DIE UNZERSTÖRBARE IKONE
von
Maria Winowska
Das Wetter war grau, der Himmel unfreundlich. Das Schweigen der
Weihnachtsnacht, das keinem andern gleicht, fiel langsam auf die durch
einen kaum befahrbaren Weg durchschnittene Heide. Das Tauen der letzten
Tage ließ Streifen schmutzigen Schnees in der Gegend. Der dunkle,
geradstehende Wald versperrte den Horizont wie eine von Wolkenschwaden,
die Welle um Welle auf uns zueilten, bestürmte Mauer. Bis auf die
Knochen durchnäßt im feinen Regenrieseln beschleunigten wir unsere
Schritte.
Pater Anselm zog die Kapuze seiner fadenscheinigen Pelerine fester. Mit
halbgeschlossenen Augen ging er, ohne zu sehen und bewegte die Lippen.
Seine innere Sammlung machte mich ungeduldig. Jetzt wurde der sehr nahe
Wald drohend. Die Jagdhütte war nur noch drei Kilometer entfernt. Ich
kannte alle Wege und Umwege auswendig... Unmöglich, eine falsche
Richtung einzuschlagen! Ich fröstelte. Werden wir rechtzeitig ankommen?
Der Hochwald schloß sich über uns und wurde plötzlich zum Schutz. Die
laue Behaglichkeit des Unterholzes hüllte uns ein wie ein Balsam. Bei
der letzten Biegung stand Pater Anselm still und sah prüfend in die
stets schwärzer werdende Nacht. »Ist es noch weit?« »Eine kurze
Viertelstunde«, sagte ich, »aber jede Minute zählt! Stellen Sie sich
vor: man gab ihm nur noch vierundzwanzig Stunden, höchstens! Ohne Arzt,
von Kugeln durchlöchert... Ich frage mich, wie er noch weiterleben
konnte. Glücklicherweise versteht die Frau des Försters Russisch. Ein
Glück, daß Ihr Hannes Sie gefunden hat, am Vigiltag von Weihnachten!«
»Dieses Glück heißt Vorsehung! Sehen Sie, man braucht nur Vertrauen zu
haben in den Herrn unseres Tuns und unserer Tage, und schon blühen
Wunder auf an unseren Wegen. Ohne den Schnürsenkel meines Holzschuhs,
den ich flicken mußte, wäre Hannes vergeblich gekommen... Sind wir
angelangt?« Ein schwaches Licht blinzelte zur Linken, mitten im
Gebüsch. Noch einige Schritte, und wir klopften an die solide, mit kaum
behauenen Balken eingefaßte Türe.
Die Frau des Försters schien auf uns zu warten, denn sie öffnete
sofort. »Gott sei gelobt, Pater! Er lebt noch.« Wir traten in den
einzigen, von Hirschgeweihen und anderen Jagdtrophäen geschmückten
Raum. Links, im Hintergrund lag ein Mann mit verbundenem Kopf auf einer
Pritsche. Seine gespannten Zügen und der kaum entwickelte Flaum des
Bartes zeugten von großer Jugendlichkeit. Er öffnete die Augen, als er
das Knarren der Türe hörte und lächelte. Große Tropfen getrockneten
Blutes hingen an seinen Mundwinkeln. »Du hast mich nicht betrogen,
Gottesmutter«, sagte er auf Russisch: »Er ist da! Du bist gütig!« Pater
Anselm legte seine durchnäßte Pelerine ab, warf sie auf den Boden und
ging auf den Sterbenden zu: »Die Mutter des Herrn ist treu, mein Kind.
