DIE SPEISUNG DER FÜNFTAUSEND
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN
ANNA KATHARINA EMMERICH -
Als am folgenden Morgen Jesus mit den Aposteln auf den Berg sich begab,
wo er schon mehrmals von den acht Seligkeiten gelehrt hatte, war schon
vieles Volk herangezogen, und die anderen Apostel hatten die Kranken
bereits an geschützten Stellen geordnet. Jesus und die Apostel begannen
zu heilen und zu lehren. Viele, welche in diesen Tagen zum erstenmal
nach Kapharnaum gekommen waren, wurden im Kreise kniend mit Wasser, das
in Schläuchen heraufgebracht worden war, durch Besprengung
getauft.
Jesus aber lehrte von den acht Seligkeiten und kam bis zu der sechsten,
wiederholte auch die schon in Kapharnaum begonnene Lehre vom Gebet und
legte einzelne Bitten des Vaterunsers aus. Lehre und Heilungen dauerten
bis nach vier Uhr. Die vielen Menschen aber hatten nichts zu essen.
Schon am vorigen Tag waren sie ihm nachgezogen, und ihr kleiner Vorrat,
den sie mit sich getragen, war aufgezehrt. Viele unter ihnen wurden
ganz schwach und schmachteten nach Nahrung. Die Apostel, dies
wahrnehmend, traten zu Jesus mit der Bitte, die Lehre zu schließen,
damit die Leute vor Nacht sich Herberge suchen und Speise verschaffen
könnten. Jesus aber erwiderte: "Sie brauchen darum nicht hinwegzugehen.
Gebt ihr ihnen zu essen!" Da sprach Philippus: "Sollen wir gehen, um
für ein paar hundert Denare Brot zu kaufen und ihnen zu essen zu
geben?" Er sagte dies mit einiger Verdrossenheit, weil er glaubte,
Jesus mute ihnen die große Mühe zu, für die ganze Menge Brot aus der
Gegend zusammenzuschleppen. Jesus versetzte aber: "Seht zu, wie viele
Brote ihr habt!" und fuhr in seiner Lehre weiter. Es hatte ein Knecht
den Aposteln fünf Brote und zwei Fische von seinem Herrn zum Geschenk
gebracht, was Andreas Jesus mit den Worten meldete: "Was ist das für so
viele?" Jesus aber befahl, diese Brote und Fische herbeizubringen, und
als sie auf den Rasen vor ihm gelegt waren, lehrte er noch weiter von
der Bitte um das tägliche Brot. Viele Leute wurden ohnmächtig, und
Kinder weinten nach Brot. Da sprach Jesus zu Philippus, ihn auf die
Probe stellend: "Wo kaufen wir Brot, daß diese zu essen bekommen?" und
Philippus erwiderte: "Zweihundert Denare reichen nicht hin für alle
diese." Nun sprach Jesus: "Lasset das Volk sich niedersetzen, die
Hungrigsten zu fünfzig, die andern zu hundert und bringt mir die
Brotkörbe, welche vorhanden sind!" Sie setzten eine Reihe flacher, von
breitem Bast geflochtener Brotkörbe zu ihm hin und verteilten sich
unter dasVolk, das sich um den Berg lagerte, der treppenförmig und mit
schönem langem Gras bewachsen war, zu Hunderten und zu Fünfzigen. Sie
lagen nun tiefer, als Jesus stand, am Abhang des Berges.
Während die Jünger die Leute zu fünfzig und hundert zum Essen
niederlegen ließen und sie dabei zählten, was Jesus ihnen befohlen
hatte, ritzte er alle fünf Brote mit einem beinernen Messer vor und
schnitt die Fische, die der Länge nach gespalten waren, in
Querstreifen; dann hob er eines der Brote auf den Händen empor und
betete, so auch einen der Fische. Vom Honig erinnere ich mich es nicht.
