Brief an besorgte Christen
Vorwort der Redaktion:
Im vorletzten Heft (vom Oktober 1998) hatte ich angekündigt, daß wir
eine Flugschrift planen, "die eine kurze Zusammenfassung unserer
Position mit den entscheidenden Implikationen nicht nur für den
kirchlichen, sondern auch den gesellschaftlich-politischen Bereich
beinhalten sollte, damit die verunsicherten Gläubigen zumindest die
unentbehrlichen Informationen zur eigenen Standortbestimmung erhalten".
Diese Flugschrift legen wir nun im Entwurf vor und bitten Sie, verehrte
Leser, dazu Stellung zu nehmen. Sagen Sie uns bitte, was Ihnen nicht
gefällt, was zu unklar oder zu wenig deutlich dargestellt ist bzw. was
überflüssig ist, denn wir wissen, daß die Fassung in der vorliegenden
Form noch zu lang ist. Für Ihre Mühen sind wir Ihnen herzlich
dankbar.
E. Heller
***
Vor gut einem Jahr sorgte eine Bemerkung des Vorsitzenden der Deutschen
Bischofskonferenz, Prof. Karl Lehmann, unter den Katholiken hierzulande
für einige Aufregung. In einem Vortrag vor der Luther-Gesellschaft in
der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am 6.11.97 hatte er Luther
mehrfach und ohne Einschränkung als "gemeinsamen Lehrer" bezeichnet,
obwohl dieser doch von der Kirche im Jahr 1521 als Ketzer verurteilt
worden war.
Hatte Lehmann damit seine Kompetenzen überschritten? Kann ein Bischof
die Entscheidung der höchsten Autorität einfach ignorieren? Handelt es
sich bei Lehmanns Urteil um eine nötige Revision des Luther-Bildes
durch einen Vertreter des deutschen Episkopats, weil Luthers
Zensurierung im Lichte neuerer historischer Forschung als überholt, als
unangemessen anzusehen ist, oder schlicht um eine häretische
Entgleisung des Mainzer Bischofs, wie der renomierte, inzwischen
verstorbene Prof. Bäumer diese Bemerkung bewertet hatte? ... einem
Urteil, dem wir uns anschließen.
Diese Zeilen richten sich an katholische Christen, die die kirchlichen
Entwicklungen der letzten dreißig Jahre mit großer Sorge beobachten und
die die vielen Neuerungen nach dem II. Vatikanum keineswegs als wahre
Reformen begrüßen, sondern in ihnen eher eine schleichende Gefahr für
den christlichen Glauben sehen. Sie gelten auch jenen, die durch
offizielle Verlautbarungen der Amtskirche in ihrer Glaubensüberzeugung
oder ihrem religiösen Empfinden verunsichert sind und die eine
verläßliche Antwort aus dem katholischen Glauben heraus suchen. Darüber
hinaus sollen aber auch all jene angesprochen werden, die zwischen dem
allgemeinen Glaubens- und Werteverfall in unserer Gesellschaft und dem
schrittweisen Vordringen a-christlicher, ja direkt a-theistischer
Positionen verbunden mit der Entstehung zahlreichen Sekten einen
Zusammenhang vermuten. Unlängst propagierte der Schriftsteller Martin
Walser bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandles
in der Frankfurter Paulskirche unter der Anwesenheit der gesamten
deutschen Polit-Prominenz eine vom Christentum befreite,
post-christliche Ära.
Wir wenden uns an Sie, um Ihnen Kriterien und theologisch fundierte
Argumente zu liefern, die Ihnen helfen sollen, die angebotenen Konzepte
und kirchlichen Aktivitäten besser zu beurteilen. Unter Berufung auf
kirchliche Lehrentscheidungen und deren Heranziehung wollen wir zeigen,
was gilt und was nicht gilt, was katholische Glaubenswahrheit und was
Häresie ist. Diese theologisch-geistige Selbständigkeit soll Sie -
allen modernen Trends zum Trotz - in die Lage versetzen, Ihr Leben als
katholischer Christ wieder klarer und eindeutiger zu gestalten. Die
angebotenen Argumentationshilfen basieren also auf der Lehr-Tradition
der Kirche. Tradition bedeutet, das weitergeben und weiterleben, was
wir von Christus unverändert über die Apostel durch die Kirche
empfangen haben, um danach uns und diese Welt, in der wir leben, zu
gestalten.
