DIE FLUCHT NACH ÄGYPTEN -
DIE ERMORDUNG DER UNSCHULDIGEN KINDER
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN
ANNA KATHARINA EMMERICH -
Rückkehr nach Nazareth
Als diese Feierlichkeit [d.i. Maria Reinigung] zu Ende war, ging Simeon
zu dem Standort Maria, nahm das Kind auf seine Arme und sprach vor
Freude entzückt lange und laut. Und als er geendet, ward auch Hanna
begeistert und sprach lange. Maria wurde von Hanna und Noemi wieder in
den Hof hinaus geleitet. Sie nahm von ihnen Abschied und traf hier mit
Joseph und den alten Herbergsleuten wieder zusammen.Sie zogen nun mit
dem Esel gleich aus Jerusalem hinaus, und die guten alten Leute gingen
noch ein Stück Weges mit. Sie kamen am selben Tage bis Bethorom und
übernachteten in dem Haus, wo die letzte Station Mariä bei der Reise in
den Tempel vor dreizehn Jahren gewesen war. Hier waren Leute von Anna
gesendet, um sie abzuholen.
Ich sah die Heilige Familie auf einem viel geraderen Wege nach Nazareth
zurückkehren, als sie von da nach Bethlehem gereist war. Damals
vermieden sie alle Ortschaften und kehrten nur in einzeln stehenden
Häusern ein; jetzt aber zogen sie den geraden Weg, der viel kürzer war.
Joseph hatte in seinem Gewand eine Tasche und darin kleine Rollen von
gelben glänzenden dünnen Blättchen, auf de-nen Buchstaben waren. Er
hatte sie von den Heiligen Drei Königen empfangen. Die Silberlinge des
Judas waren dicker und wie eine Zunge geformt. Ich sah die Heilige
Familie im Hause Annas bei Nazareth ankommen. Es waren dort die älteste
Schwester Mariä, Maria Heli mit ihrer Tochter Maria Cleophä, eine Frau
aus dem Orte Elisabeths und die Magd Annas, welche bei Maria in
Bethlehem gewesen. Es wurde ein Fest, wie bei der Abreise des Kindes
Mariä zum Tempel gefeiert; die Lampe brannte über dem Tisch, und es
waren auch alte Priester anwesend. Es ging aber ganz still her. Alle
hatten große Freude an dem Jesuskind, aber die Freude war still und
innig. Ich habe nie viel Leidenschaften bei allen diesen heiligen
Leuten gesehen. Sie hielten ein kleines Mahl, und die Frauen aßen, wie
immer, von den Männern getrennt. An das ganze Bild erinnere ich mich
nicht mehr; aber ich muß recht natürlich darin gewesen sein, denn ich
hatte darin eine Gebetsarbeit. Ich sah in Annas Garten trotz der
Jahreszeit noch viele Birnen und Pflaumen und andere Früchte auf den
Bäumen, wenngleich die Blätter schon gefallen waren. Ich vergesse immer
zu sagen, wie ich in dieser Win-terszeit die Witterung im gelobten Land
sehe, weil mir alles so natürlich ist und ich immer meine, es müßte
jedermann das schon wissen. Ich sehe oft Regen und Nebel, manchmal auch
Schnee, der aber bald wieder schmilzt. Der Weg vom Hause Annas bis zu
Josephs Haus in Nazareth ist etwa eine halbe Stunde lang zwischen
Gärten und Hügeln.