Hier bin ich zu deinen Diensten. Was kann ich für dich tun?« Er sprach
Russisch fast ohne Akzent. »Ich heiße Andruscha, Pater. Ich möchte
nicht sterben wie ein Hund!« »Kein Mensch stirbt wie ein Hund. Deine
Seele ist unsterblich; der Erlöser hat sie teuer bezahlt!« »Ja, Pater,
ich möchte sein wie jene, die glauben, wie ein echter Christ.«
»Bist du getauft?« »Nein!« »Kennst du den Glauben?«
»Nein!« »Kannst du beten?« Ein schönes Lächeln erhellte das
Gesicht des Jungen. »Ja, das wohl! Ich bete beständig.«
Die Förstersfrau nahm mich bei der Hand und setzte mich neben sich auf
einen mit Kartoffeln gefüllten, unbequemen großen Sack. Meine Neugierde
wuchs: »Wo haben Sie ihn gefunden?« Die sowjetische Armee führte ihre
Offensive fort; die letzten Kämpfe hatten sich vor wenigen Tagen in der
Gegend abgespielt. Sie legte ihren Finger auf die Lippen: »Nachher!«
flüsterte sie. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, ihr eigenartig
feierlicher Ausdruck erstaunte mich. Das war nicht die muntere,
gesprächige Frau, die ich seit meiner Kindheit kannte! Plötzlich spürte
ich, daß diese Hütte einer Kirche glich, voll von unsichtbaren
Gestalten. Der Eindruck war eindringlich und erschütternd! Gleichzeitig
vollzog sich der Dialog zwischen Pater Anselm und dem Sterbenden
pausenlos. Stand es aber wirklich so schlimm um ihn? Seine noch eben
kaum vernehmbare Stimme wurde stärker und klang im engen Raum mit
eigenartiger Kraft. Alle Dinge um mich schienen ihre Größe zu
verändern. Ich war außerhalb der Zeit, ganz nah am anderen Ufer, nach
dem wir alle aufzubrechen haben.
»Wenn du betest, Andruscha, hast du den Glauben. Was weißt du von
Gott?« »Ich weiß, daß er in mir ist. Ich spüre ihn. Darum antworte ich
ihm.« War das Delirium? Der Junge hatte die Augen weit offen und
blickte den Priester mit wachsender Heftigkeit an. Er schien jedes Wort
zu wägen und dem Schweigen eines unauslotbaren Abgrunds zu entreißen;
in seiner Art, sich auszudrücken, war etwas Linkisches. Er war
offensichtlich nicht an frommes Reden gewöhnt! Pater Anselm prüfte ihn
mit Adleraugen. Plötzlich fiel er am Lager des Sterbenden auf die Knie.
»Strenge dich nicht an! Ich verstehe dich gut.« Es war keine Beichte!
Ich fühlte mich nicht verpflichtet, die Ohren zu verstopfen wie früher,
bei anderen Sterbenden. Ich war beauftragt worden, Pater Anselm zu
begleiten. Er stammte nicht aus dieser Gegend, und ich, als frühere
Pfadfinderin, kannte jeden Weg, alle Abkürzungen und Verzweigungen, die
es im riesigen Walde gab. Andruscha bewegte sich nicht; seine Augen
waren geschlossen. Wenn nicht das Pfeifen seines immer schneller
werdenden Atems gewesen wäre, hätte ich ihn tot geglaubt. Die Frau des
Försters kniete nieder, und ich folgte ihrem Beispiel.
Da öffnete Andruscha ungeheure, leuchtende Augen. Seine ganze Seele
schien sich in seinen Blick geflüchtet zu haben, der an jenem Pater
Anselms mit stummem Flehen haftete. Er begann, offensichtlich mühsam,
mit abgehackter Stimme: »Ich habe sie hier, auf der Brust. Ich habe sie
getragen wie einen Schatz. Unablässig bat ich die Gottesmutter, sie
einem Priester geben zu können. Sie hat mich erhört!« Ich
glaubte, er habe den Verstand verloren, doch Pater Anselm war nicht
dieser An-sicht. Bei den letzten Worten Andruschas zuckte er sichtlich
zusammen und hob mit unendlicher Zartheit die Decke, die über ihm lag,
öffnete das blutbefleckte Hemd und er griff mit der Hand nach einem an
zwei Schnüren an seinem Hals aufgehängten Täschchen. »Ist es das?«
fragte er leise. »Ja, das ist es! Ich danke dir, Gottesmutter.« Mit
seinem Taschenmesser durchschnitt Pater Anselm die Schnüre, nahm das
Täschchen, ging auf den Tisch zu, löste die Sicherheitsnadeln, welche
die vier Ecken zusammenhielten und fiel wie eine tote Masse auf die
Knie. Mit einem Sprung war ich neben ihm. Im Taschentuch lagen
blutbefleckte Hostien. Eine ganze Hand voll Hostien!
