SECHZIG JAHREN ENZYKLIKA "MIT BRENNENDER SORGE"
von
Eberhard Heller
Vor sechzig Jahren, am 14. März 1937, veröffentlichte Papst Pius
XI. (1857-1939) die Enzyklika "Mit brennender Sorge" über die Lage der
katholischen Kirche im Deutschen Reich. In dieser offenen Kampfansage
unterzog der Papst den Nationalsozialismus einer vernichtenden Kritik
im Lichte des christlichen Glaubens. Er trat mit ihr in eine auf der
ganzen Welt beachtete Auseinandersetzung mit dem
nationalsozialistischen Regime. Es war nicht die einzige Enzyklika, die
im März dieses Jahres veröffentlicht wurde, in einer für Deutschland so
entscheidenden politischen Phase. Wenige Tage später, am 19. März
erfolgte die Publikation der Enzyklika "Divini redemptoris. Pius XI.
blieb damit der von ihm gesteckten Maxime treu, sich auch zu
besorgniserregenden Vorgängen und Ideologien, die aus dem politischen
Bereich in den kirchlich-religiösen überstrahlten, zu äußern. So hatte
er bereits im Jahre 1931 mit dem Rundschreiben "Non abbiamo bisogno"
zur Lage der kath. Aktion in Italien Stellung bezogen. In diesen drei
Rundschreiben wurden nacheinander der Faschismus, der
Nationalsozialismus und der Kommunismus verurteilt.
Die Enzyklika "Mit brennender Sorge" war für die Verlesung von den
Kanzeln bestimmt, weswegen sie in deutscher Sprache abgefaßt worden
war. Die Fuldaer Bischofskonferenz hatte 1936 ein solches Rundschreiben
von Pius XI. erbeten. Bei einem Rombesuch im Januar 1937 hatten die
Kardinäle Bertram, Schulte und Faulhaber und die beiden auf
entschiedenes Handeln drängenden Bischöfe von Galen und von Preysing
diese Bitte wiederholt. Kard. Faulhabers Entwurf, der noch beim Besuch
in Rom entstand, wurde vom damaligen Kardinalstaatssekretär Eugenio
Pacellui, dem nachmaligen Papst Pius XII., mehrfach überarbeitet und
präzisiert, versehen mit einer längeren Einleitung, in der Kard.
Pacelli das national-sozialistische Regime wegen anhaltender
Vertragsbrüche und dessen kirchenfeindlicher Politik angriff. Die
Vorbereitungen zur Veröffentlichung in Deutschland liefen unter größter
Geheimhaltung. Am 10. März unterzeichnete Pius Xl. das Dokument unter
Vordatierung auf den 14. März, das am 12. März in einer Anzahl von
Abzügen per Kurier zur Nuntiatur nach Berlin ging. Von dort aus wurde
es den einzelnen Ordinariaten zugestellt. Die deutschen Bischöfe hatten
knapp eine Woche Zeit, um die Enzyklika zu vervielfältigen und an die
einzelnen Pfarreien weiterzuleiten. Die Geheimhaltung funktionierte
perfekt. Die Gestapo kam erst wenige Stunden vor der Verlesung in den
Besitz des Rundschreibens. Am Palmsonntag, dem 21. März 1937 wurde dann
die Enzyklika in den etwa 11 500 katholischen Kirchen Deutschlands
verlesen und zugleich in hoher Auflage verteilt: "Mit brennender Sorge
und steigendem Befremden beobachten wir seit geraumer Zeit den
Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung
und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes
und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft
von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat." In einer Stunde, da
die deutschen Katholiken "von tausend Formen organisierter religiöser
Unfreiheit umgeben" seien, und da der "Mangel an wahrheitsgetreuer
Unterrichtung und normaler Verteidigungsmöglichkeit" schwer auf ihnen
laste, wollte der Papst sein scharf formuliertes Rundschreiben als "ein
Wort der Wahrheit und der seelischen Stärkung" verstanden wissen.
"Wie eine Bombe" habe das päpstliche Rundschreiben eingeschlagen,
notierte damals der französische Schriftsteller Robert d'Haricourt,
nach dem er als Tourist in Baden die Botschaft in einer Kirche
vernommen hatte: "Die Staatsgewalt und die Polizei waren fassungslos...
Wohl noch nie ist uns die Macht der katholischen Gemeinschaft, die
Kraft des Anschlusses an Rom fühlbarer, fast physisch fühlbar gewesen."
Wutschnaubend dagegen die Kommentare der gleichgeschalteten deutschen
Presse: "Wenn der Vatikan Armeen zur Verfügung hätte, dann würde er
wiederum den Dreißigjährigen Krieg gegen Deutschland aufführen." Als
dann zwei Jahre später der maßgebliche Mitverfasser jenes vatikanischen
Dokumentes selbst als Pius XII. (1876-1958) den Stuhl Petri bestieg,
bejubelte dies die ganze freie Welt. Der linksstehende Pariser
"Populaire" nannte die Wahl von Eugenio Pacelli eine Entscheidung
"gegen die Diktaturen und gegen die Politik der Drohung, der Gewalt und
des Krieges". "Niemals zuvor und nachher mußte Hitler in Friedenszeiten
eine so überlegene Ablehnung seiner antimenschlichen, antichristlichen
und antikatholi schen Ideologie hinnehmen" (W. Adolph). (Zitate nach DT
vom 13.3.1997)
"Die Enzyklika klang wie eine Fanfare, mit der Pius Xl. die bedrängten
deutschen Katholiken seelisch stärken und sie der Solidarität der
Weltkirche versichern wollte." (DT vom 13.3.1997) Mit ihr hatte der
Papst einen Kontrapunkt gesetzt zum Reichskonkordat vom Juli 1933. Die
damalige Hochstimmung über dessen gelungenen Abschluß, das den
religionspolitischen Frieden im national-sozialistisch regierten
Deutschland sichern sollte, war längst verflogen. Das Reichskonkordat
vom 20. Juli 1933 hatte Hitler zwar einen kurzfristigen Prestigegewinn
gebracht, hatte aber andererseits den deutschen Verbandskatholizismus
vor dem Untergang gerettet und der Kirchenführung ein Instrumentarium
in die Hand gegeben, mit dem es auf seine vertragsmäßig zugesicherten
Rechte pochen konnte.