Ich sah, daß Joseph bei Anna vieles auf ein paar Esel packte, und daß
er mit der Magd Annas nach Nazareth vor den Eseln herging. Maria wurde
von Anna, welche das Jesuskind trug, dahin begleitet. Maria
und Joseph haben keine eigene Haushaltung; sie werden mit allem von
Anna versorgt, die oft zu ihnen kommt. Ich sah die Magd Annas in einem
Korb auf dem Kopf und einem an der Hand Nahrungsmittel dahintragen. Den
heiligen Joseph sah ich aus langen gelben, braunen und grünen
Baststreifen Schirme, große Flächen und Decken oben an den Gemächern
flechten. Er hatte einen Vorrat solcher geflochtener Tafeln in einem
Schuppen neben dem Haus aufeinander liegen. Er flocht allerlei Sterne,
Herzen und andere Muster hinein. Ich dachte noch, wie er gar nicht
ahnet, daß er bald fort muß. Die Heilige Familie in Nazareth sah ich
auch von Maria Heli, der ältesten Schwester der Heiligen Jungfrau,
besucht. Sie kam mit der heiligen Anna und hatte ihren Enkel, einen
etwa vierjährigen Knaben, den Sohn ihrer Tochter Maria Cleophä, bei
sich. Ich sah die heiligen Frauen beisammen sitzen und wie sie das
Jesuskind liebkosten und den Knaben auf die Arme legten. Es war ganz
wie heutzutage. Maria Heli wohnte etwa drei Stunden gegen Morgen von
Nazareth in einem kleinen Örtchen. Sie hatte ein Haus, fast so gut wie
das ihrer Mutter Anna; es hatte einen ummauerten Hof mit einem
Pumpbrunnen und einem steinernen Becken davor, in welches das Wasser
floß, wenn man unten auf die Pumpe trat. Ihr Mann hieß Cleophas.
IhreTochter Maria Cleophä, mit Alphäus verheiratet, wohnte am anderen
Ende des Dorfes.
Flucht nach Ägypten
Als Herodes die Könige nicht wiederkommen sah, meinte er anfangs, sie
hätten Jesum nicht gefunden, und es schien die ganze Sache etwas
einzuschlafen. Nachdem Maria aber schon in Nazareth war, hörte Herodes
von der Weissagung Simeons und Hannas bei der Opferung, und seine Sorge
erwachte wieder. Ich sah ihn in so großer Unruhe wie damals, als die
Könige nach Jerusalem gekommen waren. Er beriet sich mit alten Juden,
welche aus langen Schriftrollen an Stäben ihm vorlasen. Er hatte auch
viele Leute zusammenrufen und in einem großen Hofe mit Waffen und
Kriegskleidern versehen lassen. Ich sah diese Soldaten an drei Orten,
in Bethlehem, Gilgal und Hebron. Die Einwohner waren in großer
Bestürzung, weil sie gar nicht ahnen konnten, warum sie eine Besatzung
erhielten.
Die Soldaten blieben gegen dreiviertel Jahre an diesen Orten. Der
Kindermord begann, als Johannes etwa zwei Jahre alt war. Im Hause der
Heiligen Familie zu Nazareth waren Anna und Maria noch anwesend. Maria
mit dem Kinde hatte ihren getrennten Schlafraum rechts hinter der
Feuerstelle, Anna hatte ihn davor links, und zwischen dem ihrigen und
dem des heiligen Joseph hatte ihn Maria Heli. Um Marias
Lager war noch ein Vorhang oder Schirm; zu ihren Füßen lag das
Jesuskind besonders gebettet; wenn sie sich aufrichtete, konnte sie es
nehmen. Ich sah einen leuchtenden Jüngling vor Josephs Lager treten und
mit ihm sprechen. Joseph richtete sich auf; aber er war schlaftrunken
und legte sich wieder zurück, und ich sah, daß der Jüngling ihn nun bei
der Hand faßte und emporzog. Da besann er sich und stand auf, und der
Jüngling verschwand. Ich sah ihn nach der in der Mitte des Hauses
brennenden Lampe gehen und sich ein Licht anzünden. Er ging vor die
Kammer Mariä, pochte an und fragte, ob er nahen dürfe. Ich sah ihn
hineingehen und mit Maria sprechen, welche ihren Schirm nicht öffnete.
Dann sah ich ihn nach dem Stall zu seinem Esel und in eine Kammer
ge-hen, worin allerlei Geräte lagen, und alles ordnen.
Maria stand auf, kleidete sich gleich zur Reise an und ging zu Anna.
