DIE HEILIGE HEDWIG
von
Eugen Golla
In der Nähe des Klosters Andechs, wo den Besucher die Gastfreundschaft
des weltoffenen Benediktinerordens erwartet und die im beschwingten,
zarten Rokoko umgebaute Klosterkirche den Wallfahrer zum Gebet vor dem
Gnadenbilde und den Kunstenthusiasten zum Schauen einlädt, erhob sich
im Mittelalter die Burg Andechs, auf der Hedwig wahrscheinlich 1174
geboren wurde. Ihr Vater, Graf Berthold IV., der auch den Titel eines
Herzogs von Meranien führte - Meranien wurde damals ein Küstenstreifen
zwischen Triest und Dalmatien genannt - war nicht nur reich begütert,
sondern auch am kaiserlichen Hofe angesehen; so war er u.a.
Bannerträger eines Heereszuges auf dem erfolglosen dritten Kreuzzug
gewesen, von dem Kaiser Friedrich Barbarossa nicht mehr zurückgekehrt
war.
Von den zahlreichen Geschwistern Hedwigs ist am bekanntesten die Mutter
der hl. Elisabeth, Königin Gertrud von Ungarn, die von Adeligen
erschlagen wurde. Die Andechser gehörten zu den Geschlechtern, die
nicht nur für Kunst und Bildung aufgeschlossen waren, sondern auch zu
den im Mittelalter nicht seltenen adeligen Familien gehörten, in denen
die Heiligkeit gleichsam ein Vermächtnis war, sollen doch diesem
Geschlecht fast dreißig Heilige entstammen. Es ist daher nicht
verwunderlich, daß Hedwig bereits im Alter von fünf Jahren dem
Benediktinerkloster Kitzingen zur Erziehung übergeben wurde, wo sie
außer im Lesen und Schreiben, das damals auch viele Angehörige der
Oberschichten nicht beherrschten, sogar in Latein unterrichtet wurde,
wodurch sich ihr ein intensives Verständnis der Liturgie und der
Heiligen Schrift eröffnete.
Mit dreizehn Jahren fand das strenge, aber doch sorglose Leben ein
jähes Ende: ihre Eltern verheirateten Hedwig in die Familie der Herzöge
von Schlesien. Ihr Schwiegervater, Herzog Boleslaus, der einer
Nebenlinie des polnischen Königsgeschlechts der Piasten angehörte, war
diese Ehe, die seine Beziehungen zum Westen durch die weitreichenden
familiären Verbindungen der Andechser verstärken konnte, sehr
erwünscht. Dabei muß man berücksichtigen, daß Boleslaus, der sich
infolge von Thronstreitigkeiten siebzehn Jahre lang als Vertriebener im
Deutschen Reiche aufgehalten hatte, nach seiner Rückkehr das damals
noch dünn besiedelte Schlesien von Deutschen kolonisieren ließ.
In glücklicher Ehe schenkte Hedwig ihrem Mann, Herzog Heinrich II., der
seinem Vater 1202 in der Regierung gefolgt war, sechs Kinder. Ihre
Bildung sowie ihr fester Wille ermöglichten es ihr, auf ihren Gatten,
obwohl sie keinen Anteil an den Regierungsgeschäften hatte, einen
starken Einfluß auszuüben. So berichtet eine Chronik, daß sie ihn viele
Gebete lehrte und ihn nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes dazu bewog,
eheliche Enthaltsamkeit zu geloben. Auf ihre Initiative ist
wahrschein-lich auch die Gründung des ersten Frauenklosters in
Schlesien - das am rechten Oderufer gelegene Trebnitz - zurückzuführen,
in das Zisterzienser-Nonnen aus der Diözese Bamberg einzogen.
Das, was wir über Hedwig als "Heilige" und als "ideale Frau" wissen,
verdanken wir in erster Linie der 1262 verfaßten Hedwigsvita und der
nach ihrer Heiligsprechung entstandenen "Vita maior". Beide Schriften
genügen jedoch nicht dem Anspruch von authentischen Biographien,
vielmehr enthalten sie legendäre Züge. Das veranlaßte Kritiker vielfach
dazu, in ihnen mehr die Darstellung des mönchischen Ideals als korrekte
Lebensbeschreibungen zu sehen. Doch dürfte die Beschreibung ihres
religiösen Lebens verbürgt sein. Schon vor Sonneaufgang und am Abend
zog sich Hedwig zum Gebet und zur Meditation und Schriftlesung zurück.
Beim Gebet saß sie niemals. Eifrig bemübte sie sich, auch andere das
richtige Sprechen zu Gott zu lehren. Nicht minder sreng hielt sie die
Fastengebote. Als einst ein Breslauer Archidiakon sie zu deren
Lockerung überreden wollte, gab sie ihm zur Antwort: "Ich esse, was mir
genügt!" Schonungslos nahm sie auch strenge Kasteiungen auf sich. So
wird berichtet, daß sie sich wiederholt geißelte und auch in der kalten
Jahreszeit barfuß ging oder Schuhe ohne Sohlen trug. Oft schlief sie am
Boden. Sie liebte es, Arme und Kranke, ja sogar solche, welche von
einer gefährlichen Krankheit befallen waren, zu bedienen; daher hatte
sie ständig dreizehn Bedürftige in ihrer Nähe. Das
Heilige-Geist-Hospital in Breslau, das erste Hospital Schlesiens,
verdankt ihr seine Entstehung, ebenso das Aussätzigenheim zu Neumarkt.
