NACH DER AUFERSTEHUNG
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN
ANNA KATHARINA EMMERICH -
Noch in derselben Nacht [d.i. nach Auferstehung und der Erscheinung
Jesu im Abendmahlssaal, dem alle Apostel und viele Jünger beigewohnt
hatten - außer Thomas; Anm. der Red.] begab sich ein Teil der Apostel
auf Jesu Geheiß nach Bethanien, die anderen machten noch Wege in
Jerusalem. In Bethanien blieben ältere Jünger zurück, um die neueren
und schwächeren zu belehren, was sie teils bei Lazarus, teils in der
Synagoge taten. Auch Nikodemus und Josef von Arimathäa hielten sich bei
Lazarus auf.
Die Apostel aber zogen mit einer Schar von Jüngern, unter denen auch
Lukas, in der Richtung gegen Sichar. Petrus sprach freudig, da sie
auszogen; wir wollen zum Meere ziehen und Fische fangen; indem er
Seelen darunter verstand. Sie verteilten sich nach verschiedenen Wegen
und lehrten in Herbegen und im Freien von dem Leiden und der
Auferstehung Jesu. Es war dies eine Vorbereitung zur Bekehrung am
Pfingstfest.
In der Herberge vor Thänath-Silo kamen alle wieder zusammen; auch
Thomas kam mit zwei Jüngern dahin, als sie bei einer Mahlzeit vereinigt
waren, welche der Vater des Silvan, der die Aufsicht über die Herberge
führte, ihnen bereitet hatte. Die Apostel erzählten dem Thomas von der
Erscheinung des auferstandenen Heilandes in ihrer Mitte; er aber wehrte
sich mit den Händen und wollte es nicht glauben, bis er seine Wunden
berührt habe. Ebenso tat er vor den Jiingern, als auch sie die
Erscheinung des Herrn ihm beteuerten. Thomas hatte sich von der
Gemeinschaft etwas zurückgezogen und war dadurch im Glauben gesunken.
In Jerusalem gingen in diesen Tagen Leute von der Partei der
Hohenpriester in alle Häuser, deren Besitzer mit Jesus und den Jüngern
Zusammenhang hatten, sagten sie von ihren öffentlichen Ämtern los und
hoben die Gemeinschaft mit ihnen auf. Nikodemus und Joseph von
Arimathäa hatten seit Christi Grablegung nichts mehr mit den Juden zu
tun gehabt. Josef von Arimathäa war so wie ein Gemeindeältester, und er
stand immer mit den Juden wie ein Mann, der sich durch geräuschlose
Verdienste und stetes bescheidenes Wirken die Achtung selbst der Bösen
erworben hat. Was mich sehr freute war, daß ich sah, wie der Mann
Veronikas ihr nachgab, da sie ihm erklärte, sie werde sich eher von ihm
als dem gekreuzigten Jesu scheiden. Ich sah, daß auch er von
öffentlichen Geschäften getrennt ward, aber ich erhielt auch die
Weisung, er tue es mehr aus Liebe zu seinem Weib als zu Jesus. Außerdem
ließen die Juden Wege und Stege zum Heiligen Grab am Kalvarienberg
durch Gräben und Zäune verstellen, weil viele dahin wandelten und
mancherlei Rührungen und Wunder dort geschahen.
Pilatus hat Jerusalem aus innerer Unruhe auch verlassen. Herodes ist
seit ein paar Tagen nach Ma-chärus gezogen, hat aber dort keine Ruhe
gefunden und ist weiter nach Madian. Hier, wo sie den Herrn einstens
nicht aufgenommen hatten, öffneten sie nun dem Mörder die Tore.
Während dieser Tage sah ich Jesus an vielen Orten erscheinen, zuletzt
in Galiläa in einer Talgegend über dem Jordan, wo eine große Schule
war. Es standen mehrere Leute zusammen, sprachen von ihm und zweifelten
an dem Gerücht seiner Auferstehung; da erschien er mitten unter ihnen
und verschwand wieder nach einigen Reden. So sah ich ihn in
verschiedenen Gegenden erscheinen.
