DIE WELTGEWANDTEN PRIESTER
UND DIE MODERNEN CHRISTEN
von
Leon Bloy
Die Summe von fünfzig weltgewandten Priestern macht noch nicht einen
einzigen Judas aus, einen Judas, der das Geld zurückbringt und sich vor
Verzweiflung aufhängt. Diese Leute sind, rundheraus gesagt,
entsetzlich. Durch sie wird der Reiche hart gemacht wie Eis durch
Schwefelsäure. Der weltgewandte Priester sagt zu dem Reichen: "Es wird
allzeit Arme bei euch geben", und mißbraucht so die eigenen Worte Jesu
Christi, um den Reichen noch etwas mehr der Verdammnis auszuliefern. Es
muß Arme geben, und wenn es nicht genug davon gibt, muß man welche
schaffen. "Selig die Armen", auch das ist gesagt worden. Wenn ihr also
die Zahl der Armen erhöht, erhöht ihr die Zahl der Seligen. Und da das
Beispiel dem Gebot Nachdruck verleiht, so ist es ganz in der Ordnung,
daß solche Apostel auch selbst reich sind oder es werden, indem sie die
Millionäre beherrschen oder ihnen zu Diensten sind.
Jesus ist auf dem Altar, in seinem Tabernakel. Soll er da doch bleiben.
Wir anderen, seine Diener, müssen hinter unseren Geschäften her sein,
die darin bestehen, mit allen Mitteln, ob sie sich nun mit der Würde
unserer Soutane vereinbaren lassen oder nicht, Geld zu ergattern. Die
Armen müssen sich damit abfinden. Gott mißt ihnen den Wind zu wie dem
geschorenen Schaf. Und auch die Reichen müssen sich damit abfinden.
]edem seine Last. Es wäre ungerecht und vernunftwidrig, zu verlangen,
die Reichen sollten die Last der Armen auf sich nehmen und die Armen
dafür mit der ihrigen erdrücken. Wenn Sie Millionen besitzen, teuerster
Bruder, so ist das ein Schatz, den die göttliche Weisheit Ihnen
anvertraut hat. Sie müssen ihn ungeschmälert für Ihre Kinder bewahren,
ihn durch gescheites Anlegen möglichst reiche Frucht tragen lassen, und
der Segen des Himmels wird nicht ausbleiben, wenn Sie sich nur nicht
allzu verwegen zu einer falsch verstandenen Nächstenliebe hinreißen
lassen. Quinque alia quinque. Hundert Prozent, wie in dem Gleichnis von
den Talenten. Das ist der Zinsfuß der Tugend. Wir werden Ihnen übrigens
sehr gern Hinweise geben, denn wir haben auf unseren Orgeln mancherlei
Register. Sollten aber die von uns empfohlenen Geschäfte Ihnen aus
Mangel an Glauben keinen guten Erfolg bringen, so können Sie wenigstens
die tröstliche Gewißheit haben, daß diese Geschäfte niemals ohne Gewinn
für diejenigen unter uns sind, die das Fett von der Brühe abzuschöpfen
verstehen.
Der Reichtum ist dem Herrn angenehm, und darum hat er Salomo mit ihm
überschüttet. Das Vae divitibus, das uns einige Anarchisten immer
wieder vorhalten wollen, ist ein offensichtlicher Abschreibefehler, der
höchstwahrscheinlich durch irgendeinen jener sturen und verlausten
Mönche hineingekommen ist, die so lange der Kirche Schande machten. Es
war höchste Zeit, die Dinge wieder richtigzustellen, und der Klerus ist
denn auch eifrig damit beschäftigt. Hinaus mit den Armen vor die
Kirchentür, oder wenigstens zurück bis in die Vorhalle mit ihnen, in
die Drängelei und in die Zugluft. Es ist ganz überflüssig, daß sie den
Altar sehen. Die zahlungskräftigen Pfarrkinder sehen ihn für sie. Das
genügt...
Der weltgewandte Priester ist für die Reichen von ungemeinem Wert. Man
langweilt sich mit ihm nicht eine Minute. Das Heil ist sichergestellt,
was man auch tut. Die gute Absicht genügt... Wenn der Arme sein
Christsein praktisch betätigen will - was kaum anzunehmen ist -, hat er
die Pflicht, an den vorgeschriebenen Tagen zu fasten und eigentlich
sogar an allen Tagen des Jahres ununterbrochen. Der reiche Christ ist
ein Held und sogar ein Martyrer, wenn er getrüffelten Truthahn in der
Fastenzeit durch Wasserhuhn oder Lachsforelle ersetzt, und der
weltgewandte Herr Abbe teilt gern diese Enthaltsamkeit mit ihm. Und wie
viel anderes noch! Aber wer vermag alles zu sagen? Das Wesentliche vor
Gott und vor den Menschen, vor allem vor den Menschen, ist der
Trennungsstrich, und die weltgewandten geistlichen Herren ziehen ihn
denn auch mit einem Finger, der ebenso lichtvoll und nicht weniger
unerbittlich ist als jener, der die zehn Gebote auf die zwei
Steintafeln des Moses schrieb.
Fragt sich bloß, ob jene Gesetzgeber "zu Gott von Angesicht zu
Angesicht sprechen, wie ein Freund zu einem Freunde spricht". Es steht
zu befürchten, und ich wage es zu behaupten, daß diese Frage noch nicht
entschieden ist. Wahrlich, das steht sehr zu befürchten. Man kann den
Reichtum noch so sehr anbeten, es hält sich trotzdem ein hartnäckiges
Vorurteil, das eigensinnig für die Armut eintritt. Es ist, als hätte
die schlichte Lanze, die Jesus durchbohrte, alle Herzen durchbohrt. Und
diese Wunde schließt sich nicht seit zwei Jahrtausenden. Unzählbar ist
die Schar der Leidtragenden, Frauen, Greise und kleiner Kinder; da sind
die Lebenden und die Toten. All dies Volk blutet, all diese Menge
verspritzt Blut und Wasser vom Kreuz des Elends herab, im Morgenland
und im Abendland, unter allen Himmeln, unter den Händen aller Henker,
unter den Hieben aller Geißeln und in den Wetterstürmen der Natur -
seit so langer Zeit! Das ist die Armut, ja, die unermeßliche Armut der
Welt, die völlige und weltumspannende Armut Jesu Christi! Das muß doch
zählen, das muß doch wiedererstattet werden!
Es gibt auch Priester, die nicht von dieser Welt sind, die armen
Priester oder die Priester der Armut, wie man sie auch nennen könnte,
die gar nicht wissen, was das ist: nicht arm sein, denn sie haben nie
etwas anderes vor Augen als den gekreuzigten Christus. Für sie gibt es
weder Reiche noch Arme; es gibt nur Blinde in unendlicher Zahl und eine
kleine Herde von wirklich Sehenden, deren demütige Hirten sie sind. Wie
die Hebräer im Lande Gosen sind sie allein im Licht inmitten der sie
dicht umgebenden Finsternis des alten Ägypten. Wenn sie die Arme
ausbreiten, um zu beten, berühren ihre Fingerspitzen die Finsternis.
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