Leserbrief:
Zum Problem des sog. 'Kirchenaustritts'
P., 15.3.98
Sehr geehrter Herr Dr. Heller!
Gerade in diesen Tagen habe ich ernstlicher über etwas nachgedacht, das
mich schon seit längerem beschäftigt und ehrlicher Weise sollte ich
dies (...) Ihnen ebenfalls mitteilen. Es handelt sich darum, ob es
richtig (die rechte Richtung) war, aus der „Kirche auszutreten“.
Eine kranke, schwache oder geistig verwirrte Mutter wird man nicht im
Stich lassen, obgleich bei einem Gespräch über diese Sache mir der
spontane Einwand gemacht wurde: „Dann gibt man sie ja in ein Heim.“ Das
heißt, man drückt sich vor der Verantwortung, vor der Sorge, dem
Kummer, der Unruhe und vielleicht auch vor der Schuld, die damit auf
einen zukommen. Ich kann darüber urteilen, denn ich habe meine, an
Cerebralsklerose erkrankte Mutter 13 Jahr lang gepflegt. Darum kann ich
das auch gut auf die hl. Kirche in der heutigen Situation übertragen.
Freilich hat man gesagt „aus dem Steuerverband austreten“ oder „es ist
ja gar nicht mehr die kath. Kirche“. Aber das sind Beschwichtigungen.
Wenn der Kopf (das Haupt) krank ist, ist der ganze Organismus krank und
in diesem Falle kann man ihn erst recht nicht allein lassen. Eine
Heilung, sofern sie in Gottes Willen liegt, kann aber nie von außen,
sondern nur von innen, aus dem Körper selber kommen. Die einsichtigen,
„guten“ Gläubigen also, die gesunden Zellen, hätten im Körper bleiben
sollen - zwar ein Risiko wegen der Ansteckungsgefahr durch die
Verderbnis des Hauptes und der kranken Zellen, aber doch auch eine
Chance für den ganzen mystischen Leib zu seiner Wiederherstellung durch
treues Ausharren und demütige Annahme des Kummers und der Mißachtung
und auch der Versuchung, einfach im Strom mitzuschwimmen. Vor allem
durch das Gebet, das gemeinsame Gebet dieser Zellen, sozusagen einer
„Bestrahlung“ und Schwächung der schädlichen und entarteten Teile des
Körpers. So aber sind wir davongegangen, haben uns verselbständigt und
sind möglicherwiese dabei, im Hochmut abzusterben oder zu Krebszellen
zu entarten und zu einem neuen körperfremden Gebilde zu werden.
Ich denke, daß diese Überlegung nicht von der Hand zu weisen ist (...).
Sie muß aus dem Glauben verstanden werden und die Ausführung erfordert
sicher enorm große Opferbereitschaft und Widerstandskraft. Am Abend vor
meinem Umzug nach P. habe ich erst erfahren, daß es in München
verschiedene Gebetsgruppen in diesem Anliegen gibt. Ich bin nicht
weiter im Bilde. Sie wirken ja auch in der Stille, aber ich mache mir
Vorwürfe, daß ich so schnell gegangen bin und überlege und bete, ob es
nicht eine Pflicht ist zurückzukehren.
(...)
Mit besten Grüßen und Wünschen
R.R.
***
Antwort der Redaktion
Sehr verehrte Frau R.,
zunächst möchte ich mich für das Vertrauen bedanken, welches Sie mir
mit der Schilderung Ihres Problems entgegenbringen. Ich möchte es
dadurch rechtfertigen, daß ich es nüchtern und sachlich behandle.
