geheimnisses im gewöhnlichen Zustand des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, indem Er die andern Gaben und inneren höheren Erleuchtungen aufhob. In dieser Verfassung antwortete sie: "Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?" Zugleich stellte sie innerlich dem Herrn ihr Gelübde der Keuschheit vor und die Verlobung, die Seine Majestät mit ihr gefeiert hatte.

Der Erzengel Gabriel antwortete: "Herrin, Gottes Allmacht kann leicht bewirken, daß du Mutter wirst, ohne einen Mann zu erkennen. Der Heilige Geist wird in wunderbarer Weise mit dir sein, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten, daß von dir der Heiligste der Heiligen geboren werde, der »Sohn Gottes« heißen wird. Auch deine Base Elisabeth hat in ihrem unfruchtbaren Alter einen Sohn empfangen, und dies ist schon der sechste Monat seit ihrer Empfängnis. Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Der welcher bewirkt, daß eine Unfruchtbare empfange und gebäre, kann auch bewirken, daß du, 0 Herrin, seine Mutter werdest und zugleich Jungfrau bleibst, und daß deine Reinheit eine noch höhere Weihe empfange. Deinem Sohn wird Gott den Thron Davids geben, und Sein Reich wird ewig sein im Hause Jakobs. Du kennst die Weissagung des Isaias, daß eine Jungfrau empfangen und einen Sohn gebären werde, der Emanuel, Gott mit uns, heißen soll. Diese Weissagung ist untrüglich und sie soll sich in dir erfüllen. Auch kennst du das große Geheimnis des Dornbusches, den Moses brennen und nicht verbrennen sah. Das deutete hin auf die Vereinigung der zwei Naturen, bei der die göttliche die menschliche nicht verzehrt. Dieses Vorbild kündet auch an, daß die Mutter des Messias ohne Verletzung ihrer jungfräulichen Reinheit empfangen und gebären werde. Erinnere dich auch, 0 Herrin, an die Verheißung, die Gott dem Patriarchen Abraham gab, daß seine Nachkommen nach ihrer Knechtschaft in Ägypten im vierten Geschlecht in dieses Land zurückkehren würden. Das tiefe Geheimnis dieser Verheißung war, daß der menschgewordene Gott in diesem vierten Geschlecht durch deine Vermittlung das ganze Menschengeschlecht aus der Sklaverei Satans erlösen werde. *) Jene Leiter endlich, die Jakob im Schlafe sah, war ein deutliches Vorbild des königlichen Weges, den das Wort Gottes in menschlichem Fleische eröffnen wird, damit die Menschen zum Himmel empor und die Engel zur Erde hernieder steigen können, wie auch der Eingeborene des Vaters auf die Erde herabkommen soll, um mit den Menschen zu verkehren und ihnen die Schätze Seiner Gottheit mitzuteilen, indem Er sie an den Tugenden und Vollkommenheiten Seines unveränderlichen Wesens teilnehmen läßt. "

So belehrte der himmlische Bote die seligste Jungfrau, damit sie durch den Glauben an die Heilige Schrift und an die unendliche Macht Gottes ihre Furcht ablege. Maria, die selbst die Engel an Weisheit, Klugheit und Heiligkeit übertraf, hielt noch mit ihrer Antwort zurück, um sie mit voller Überlegung zu geben. Maria erwog, daß von ihrer Antwort nichts Geringeres abhinge als das Worthalten der Heiligsten Dreifaltigkeit, die Erfüllung der göttlichen Verheißungen, das wohlgefälligste und würdigste aller Opfer, das Öffnen der Pforten des Paradieses, der Sieg und der Triumph über die Hölle, die Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes, die Genugtuung und Ersatzleistung vor der göttlichen Gerechtigkeit, die Gründung des neuen Gesetzes der Gnade, die Seligkeit der Menschen, die Freude der Engel, kurz alles das, was in dem großen Geheimnis der Menschwerdung eingeschlossen ist.

Welch großes, staunenswertes Wunder, daß der Allerhöchste diese Geheimnisse in die Hände einer demütigen Jungfrau legte und alle von ihrem »Fiat« abhängig machte. Dies alles hat der Herr mit Würde und Sicherheit der Weisheit und dem Mut dieser starken Frau überlassen können, da sie bei ihrer so hochherzigen und erhabenen Gesinnung Sein Vertrauen nicht enttäuschen konnte. An der innergöttlichen Tätigkeit können die Geschöpfe nicht teilnehmen, wohl aber an den außergöttlichen Werken, deren größtes und ausgezeichnetstes die Menschwerdung ist. Dieses wollte Gott nicht ohne die Mitwirkung und freie Zustimmung der seligsten Jungfrau vollziehen. Mit ihr und durch sie wollte Er allen Seinen Werken nach außen diese Vollendung geben, und wir sollten diese Wohltat der Mutter der Weisheit, unserer Wiederherstellerin Maria, verdanken.