Es ist klar, daß die Kirche nur dann ihrem Auftrag treu ist, wenn sie
die empfangenen Lehren unverfälscht tradiert. Es kann nicht sein, daß
sie unter Beanspruchung ihrer Lehrautorität heute das Gegenteil von dem
lehrt, was sie gestern als verbindlich definiert hat. Eine solche
Methode würde nicht nur in einer absoluten Relativität der Lehre
münden, sondern auch die Lehrautorität als solche aufheben. Und hier
haben Sie gleich die Kriterien für die Beurteilung für das eingangs
wiedergegebene Lehmann-Zitat: indem er die Lehrautorität früherer
Entscheidungen aufhebt, diskreditiert er zugleich seine eigene. Wenn
Sie genauer aufmerken, stellen Sie fest, daß sich solche Aussagen, die
vom definierten Glauben abweichen, von sog. Amtsinhabern häufen. Wir
werden heute Zeugen einer Revolution von oben. Diejenigen, die
vorgeben, Hüter des Glaubens zu sein, verraten ihn, nicht nur in den
Leitungen der Kirche selbst, sondern auch die Lehrer in den Schulen. Es
ist deshalb interessant festzuhalten, daß kein Geringerer als Kard.
Ratzinger Verständnis dafür aufbrachte, als besorgte Eltern ihre Kinder
vom schulischen Religionsunterricht abmeldeten.
Dieser Prozeß setzte - sichtbar für die allgemeine Öffentlichkeit - auf
dem II. Vatikanum ein, das für die nachfolgenden sog. Reformen die
Weichen stellte, indem sie diese im Sinne des "aggiornamentos" Johannes
XXIII. als notwendige Anpassungen an die moderne Zeit anpries, welche
in Wirklichkeit aber frühere Lehrentscheidungen tangierten. Welchen
Wirbel machte man nicht um die Liturgiereform! Mit ihr sollte die
unmittelbare Anteilnahme der Gläubigen geweckt werden... sagte man. In
Wirklichkeit hat sie die Liturgie zu einem Happening degradiert und die
Kirchen geleert. Erhellend ist in dieser Zusammenhang, was Kard.
Ratzinger über diese Liturgiereform geschrieben hat. Nach ihm war das
Resultat der Reform Pauls VI. "in seiner konkreten Verwirklichung keine
Neubele-bung, sondern eine Verwüstung" (Vorwort zu Gamber "Die
Liturgiereform" Le Barroux 1992, S. 6). In seiner neuesten Publikation
"La mia vita, ricordi 1927-1997" ("Mein Leben, Erinnerungen 1927-1997")
Rom 1997, äußert sich Ratzinger noch deutlicher: "Ich bin überzeugt,
daß die kirchliche Krise, in der wir uns heute befinden, zum großen
Teil vom Zusammenbruch der Liturgie herrührt. Ich war bestürzt über die
Ächtung des alten Missale, zumal es eine solche Entwicklung noch nie in
der Liturgiegeschichte gegeben hatte. (...). All dies hatte für uns
einen äußerst schweren Schaden zur Folge." Es ist bezeichnend, daß
diese mahnenden Zeilen mit großem Schweigen übergangen werden.
Wir sind bei dieser allgemeinen negativen Charakterisierung nicht
stehen geblieben. Die im N.O.M. enthaltenen Verfälschungen wurden schon
früh entdeckt, gegen seine Einführung hat sich weltweit schon früh ein
zwar kleiner, aber konsequenter Widerstand gebildet. In unseren Zentren
wird nach wie vor nur der von Pius V. kodifizierte Meßritus benutzt.