Die Apostel reisten aus der Gegend von Sichar sehr schnell wieder
zurück und schickten einen Boten nach Bethanien voraus, ihre Rückkehr
zu melden und mehrere Jünger zum Sabbat nach Jerusalem zu bescheiden;
andere sollten den Sabbat in Bethanien halten; denn sie hatten schon
eine gewisse Ordnung und Gesetz.
Die Apostel kamen so spät im Abendmahlshause zusammen, daß sie das
zubereitete Mahl nicht mehr nehmen konnten, sondern sogleich die
Sabbatfeier begannen. Sie legten alsobald die Feierkleider an: das
Fußwaschen ging immer voraus. Die Lampe wurde angezündet, und ich
bemerkte bereits eine Abweichung von der jüdischen Sabbatfeier; denn
zuerst wurden die Decken vor dem Allerheiligsten geöffnet und der Stuhl
davor gestellt, auf welchem Jesus bei Einsetzung des heiligen
Abendmahles zu Tisch lag. Sie bedeckten ihn mit der Decke und hatten
ihre Gebetsrollen darauf liegen. Petrus kniete davor, Johannes und
Jakobus mehr rückwärts; die übrigen Apostel hinter ihnen und dann die
Jünger. Wenn sie knieten, waren sie mit dem Kopf bis zur Erde gebeugt,
die Hände vor das Gesicht haltend. Die Verhüllung wurde von dem Kelch
abgenommen; aber das weiße Tuch hing darüber. Es waren nur jene Jünger
zugegen, welche schon mehr in das Geheimnis des heiligsten Sakraments
eingeweiht waren; so wie es auch auf der Reise nach Sichar
hauptsächlich jene mitgenommen hatten, welche den Herrn nach seiner
Auferstehung gesehen hatten, um dieses beteuern zu können. Petrus mit
Johannes und Jakobus zur Seite hielt eine Betrachtung oder ein Gebet,
worin der heiligen Einsetzung des Herrn und seiner Leiden gedacht
wurde. Hernach begannen sie die gewöhnliche Sabbat-feier unter der
Lampe stehend. Nachdem alles dieses vorüber war, nahmen sie eine
Mahlzeit in der Vorhalle. Im Speisesaal selbst habe ich sie nicht mehr
nach der Einsetzung des Abendmahls essen gesehen; außer vielleicht Brot
und Wein. Jesus hatte bei seiner Erscheinung durch die verschlossenen
Türen ihnen den Zusatz zu dem Sabbatdienst, der das Sakrament betraf,
gelehrt.
Nach dem Schluß des Sabbats, als die Apostel ihre Feierkleider schon
abgelegt hatten, sah ich ein großes Mahl in der Vorhalle; es war ein
Liebesmahl wie das am letzten Sonntag. Thomas mußte den Sabbat woanders
in der Nähe gehalten haben; denn ich sah ihn erst nach der Mahlzeit
kommen, da sie wieder im Saale waren. Es war noch nicht spät am Abend,
die Lampe war noch nicht angezündet. Mehrere Apostel und Jünger waren
in dem Saal, andere sah ich kommen. Sie gingen in dem Saal hin und
wieder, legten lange, weiße Kleider an und bereiteten sich zum Gebet,
wie das letztemal. Petrus, Johannes und Jakobus legten wieder die
ausgezeichnetere Priesterkleidung an.
Während sie zum Gebet sich rüsteten, sah ich Thomas in den Saal
eintreten. Er ging durch die schon angekleideten Apostel durch, sich
auch anzukleiden. Sie sprachen mit ihm; einige faßten ihn bei den
Ärmeln; andere bewegten im Gespräch die rechte Hand beteuernd,
Nachdruck gebend gegen ihn. Er aber betrug sich wie einer, der sich
schnell anzukleiden beschäftigt ist, und dem andere, bereits
Angekleidete indessen etwas sehr Merkwürdiges an dem Orte, wo es
geschehen war, beteuerten, was er aber nicht glauben kann.
Die Apostel beteten wieder zuerst vor dem Allerheiligsten kniend, dann
unter der Lampe stehend und sangen chorweise Psalmen. Petrus stnd vor
der Lampe, das Gesicht gegen das Allerheiligste gekehrt, Johannes und
Jakobus der Jüngere zu seiner Seite; dann zu beiden Seiten der Lampe
die übrigen Apostel. Die Seite gegen das Allerheiligste war unbesetzt.