Es waren ihm aber drei Jünger zur Seite. Jesus segnete nun die Brote,
die Fische und den Honig und begann das Brot der Quere nach in Streifen
zu brechen und diese Streifen wieder in einzelne Teile. Und jeder Teil
ward wieder groß und hatte wieder Ritzen. Jesus brach die einzelnen
Teile, die so groß waren, daß ein Mann daran satt hatte, und gab sie
hin und die Stücke Fische ebenso. Saturnin, der zur Seite stand, legte
immer ein Stück Fisch auf ein Stück Brot, und ein junger Jünger des
Täufers, ein Hirtensohn, der später Bischof wurde, legte auf jede
Portion ein Stückchen Honig. Die Fische nahmen nicht merklich ab, und
die Honigwaben schienen zu wachsen. Thaddäus aber legte die Portionen
Brot, worauf ein Stück Fisch und etwas Honig, in die flachen Körbe,
welche nun zu den hungrigsten, die zu fünfzig aßen, zuerst gebracht
wurden.
Sobald die leeren Körbe zurückkamen, wurden sie immer mit gefüllten
umgetauscht; und diese Arbeit dauerte ungefähr zwei Stunden, bis alle
gespeist waren. Jene, welche Weib und Kinder hatten, die von den
Männern abgesondert saßen, fanden ihren Anteil so groß, daß sie diese
auch sättigen konnten. Die Leute tranken auch Wasser aus Schläuchen,
welche heraufgebracht waren, und hatten meist Becher von
zusammengedrehter Rinde, wie eine Tüte, auch hohle Kürbisse bei sich.
Als alle gesättigt waren, sagte Jesus den Jüngern, mit Körben umher zu
gehen und die Brocken zu sammeln, damit nichts zugrunde gehe. Sie
sammelten zwölf Körbe voll. Viele Leute baten aber, einzelne Stückchen
mit sich als Andenken zu nehmen. Dieses Mal waren gar keine Soldaten
hier, deren ich sonst immer bei so großen Lehren viele bemerkte. Sie
waren um Hesebon, wo Herodes sich aufhielt, zusammengezogen.
Nachdem sich die Leute wieder erhoben hatten, traten sie überall in
Haufen zusammen, waren voll Staunen und Verwunderung über dieses Wunder
des Herrn, und von Mund zu Mund lief das Wort: "Dieser ist es
wahrhaftig! Dieser ist der Prophet, der in die Welt kommen soll! Er ist
der Verheißene!" Jesus entließ nun das Volk, das sehr bewegt war. Kaum
hatte Jesus die Lehrstelle verlassen, so erhoben sich Stimmen: "Er hat
uns Brot gegeben Er ist unser König! Wir wollen ihn zu unserem König
machen!" Jesus aber entwich in die Einsamkeit und betete.
Jesus wandelt über das Meer und der Glaube des Petrus
Das Schiff Petri mit den Aposteln und mehreren Jüngern wurde durch
widrigen Wind in der Nacht aufgehalten. Sie ruderten sehr und wurden
doch aus der Richtung der Überfahrt mehr gegen Mittag getrieben.
Da wandelte Jesus über das Meer von Nordost gegen Südwest. Er
leuchtete, es war ein Schimmer um ihn, und man sah seine Gestalt zu
seinen Füßen umgekehrt im Wasser. Von der Gegend von Bethsaida-Julias
gegen Tiberias zu wandelnd, welchem gegenüber das Schiff Petri sich
ungefähr befand, ging er quer durch die beiden Nachtwachenboote durch,
welche von Kapharnaum und von jenseits eine Strecke ins Meer gefahren
waren. Die Leute in diesen Booten sahen ihn wandeln, erhoben ein großes
Angstgeschrei und bliesen auf dem Horn; sie hielten ihn für ein
Gespenst. Die Apostel auf dem Schiffe Petri, welches nach dem Licht
jener Wachtschiffe sich richtete, um wieder in die rechte Bahn zu
kommen, schauten auf und sahen ihn heranziehen. Es war, als schwebe er
schneller, als man geht; und da er nahte, ward das Meer still. Es war
aber Nebel auf dem Wasser, und sie erblickten ihn erst in einer
gewissen Nähe. Wenn sie ihn gleich schon einmal so wandeln gesehen,
jagte ihnen doch der fremde gespenstige Anblick einen großen Schrecken
ein, und sie schrien.