Andruscha beobachtete uns aufmerksam. Wir waren verblüfft, als er
fragte: »Was ist das?« »Bleiben Sie hier! Beten Sie!« sagte Pater
Anselm mit Befehlsstimme. Die Förstersfrau war ebenfalls niedergekniet,
etwas rückwärts, mit gefalteten Händen und die Augen voller Tränen. Ich
konnte meinen Blick nicht vom blutigen Tüchlein abwenden, dem
unwürdigen Ersatz des Corporale! »Was ist es?« wiederholte der
Sterbende. Pater Anselm gab keine Antwort, sein Schweigen regte mich
auf. Er kniete noch immer in Anbetung vor den blutbeschmutzten Hostien.
Plötzlich befielen mich Zweifel. Woher kamen sie? Sind die Hostien
konsekriert worden? Andruscha wußte ja nicht, was er auf seiner Brust
getragen hatte...
»Sage mir, mein Kleiner, wer sie dir gegeben hat!«
»Ein Priester, um sie einem Priester zu übergeben. Ich hatte solche
Angst, es nicht tun zu können!« Er röchelte, und große Schweißtropfen
rollten über seine Stirne.
Er fuhr fort mit immer längeren Unterbrechungen beim Sprechen:
»Es war in Lviv, wir lagerten in Lviv. Eines Morgens schlenderte ich
herum. Wir durften uns nicht vom Lager entfernen, aber es waren Bäume,
ein Wäldchen, ganz in der Nähe. Über einen gerade auf die Anhöhe
führenden Weg gelangte ich zu einer Kirche. Sie war wegen der Bäume
rundherum sehr düster. Vor dem Altar stand ein Priester in Weiß. Er
bewegte sich, er redete mit leiser Stimme; ich verstand nichts. Aber es
war mir wohl, mein Herz war voller Freude. Ich kniete hinten in einer
Ecke nieder und wiederholte das Gebet Jesu: 'Gaspadi pomyluy, Herr
Jesus, erbarme dich meiner!' Meine Großmutter hatte es mich gelehrt;
das ist alles, was ich wußte, denn sie starb, als ich noch klein war.
Es war niemand in der Kirche außer mir und dem Priester. Nach der
heiligen Liturgie kam er und fragte mich, was ich hier tue. Ich
antwortete, daß ich das Gebet Jesu wiederhole und mich dabei glücklich
fühle. Er fragte mich auch, ob ich Christ sei, und ich erwiderte, nein,
ich sei nicht getauft, denn meine Eltern gehörten dem Komsomol an und
den 'bezbojniki', den Gottlosen. Da sagte der Priester: 'Wenn du
willst, taufe ich dich; du mußt aber vorher erst den Herrn Jesus
kennenlernen, der uns durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung
von den Toten alle gerettet hat.' Seither stieg ich jeden Tag hinauf,
um den Priester zu treffen, zuerst am Altar, dann hinten in der Kirche,
wo ich niederkniete. Diese Kirche, sagte mir der Priester, trug den
Namen der 'heiligen Sophia', der göttlichen Weisheit. Ich verstand ihn
nicht recht, denn er sprach schlecht russisch, aber das Wesent-liche,
das er sagte, verstand ich. Und mein Herz entbrannte in Liebe für
diesen Jesus, der mich zuerst geliebt hat.
