UNFEHLBAR UND FEHLBAR ZUGLEICH
- Stellungnahme zu einem Beitrag von Mgr. Williamson -
von
Christian Jerrentrup
In seinem Artikel "Zwischen Liberalismus und Sedisvakantismus"
(Mitteilungsblatt Nr. 232, April 1998, S. 11-13) äußert sich Mgr.
Richard Williamson zur kirchlichen Unfehlbarkeit und zur Sedisvakanz.
Seine Darlegungen, ursprünglich auf englisch im "Rundbrief an die
Freunde und Wohltäter" vom 4. Februar 1998 erschienen, dürfen als
offizielle Stellungnahme der "Priesterbruderschaft St. Pius X."
angesehen werden und verdienen deshalb nähere Betrachtung.
Williamsons Ausführungen beginnen mit einer handfesten
Falschinformation der Leser: Sedisvakantisten vertreten angeblich die
Position, "die Päpste der letzten 20, 30 oder 40 Jahre seien zu liberal
gewesen, um echte Päpste zu sein" (ebd., S. 11, li. Sp.). Die
Kernaussage der Sedisvakanzposition ist nun aber gerade die, daß die
Nachfolger Pius XII. offenkundige Häretiker und Apostaten sind
und deshalb als Scheinpäpste angesehen werden müssen. Diese Position
ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit genau dieser Begründung
öffentlich bekannt; seit der Declaratio von Mgr. Thuc aus dem Jahre
1982 ist sie auch in kirchenrechtlich verbindlicher Weise manifestiert.
Es ist ausgeschlossen, daß Williamson sie nicht kennt. Man fragt sich,
was er mit seiner gezielten Falschinformation eigentlich bezweckt.
Nach diesem sonderbaren Anfang wendet Williamson die Lehre von der
Unfehlbarkeit der Kirche auf die abgefallene "Amtskirche" an: "[Es
steht] alleine im Belieben Gottes [...], wie weit Er es zuläßt, daß
Seine Kirche fehlgeht, ohne daß sie deshalb aufhört, Seine Kirche zu
sein." (ebd., S. 11, li. Sp.). Weiter unten liest man: "Die
Kirchengeschichte zeigt, in welchem Maße Gott zulassen kann, daß Seine
Kirche fehlbar sei. Ein Großteil der Kirche in Häresie befangen ... -
die Kirche hat all dies erlebt!". (ebd., S. 12, re. Sp.). Williamson
versteigt sich gar zu der Behauptung, daß die göttliche Gabe der
Unfehlbarkeit nicht darin bestehe, "daß ein Großteil der Kirche, ein
Konzil oder ein Papst nie einen Irrtum begehen könne" (ebd., S. 12, re.
Sp.)
Derlei Ungeheuerlichkeiten hatte in dieser Schärfe bisher nur Martin
Luther vorgetragen ("Auch Konzilien können irren und haben geirrt",
Luther am 5. Juli 1519 auf der Leipziger Disputation gegenüber Eck).
Williamson verwechselt die Sünden und Irrtümer der Kirchenmitglieder
und die Irrungen und Wirrungen der Kirchengeschichte - die ja niemand
leugnet - mit der Heiligkeit und Irrtumslosigkeit der Kirche selbst. Da
die Kirche der makellose Leib Christi ist, geht sie nie fehl (1). Gehen
Mitglieder in die Irre, führt dies in schweren Fällen (Schisma,
Häresie, Apostasie) zum Ausschluß dieser Mitglieder, nie aber zum
Fehlgehen der Kirche. Die Entwicklung seit dem Tode Pius XII. hat
gezeigt, daß der Ausschluß von Mitgliedern durch Häresie und Apostasie
mengenmäßig gewaltige Dimensionen annehmen kann.