Ich weise hier nur auf die "Kurze kritische Untersuchung" über den
Novus Ordo Missae der beiden Kardinäle Ottaviani und Bacci, die ihm
massive theologische Irrtümer bescheinigen. Auch wir haben die
Liturgiereform Pauls VI. einer eingehenden theologischen Analyse
unterzogen. Dabei decken sich unsere Ergebnisse weitgehend mit denen
der beiden Kardinäle, gehen aber über diese noch hinaus. Das Resultat:
wegen gravierender dogmatischer Irrtümer und textlicher Verfälschungen
(u.a. Verfäschungen der Wandlungsworte, Veränderung der Meßintention -
früher hieß es z.B. im Liedkopf der Meßgesänge: "nach der Wandlung",
heute: "nach dem Einsetzungsbericht", d.h. eine Konsekration ist gar
nicht mehr intendiert) kann mit dieser Liturgie kein gültiges Meßopfer
gefeiert werden. Und da dieser Ordo, der von Paul VI. promulgiert und
von seinen Nachfolgern übernommen wurde, als verbindlich für die
Weltkirche vorgeschrieben wurde, muß man davon ausgehen, daß die Feier
der hl. Messe fast erloschen ist. Man stelle sich die geistigen Folgen
vor: die Ader, durch die bisher Gottes Gnadenströme die Menschen
heiligte, ihnen religiösen und geistigen Halt gab, ist durchgetrennt
worden, die täglichen Opfer, mit denen bisher die Welt entsühnt wurde,
finden nicht mehr statt. Und die Realiät der Abwesenheit Gottes in
unserer Welt wird täglich spürbarer.
Häresien haben Konsequenzen für die Amtsinhabe. Es ist z.B. völlig
undenkbar, daß ein Papst als Stellvertreter Christi auf Erden leugnen
dürfte, daß dieser Gottes Sohn ist. Er würde dadurch vom Glauben
abfallen und ipso facto auch sein Amt verlieren. Wie soll man aber die
Aussagen Johannes Pauls II. verstehen, wenn er davon redet, Christen,
Juden und Muslime beten den gleichen Gott an. Diese Gleichsetzung
bedeutet implizit eine Leugnung der Trinität.
Das von Johannes XXIII. angekündigte "Aggiornamento", der von Paul VI.
und Johannes Paul II. gepredigte Ökumenismus, der inzwischen selbst von
Teilen der Orthodoxie als Häresie verurteilt wird, haben zu einer
Glaubensnivelierung bzw. in ihrem Gefolge auch Kulturnivelierung
geführt, durch die bekenntnis-spezifische Glaubenspositionen bei vielen
auf ein allgemeines religiöses Gefühl oder eine unbestimmte Gottesidee
reduziert wurden.
Dem Abweichen von der Rechtgläubigkeit entsprechen Fehlpositionen im
gesellschaftspolitischen Bereich. Dies aufzuzeigen, war ein Verdienst
Donoso Cortés. In seiner Denkschrift an Kard. Fornari schrieb er schon
1852: "Sein Stolz hat dem Menschan von heute zwei Sätze zugeflüstert
und beide hat er geglaubt, nämlich, daß er keinen Makel habe und daß er
Gott nicht benötige; daß er stark sei und daß er schön sei. Deswegen
sehen wir ihn auf seine Macht so eingebildet und in seine Schönheit so
verliebt." Diejenigen, die heute den Ökumenismus und jetzt den
Synkretismus forcieren, favorisieren als Teil ihres politischen
Programms auch die multikulturelle Gesellschaft um jeden Preis.
Man kann einwenden, eine solche Position sei 'fundamentalistisch',
rigoros, ja intolerant. Sie ist es! Die lebendige Wahrheit duldet keine
Ambivalenz, sie ist eindeutig. Aber sie hat Geduld mit den Irrenden.
Keiner würde als Rigorist verketzert, wenn er behauptet, daß drei und
drei 6 ist und jede andere Lösung ausscheidet. Nur im Bereich der
göttlichen Offenbarung soll es anders sein, soll bei den einzelnen
Glaubenssätzen Wahlfreiheit bestehen: Die Inkarnation des Gottessohnes
wird angenommen, aber seine Allmacht abgelehnt, sein Leidensweg
akzeptiert, aber seine Auferstehung dem Bereich der Fabel zugeordnet.
