DER HEILIGE INNOZENZ I.
von
Eugen Golla
Obwohl er nächst dem hl. Leo dem Großen der bedeutendste Papst des
fünften Jahrhunderts ist, wissen wir sehr wenig über
seine Person. Es steht nicht einmal fest, ob er der Sohn eines nicht
weiter bekannten Innozenz aus Albano ist oder, wie es der hl.
Hieronymus in einem seiner Briefe schreibt, der Sohn und Nachfolger des
Papstes Anastasius I., wobei jedoch hier auch "geistlicher Sohn"
gemeint sein kann. Fest steht, daß Klerus und Volk Roms ihn einstimmig
Ende 401 oder zu Beginn des Jahres 402 zum Papst gewählt haben.
Sein Pontifikat fällt in die letzten Jahrzehnte des Bestehens des
Weströmischen Reiches, das kaum noch imstande war, den von allen Seiten
heranstürmenden Westgoten standzuhalten. Auch die Kirche hatte viel zu
leiden. In dieser schweren Zeit wurden ihr aber auch viele große
Heilige geschenkt, die sie verteidigten. Es seien nur die bedeutendsten
genannt: Johannes Chrysostomus, Augustinus, Hieronymus.
Auf den selbtbewußten, tatkräftigen und weitblickenden Papst Innozenz,
der sich zwar weniger als Theologe, aber dafür umso mehr als
Organisator auszeichnete, warteten viele Aufgaben, deren Inangriffnahme
und Lösungen, auch wenn sie nicht immer glückten, ihm einen
maßgeblichen Anteil am Ausbau der päpstlichen Macht sichern
sollten.
Daß er sich zum Ziele setzte, nach dem strengen römischen Vorbild zu
regieren, zeigte er bereits kurz nach seinem Amtsantritt, als er den
Bischof von Thessalonich zum Vorsitzenden der Ost-IIlyrischen Kirchen
ernannte. Sein Nachfolger erhielt sogar den Rang eines päpstlichen
Vikars, somit Stellvertreter Roms, dem die Obergewalt über sämtliche
Metropoliten der Reichspräfektur Illyrien - dem nordwestlichen, an die
Adria grenzenden Balkangebiet - zustand. Dies hatte zur FoIge, daß sich
wenigstens einige Zeit der römische Einfluß nach Osten ausdehnen
konnte und der drohende Anschluß dieses Gebietes an Konstantinopel
verhindert wurde.
Allerdings waren den Bemühungen Innozenz', auch in der östlichen
Reichshälfte den Anspruch auf den Primat zu erlangen, Grenzen gesetzt.
Dies zeigte sich vor allem, als er zugunsten des verfolgten Patriarchen
von Konstantinopel, des hl. Johannes Chrysostomus, intervenierte.
Dieser war infolge der Eifersucht des Patriarchen von Alexandrien,
Theophilos, sowie der Ränke der Intriganten am kaiserlichen Hofe, denen
seine Strenge verhaßt war, verbannt worden. Auf des heiligen
Patriarchen Bitte wollte der Papst zuerst eine Synode einberufen, aber
sie kam nicht zustande, und eine von Honorius, dem Kaiser des
Westreiches abgesandte Deputation an seinen kaiserlichen Bruder
Arkadius wurde in Konstantilnopel derart demütigend behandelt, daß
Innozenz die kirchliche Gemeinschaft mit Ostrom abbrach, aber mit
Chrysostomus und seinen Anhängern weiter verbunden blieb. Er stellte
die kirchliche Gemeinschaft nach dem bald erfolgten Tode von
Chrysostomus erst dann wieder her, nachdem dessen Name in den Diptychen
(der Fürbittenliste der Gottesdienste, auf denen die aufgeführt waren,
für die vor der Wandlung gebetet wurde) stand.
Von Norden bedrohte der junge westgotische Heerführer Alarich Italien.
Kaiser Honorius beschloß daher, seine Residenz in das von Sümpfen
umgebene Ravenna zu verlegen, zumal dessen in der Glanzzeit Roms
bedeutender Hafen versandet war und deshalb eine Landung zur See
unmöglich machte. Des Kaisers Flucht hatte zur Folge, daß das Volk Roms
den Papst nunmehr als den eigentlichen Herrn der Ewigen Stadt
ansah und dessen politische Bedeutung stark zunahm, zumal Honorius -
ein schwacher Regent - der bedrohlichen Lage nicht gewachsen war.
Als Alarich 408 Rom belagerte und erst nach Zahlung einer bedeutenden
Summe zum Abzug bereit war, versuchte Innozenz an der Spitze einer
Delegation den Kaiser zu einer gotenfreundlicheren Politik zu
bewegen; dieser erste Schritt eines Papstes auf dem Gebiete der
Politik schlug aber fehl. Während er noch in Ravenna weilte, um zu
versuchen, Honorius eine Vermittlung anzubieten, erstürmte Alarich 410
Rom. Der spanische Priester und lateinische Kirchenschriftsteller
Orosius schrieb, daß die göttliche "Vorsehung Innozenz, dem neuen Loth,
dem Untergang des neuen Sodoma entzogen habe". Alarich Iieß es zwar zu,
daß die etwa eine Million Einwohner zählende Riesenstadt furchtbar
verwüstet und zerstört wurde, aber er verschonte wenigstens die meisten
Kirchen, besonders die Basiliken der Apostelfürsten Petrus und Paulus,
die der Bevölkerung als Asyl dienten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß
Innozenz auch mit Alarich verhandelt und die Verschonung der
Gotteshäuser auf seine Bitten zurückzuführen ist.