Als sie sich aber an das erstmalige Wandeln erinnerten, wollte Petrus
abermals seinen Glauben beweisen und rief in seinem Eifer wieder:
"Herr, bist du es, so heiß mich zu dir kommen!" Und Jesus rief
abermals: "Komm!" Petrus lief diesmal eine viel größere Strecke zu
Jesus; aber sein Glauben reichte doch nicht aus. Als er schon dicht bei
Jesus war, dachte er wieder an die Gefahr und fing an zu sinken,
streckte die Hand aus und rief: "Herr, rette mich!" Er sank aber nicht
so tief wie das erste Mal, und Jesus sagte wieder zu ihm: "Du
Kleingläubiger, warum zweifelst du?" Als Jesus aber in das Schiff trat,
eilten sie zu ihm, warfen sich ihm zu Füßen und sagten: "Wahrhaftig, du
bist Gottes Sohn!" Jesus aber verwies ihnen ihre Furcht und
Kleingläubigkeit, hielt eine ernstliche Strafrede und lehrte noch vom
Vaterunser. Er befahl ihnen mittäglich zu fahren. Sie hatten einen
guten Wind, fuhren sehr schnell und schliefen etwas in dem Kasten unter
den Ruderstellen um den Mast. Diesmal war der Sturm nicht so groß als
neulich; sie waren aber in den Trieb des Sees gekommen, der in der
Mitte sehr stark ist, und konnten nicht heraus.
Jesus ließ den Petrus auf dem Wasser zu sich kommen, um ihn zu
demütigen, indem er wohl wußte, daß er sinken werde. Petrus ist sehr
eifrig und stark glaubend und hat eine Neigung, im Eifer seinen Glauben
Jesus und den Jüngern zu zeigen. Indem er aber sinkt, wird er vor Stolz
bewahrt. Die andern getrauten sich nicht, so zu handeln, und indem sie
Petri Glauben bewundern, erkennen sie doch, daß sein Glaube, obschon er
den ihren übertrifft, doch nicht zureicht. Mit Sonnenaufgang landete
das Schiff Petri an der Ostseite des Sees zwischen Magdala und
Dalmanutha vor ein paar Häuserreihen, welche zu Dalmanutha gehörten.
Lehre vom Brot des Lebens
Die Nacht hatte Jesus auf dem Schiff zugebracht, das zwischen Matthäi
Zollstätte und Bethsaida-Julias gelandet war. Am Morgen lehrte er vor
etwa hundert Menschen vom Vaterunser, und gegen Mittag fuhr er mit den
Jüngern nach der Gegend von Kapharnaum, wo sie unbemerkt landeten und
in das Haus Petri sich begahen. Hier kam Jesus mit Lazarus zusammen,
der mit dem Sohn der Veronika und einigen Leuten aus Hebron hierher
gereist war.
Als Jesus danach auf die Höhe hinter Petri Haus ging, wo der kürzeste
Weg von Kapharnaum nach Bethsaida führte, folgte das dort umher
gelagerte Volk ihm nach, und mehrere, die bei der Brotvermehrung
gewesen und ihn gestern und heute gesucht hatten, fragten: "Meister,
wann bist du herübergekommen? Wir haben dich gesucht, drüben und hier!"