1229 führte Herzog Heinrich wegen des Besitzes von Krakau einen Krieg
gegen Herzog Konrad von Masowien, der auch dem Piastengeschlecht
angehörte. Obwohl Heinrich anfangs siegreich war, gelang es schließlich
Konrad durch einen Handstreich, sich Heinrichs zu bemächtigen und ihn
gefangen zu nehmen. Als sich sein Sohn deshalb zum Kriege rüsten
wollte, widersetzte sich dem seine Mutter Hedwig. Sie übernahm die
Aufgabe zu vermitteln, wozu sie durch ihr mit tiefer Religiosität
verbundenes fürstliches Auftreten prädestiniert war. Sie erreichte
nicht nur die Freilassung ihres Gatten, sondern auch die Verlobung
zweier ihrer Enkelkinder mit Konrads Söhnen.
Mit der Zeit wurde Kloster Trebnitz ihr Lieblingswohnsitz. Aber trotz
ihrer Sehnsucht nach einem monastischen Leben - sie trug in
Trebnitz einen Klosterhabit -, legte sie nicht die ewigen Gelübde ab,
denn sie blieb sich bewußt, daß für sie als Landesmutter der
herzogliche Hof die eigentliche Stätte ihres Wirkens bleiben müsse.
Durch das späte Mittelalter fließt ein Strom versunkener Gottesschau
und Herzensfrömmigkeit: die Mystik. Auch Hedwig wurde wie ihr
Zeitgenosse, Franz von Assisi, mit dem Erlebnis einer Vereinigung mit
dem Gekreuzigten gewürdigt. In Trebnitz beobachtete einst eine
Klosterschwester, wie sich der rechte Arm des Heilands am Kreuze löste
und Hedwig segnete, wobei Christus vernehmbar sprach: "Dein Gebet ist
erhört; du wirst erhalten, was du begehrst".
1228 starb ihr Gatte. Sein Nachfolger, ihr einzig verbliebener Sohn
Herzog Heinrich II., fand wenige Jahre später ein schreckliches Ende:
Die Mongolen, welche unter Dschingis Khan um 1200 China und Zentralsien
erobert hatten, waren nunmehr bis zur mittleren Oder vorgedrungen und
vernichteten 1241 bei Liegnitz ein kleines deutsch-polnisches
Ritterheer, das von Heinrich befehligt wurde. Es heißt, daß die
Mongolen ihm das Haupt abschlugen und es - auf einen Spieß gesteckt -
im Triumph herumtrugen. Die Sieger aber verließen Mitteleuropa und
erschienen dort nie wieder.
Eine Mater Dalorosa geworden - sämtliche ihrer Kinder mit Ausnahme der
Tochter Gertrud, die Äbtissin von Trebnitz, hatte sie verloren - starb
sie dennoch erfüllt von Gottesliebe und Gottvertrauen am 15. Oktober
1243 in Trebnitz, wo sie auch ihre letzte Ruhestätte fand. Ihr Grab
wurde bald das Ziel vieler Gläubigen. Papst Klemens IV. sprach sie 1267
heilig. Die Kirche feiert ihr Fest am 17. Oktober. Die Folgen des
schrecklichen Zweiten Weltkriegs verliehen der Heiligen eine besondere
Aktualität. Wieviele vertriebene Schlesier werden in ihrer neuen Heimat
vertrauensvoll und nicht vergeblich "Mutter Hedwig von Schlesien, bitte
für uns" gerufen haben. Aber keine Heilige ist auch mehr geeignet, zur
Versöhnung zwischen Deutschen und Polen beizutragen. In diesem Sinne
richtete in den sechsiger Jahren der polnische Episkopat an die
Bischöfe Deutschlands folgende Worte: "Es kamen aus dem Westen zu uns
Apostel und Heilige, und sie gehören wohl zu dem Wertvollsten, was uns
das Abendland geschenkt hat. Zu den bekanntesten zählen wir ganz
besonders die heilige Hedwig, Herzogin von Schlesien, aus Andechs
gebürtig. Brücken bauen können eben nur heilige Menschen, nur solche,
die eine lautere Meinung und unbefleckte Hände besitzen."
***
Benützte Litertur:
Peikert-Flaspöhler, Christa: "Deutsch-polnische Litanei" , Freiburg 1990
Artikel "Hedwig" in: "Die Heiligen in ihrer Zeit", Mainz 1966
"Große Deutsche aus Schlesien", Münster-Wien 1978
Stadler, Joh.Ev.: "Vollständiges Heiligenlexikon in alphabet.Ordnung", Band 2, Augsburg 1861
"Vies des Saints", Band 10, Paris 1952
"Zeugen des Glaubens" - Die Heiligen im Diözesankalender des Erzb. München-Freising, München 1974 |