Auch diese stand auf und Maria Heli und der Knabe. Ich kann nicht
sagen, wie rührend die Betrübnis Annas und der Schwester war. Anna
umarmte Maria mehrmals unter Tränen und schloß sie an ihr Herz, als
würde sie dieselbe nicht wiedersehen. Die Schwester warf sich platt an
die Erde und weinte. Erst kurz vor dem Aufbruch nahmen sie das
Jesuskind vom Bett. Alle drückten das Kind noch an ihr Herz; auch der
Knabe bekam es zu umarmen. Maria nahm das Kind in eine Binde vor sich,
welche über den Schultern befestigt war. Sie hatte einen langen Mantel
umgeschlagen, der sie und das Kind verhüllte. Über dem Haupt trug sie
einen großen Schleier, der den Kopf umspannte und vorne an den Seiten
des Gesichts lang niederhing. Sie tat alles sehr ruhig und schnell und
machte nur wenig Zubereitung zur Reise; ich sah nicht einmal, daß sie
das Kind frisch wickelte. Sie hatte nur weniges Gerät bei sich; weit
weniger, als sie von Bethlehem gebracht hatten. Es war nur ein kleines
Bündel und einige Decken. Joseph hatte einen Schlauch mit Wasser und
einen Korb bei sich mit Fächern, worin Brote, Krüglein und auch
lebendige Vögel. Auf dem Esel war für Maria mit dem Kind ein Quersitz
mit einem Fußbrettchen. Sie ging eine Strecke mit Anna voraus. Es war
der Weg gegen Annas Haus, doch mehr links. Anna umarmte und segnete
sie, als Joseph mit dem Esel nahe kam und Maria aufstieg und fortritt.
Es war noch vor Mitternacht, als sie das Haus verließen. Das Jesuskind
war zwölf Wochen alt. Ich sah dreimal vier Wochen.
Die Heilige Familie zog durch mehrere Orte in dieser Nacht, und ich sah
sie erst des Morgens unter einem Schuppen ruhen und sich erquicken. Die
erste Herberge sah ich in dem kleinen Örtchen Nazara zwischen Legio und
Massaloth nehmen. Die armen gedrückten Leute hier, welche die Heilige
Familie beherbergten, waren keine rechten Juden; sie hatten weit über
einen Gebirgsweg nach Samaria zum Tempel auf dem Berge Garizim zu
gehen. Sie haben immer wie Sklaven am Tempel in Jerusalem und anderen
öffentlichen Bauten arbeiten müssen. Die Heilige Familie konnte nicht
mehr weiter kommen und wurde bei diesen verworfenen Leuten sehr gut
aufgenommen. Sie blieb auch den gan-zen folgenden Tag dort. Auf der
Rückkehr aus Ägypten hat sie diese armen Leute wieder besucht und auch,
da Jesus zum ersten Male zum Tempel und wieder zurück nach Nazareth
reiste. Diese ganze Familie hat sich später bei Johannes taufen lassen
und ist auch zu der Gemeinde Jesu gekom-men.
Nur drei Herbergen hat die Heilige Familie auf ihrer Flucht zum
Übernachten gehabt; hier, dann in Anim oder Engannim bei dem
Kameltreiber und zuletzt bei den Räubern. An den übrigen Tagen ruhten
sie immer in Schluchten, Höhlen und den abgelegendsten Wildnissen auf
ihren vielen mühsamen Umwegen. Die sechste Nachtherberge sah ich in
einer Höhle bei dem Berge und der Stadt Ephraim. Die Höhle lag in einer
wilden Schlucht, eine Stunde etwa vom Haine Mambre. Ich sah die Heilige
Familie hier sehr erschöpft und schwermütig ankommen. Maria war sehr
traurig und weinte. Sie litten Mangel an allem. Sie waren einen ganzen
Tag hier ruhend. Es geschahen hier mehrere Gnaden zu ihrer Erquickung.
Eine Quelle entsprang in der Höhle, und eine wilde Ziege kam und ließ
sich melken; auch wurden sie von einem Engel getröstet. In dieser Höhle
betete oft ein Prophet. Auch Samuel hat sich hier einmal aufgehalten,
und David hat hier umher seines Vaters Schafe gehütet, hat in ihr
gebetet und Befehle durch Engel erhalten, auch die Mahnung und den
Befehl, den Goliath zu töten.
