Ausgeliefert der Gnade und der Finsternis
- zum 50. Todestag von Georges Bernanos -
von
Eberhard Heller
"Man reformiert die Kirche nicht anders, als indem man an ihr leidet.
Man reformiert die sichtbare Kirche nicht anders, als indem man für die
sichtbare Kirche leidet. Man reformiert die Laster der Kirche nur,
indem man das Beispiel ihrer heroischen Tugenden verschwenderisch
ausschüttet" - mit kaum treffenderen Worten hätte Bernanos, der am 5.
Juli 1948 gestorben ist (folglich den Abfall der kirchlichen Hierarchie
nicht miterleben mußte), uns Heutige an einen Einsatz appellieren
können, dem wir nicht nur unser freies Wochenende opfern sollen,
sondern unser ganzes Leben: dem Wiedererstrahlen der Kirche, die nichts
weniger ist als die Grundlage für das weitere Schicksal der Menschen.
Wer ist dieser Dichter, der uns diese quasi-prophetischen Worte in eine
Zeit der geistigen Leiden zuruft, an denen auch er zeitlebens litt und
die den Stoff boten für eine Reihe von seinen Romanen? Am 20.
Februar wurde Bernanos 1888 als Sohn eines wohlhabenden
Innenarchitekten geboren. Er verbrachte seine Jugend auf dem
väterlichen Landsitz in Fressin / Pasde Calais. Da seine fromme Mutter
ihn gerne als Priester gesehen hätte und diesen Wunsch auch bei ihrem
Sohne hatte durchblicken lassen, trug sich der junge Georges, als er
das Gymnasium von Bourges besuchte, zunächst mit dem Gedanken,
Kleriker zu werden, wobei seine inneren Ängste, besonders vor dem Tod,
auch eine Rolle gespielt haben dürften. Ein Lehrer, dem er sich
anvertraute, erkannte dies und riet ihm davon ab. So studierte Bernanos
nach dem Abitur drei Jahre lang an der Pariser Universität Jura und
Journalismus. Danach übernahm er die Leitung einer Zeitung in Rouen.
Mit Kompromißlosigkeit und enormer Energie, schutzlos der Kritik seiner
Zeitgenossen ausgeliefert, nahm er sich dieser Aufgabe an.
Als Redakteur setzte er sich für die Ideen ein, die für ihn untrennbar
zusammengehörten: für die Förderung des katholischen Glaubens und die
französische Monarchie. Bernanos wurde ein glühender Anhänger der
Action Française, nicht sehend, daß deren Gründer, Charles Maurras, ein
erklärter Atheist, die Kirche als „National Katholizismus" nur für
seine politischen Ziele zu funktionalisieren suchte. Selbst als Papst
Pius XI. die Action Française offiziell verurteilte, hielt Bernanos
noch lange an der berechtigten Idee der Zusammengehörigkeit von Kirche
und Monarchie fest, worin er von seiner Frau Jeanne Talbert d'Arc, die
in direkter Linie von der Familie der Jungfrau von Orleans abstammte,
unterstützt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg, in den er als Patriot
freiwillig gezogen war, mußte er seine Familie, zu der noch einige
Verwandten seiner Frau hinzugekommen waren, mühsam als
Versicherungsinspektor ernähren. Doch in dieser Zeit äußerer
Bedürftigkeit und materieller Beschränktheit intensivierte Bernanos
seine literarischen Anstrengungen. 1926 veröffentlichte er seinen
ersten Roman "Die Sonne Satans", der bei seinem Erscheinen enormes
Aufsehen erregte u.a. auch bei Jacques Maritain, der von Leon Bloy zum
katholischen Glauben geführt worden war. In dem Roman - der Titel ist
zugleich Schlüssel zu Bernanos Grundanliegen! - schildert er die innere
Geschichte, das geistige Ringen und Scheitern des ungeschickten Kaplans
Donissan - begleitet von Ängsten und Skrupeln -, der sich aber in allen
Zweifeln und inneren Kämpfen bedingungslos dem Willen und der Gnade
Gottes ausliefert, aber auch konfrontiert ist mit der Bosheit dieser
Welt, doch bereit, sein Leben hinzugeben, um das ewige Leben zu
empfangen. Äußerlich scheitert er in tiefer Verlassenheit, darin aber
Christus, der am Kreuz hing, sehr nahe. Seine Gegenspielerin, die
Nihilistin Mouchette, um deren Rettung er sich bemüht, stirbt
schließlich durch ihre eigene Hand, doch in tiefster Verzweiflung. Bei
der Durchgestaltung seines Helden hatte Bernanos die Gestalt des hl.
Pfarrers von Ars vor Augen gehabt, dessen inneres Werden und
schließliches Aufgehen in Gott hier ihre literarische Nachschöpfung
erfuhren.