Im Lager lachte man, denn ich erzählte den Kameraden, was ich erfahren
hatte. Es gab oft Bombardierungen; wir waren aber unter den Bäumen gut
versteckt. Eines Morgens zog der Priester keine Gewänder an und stieg
nicht zum Altar hinan; er kam geradeaus auf mich zu und sagte:
'Andruscha, man hat mich verraten, ich werde verhaftet. Darum bitte ich
dich, die Schwestern des Heiligen Yura-Platzes zu benachrichtigen. Ich
werde dir für sie einen kostbaren Schatz anvertrauen, denn sie haben
nun keinen Priester mehr. Du wirst ihnen erklären, daß du vom
Sophiaheiligtum kommst und daß Pater Stanislaus dich mit diesem Auftrag
gesandt hat. Wenn du nicht bis zu ihnen durchkommst, übergibst du
diesen Schatz einem Priester. Hast du verstanden? Keinem anderen als
einem Priester! Du trägst mit diesem Schatz den Herrn Jesus!' Ich
fragte ihn, was das bedeuten sollte, aber er hatte keine Zeit mehr, es
zu erklären, gerade noch genug, um eine Büchse auf dem Altar zu öffnen,
aus der er ein kleines besticktes Täschchen nahm. Er reichte es mir und
sagte: 'Lauf weg, schnell!' Man hörte Schritte. Ich stürzte ins Gebüsch
und habe ihn bald darauf gesehen: er kam aus der Kirche, umgeben von
mehreren Männern in Zivil. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Abends
habe ich in den Latrinen, wo niemand mich sah, das bestickte Täschchen
geöffnet und die runden weißen Scheibchen gefunden, die der Priester
mir gegeben hatte. Ich wollte die Schwestern aufsuchen, wie er mich
gebeten hatte, aber wir durften das Lager nicht verlassen und tags
darauf sind wir weggezogen. Ich erinnerte mich, daß der Priester gesagt
hat: 'Wenn du es den Schwestern nicht geben kannst, so mußt du es einem
Priester geben.' Aber ich begegnete keinem Priester, und so bat ich die
Mutter Gottes, daß einer meinen Weg kreuze... Du siehst, daß sie mich
erhört hat, denn du bist ein Priester!«
»Andruscha, was hast du mit dem bestickten Täschchen gemacht, in dem
sich die Hostien befanden?« »Ich habe es weggeworfen, weil die
Kameraden beim Baden neugierig waren und wissen wollten, was es sei,
weil ich es auf meiner Brust trug. Da habe ich mein Taschentuch
genommen und die weißen Scheibchen hineingelegt und die Ränder mit
Sicherheitsnadeln zusammengeheftet, um keine zu verlieren. Bei jedem
Halt suchte ich einen Priester, aber ich fand keinen und ich konnte
mich nicht von der Truppe entfernen. Da habe ich die Gottesmutter
gebeten, nicht sterben zu müssen, bevor ich meine Aufgabe erfüllen
könne, da Pater Stanislaus es so gefordert hatte.«
Die Stimme Andruschas stockte mehr und mehr und war kaum noch
vernehmbar. Ich glaube es im Gewissen verantworten zu können, wenn ich
behaupte, daß ich Wort für Wort wiedergebe, was er gesagt hat. Er
schwieg nun, schloß die Augen, öffnete sie wieder weit und fragte zum
drittenmal: »Was ist es?« Pater Anselm fuhr zusammen, als ob er aus
einem tiefen Schlaf erwache. Statt zu antworten, stellte er eine neue
Frage. Ich wurde beinahe böse.
»Andruscha, warum hat man dich nicht in ein Spital gebracht nach deiner
Verwundung?« »Weil ich es nicht wollte. Weil man es mir genommen hätte
und ich nie einem Priester begegnet wäre. Die Flugzeuge hatten uns im
Tiefflug angegriffen, stoßweise; man hatte wirklich viel zu tun, um die
Zahl der Verletzten zusammenzutragen! « »Und was geschah mit dir?« »Ich
habe mich nicht bewegt. Man glaubte, ich sei tot.« »Und nachher?«
»Nachher sind sie abgezogen, und ich blieb mit Freude im Herzen, und
welcher Freude! Etwas sagte mir, daß ich endlich einen Priester sehen
werde. Ich hatte Schmerzen, aber ich war voller Freude... Siehst du,
mein Leib gehört meinem Vaterland, meine Seele aber gehört Gott! Am
Abend hat mich diese gute Babuschka aufgelesen und in diese Hütte
getragen.«
»Paß jetzt auf, Andruscha«, sagte Pater Anselm mit fester Stimme, »du
hast diese ganze Zeit über den Herrn Jesus auf deinem Herzen getragen!