Ich habe auch einmal gesehen, daß Maria einen Boten an Elisabeth
sendete, welche dann ihr Kind an einen sehr versteckten Ort in der
Wüste brachte. Zacharias ging nur ein Stück Weges an ein Wasser mit, wo
Elisabeth mit dem Kind auf einem Balkenrost übersetzte. Zacharias ging
von da nach Nazareth auf demselben Weg, den Maria beim Besuche
Elisabeths gezogen war. Ich sah ihn auf der Reise. Der letzte Ort von
Judäa, durch den sie kamen, hatte einen Namen wie Mara. Ich dachte an
den Stammort Annas; allein er war es nicht. Die Leute waren hier sehr
wild und wüst, und die Heilige Familie konnte nichts zur Labung von
ihnen erhalten. Als sie von hier durch eine wüste Gegend wei-terzogen,
wußten sie sich fast nicht mehr zu helfen, denn sie hatten und fanden
keinen Weg, und vor sich sahen sie eine finstere, unwegsame
Gebirgshöhe. Maria war sehr erschöpft und traurig. Sie kniete mit dem
Kind und Joseph nieder und flehte zu Gott. Da kamen mehrere große wilde
Tiere, wie Löwen, um sie her und waren ganz freundlich. Ich sah, daß
sie gesendet waren, ihnen den Weg zu zeigen. Sie sahen nach dem Gebirge
hin, liefen hin und wieder zurück, gerade wie ein Hund, der einen wohin
führen will. Ich sah auch die Heilige Familie endlich den Tieren
folgen. Sie zogen über das Gebirge und kamen durch eine sehr
unheimliche Gegend.
Abseits von ihrem Weg schimmerte durch die Nacht den Reisenden ein
Licht entgegen. Es kam von der Hütte eines Raubgesindels, neben welcher
es an einem Baum hing, um Reisende anzulocken. Der Weg war hier
stellenweise abgegraben, und es waren auch Schnüre und Schellen darüber
gespannt, um daran stoßende Wanderer zu bemerken. Da sah ich plötzlich
einen Mann mit etwa fünf Gesellen die Heilige Familie umringen. Sie
kamen in böser Absicht. Als sie aber das Kind erblickten, sah ich einen
leuchtenden Strahl, wie einen Pfeil in das Herz des Mannes dringen, der
nun seinen Gesellen befahl, diesen Leuten kein Leid anzutun. Maria sah
diesen Strahl auch. Der Räuber brachte nun die Heilige Familie nach
seinem Haus und erzählte seiner Frau, wie sein Herz bewegt worden sei.
Die Leute waren anfänglich ganz scheu und blöde, was doch sonst ihre
Art nicht schien; doch näherten sie sich nach und nach und stellten
sich um die Heilige Familie, die sich in einem Winkel an die Erde
gesetzt. Einzelne Männer gingen ab und zu, und die Frau brachte Maria
kleine Brote, Früchte, Honigwaben und Becher mit Getränk. Auch der Esel
wurde unter Dach gebracht. Die Frau räumte Maria ein kleines Gewölbe
ein, wohin sie ihr eine Mulde mit Wasser brachte, um das Jesuskind zu
baden. Sie trocknete ihr auch die Windeln am Feuer. Der Mann war so
bewegt, daß er zu seinem Weibe sagte: "Dieses hebräische Kind ist kein
gewöhnliches Kind, bitte die Frau, daß wir unser aussätziges Kind in
seinem Badewasser waschen dürfen; vielleicht wird es ihm helfen." Als
das Weib ihre Bitte der Heiligen Jungfrau vorbringen wollte, empfing
sie, noch ehe sie es getan, von Maria die Weisung, ihren aussätzigen
Knaben in diesem Wasser zu waschen, das nach dem Bade des Jesuskindes
viel klarer war als zuvor. Der Knabe war etwa dreijährig und starrte
von Aussatz. Er wurde auf den Armen liegend herbeigetragen. Wo das
Wasser ihn berührte, fiel der Aussatz wie Schuppen auf den Grund der
Mulde von ihm nieder. Der Knabe des Räubers war rein und genesen. Die
Frau war außer sich vor Freude und wollte Maria und das Kind umarmen.
Maria aber hielt abwehrend die Hand vor und ließ weder sich noch ihr
Kind berühren.