Thematisch wird in der "Sonne Satans" schon die Grundsituation
angesprochen, die auch für die nachfolgenden Romane ("Ein böser Traum",
"Die tote Gemeinde", "Tagebuch eines Landpfarrers", "Die Freude", deren
Hauptfigur Chantal eher fiktive Züge trägt, "Der Betrug" - eigentlich
als Kriminalroman konzipiert, der aber diese Ebene nicht erreichte -,
"Die neue Geschichte der Mouchette" - um nur einige zu nennen)
entscheidend sein sollte: das menschliche Leben - ausgesetzt der Gnade,
dem göttlichen Licht, und den Abgründen der Verirrungen, der
Finsternisse, eben der "Sonne Satans": die beiden Pole, zwischen denen
sich der Mensch entscheiden muß. Bernanos tiefe Sensibilität versteht
es, seine Figuren in dieser Spannung - teilweise Zerrissenheit - die
Gefährdung der mensch-lichen Seele, aber auch ihre Anteilnahme an der
göttlichen Gnade erfahren zu lassen. Auch des Dichters eigene Ängste
und Versuchungen schlagen sich in seinen Werken nieder - so z.B. in dem
Roman "Der Betrug".
Seit 1936 lebete Bernanos als freier Schrifsteller auf Mallorca, wo er
den spanischen Bürgerkrieg aus unmittelbarer Nähe miterlebt. Mit
wachsender Bestürzung wird er Zeuge der opportunistischen Haltung des
kath. Klerus. Seine bitteren Erfahrungen schlagen sich in der
politischen Streitschrift "Die großen Friedhöfe unter dem Mond" (1938)
nieder. Das Münchner Abkommen, das seine unheilvollen Schatten
vorauswarf, veranlaßte ihn 1938, zunächst nach Paraguay, später nach
Brasilien zu emigrieren. Hier verfaßte er eine Reihe von Aufsätzen, die
später in dem Band "Gefährliche Wahrheiten" zusammengefaßt wurden.
Weitere Artikel, in denen sich Bernanos als großer christlicher
Polemiker zu erkennen gibt, wurden von Warnach unter dem Titel "Vorhut
der Christenheit" 1950 herausgegeben. Sein posthum erschienenes
Theaterstück "Die begnadete Angst", angelehnt an eine Novelle von
Gertrud von Le Fort, ist zugleich sein politisches Testament. Im April
1948 wird er wegen eines Leberschadens in das amerikanische Hospital in
Neuilly eingeliefert, wo er am 5. Juli 1948 starb. Wie Alexander Lohner
schreibt, hatte sich Bernanos "gegen Ende seines Lebens (...) - durch
viele Irrtümer und Wirren hindurch - zu einem verinnerlichten
Christentum erhoben. Sein Beichtvater hat die letzten Stunden des
Dichters ergreifend überliefert, die wiederholten Angriffe der Angst am
Bett des Sterbenden und seine endgültige Ergebung in den Herrn. Hierin
gewann der Tod des Schriftstellers etwas von dem friedlichen Sterben
des jungen Geistlichen von Ambricourt, den Bernanos im 'Tagebuch eines
Landpfarrers' (von 1936) so liebevoll porträtiert hat." (DT vom 9.6.98)
Bernanos gehört neben Barbey d'Aurevilly (1808-1889), Leon Bloy, an
dessen Sprachgewalt er seinen eigenen Stil und seinen Sprachrythmus
schulte, Ernest Hello und Paul Claudel zu den großen französischen
Schriftstellern, die aus ihrem christlichen Glauben heraus Themen von
grundsätzlicher Bedeutung bearbeiteten und in ihren Werken
manifestierten, die dank ihrer gewaltigen künstlerischen Intensität
nachhaltige Impulse vermittelten und das Christentum als reale
Heilswirklichkeit auch einer breiteren Öffentlichkeit näherbrachten.
Als ob Bernanos die moderne religiöse Perversion geahnt hätte, schrieb
er 1940: "Ich sehe den Tag, an dem mit Maschinengewehren bewaffnete
Priester mich und andere freie Menschen an die Wand stellen und mit
Kugeln durchlöchern...". Er hat diese Wirklichkeit nicht erfahren
müssen, die für uns Heutige zur stetigen Bedrückung wird: man ersetze
lediglich die "bewaffneten Priester mit "aggressiven Modernisten" -
gerade jene, die sich für die Wahrheit des christlichen Glaubens
einsetzen, werden von denen an den Pranger gestellt, die eigentlich
berufen waren, seine Hüter zu sein.
***
"Seltsame Vorstellung, als katholischer Schriftsteller für die zu
schreiben, die Geschriebenes verachten! Bittere Ironie, überreden und
überzeugen zu wollen, während ich doch zutiefst weiß, daß der Teil der
Welt, der noch der Erlösung fähig ist, einzig den Kindern, den Helden
und den Märtyrern gehört." (Georges Bernanos) |