Williamsons Ansicht ist häretisch, weil sie die Unfehlbarkeit der
Kirche leugnet. Man überlege sich: Christus hat die Kirche mit seinem
Blute erkauft, damit sie dann möglicherweise "fehlgeht"! Das
"Fehlgehen" ist aber andererseits "nicht unvereinbar mit der göttlichen
Unfehlbarkeit der Kirche" (ebd. S. 12, re. Sp.). Die Kirche ist also
fehlbar und unfehlbar zugleich! Diesen Widerspruch kann nun keiner mehr
nachvollziehen. Die Unfehlbarkeit der Kirche ist Folge ihrer
Heiligkeit. Die Annahme, die Kirche sei unfehlbar und fehlbar zugleich,
hat zur Voraussetzung, die Kirche sei heilig und sündig zugleich.
Dieser undenkbare Widerspruch ist zwar zuletzt von Pius XII. in
"Mystici corporis" verworfen worden (s. Fußnote 1), entspricht aber
aufs genaueste der häretischen "Kirchenlehre" von "Vatikanum II": "[Die
Kirche] ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht
immerfort den Weg der Buße und Erneuerung." (Dogmatische Konstitution
über die Kirche, 21. November 1964, 8, 3, zit. n. LThK, 2. Auflage,
XII, 175) (2). Williamsons theologische Bastelei ist direkte Folge der
ekklesiologischen Häresie von "Vatikanum II". Ein Abgrund tut sich auf.
Williamsons Kirchenbegriff erweist sich darüber hinaus als Zwecklüge.
Ist die Kirche unfehlbar und fehlbar zugleich, kann man sich aussuchen,
welche Lehren man annimmt und welche nicht. Natürlich würde Williamson
antworten, er nehme die "unfehlbaren" Lehren an, die "fehlbaren" (z.B.
Vatikanum II) weise er zurück. Nach welchem Kriterium aber entscheidet
er, welche Lehren unfehlbar sind und welche nicht? Um das entscheiden
zu können, muß Williamson sich selbst als Lehramt ansehen. Sein
Bekenntnis zur "Tradition" ist in Wahrheit ein Bekenntnis zur absolut
gesetzten eigenen Willkür. Diese sucht sich heraus, was ihr paßt (z.B.
"Tridentinische Messe") und lehnt ab, was ihr nicht paßt (z.B.
"Gehorsam gegenüber dem Papst als Oberhaupt der Kirche"). An Stelle der
Willkür von "Vatikanum II" tritt die Willkür der
"Priesterbruderschaft". Welch merkwürdige Übereinstimmung im
Prinzipiellen!
Gläubige erwarten von einem Hirten ein Ja für ein Ja und ein Nein für
ein Nein. Vom rechten Glauben hängt das ewige Heil ab. Häresien
bedrohen den rechten Glauben. Sie und ihre Urheber müssen daher ohne
Menschenfurcht deutlich beim Namen genannt werden. Nun ist
festzustellen, daß Williamson sich permanent weigert, die Aussagen von
Vatikanum II und der nachfolgenden Entwicklung in Rom theologisch
präzise zu qualifizieren ("Häresie", "Apostasie"). Er behauptet statt
dessen, daß "der Stellvertreter der Wahrheit" - er meint Wojtyla - "im
Irrtum verstrickt ist" (ebd. 13, re. Sp.). Das II. Vatikanum habe
"ernstliche Irrtümer" hervorgebracht, der Klerus habe sich "ernsthaft
verfehlt", die Kirche sei zur Zeit "entstellt", die "Neo-Modernisten"
hätten die Sittenlehre und Moral "unglaubwürdig" gemacht usw. Mit solch
absichtlich nebulösen Aussagen kann niemand etwas anfangen. Die
Gläubigen sollen weiter im Dunkeln tappen.
Nicht weiter verwunderlich ist Willliamsons Haltung zu seinem
Weihbischof Lefebvre: dessen Kurs in der Papstfrage sei "weise"
gewesen, weil die Annahme, Roncalli, Montini, Luciani und Wojtyla seien
keine wahren Päpste, "Probleme aufwerfe, die schwieriger seien als die
scheinbare Lösung ... woher solle ein anderer Papst kommen" (ebd., S.