Jesus aber antwortete, seine Lehre beginnend: "Wahrlich, wahrlich, ihr
sucht mich nicht, weil ihr Wunder gesehen, sondern weil ihr von dem
Brot gegessen habt und satt geworden seid. Bemüht euch nicht um
vergängliche Speise, sondern um Speise, die bis zum ewigen Leben währt,
die euch der Menschensohn geben wird; denn ihn hat Gott der Vater
beglaubigt." Er sagte dieses viel weitläufiger, als es im Evangelium
steht, wo nur die Hauptsätze stehen. Die Leute flüsterten zusammen:
"Was will er nur mit dem Menschensohn? Wir sind ja auch
Menschenkinder!" Und da sie auf seine Mahnung, daß sie Gottes Werke tun
sollten, fragten, was sie tun sollten, um Gottes Werke zu tun,
erwiderte er: "An den glauben, den Er gesandt hat!" und lehrte über den
Glauben. Sie fragten aber wieder: was er für ein Wunder tun wolle, auf
daß sie glaubten? Ihren Vätern habe Moses Brot vom Himmel gegeben, daß
sie an ihn glaubten, das Manna. Was er ihnen geben wolle? Da antwortete
Jesus: "Ich sage euch, nicht Moses hat euch Brot vom Himmel gegeben,
sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel; denn das Brot
Gottes ist dieses, das vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben
gibt."
Hierüber lehrte er ganz ausführlich, und einige sagten: "Herr, gib uns
doch immer solches Brot!" Andere aber sprachen: "Sein Vater gibt uns
Brot vom Himmel! Was soll das sein? Sein Vater Joseph ist ja tot!"
Jesus lehrte hierüber lange und mannigfaltig und erklärte es sehr
deutlich; aber nur wenige verstanden ihn, weil sie sich klug dünkten
und allerlei zu wissen glaubten. Er lenkte aber ein und lehrte noch vom
Vaterunser und aus der Bergpredigt und sagte noch nicht, daß er das
Brot des Lebens sei. Die Apostel und älteren Jiinger aber fragten
nicht, sie dachten nach, verstanden es oder ließen es sich nachher
erklären.
Am folgenden Tag setzte Jesus auf der Anhöhe hinter Petri Haus die
gestrige Lehre fort. Es waren wohl ein paar tausend Menschen
gegenwärtig, die abwechselnd vor- und zurücktraten, um besser zu hören.
Jesus ging auch manchmal von einer Stelle zur andern und wiederholte
seine Lehre mit großer Liebe und Geduld und widerlegte oft dieselben
Einwürfe. Es waren auch viele Frauen verschleiert an abgesondertem Orte
da. Die Pharisäer gingen ab und zu, fragten und zischelten ihre Zweifel
wieder unter dem Volk aus.
Heute sprach Jesus aus: "Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt,
den wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den wird nicht dürsten!
Wen der Vater ihm gebe, der komme zu ihm, und er werde ihn nicht
verstoßen. Er sei vom Himmel gekommen, nicht seinen, sondern des Vaters
Willen zu tun. Es sei aber des Vaters Wille, daß er nichts verliere,
was Er ihm gegeben, sondern am Jüngsten Tage erwecke. Es sei der Wille
seines Vaters, wer den Sohn sehe und an ihn glaube, solle das ewige
Leben haben, und er werde ihn am Jüngsten Tage erwecken."
Es waren aber viele, welche ihn nicht verstanden und sagten: "Wie kann
er sagen, er sei vom Himmel herabgekommen? Er ist ja der Sohn des
Zimmermanns Joseph, seine Mutter und seine Verwandten sind unter uns,
und die Eltern seines Vaters Joseph kennen wir ! Er spricht heute: Gott
sei sein Vater und dann sagt er wieder, er sei des Menschen Sohn", und
murrten. Jesus aber sagte, sie sollten nicht untereinander murren.
Durch sich selbst könnten sie nicht zu ihm kommen; der Vater, der ihn
gesandt habe, müsse sie zu ihm ziehen. Das konnten sie wieder nicht
begreifen und fragten, was das heißen solle, der Vater solle sie
ziehen? Sie nahmen das ganz roh. Er sagte aber: "Es steht in den
Propheten: es werden alle von Gott gelehrt werden. Wer es also vom
Vater hört und lernt, kommt zu mir !"