Petrus stand zwischen den beiden mit dem Rücken zur Türe, so daß hinter
ihnen entfernter die beiden heiligen Frauen standen. Nach eini-ger Zeit
schienen die Versammelten in einer Gebetsunterbrechung. Es war, als sei
das Gebet zu Ende, und sie sprachen, wie sie ans Meer von Tiberias
gehen und wie sie sich verteilen wollten. Bald aber wurden ihre
Angesichter wunderbar innig und erregt durch die Annäherung des Herrn.
Ich sah Jesus bereits im Hofe leuchtend in weißem Gewand und mit weißem
Gürtel. Er ging gegen die Türe der Vorhalle, die sich vor ihm öffnete,
hinter ihm schloß. Die Jünger in der Vorhalle schauten nach der sich
öffnenden Türe und wichen Raum machend nach beiden Seiten zurück. Jesus
aber wandelte schnell durch die Halle in den Saal und trat zwischen
Petrus und Johannes, welche wie alle anderen Apostel nach beiden Seiten
zurückwichen, auf die Stelle des Petrus. Sein Hineinschreiten war kein
eigentliches gewöhnliches, menschliches Gehen, auch kein
Geister-schweben. Es machte mir beim Zurückweichen aller den Eindruck,
als schreite ein Priester in der Albe durch die gedrängte Gemeinde. Es
erschien auf einmal im Saale alles weit und licht. Jesus war mit Licht
umgeben, und die Apostel waren nur aus diesem Lichtkreis
herausgetreten; sonst, meine ich, hätten sie ihn nicht sehen
können.
Zuerst sprach Jesus: "Friede sei mit euch!" Dann redete er mit Petrus
und Johannes. Es kam ein Verweis darin vor, sie hätten etwas aus eigner
Meinung außer seiner Anordnung getan, und darum sei es ihnen nicht
gelungen.
Nun trat Jesus unter die Lampe, und der Kreis um ihn verengte sich.
Thomas, sehr erschüttert beim Anblick des Herrn, zog sich wie scheu
etwas zurück. Jesus aber nahm mit seiner Rechten die Rechte Thomas,
dessen Zeigefinger fassend, und legte die Spitze desselben in die Wunde
seiner linken Hand; dann nahm er mit der Linken diese Hand des Thomas
und legte dessen Finger in die Wunde seiner rechten Hand; dann führte
er die rechte Hand des Thomas mit seiner Rechten, ohne seine Brust zu
entblößen, unter sein Gewand und legte den Zeige- und Mittelfinger
desselben in die Wunde seiner rechten Seite. Er sprach dabei einige
Worte. Thomas aber sank mit den Worten: "Mein Herr und Gott!" indem
Jesus ihn immer an der Hand hielt, in sich wie ohnmächtig zusammen. Die
Nahestehenden unterstützten ihn, und Jesus hob ihn an seiner Hand
wieder empor. Das Sinken und Wiederaufrichten hatte eine Bedeutung. Als
Jesus des Thomas Hand ergriff, sah ich seine Wunden nicht wie blutige
Male, sondern wie hellstrahlende kleine Sonnen. Die andern Jünger waren
sehr bewegt bei diesem Auftritt und streckten, ohne sich hinzudrängen,
die Köpfe vor, um zu sehen, was der Herr den Thomas fühlen ließe.
Jesus verschwand nicht gleich, er sprach noch und begehrte auch etwas
zu essen. Ich sah ihm wieder aus dem Verschlage, wo der Tisch stand,
ein länglich-rundes Schüsselchen, nicht ganz so wie das erstemal,
bringen. Es war wieder etwas Fisch darauf, wovon er aß, segnete und
Thomas zuerst, dann anderen den Rest gab. Jesus sprach davon, warum er
mitten unter ihnen stehe, da sie ihn doch verlassen hätten, und warum
er sich nicht näher zu einzelnen stelle, die ihm treuer geblieben
seien. Er sprach auch davon, wie er zu Petrus gesagt habe, seine Brüder
zu stärken, und warum er dieses zu ihm gesagt habe. Er wendete sich zu
allen und sagte, warum er ihnen Petrus zum Führer geben wolle, wenn er
ihn gleich verleugnet habe; es müsse aber ein Hirt der Herde sein, und
er sprach von dem Eifer Petri.