Es wird immer wieder betont, daß sich die Menschen nach religiösen
Inhalten sehnen - ein Sehnen meistens nach unverbindlichen Ideen, die
nichts kosten dürfen, besonders keine Anstrengungen, Entscheidungen
oder Opfer, da andererseits eine Festlegung auf bestimmte Positionen ja
abgelehnt wird. Entweder nehme ich die Offenbarung Gottes ganz an, mit
all ihren Lehren und Geboten, oder nicht: denn wenn ich nur einen
Baustein aus dem gesamten System entferne, stürzt das gesamte
Lehrgebäude ein.
Wenn Sie diese Sachverhalte einmal meditieren, verstehen Sie auch,
warum es zu einer allgemein beklagten Auflösung des geistigen Lebens
und der äußeren Ordnung kommen konnte. Festzuhalten sind
- ein anhaltender Glaubensschwund - nur
noch etwa 17% der Christen in Deutschland glauben an einen persönlichen
Gott, 16% der Katholiken leugnen seine Existenz,
- ein massiver Werteverfall - nichts gilt mehr
- ein rasanter Anstieg der Kriminalität, besonders bei Jugendlichen,
- eine große geistige Leere bei der heutigen Jugend, die sich zu Recht
verlassen und verraten fühlt, die Ersatz in Drogen oder in Sekten sucht
- das immer häufigere Zerbrechen von Ehen - Kinder, die aus diesen Ehen hervorgehen, sind häufig sozial geschädigt,
- die Zunahme von Gleichgültigkeit, Egoismus, Streit und Kriegen
weltweit, woran die fortschreitende Erosion des Glaubens ein
gerütteltes Maß Schuld trifft, weil die geistigen Gräben und Risse
immer tiefer werden, ja unüberbrückbar erscheinen.
Um das Desaster, das sich bei uns ganz offensichtlich abzeichnet,
schlaglichtartig zu beleuchten, wähle ich einen Punkt, der
moral-theologisch für jedermann eindeutig durchschaut werden kann: der
angeblich katholische Alt-Bundeskanzler Kohl votierte bei der
Neufassung des § 218 StGB im Bundestag für die Abtreibung, was
folgenlos für seine Kirchenzugehörigkeit blieb; die katholische Kirche
ist durch die Ausstellung des Beratungsscheines in die staatliche
Abtreibungsmaschinerie involviert.
Die Reformer hatten die Mitmenschlichkeit gepredigt, dabei aber die
Gottesliebe vergessen. Inzwischen ist konsequenterweise auch die
Nächstenliebe erkaltet. Der Durst, die Sehnsucht nach dem Absoluten,
nach der Verankerung in Gottes Liebe und Barmherzigkeit ist erloschen,
das Streben nach einem gottgewollten Leben, nach Heiligkeit in
Vergessenheit geraten.
Der Freundeskreis der Una Voce hat sich als Selbsthilfegruppe von
Klerikern und Laien gebildet, nachdem auf dem II. Vatikanum und in
seinem Gefolge immer klarer wurde, daß die Konzilstexte und die als
Reformen ausgegebenen Veränderungen Sätze enthielten, die mit der
bisherigen Lehre der Kirche unvereinbar waren. Wir haben in den 60iger
und zu Beginn der 70iger Jahre begonnen, die Reformen des II.
Vatikanums auf den Prüfstand zu stellen, im Licht des unverkürzten
Glaubens, d.h. sie beurteilt anhand der von der Kirche verbindlich
getroffenen Entscheidungen, um zunächst selbst zu einem einsichtigen
Resultat und einem eigenständigen Urteil zu gelangen. Seit den 70iger
Jahren erscheint unsere Zeitschrift EINSICHT, in der wir die Ergebnisse
unserer Untersuchungen veröffentlichen. Wenn Sie unsere Sorgen teilen
und Interesse an einer theologischen Argumentationshilfe haben, wenden
Sie sich bitte an uns.
Wir sind keine Traditionalisten, sondern ganz einfach katholische
Christen. Wir wollen einen Wiederaufbau der Kirche als Heilsinstitution
und eine geistige Erneuerung in und aus dem christlichen Glauben.
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