Da sagten wieder viele: "Sind wir nicht bei ihm? Und doch haben wir es
nicht vom Vater gehört noch gelernt?" Da erklärte Jesus wieder: "Keiner
hat den Vater gesehen, als der von Gott ist. Wer an mich glaubt, der
hat das ewige Leben. Ich bin das Brot, das vom Himmel herabkam, das
Brot des Lebens." Da sprachen sie wieder, sie kennten kein Brot, das
vom Himmel gekommen, als das Manna. Er erklärte, dieses sei nicht das
Brot des Lebens, denn ihre Väter, die es gegessen, seien gestor-ben.
Hier aber sei das Brot, das vom Himmel gekommen, damit, wer davon esse,
nicht sterbe. Er sei dieses lebendige Brot, und wer davon esse, werde
ewig leben.
Alle diese Lehren waren weitläufig mit Erklärungen und Erwähnungen aus
dem Gesetz und den Propheten; aber die meisten wollten es nicht
begreifen, nahmen alles roh nach dem gemeinen fleischlichen Verstand
und fragten wieder: "Was das heißen solle, daß man ihn essen solle und
ewig leben? Wer denn ewig leben und wer von ihm essen könne? Henoch und
Elias seien von der Erde genommen, und man sage, sie seien nicht
gestorben; auch von Malachias wisse man nicht, wo er hin ge-kommen, man
wisse seinen Tod nicht; aber sonst würden wohl alle Menschen sterben."
Jesus ant-wortete ihnen und fragte: ob sie wüßten, wo Henoch und Elias
seien und wo Malachias? Ihm sei es nicht verborgen. Ob sie aber wüßten,
was Henoch geglaubt? - Was Elias und Malachias prophezeit? Und erklärte
mehreres von diesen Prophezeiungen.
Er lehrte aber heute nicht weiter. Es war eine außerordentliche
Spannung und Nachdenken und Disputieren unter dem Volk. Selbst viele
von den neueren Jüngern und besonders die neulich hinzugekommenen
Johannesjünger zweifelten und irrten. Sie waren es, welche die Zahl der
Siebenzig jetzt voll gemacht hatten; denn Jesus hatte erst
sechsunddreißig Jünger. Der Frauen waren jetzt un-gefähr
vierunddreißig; aber es war ihre Anzahl im Dienst der Gemeinde mit
allen Pflegerinnen, Mägden und Vorsteherinnen der Herbergen zuletzt
auch siebenzig.
Jesus lehrte das Volk abermals auf der Höhe vor der Stadt, sprach aber
nicht von dem Brot des Lebens, sondern aus der Bergpredigt und dem
Vaterunser. Als Jesus am Abend in der Synagoge über die Sabbatlesung
lehrte, unterbrachen sie ihn mit der Frage: "Wie er sich das Brot des
Lebens nennen könne, das vom Himmel herabgekommen, da man doch wisse,
wo er her sei?" Jesus aber wiederholte seine ganze bisherige Lehre
hierüber. Die Pharisäer brachten nun dieselben Einwände wieder vor, und
da sie auf ihren Vater Abraham und auf Moses sich berufend sprachen,
wie er denn Gott seinen Vater nenne? fragte er sie, wie sie Abraham
ihren Vater nennen könnten und Moses ihren Lehrer, da sie Abrahams und
Mosis Geboten und Wandel nicht folgten?, und stellte ihren verkehrten
Wandel und ihr böses heuchlerisches Leben ihnen öffentlich vor Augen.
Sie waren beschämt und erbittert.