Am frühen Morgen reiste die Heilige Familie weiter. Der Räuber und sein
Weib hätten die Heilige Familie gerne noch länger bei sich behalten;
sie versahen sie mit Nahrungsmitteln und begleiteten sie an den vielen
Gruben vorbei über eine Strecke Wegs. Als die Leute mit vieler Rührung
Abschied nahmen, sagten sie die merkwürdigen Worte zu der Heiligen
Familie: "Gedenket unser, wo ihr auch hinkommt!" Bei diesen Worten
hatte ich ein Bild, daß der geheilte Knabe der gute Schächer geworden,
der am Kreuz zu Jesus sprach: "Gedenke meiner, wenn du in dein Reich
kommen wirst!" Die Frau ist später bei den Leuten wohnhaft geworden,
die um den Balsamgarten sich ansiedelten.
Als sie später durch eine Sandfläche nicht weiterzukommen wußten, sah
ich ein sehr liebliches Wunder. Es sproßte zu beiden Seiten des Weges
die Pflanze, Rose von Jericho, auf, mit ihren krausen Zweigen, den
Blümlen in der Mitte und der geraden Wurzel. Freudig gingen sie darauf
zu und sahen auf Gesichtsweite immer wieder solche Pflanzen aufsprossen
und so fort die ganze Fläche entlang. Ich sah, daß der Heiligen
Jungfrau eröffnet wurde, daß in späterer Zeit die Leute des Landes
diese Rosen sammeln und an fremde Reisende um Brot verkaufen würden.
Der Name dieser Gegend klang wie Gaza oder Goze.
Ich sah die Heilige Familie auf ägyptischem Grund und Boden in ebener,
grüner Gegend mit Viehweiden. An den Bäumen waren Götzenbilder, wie
Wickelpuppen oder Fische mit breiten Bändern, worauf Figuren oder
Buchstaben, angebunden. Hie und da sah ich Leute von gedrungener fetter
Gestalt zu diesen Götzenbildern treten und sie verehren. Die Heilige
Familie ging nach einem Schuppen, worin Vieh stand, um auszuruhen. Das
Vieh ging heraus und machte ihnen Platz. Sie hatten Mangel an aller
Nahrung, hatten weder Brot noch Wasser. Maria hatte kaum Nahrung für
ihr Kind. Niemand gab ihnen etwas. Sie haben alles menschliche Elend
auf dieser Fluchtreise ausgestanden.
Endlich kamen einige Hirten, um das Vieh zu tränken; aber auch diese
hätten nichts gegeben, wenn nicht Joseph darum gebeten hätte. Sie
schlossen den Brunnen auf und gaben ihm ein wenig Wasser.
Später sah ich die Heilige Familie sehr schmachtend und hilflos in
einem Wald. Am Ausgang des Waldes stand ein schlanker, dünner
Dattelbaum, die Früchte wuchsen oben im Gipfel, wie in einer Traube
beisammen. Maria ging mit dem Jesuskind auf dem Arm zu dem Baum, betete
und hob das Kind zu ihm empor; da neigte sich der Baum mit seinem
Gipfel, als kniee er nieder, daß sie alle seine Früchte von ihm
sammelten. Der Baum blieb in dieser Stellung. Ich sah, daß Maria viele
von den Früchten an nackte Kinder austeilte, welche aus dem letzten Ort
nachgelaufen waren. Eine Viertelstunde von diesem Baum stand ein
ungemein dicker Baum derselben Art, der hohl und groß wie eine Eiche
war. Sie verbargen sich darin vor den nachziehenden Leuten. Am Abend
sah ich sie in den Mauern eines verfallenen Ortes, wo sie
übernachteten.