Ein solches Rechts-Unterfand bedurfte die katholische Kirche denn auch
bald: Die Nationalsozialisten waren keineswegs gewillt - allen
Versprechungen Hitlers zum Trotz -, sich an die eingegangenen
Vereinbarungen zu halten. Weder achteten die Nationalsozialisten die
Schutzbestimmungen für die katholische Seelsorge und Jugendarbeit, noch
stellten sie ihre Angriffe auf den Religionsunterricht ein.
Vertragswidrig wurden die Jugendverbände aufgelöst, die Gestapo
inhaftierte regime-feindliche Katholiken oder ermordete diese sogar.
"Längst war, wer den 'schwarzen Rock' trug, als Gegner des
Nationalsozialismus gekennzeichnet" (G. Binder). "Die Jahre 1936/37
brachten eine bedrohliche Verschärfung der kirchenpolitischen Lage im
Reich. Die Devisenprozesse (1935/36), der 1935 in Bayern ausgebrochene
Kampf gegen die katholische Bekenntnisschule und weitere vereins- und
pressefeindliche Schritte hatten ebenso für wachsendes Mißtrauen
gesorgt wie die verbissen ge-führte Kampagne des Regimes der
Nationalsozialisten für die 'Entkonfessionalisierung des öffentlichen
Lebens' und für einen Massenaustritt aus der Kirche. Hinzu trat der mit
den Sittlichkeitsprozessen (1936/37) verknüpfte Verleumdungsfeldzug
gegen katholische Geistliche und Ordensleute. Nun kam es zum offenen
Ausbruch des Konflikts." (DT vom 13.3.1997) Darum nimmt die Enzyk-ika
ausdrücklich zu diesen permanenten Vertragsbrüchen Stellung: Der
"Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre", so schrieb Pius XI.,
zeige "Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als
den Vernichtungskampf".
Daß dieser Vernichtungskampf seine Ursache in der Unvereinbarkeit
zwischen katholischem Glauben und national-sozialistischer
Weltanschauung habe, arbeitete Pius XI. an zentralen Aspekten heraus:
"Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die
Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher
Gemeinschaftsgestaltung... aus dieser ihrer irdischen Wertskala
herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte
macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die
gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge." Auf der Basis
naturrechtlicher Argumentation, "daß der Mensch als Persönlichkeit
gottgegebene Rechte besitzt, die jedem auf ihre Leugnung, Aufhebung
oder Brachlegung abzielenden Eingriff von seiten der Gemeinschaft
entzogen bleiben müssen", verurteilte die Enzyklika den
nationalistischen Grundsatz, "Recht ist, was dem Volk nützt". Im
Zusammenhang mit den Schuleinschreibungen ist vom "Zustand notorischer
Unfreiheit" die Rede, die "im tiefsten und letzten Kern unsittlich"
sei. Die Kirche werde auch weiterhin die Rechte und Freiheiten
verteidigen, "im Namen des Allermächtigsten, dessen Arm auch heute
nicht verkürzt ist".
In den deutschen Zeitungen wurden die Papstworte systematisch
totgeschwiegen, an der Verbreitung der Enzyklika beteiligte Druckereien
wurden beschlagnahmt und konfisziert und kirchliche Amtsblätter
verboten. Laien, die das Rundschreiben verteilten, oder Geistliche, die
sich darauf in ihren Predigten bezogen, mußten mit der Verhaftung
rechnen. Hitler reagierte außerdem mit gezielten propagandistischen
Zügen: Am 6. April 1937 ordnete er die unverzügliche Wiederaufnahme der
seit Juli 1936 ruhenden "Devisen- und Sittlichkeitsprozesse" gegen
katholische Geistliche an. Die national-sozialistische Propaganda
benutzte diese Prozesse zu einer beispiellosen Hetze gegen die
katholische Kirche und viele ihrer Würdenträger. Später, in einem
streng vertraulichen Rundschreiben an die Gauleiter vom 9. Juni 1941
hatte Reichsleiter Bormann in Aussicht gestellt, daß nach dem "Endsieg"
der "schädliche Einfluß" der Kirche (...) "restlos und endgültig"
beseitigt werden müsse. Denn die national-sozialistischen Machthaber
wußten, wo sie ihre erbitterten Widersacher zu suchen hatten. Darum
kann der Historiker Konrad Repgen (Bonn) erklären, die Zeit des Dritten
Reichs sei "wie keine andere Epoche der Geschichte der Kirche in
unserem Lande, eine Zeit des Märtyrertums" gewesen. Dies bewies nicht
zuletzt auch die voluminöse Dokumentation "Priester unter Hitlers
Terror", in der über achttausend deutsche Priester, also mehr als ein
Drittel des gesamten deutschen Klerus, mit Namen, Schikanierungs- und
Verfolgungspraktiken erfaßt sind. Hier zeigte sich, daß Hitler seine
1933 in geheimem Kreise gemachte Äußerung ernst gemeint hatte: "Mit
Stumpf und Stiel, mit allen seinen Wurzeln und Fasern" werde er das
Christentum ausrotten. (nach DT vom 13.3.1997) |