Nun fuhr Jesus in der Lehre vom Brot des Lcbens weiter fort und sagte:
"Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich für das Leben
der Welt hingeben werde." Da ward ein Murren und Flüstern: "Wie kann er
uns sein Fleisch zu essen geben?" Jesus lehrte aber fort und viel
weitläufiger, als im Evangelium steht. Wer sein Blut und Fleisch nicht
trinken und essen werde, der werde kein Leben in sich haben. Wer es
aber tue, habe das ewige I,eben, und er werde ihn am Jüngsten Tage
auferwecken; "denn mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise und mein
Blut wahrhaftig ein Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt,
der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesendet
hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird, wer mich ißt, durch mich
leben. Hier ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, kein Brot
wie das Manna, das eure Väter aßen und doch starben! Wer dieses Brot
ißt, wird leben in Ewigkeit." Er legte alles aus den Propheten aus und
besonders aus Malachias und zeigte die Erfüllung desselben in Johannes
dem Täufer, von dem er weitläufig sprach. Und da sie fragten: wann er
ihnen dann diese Speise geben wolle? sagte er deutlich: "Zu seiner
Zeit", und bestimmte eine Zeit in Wochen mit einem eigenen Ausdruck;
und ich rechnete nach und erhielt: ein Jahr, sechs Wochen und etliche
Tage. Alles war sehr erregt, und die Pharisäer hetzten die Zuhörer
auf.
Jesus lehrte darauf wiederum in der Synagoge und erklärte die sechste
und siebente Bitte des Vater-unsers, und "Selig sind die Armen im
Geiste." Er sagte die, welche gelehrt seien, sollten es nicht wissen,
so auch die Reichen sollten es nicht wissen, daß sie reich seien. Da
murrten sie wieder und sagten, wenn man es nicht wisse, könne man es
auch nicht brauchen. Er sagte aber: "Selig sind die Armen im Geiste!"
Sie sollten sich arm fühlen und demütig sein vor Gott, von dem alle
Weisheit komme und außer dem alle Weisheit ein Greuel sei.
Da sie ihn aber wieder aus seiner gestrigen Lehre vom Brot des Lebens,
vom Essen seines Fleisches und Trinken seines Blutes fragten,
wiederholte Jesus seine Lehre streng und bestimmt. Es murrten viele
seiner Jünger und sagten: "Das ist ein hartes Wort, wer kann das
anhören?" Er erwiderte ihnen aber, sie sollten sich nicht ärgern, es
würden noch ganz andere Dinge kommen und sagte deutlich voraus, man
werde ihn verlassen und fliehen. Da werde er seinem Feinde in die Arme
laufen, und man werde ihn töten. Er werde aber die Fliehenden nicht
verlassen, sein Geist werde bei ihnen sein. Das "seinem Feind in die
Arme laufen" war nicht ganz so gesagt; es war, wie: "seinen Feind
umarmen oder von ihm umarmt werden", ich weiß es nicht mehr recht. Es
deutete auf den Kuß des Judas und dessen Verrat. Da sie aber sich noch
mehr hieran ärgerten, sprach er: "Wie aber, wenn ihr den Menschensohn
dahin auffahren sehen werdet, wo er zuvor war? Der Geist ist es, der
lebendig macht, das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch
geredet habe, sind Geist und Leben. Aber es gibt einige unter euch, die
nicht glauben, daher sagte ich euch: Niemand kann zu mir kommen, wenn
es ihm nicht von meinem Vater gegeben wird."
Nach diesen Worten entstand in der Synagoge Murren und Höhnen. Etliche
dreißig der neueren Anhänger, besonders die einseitigen Johannesjünger,
traten näher zu den Pharisäern, flüsterten und murrten mit diesen; die
Apostel und älteren Jünger aber traten näher mit Jesus zusammen. Er
lehrte noch laut: es sei gut, daß jene zeigten, wes Geistes Kinder sie
seien, ehe sie größeres Unheil verursachten.
Als Jesus die Synagoge verließ, wollten die Pharisäer und abtrünnigen
Jünger, welche sich miteinander besprochen hatten, ihn zurückhalten, um
zu disputieren und mancherlei Erklärungen von ihm zu begehren. Die
Apostel, seine Jünger und Freunde umgaben ihn, und so entkam er dieser
Zudringlichkeit unter Lärm und Geschrei. Ihre Reden waren so, wie sie
heutzutage auch sein würden: "Da haben wir es ja! Nun brauchen wir
nichts mehr. Er hat für jeden vernünftigen Menschen deutlich gezeigt,
daß er ganz unsinnig ist. Man solle sein Fleisch essen! Sein Blut
trinken! Er sei vom Himmel! Er wolle in den Himmel fahren!"