Johannes brachte aus dem Allerheiligsten auf dem Arm den bunten,
weiten, gestickten Mantel, welchen Jakobus von Maria empfangen hatte
und an welchem er in der letzten Zeit die heiligen Frauen in Bethanien
gearbeitet hatten; außerdem einen hohlen, schlanken, hohen, oben
gekrümmten Stab, wie ein Hirtenstab, aber blinkend und wie ein hohes
Rohr. Der Mantel war weiß mit roten Streifen und waren Ähren,
Weinreben, ein Lamm und andere Figuren in Farben darauf gestickt.
Nun kniete Petrus vor Jesus, der ihm einen runden Bissen, wie einen
kleinen Kuchen, zu essen gab; ich erinnere mich keines Tellers, auch
nicht, wo Jesus den Bissen hernahm, aber er leuchtete. Ich ward inne,
als erhalte Petrus eine sonderbare Kraft damit; auch sah ich, daß Jesus
den Petrus anhauchte und eine Gewalt, eine Kraft in ihn goß. Es war
dieses kein eigentliches Anhauchen, es waren Worte und eine Kraft, ein
Wesentliches, das Petrus emfing, keine bloß gesprochenen Worte. Jesus
näherte seinen Mund dem Mund und den beiden Ohren Petri und ergoß in
diese drei jene Kraft. Es war dieses noch nicht der Heilige Geist
selbst, sondern etwas, was der Heilige Geist am Pfingsttag erst in
Petrus ganz beleben sollte. Jesus legte ihm auch die Hände auf und gab
ihm eine Kraft und Obergewalt über die andern; dann legte er ihm auch
den Mantel um, den der nebenstehende Johannes auf dem Arme hatte, und
gab ihm den Stab in die Hand. Er sprach dabei, daß der Mantel alle
Kraft und Gewalt in ihm zusammenhalten solle, welche er ihm gegeben,
und daß dieser Mantel zu tragen sei, wenn Petrus von seiner Kraft
Gebrauch machen wolle.
Petrus redete alle in seiner neuen Würde an; er war dabei wie ein
anderer Mensch und voll Kraft. Sie hörten ihn sehr gerührt unter Tränen
an; er tröstete sie und sprach von vielem, was Jesus immer vorher
gesagt, und wie es nun in Erfüllung gegangen sei. Er sprach auch, wie
ich mich noch entsinne, wie Jesus achtzehn Stunden lang leidend den
Hohn und die Schmach der ganzen Welt getragen habe; auch kam drin vor,
wieviel an der Erfüllung seines vierunddreißigsten Jahres fehlte.
Während Petri Rede war Jesus verschwunden. Kein Schrecken, keine
Verwunderung unterbrach die Aufmerksamkeit auf Petri Rede, welcher mit
einer ganz neuen Kraft ausgerüstet erschien. Sie sangen nachher einen
Dankpsalm. Jesus hatte weder mit seiner heiligsten Mutter noch mit
Magdalena geredet.
Jesus sprach auch von einer großen Taufe, wenn der Heilige Geist auf
sie gekommen sein werde, und daß Petrus acht Tage nachher, was er ihm
gegeben, diese Kraft, wieder anderen geben sollte. Er sagte noch, daß
einige das weiße Kleid ablegen und ein anderes mit einem Brustschild
anlegen sollten; andere aber sollten wieder in das abgelegte weiße
Gewand eintreten. Es waren Anordnungen vom Eintreten höherer
geistlicher Würden und Weihen unter ihnen. Hierauf stellten sich die
anwesenden Jünger auf Jesu Befehl in sieben einzelne Scharen zusammen,
deren jeder ein Apostel vortrat. Jakobus der Kleinere und Thomas aber
standen bei Petrus. Sie hatten sich auf Jesu Befehl so geordnet. Es
war, als stellten sie sieben Gemeinden, sieben Kirchen vor. Jesus sagte
noch zu Petrus, daß sie nach Tiberias fischen gehen sollten.
(aus: "Das arme Leben unseres Herrn Jesu Christi" nach
den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des
Klosters Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1971, S. 534
ff.)
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