Zugleich erlaube ich mir, meine Argumente öffentlich vorzubringen, weil
das Problem der Kirchensteuerzahlung bzw. des sog. ‚Kirchenaustritts‘
eine ganze Reihe von Gläubigen betrifft, die entweder noch erhebliche
mentale oder theologische Barrieren vor einem solchen Schritt
überwinden müssen oder die wie Sie ebenfalls Gewissensbisse verspüren,
wenn sie ihn bereits getan haben. N.b. das Problem der Einstellung der
Kirchensteuerzahlung gegenüber der sog. ‚Konzils-Kirche‘ haben wir in
der EINSICHT bereits mehrfach behandelt, so u.a. von RA Hubert Necknig
in EINSICHT I,9, S. 11 und II,1, S. 14; nochmals V,3, S. 110). Auf
diese Darstellungen möchte ich Sie hinweisen, wenn Ihnen die
nachfolgenden Ausführungen nicht ausführlich genug erscheinen.
Die Frage, wem man Kirchensteuer zahlen muß bzw. soll - die Pflicht zur
Kirchensteuerentrichtung gilt in der Form, wie es in Deutschland
geregelt wird, nicht überall -, läßt sich theoretisch klar und
eindeutig beantworten: der von Christus gegründeten Kirche. Auf der
Ebene der Applikation, d.h. der Beurteilung, wo denn diese Kirche heute
zu finden ist, die berechtigt ist, diese Steuer rechtmäßig
einzufordern, ergeben sich allerdings Schwierigkeiten.
Sicherlich kann die sog. 'Konzils-Kirche' auf die Bestimmung, die von
Christus gegründete Kirche zu sein, keinen Anspruch erheben. Warum,
haben wir immer wieder dargetan: Sie ist zwar nach der Approbation des
neuen CIC in sich eine durchaus konsolidierte Glaubensgemeinschaft mit
klarer, auch sozialer Struktur, welche viele Merkmale der wahren Kirche
besitzt, sie hat aber Entscheidendes nicht: den wahren Glauben, die
gültigen Sakramente, die christliche Moral, bald auch die apostolische
Sukzession und schon längst die Beauftragung Christi. Im Zusammenhang
mit dem Problem des unbesetzten apostolischen Stuhls hatte + H.H. Dr.
Katzer die Kriterien angeführt, wann der Stuhl Petri vakant sein würde:
im Falle der Häresie oder Apostsie und im Fall des physischen Todes
eines Papstes. Im Zusammenhang mit der Häresie sprach Katzer auch von
"geistigem Tod" (im Gegensatz zu dem physischen). Die 'Konzils-Kirche'
ist gleichsam geistig tot. Darum war es keine Beschwichtigung, als man
argumentierte, die Konzils-Kirche ist nicht mehr identisch mit der
kath. Kirche, sondern eine Tatsachenbeschreibung... und diesen Leichnam
können wir trotz aller Anstrengungen nicht wiedererwecken. Darum kann
auch aus diesem toten Körper keine Regeneration "von innen, aus dem
Körper" selbst erfolgen, wie Sie das annehmen. Einen Leichnam kann man
nur noch beerdigen. (Wohl ist es möglich, daß der dezimierte, aber
gesunde Körper wieder einzelne "Zellen" integrieren kann, die nur
infiziert, aber nicht abgestorben waren, die gleichsam eine
Konversation ins Leben zurück durchgemacht haben - und darum sollten
wir beten!)
Was ich Ihnen allerdings konzidiere, ist die mentale Schwierigkeit,
sich vorzustellen, daß diese röm. kath. Kirche (fast) in toto in
Häresie fallen würde bzw. gefallen ist. In der Kirchengeschichte kam es
zwar des öfteren zum Abfall ganzer Teilkirchen: durch Arius im 6.
Jahrhundert, in England unter Heinrich VIII., in Deutschland durch die
Reformen Luthers. Doch zur gleichen Zeit war die Kirche in anderen
Teilen sehr aktiv, leistete energisch Widerstand gegen diesen Abfall.
Entscheidend aber war, daß in all diesen Krisen die Hierarchie
weitgehend intakt blieb. (Und selbst Rom erlebte in der Mitte des 3.