Die Heilige Familie kommt nach Heliopolis
Ich sah die Heilige Familie auf dem Wege nach Heliopolis. Sie war von
der letzten Nachtherberge her von einem guten Mann begleitet, der,
meine ich, von den Arbeitern an jenem Kanal war, über den sie sich
hatte fahren lassen. Sie zogen auf einer sehr hohen langen Brücke über
einen breiten Fluß (Nil). Er schien mehrere Arme zu haben. Sie kamen
auf einen Platz vor dem Tore der Stadt, welcher mit einer Art von
Promenade umgeben war. Hier stand auf einem Säulenfuß, der oben dünner
als unten war, ein großes Götzenbild mit einem Ochsenkopf,welches etwas
von der Gestalt eines Wickelkindes in den Armen trug. Das Götzenbild
war mit einem Kreis von Steinen gleich Bänken oder Tischen umgeben, auf
welche die Leute ihre Opfer nieder legten. Unfern von diesem Götzen
stand ein sehr großer Baum, unter welchem die Heilige Familie sich zu
ruhen niedersetzte. Sie hatten kaum eine Weile unter dem Baum geruht,
da entstand eine Erderschütterung, und das Götzenbild wankte und
stürzte. Es entstand ein Auflauf und Geschrei unter dem Volk, und viele
Kanalarbeiter aus der Nähe liefen herzu. Der gute Mann aber, der die
Heilige Familie begleitete, führte sie nach der Stadt. Sie waren schon
am Ausgang des Götzenplatzes, als das erschreckte Volk sie zornig mit
Droh- und Schimpfworten umgab. Da bebte aber die Erde, der große Baum
sank um, seine Wurzeln brachen aus dem Erdreich in die Höhe, und es
entstand eine Lache schmutzigen Wassers, worin das Götzenbild so tief
einsank, daß man kaum die Hörner noch sah, und einige der Bösesten
sanken mit ein.
Die Heilige Familie zog nun ruhig in die Stadt ein, wo sie in einer
Halle eines großen Gemäuers mit vielen Räumen eines Götzentempels
einkehrten. Auch in der Stadt waren Götzenbilder in den Tempeln
umgestürzt. Heliopolis hieß auch On. Aseneth, die Frau des ägyptischen
Joseph war hier bei dem Götzenpriester Putiphar, und hier studierte
auch Dionysius der Areopagite. Die Heilige Familie wohnte unter einem
niedrigen Säulengang, wo noch andere Leute sich Wohnungen eingebaut
hatten. Die Hallen dieses Ganges waren von kurzen, runden und
viereckigen Säulen gestützt. Oben darüber führte ein Weg, über den
gegangen und gefahren wurde. Den Hallen gegenüber war ein Götzentempel
mit zwei Höfen. Joseph machte sich vor seinem Raum einen Vorbau aus
leichter Holzarbeit. Sein Esel war auch da. Der Raum war durch solche
Splintwände abgeteilt, wie Joseph sie immer zu machen pflegte.
Ich sah den heiligen Joseph zu Hause und oft auch auswärts arbeiten. Er
machte lange Stäbe mit run-den Knöpfen, auch kleine niedere,
dreibeinige Schemel mit einem Griff, um sie an zufassen, auch eine Art
Körbe. Er verfertigte viele leichte Splint wände von Flechtwerk und
sechs- oder achteckige leichte Türmchen von dünnen, leichten langen
Brettern, oben spitz zu gehend und in einem Knopf endend. Es war eine
Öffnung dran, so daß ein Mann darin sitzen konnte wie in einem
Schilderhäuschen. Ich sah die Heilige Jungfrau Teppiche flechten und
auch mit einer anderen Arbeit, wobei sie einen Stab neben sich hatte,
an welchem oben ein Knollen befestigt war, ich weiß nicht mehr, ob sie
spann oder sonst etwas wirkte. Ich sah auch öfter Leute sie und das
Jesuskindchen besuchen, welches in einer Art Wiegenschiffchen neben ihr
am Boden lag. Manchmal sah ich dieses Schiffchen erhöht auf einem
Gestell, wie auf einem Sägebock stehen. Es waren nur wenige Juden hier,
und ich sah sie umhergehen, als hätten sie kein Recht, hier zu leben.
Die Heilige Familie wohnte etwas über ein Jahr in Heliopolis, hatte
aber von den ägyptischen Leuten viel zu leiden, denn sie wurde von
ihnen wegen der umgestürzten Götzenbilder gehaßt und verfolgt. Auch
hatte Joseph hier Mangel an Zimmerarbeit, da die Leute sehr fest
bauten. Kurz bevor sie Heliopolis verließen, erfuhr die Heilige
Jungfrau durch einen Engel den bethlehemischen Kindermord. Maria und
Joseph waren sehr betrübt, das Jesuskind, das schon gehen konnte und
anderthalb Jahre alt war, weinte den ganzen Tag.