Er hat uns so sehr geliebt, daß er Brot werden wollte, um uns zu
nähren. Er ist in diesen Hostien verborgen. Glaubst du das?«
Ein wunderbares Lächeln erhellte das Gesicht des Jungen. »Ja, ich
glaube es! Ich fühlte es, daß ich einen Schatz trug. Tag und Nacht, Tag
und Nacht drängte es mich, das Gebet Jesu zu wiederholen. Und es wurde
mir herrlich warm ums Herz. Ich war sicher, daß mich die Gottesmutter
erhören werde!«
»Andruscha, willst du getauft werden?« »O ja, ja!...« Keine Minute
durfte verloren gehen! Die zusammengezogene Nase, die fahle
Gesichtsfarbe und das Röcheln, das ihm die Brust zerriß, kündigten den
Tod an. Nur seine unglaublich leuchtenden Augen zeugten noch von Leben,
das sich zurückzog ins Innerste seiner Seele. »O, ja!« wiederholte er
andächtig. Pater Anselm wandte sich zur Förstersfrau, die ihm schon
eine Schale Wasser reichte. »Ich taufe dich, Andreas, im Namen des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!« Dann, jedes Wort
betonend: »Und jetzt, mein Kind, gebe ich dir jenen, den du während so
vieler Tage getragen hast, das Brot des ewigen Lebens. Jenen, der dich
bald aufnehmen wird. Glaubst du, daß er in diesen Hostien gegenwärtig
ist?« Da geschah etwas völlig Unerwartetes. Andruscha saß auf, faltete
die Hände und rief: »O ja, gewiß, ich glaube! Gib ihn mir schnell!«
Pater Anselm nahm eine Hostie. Ich sah, vom Platz aus, wo ich kniete,
gut, daß sie einen roten Fleck hatte! Er trat an den Sterbenden hin,
dessen Augen wie zwei Sterne leuchteten, und gab ihm die Kommunion.
Andruscha fiel schwer auf seine Pritsche zurück und schloß die Augen.
Er öffnete sie nicht mehr. Wir knieten auf dem Boden und wagten kaum zu
atmen. Der Eindruck, den ich beim Betreten der Hütte empfand,
verstärkte sich. Die unsichtbare Welt umgab uns mit ihrer Anwesenheit,
die unumschränkter wirkte als unsere wahrnehmbaren Dimensionen!
Nach einer Weile griff Pater Anselm nach Andruschas Puls. Er erhob sich
schweigend und machte ein großes Kreuzzeichen. »Beten wir, er wird uns
beschützen.« Auf den Knien, mit unendlicher Vorsicht, legte er die
Hostien ins Taschentuch zurück, faltete es und heftete es ans Futter
seines Kittels. »Ich darf mich nicht länger aufhalten«, sagte er und
wandte sich zur Förstersfrau. »Bereitet ihm eine christliche
Totenfeier!«
Die Frau hob ihr von Tränen benetztes Gesicht zu uns. »Welch große
Gnade für dieses Haus!« murmelte sie. »Welche Gnade!«
Wir mußten vor Beginn des Ausgangsverbotes zu Hause sein; wir hatten
keine Zeit zu verlieren. Pater Anselm betete den Rosenkranz, die Kapuze
tief über den Kopf gezogen, denn es nieselte. In der Nähe des Ortes
wandte er sich an mich und sagte mit fester Stimme: »Und es gibt
Dummköpfe, die zweifeln, daß die Seele von Natur aus christlich ist,
daß eine unzerstörbare Ikone in uns eingeprägt ist, das Abbild Jesu,
der 'die wahre Ikone des unsichtbaren Gottes ist' (Kol 1,5).« »Ja,
Pater!« Ich konnte nicht mehr sagen, mein Hals war zugeschnürt.
(aus: Maria Winowska, »Blut an den Händen«, Recklinghausen 1975.)
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