Jahrhundert das "novatianische Schisma".) Doch einen Abfall in diesen
Dimensionen, dessen Zeugen wir heute werden, gab es in der
Kirchengeschichte nocht nie. Er übersteigt die Einbildungskraft vieler
Gläubiger... es kann nicht sein, was man sich nicht vorstellen kann
bzw. sich vorstellen möchte.
Andererseits aber können diese überforderten Gläubigen recht klar
bestimmte Erscheinungen kritisieren. Häufig läuft eine Gedankenkette
etwa so ab: der Hl. Vater und die Bischöfe sind eigentlich ja
häretisch, weshalb sie nicht mehr Glieder der wahren Kirche sein,
geschweige denn die Hierarchie dieser Kirche darstellen können. Aber
dann muß es doch die Kirche als Gesamtorganisation noch geben, das
Magisterium muß existieren, den kath. Kindergarten, das Altersheim
braucht man noch, und dann muß die Kirche doch noch irgendwie
weiterbestehen, dann sagt der 'Hl. Vater' gelegentlich etwas, was den
rechten Glauben widergibt, und dann kehrt man doch wieder zu der
Vorstellung zurück: er ist dennoch der Hl. Vater (ohne
Apostrophierung). Man kann sich in diesem Labyrinth aus Mythos und
Realität, aus Teil-Reflexionen und Gefühlsmomenten, aus theologischem
Nicht- oder Halbwissen, aber richtiger Intuition, zwischen Hoffen und
Fürchten sich unkontrolliert hin- und herbewegen und je nach Stimmung,
das herauspicken, was man gerne möchte.
Was aber hier Ausdruck von Verunsicherung, theologischem Nicht-Wissen
und geistiger Not ist, das - diesen Selektionismus - kann man auf der
anderen Seite auch als taktisches Moment einsetzen, indem man das, was
Mgr. Wojtyla Richtiges sagt, als Grund für seine Anerkennung hernimmt,
und das, was einem nicht paßt, seinen menschlichen Schwächen, die er ja
auch haben darf, zurechnen, um so nach Gutdünken diesen Selektionismus
gleichsam zum Prinzip zu erheben, wie es die Econer tun. Ein Papst in
ihren Augen ist fehlbar und unfehlbar, menschlich und un- bzw.
übermenschlich zugleich. Daß bei dieser Position die Heiligkeit der
Kirche und die Unfehlbarkeit des Papstes auf der Strecke bleiben,
erwähne ich nur am Rande. Die Econer nehmen somit selbst die Cathedra
selbst ein, auf der eigentlich der Nachfolger des hl. Petrus sitzen
sollte. (Verfeinert und theologisch kultivierter wird dieser
Selektionismus von den sog. Des-Laurieristen in Savoia di Verrua
vertreten, die sogar die Annahme ihrer These vom "Papa materialiter non
formaliter" zur Bedingung machen, um bei ihnen Aufnahme zu finden.
Auch wenn nun klar geworden ist, daß wir der 'Konzils-Kirche' keine
Kirchensteuer zufließen lassen dürfen, weswegen wir aus dem
Steuerverband "Römisch-katholische Kirche" - nicht aus der
Kirchengemeinschaft! - austreten müssen, sind wir dennoch verpflichtet,
die Kirche und ihre Diener finanziell zu unterstützen. Aber wo ist sie,
die Kirche, wer dient ihr? (N.b. leider darf in Deutschland die
'Konzils-Kirche' den Titel "Römisch-katholische Kirche", der durch das
Namensrecht geschützt ist, weiterführen, obwohl der Name eigentlich uns
zustehen würde, die wir die wahre Kirche repräsentieren und fortführen
wollen.)
Zwischenbilanz: Wie Sie gesehen haben, sehr verehrte Frau R., ist
es zwar leicht festzustellen, wen wir mit unserer Kirchensteuer
nicht unterstützen dürfen, es bedarf aber erheblicher Reflexionen und
Anstrengungen der Urteilskraft herauszufinden, wer Anspruch auf unsere
finanzielle Unterstützung hat.