Die Ermordung der unschuldigen Kinder
Ich sah die Mütter mit ihren Knaben von den jüngsten bis zu den
zweijährigen aus verschiedenen Orten um Jerusalem, Bethlehem, Gilgal
und Hebron, wohin Herodes Soldaten verlegt hatte und wo er durch
dortige Vorgesetzte den Befehl dazu ergehen ließ, nach Jerusalem zu
kommen. Ich sah manche Frauen bis von der arabischen Grenze her ihre
Kinder nach Jerusalem bringen. Sie hatten mehr als eine Tagreise dahin.
Die Mütter kamen in verschiedenen Haufen zur Stadt. Manche hatten zwei
Kinder bei sich und ritten auf Eseln. Sie wurden alle in ein großes
Gebäude geführt und die sie begleitenden Männer zurückgesendet. Die
Leute kamen ganz fröhlich, denn sie glaubten, eine Belohnung zu
erhalten.
Im Gerichtshaus war zu ebener Erde eine große Halle, wie ein Kerker
oder eine Wachstube, im oberen Stockwerk aber war ein Saal, aus welchem
die Fenster nach dem Hofe gingen. In diesem Saale sah ich die
Gerichtsherren versammelt, welche Rollen vor sich auf dem Tisch liegen
hatten. Herodes war auch da. Er trug eine Krone und einen roten, mit
schwarz verbrämten weißen Pelz gefütterten Mantel und sah, von andern
umgeben, vom Fenster aus dem Morden zu. Die Mütter wurden einzeln mit
ihren Knaben aus den Seitengebäuden in die große Halle unter dem
Gerichtssaal gerufen. Beim Eintritt wurden ihnen die Kinder von den
Kriegsknechten abgenommen und durch das Tor in den Hof hinausgebracht,
wo ihrer zwanzig beschäftigt waren, sie mit Schwertern und Spießen
durch Hals und Herz zu stechen. Es waren teils Kinder noch in Windeln,
welche die Mütter am Arm trugen, teils Knäblein in gewirkten Röckchen.
Sie kleideten sie nicht erst aus; sie stachen sie in Hals und Herz und
schleuderten sie am Arm oder Beine gefaßt auf einen Haufen hin. Es war
ein gräßlicher Anblick. Die Mütter wurden in der großerr Halle von den
Soldaten eine zu der anderen zurückgedrängt, und als sie das Schicksal
ihrer Kinder merkten, erhoben sie ein gräßliches Geschrei, zerrauften
sich die Haare und umklammerten einander. Sie standen endlich so
gedrängt, daß sie sich kaum rühren konnten. Ich meine, das Morden
dauerte bis gegen Abend. Die Ermordeten wurden im Hof in einer großen
Grube verscharrt. Die Mütter sah ich gebunden in der Nacht von Soldaten
nach ihren Orten zurückgebracht werden. Auch an anderen Orten wurden
die Kinder ermordet. Es dauerte mehrere Tage lang.
Ihre Zahl wurde mir mit einer Zahl gezeigt, die wie Ducen lautete, und
die ich so oft zusammenzählen mußte, bis die ganze Zahl herauskam, ich
meine, es waren siebenhundert und sieben oder siebzehn. Die Stelle des
Kindermordes in Jerusalem war der nachmalige Richthof unweit dem
Gerichtshaus des Pilatus; doch zu dessen Zeit sehr verändert. Ich sah
bei Christi Tod die Grube der Ermordeten einstürzen; es erschienen ihre
Seelen und zogen von dannen. Elisabeth war mit Johannes in die Wüste
geflohen. Sie suchte lange, bis sie eine Höhle fand, und war vierzig
Tage bei ihm. Ich sah aber, daß danach ein Essener aus der
Genossenschaft am Berge Horeb, ein Verwandter der Tempelhanna,
anfänglich alle acht und später alle vierzehn Tage ihm Nahrung brachte
und ihm half. Johannes hätte vor der Verfolgung des Herodes auch in der
Nähe seines elterlichen Hauses verborgen werden können; er wurde aber
auf göttliche Eingebung in die Wüste geflüchtet, weil er getrennt von
menschlichem Umgang und gewöhnlicher menschlicher Speise einsam
aufwachsen sollte. Ich sah diese Wildnis fruchtbar. Es wuchsen Früchte,
Beeren und Kräuter darin.
(aus: "Das arme Leben unseres Herrn Jesu Christi" nach den Gesichten
der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des Klosters
Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1971, S. 50
ff.)
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