Jesus ging aber mit den Seinigen, die auf verschiedenen Wegen sich
zerstreuten, bei den Wohnungen Serobales und des Cornelius an der
Nordhöhe der Stadt und des Tales hin, und als sie sich an einer
bestimmten Stelle gefunden, lehrte er. Da Jesus danach die Zwölfe
fragte: ob auch sie ihn verlassen wollten, sprach Petrus für alle:
"Herr! zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Und
wir haben geglaubt und erkannt, daß du Christus, der Sohn des
lebendigen Gottes bist!" Jesus erwiderte unter anderem: "Ich habe euch
Zwölfe erwählt, und doch ist einer unter euch ein Teufel!"
Maria war mit anderen Frauen auch bei den letzten Lehren Jesu auf dem
Berg und in der Synagoge gegenwärtig gewesen. Von allen Geheimnissen,
welche in diesen Lehren vorgekommen waren, hatte sie von jeher die
innere Erkenntnis gehabt; allein, gleichwie die zweite Person der
Gottheit in ihr Fleisch angenommen, Mensch und ihr Kind geworden war,
so waren auch in ihr diese Erkenntnisse in die demütigste,
ehrfurchtvollste Mutterliebe zu Jesus wie eingehüllt. Da nun Jesus von
diesen Geheimnissen deutlicher als je zum Ärgernis der Verblendeten
gelehrt hatte, sah ich Maria in ihrer Kammer betend und in der inneren
Anschauung des Englischen Grußes, der Geburt und der Kindheit Jesu,
ihrer Mutterschaft und seiner Kindschaft. Sie sah ihr Kind als den Sohn
Gottes und ward dermaßen von Demut und Ehrfurcht überwältigt, daß sie
in Tränen zerfloß. Alle diese Anschauungen hüllten sich abermals in das
Gefühl der mütterlichen Liebe zu dem göttlichen Sohne ein, wie die
Gestalt des Brotes den lebendigen Gott im Sakrament verhüllt.
Bei der Trennung der Jünger von Jesus sah ich in zwei Kreisen das Reich
Christi und das Reich des Satans. Ich sah die Stadt des Satans und die
babylonische Hure, seine Propheten und Prophetinnen, seine Wundertäter
und Apostel, alles in großem Glanze und viel prächtiger und reicher und
voller als das Reich Jesu. Könige und Kaiser und selbst viele Priester
jagten mit Roß und Wagen dahin, und Satan hatte einen prächtigen Thron.
Das Reich Christi auf Erden aber sah ich arm und unscheinbar, voll Not
und Pein und Maria als die Kirche und Christus am Kreuz auch als Kirche
und den Eingang in die Kirche durch seine Seitenwunde.
(aus: "Das arme Leben unseres Herrn Jesu Christi" nach
den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des
Klosters Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1971, S. 382
ff.)
***
AUSSPRÜCHE VON GEORGES BERNANOS (1888-1948)
"Man reformiert die Kirche nicht anders, als indem man an ihr leidet.
Man reformiert die sichtbare Kirche nicht anders, als indem man für die
sichtbare Kirche leidet. Man reformiert die Laster der Kirche nur,
indem man das Beispiel ihrer heroischen Tugenden verschwenderisch
ausschüttet."
"Seltsame Vorstellung, als katholischer Schriftsteller für die zu
schreiben, die Geschriebenes verachten! Bittere Ironie, überreden und
überzeugen zu wollen, während ich doch zutiefst weiß, daß der Teil der
Welt, der noch der Erlösung fähig ist, einzig den Kindern, den Helden
und den Märtyrern gehört."
"Ich sehe den Tag, an dem mit Maschinengewehren bewaffnete Priester
mich und andere freie Menschen an die Wand stellen und mit Kugeln
durchlöchern..." (1940 geschrieben!)
(zusammengestellt von K.-G. Kaltenbrunner) |