Früher gingen wir naiv davon aus, daß Priester, die die alte Messe
lesen, auch Mitglieder der wahren Kirche seien bzw. sein wollten und
auch die rechte Einstellung hinsichtlich ihrer Entscheidung besäßen -
einfach schon deshalb, weil sie sich gegen die Reformen stämmten und
sie ablehnten. Diejeni-gen, die aus dem Steuerverband
"Römisch-katholische Kirche" ausgetreten waren, ließen ihre
Kirchensteuer diesen Geistlichen zukommen. Aus heutiger Sicht, d.h. aus
der Erkenntnis, daß es sich bei den Reformen nicht um einen
theologischen 'Unfall', sondern um einen bewußten Umbau in eine andere
'Kirche' handelte und die Reformgegner sich daran gewöhnen mußten, an
einen Wiederaufbau der Kirche, an ihre Restitution als Heilsinstitution
zu denken, reicht das Kriterium "alte Messe" nicht mehr aus. Ich
erwähne nur jene Kleriker, die sog. 'Kundendienst' leisten: nach Wunsch
'mal die 'neue Messe', 'mal die alte Messe. Sie gehören sicherlich
nicht zu uns ins Lager der Sedisvakantisten. Ebenso jene nicht, die die
'Indultmesse' im Auftrag der 'Kirche' lesen oder die zwar permanent
'ungehorsam' sind, aber Mgr. Wojtyla als Hl. Vater anerkennen, z.B. die
Econer, Des-Laurieristen in Savoia di Verrua, d.i.die Gruppe um die
Zeitschrift "Sodalitium". Wieder eine andere Richtung
traditionalistischer Priester liest die alte Messe, ohne sich um die
Rechtfertigung und ohne sich um das Problem fehlender kirchlicher
Beauftragung zu kümmern. Die Frage nach der Erlaubtheit wird einfach
mit einem diffusen Begriff eines allgemeinem Notstandes gerechtfertigt,
womit sie eher sektiererische Ziele verfolgen.
Wer bleibt dann noch übrig? Welche Priester können als Glieder und
Repräsentanten der wahren Kirche angesehen werden, die auf unsere
finanzielle Unterstützung (Kirchensteuer) Anrecht haben?
Das sind jene,
- die am Wiederaufbau (Restitution) der
Kirche arbeiten, d.h. deren Anstrengungen über die einfache
Sakramentenspendung hinausgehen
- die sich bewußt sind, daß sie die Sakramente nur im Auftrag der
Kirche spenden dürfen und die ihr Engagement entsprechend rechtfertigen
(können)
- die das derzeitige Hierarchie-Dilemma zu lösen versuchen
- die Kontakt halten zu den anderen kirchlichen Gemeinden
- die bereit sind, sich einer restituierten Hierarchie zu unterwerfen.
Und wer immer noch Kirchensteuer an die 'Konzils-Kirche' zahlt, sollte
sich doch überlegen, daß er die "toten Werke" dieser Institution
finanziert - was moral-theologisch und kirchenrechtlich als
Unterstützung kirchenfeindlicher Institute beurteilt bzw. verurteilt
wird. Denn damit geben sie ihr die Möglichkeit, das Gift der Häresie
weiter zuverbreiten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr E. Heller
P.S. Wenn Sie in der Tat aus der (ich setze in Klammern: wahren) Kirche
ausgetreten wären, sehr verehrte Frau R., wäre das sicherlich fatal,
wenn Sie so wollen, sogar 'lebensgefährlich' gewesen!
***
Selbstverständlich ist dieser Schritt, sich förmlich von der
'Konzils-Kirche' zu trennen, auch von denen zu vollziehen, die keine
Kirchensteuer zahlen müssen, um anzuzeigen, daß sie rechtgläubig
geblieben sind und diesem reformerischen Kirchenverband nicht angehören
wollen. |