Maria betrachtete und durchschaute tief das weite »Feld« (Spr 31, 16 ff.) der Würde der Gottesmutterschaft, das sie mit einem »Fiat« erkaufen sollte. Sie bekleidete sich mit übermenschlicher Stärke, fühlte und "sah, wie gut dieses Angebot und dieser Tausch" mit Gott war. Sie "achtete auf die Wege" Seiner verborgenen Wohltaten und schmückte sich "mit Kraft und Anmut". Nachdem sie so bei sich selbst und mit dem himmlischen Brautführer Gabriel die Größe dieser göttlichen Geheimnisse erwogen und das volle Verständnis der Botschaft erlangt hatte, wurde ihr reinster Geist ganz in Bewunderung, Ehrfurcht und höchste, feurigste Liebe zu Gott versenkt. Durch die Gewalt dieser hocherhabenen Anmutungen und Gemütsbewegungen wurde wie in natürlicher Folge das reinste Herz Mariä so stark zusammen gepreßt, daß drei Tropfen seines reinsten Blutes aus ihm träufelten. Aus diesen drei Tropfen wurde im reinsten Schoße Maria der Leib unseres Herrn Jesu Christi durch die Kraft des Heiligen Geistes gebildet. So hat also das Herz der reinsten Jungfrau Maria wahrhaft und wirklich durch die Macht seiner Liebe die Materie dargeboten, aus dem die heiligste Menschheit des Wortes zu unserer Erlösung gebildet wurde. Zu gleicher Zeit sprach Maria mit unvergleichlicher Demut, das Haupt ein wenig geneigt und die Hände gefaltet, jene Worte, die der Anfang unserer Erlösung waren: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort! (Lk 1,38). Beim Aussprechen des »Fiat«, für Gott so lieblich und für uns so heilbringend, geschahen in einem Augenblick vier Dinge: Erstens wurde der heilige Leib unseres Herrn Jesus Christus gebildet, zweitens seine heiligste Seele erschaffen, und zwar wie die andern Seelen, drittens vereinigten sich Seele und Leib, um Seine vollkommenste Menschheit zu bilden. Viertens vereinigte sich die Gottheit in der Person des Wortes mit der Menschheit. Durch diese persönliche (hypostatische) Vereinigung der Menschheit mit der Gottheit vollzog sich die Menschwerdung, und so ward Jesus Christus, der wahre Gottmensch und unser Erlöser, gebildet. Dies geschah am Freitag, dem 25. März, zur nämlichen Stunde, da unser erster Vater Adam erschaffen war.

Im gleichen Augenblick, als der Allmächtige die Feier der persönlichen Vereinigung des ewigen Wortes mit der menschlichen Natur im reinsten Brautgemach Mariä beging, wurde sie zur beseligenden Anschauung Gottes in einer intuitiven, klaren Vision erhoben. Sie erkannte in Gott die erhabensten Geheimnisse, von denen ich im folgenden Kapitel sprechen werde. Namentlich wurden ihr die geheimnisvollen Zeichen und Worte klar, die sie an ihrem Schmuck trug, desgleichen auch jene der Engel. Das göttliche Kind wuchs natürlicherweise durch die Substanz und das Blut Seiner heiligsten Mutter wie andere Kinder. Doch war es frei von den Unvollkommenheiten, die die übrigen Adamskinder in jenem Zustand und an jener Stätte zu leiden haben. Maria war von den Schwächen, die nicht zum Wesen der Lebensmitteilung gehören, sondern eine Folge der Sünde sind, gänzlich frei. Wie die Menschheit unseres Erlösers auf natürliche Weise ernährt wurde, so wurde Seine Gottheit durch die heroischen Tugenden Seiner Mutter, besonders durch ihre Liebe erfreut. Während andere Mütter ihren Kindern für deren Wachstum nur unvollkommenes, unreines Blut geben können, gab Maria das reinste, wesenhafteste und zarteste, weil sie es Kraft der Affekte der Liebe und anderer Tugenden mitteilte. Ebenso verhielt es sich mit dem, was sie genoß. Sie wußte, daß sie Speise nahm, um Gottes und ihrem Sohn Nahrung zu geben. Darum aß sie immer unter so heroischen Akten, daß die Engel staunten, wie in 10 gewöhnlichen menschlichen Handlungen so große Verdienste und für den Herrn so hohes Wohlgefallen sich finden konnten.

Mit der Würde der Gottesmutterschaft erhielt Maria so große Privilegien, daß alles, was ich bisher gesagt habe oder noch sagen werde, deren Erhabenheit nicht im geringsten wiedergibt. Meine Zunge kann sie nicht aussprechen. Die gelehrtesten und weisesten Männer werden keine Worte finden, sie auszudrücken. Die Demütigen jedoch, die die Kunst verstehen, Gott zu lieben, werden dies durch das eingegossene Licht erkennen und durch den inneren Geschmack, mit dem solche Geheimnisse erfaßt werden. Maria, der Himmel und Tempel der heiligsten Dreifaltigkeit, war nicht nur ganz umgestaltet und Gott ähnlich geworden durch die besondere und neue Gegenwart der Gottheit in ihrem reinsten Schoße, sondern auch ihr Haus und ihr Betkämmerchen waren zu einem neuen Heiligtum des Herrn geweiht worden. Die Engel aber, die Zeugen dieses Wunders, priesen den Allmächtigen mit neuen Lobliedern und mit unnennbarem Jubel und lobten Ihn zusammen mit der seligsten Jungfrau sowohl in ihrem eigenen Namen als auch im Namen des Menschengeschlechtes, das die größten Seiner Erbarmungen und Wohltaten noch gar nicht kannte.

Anmerkung:
*) Die ehrwürdige Maria von Agreda schrieb auf den Rand ihrer Handschrift: "Das Mysterium der vier Generationen ist folgendes: Erste Generation: Adam ohne Vater und Mutter, zweite: Eva ohne Mutter, dritte: die gewöhnliche Empfängnis der Adamskinder durch Vater und Mutter, vierte: Jesus Christus, unser Herr, durch Mutter und Vater." (zitiert nach: „Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria“ Jestetten 1982, ins Deutsche übersetzt von Schwester Assumpta Volbert, S. 94-104)

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Eberhard Heller im Namen der Redaktion
 
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