Es schien, daß die Ewige Stadt, die wenige Jahrzehnte zuvor begonnen
hatte, der Mittelpunkt des christlichen Abendlandes zu werden, dem
Untergang geweiht sei; ähnlich wie 1527 nach Kaiser Karls V. "Sacco di
Roma" glaubten viele, daß Rom niemals wieder erstehen werde. Zu einem
der bedeutendsten Werke der Weltliteratur gab diese schwere Heimsuchung
den Anlaß: zu Augustinus "Gottesstaat" ("De civitate Dei"), einer
geschichtsphilosophischen Verteidigung des Christentums gegenüber den
Heiden, die Roms Zerstörung als Strafe für die Vernachlässigung der
alten Götter deuteten.
Etwa zu Beginn des Pontifikates Innozenz I. ließ sich ein britischer
Laienmönch namens Pelagius, der sich äußerlich durch einen streng
christlichen Lebenswandel auszeichnete, in Rom nieder. Etwa zehn Jahre
später begab er sich mit seinem Schüler, dem redegewandten Caelestius
nach Nordafrika und versuchte dort, seine später "Pelagianismus"
genannte Häresie zu verbreiten, welche die Notwendigkeit der Gnade zur
Erfüllung des natürlichen und christlichen Sittengesetzes verneinte,
woraus logischerweise die Leugnung der Erbsünde folgt, da Adam seiner
Nachkommenschaft dann nur durch sein böses Beispiel geschadet habe.
Nachdem die Bischöfe Afrikas die Gefährlichkeit dieser Lehre erkannt
hatten, wandten sie sich an den Papst, obwohl Karthago, stolz auf seine
Vorrechte, Rom zwar um seine Meinung zu fragen pflegte, aber sehr
selten Befehle entgegennahm.
Mit apostolischer Autorität, aber doch zurückhaltend - er drohte dem
Pelagius mit dem Ausschluß aus der Kirche, aber zögerte, ihn nach Rom
zu zitieren - mißbilligte Innozenz diese Häresie; zugleich lobte er
aber auch die auf der Synode zu Karthago versammelten Bischöfe, daß sie
sich zur Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit gemäß alter
Tradition nach Rom gewendet hätten: "Besonders, wenn es sich um einen
Gegenstand des Glaubens handelt, erachte ich, daß alle unsere Brüder
und Mitbischöfe nur an Petrus, d.h. an den Urheber ihres Namens und
Ehrenranges, berichten dürfen". Der heilige Augustinus, überzeugt
von der Lehrautorität Roms, schrieb: "Die Angelegenheit ist erledigt,
möge gleichermaßen auch der Irrtum ein Ende finden". Letzteres fand
allerdings erst unter den Nachfolgern des Papstes statt mit Hilfe der
Widerlegungsschriften Augustins.
Wie schon erwähnt, trug Innozenz viel zur Stärkung des päpstlichen
Primates bei. Eifrig bemühte er sich, das Ansehen des Heiligen Stuhles
zu erhöhen. Seine Verordnungen sind für Kirchenrecht und
Kirchengeschichte von hoher Bedeutung. Über seine Regierungsweise geben
uns seine zahlreicher als von seinen Vorgängern überlieferten Briefe,
deren Inhalt in einem autoritativen Ton gehalten ist, sowie seine
Dekretalen Aufschluß. So schreibt er z.B., daß jeder anerkennen müsse,
daß das, was der erste der Apostel, Petrus, der Kirche anvertraut habe
und sich bis zum heutigen Tage erhielt, von allen befolgt werden müsse
und nichts hinzugefügt oder eingeführt werden dürfe, das ohne Autorität
oder fremd sei.
Mit großer Strenge wachte er auch über die kirchliche Disziplin. So
bestimmte er, daß sowohl Priester als auch Diakone von jeder
Gemeinschaft mit einer Frau ausgeschlossen seien und verbot, die damals
nicht seltene Sitte, Frauen wegen Ehebruchs härter zu bestrafen als die
Männer.
Der hl. Innozenz starb am 12. März 417. Sein Fest feiert die Kirche am
28. Juli. Im Meßformular sind außer ihm die Heiligen Nazarius, Celsus
und Victor I. miteinbezogen.
***
Benutzte Literatur:
Seppelt, F. X.: "Geschichte der Päpste" München 1954
Artikel "Innozenz" in : "Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche", 9. Bd. Leipzig 1901.
"Vies des Saints", Band 6, Paris 1948
Wetzer und Welte "Kirchenlexikon", 6. Band, Freiburg 1889. |