13). Das ist so, als wenn die Zeitgenossen Jesu gesagt hätten: "Wir
können die schwierige Frage, ob Jesus der Messias ist, jetzt nicht
definitiv entscheiden; wir warten das Urteil der späteren
Geschichtsschreibung ab." - Die Wahrheit ist keine Sache der Taktik
oder des Beliebens, sondern der freien, aber energischen Bejahung. Wo
eine geforderte Entscheidung in völliger Evidenz möglich ist, ist
Entscheidungsscheu verwerflich. Jesus hat diese Entscheidungsscheu
verurteilt: "Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich" (Mt 12, 30; Lk
11, 23).
Gipfel der Verwirrung ist der gefährliche Appell an das Gefühl statt an
die Ratio. Als der spätere Mgr. Guérard des Lauriers in einem Brief an
Lefebvre vom April 1979 dessen Anbiederung an das abgefallene Rom als
theologische Inkonsequenz scharf geißelte, war Lefebvres Antwort:
"[Dieser Brief] läßt mich so sehr an die Szene denken, die Unser Herr
von der Soldateska erduldet hat, daß ich es vorziehe zu schweigen wie
der göttliche Meister und für die zu beten, die uns verfolgen"
(EINSICHT IX, Nr. 3 (September 1979), 93). Sentiment statt Argument!
Waren die Apostel das Licht der Welt, entpuppte sich Lefebvre als
Nebelwerfer. In seinen Spuren wandelt heute Williamson. So wie der Sohn
Gottes, "dieser verlachte, erschöpfte und blutende Mann", auf seinem
Kreuzweg trotzdem "Gott sei", so seien auch "die Päpste wahre Päpste",
konstruiert er (ebd., S. 12, li. Sp.). Phraseologie statt Theologie!
Auf den Nebelwerfer Lefebvre folgt der Dunkelmann Willliamson. Daß
Christus, der Gute Hirte, Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums gab,
konnten nicht einmal seine Henker verhindern. Es blieb Williamson, dem
Besseren Hirten, vorbehalten, die schreckliche Passion des Sohnes
Gottes als Rechtfertigung für die Lüge der Priesterbruderschaft zu
mißbrauchen.
Unabhängig von dieser blasphemischen Dimension sind die Darlegungen von
Williamson auch wissenschaftlich wertlos. Williamson hat das Ergebnis
vor dem Beweis. Das Ergebnis ist ihm aber aus politisch-taktischen
Gründen vorgegeben und muß auf jeden Fall heißen: Vatikanum II ist ein
(schlechtes, aber) rechtmäßiges Konzil, Roncalli, Montini, Luciani und
Wojtyla sind (schlechte, aber) rechtmäßige Päpste. An der "Begründung"
dieses Ergebnisses wird solange gedreht, bis der "Beweis" paßt. Die
wissenschaftliche Redlichkeit bleibt auf der Strecke, die Wahrheit wird
Mittel zum Zweck. Williamson muß direkt die Unfehlbarkeit, indirekt die
Heiligkeit der Kirche leugnen, damit die subtile Konstruktion aufgeht.
Seine Hoffnung, der Durchschnittsleser werde seine Häresien nicht
durchschauen, wird sich wohl erfüllen. Williamsons Position ist nicht
die der Wahrheit, sondern die der "rechten Mitte". Mag man diese
Position auch "weise" nennen, sie hat ihre Verurteilung aus dem Munde
Christi bereits erfahren: "Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Was
darüber hinaus geht, ist vom Bösen" (Mt 5, 37).
Anmerkungen:
1) Die Unfehlbarkeit der Kirche
ist immerwährende Lehre der Kirche über sich selbst und auf dem (1.)
Vatikanum noch einmal verbindlich dargelegt ("...jene Unfehlbarkeit,
mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche in der Entscheidung in
Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte...", DS/DH 3074).
Sie kann auch als Vernunftwahrheit plausibel gemacht werden: Weil Jesus
von der Befolgung seiner Lehre das ewige Heil aller Menschen abhängig
macht, muß umgekehrt jeder Mensch, nach Maßgabe seiner persönlichen
Umstände, die Möglichkeit haben, diese Lehre unverfälscht kennen zu
können; sonst wäre die Forderung Jesu in sich widersprüchlich. -
Die Unfehlbarkeit ist hinsichtlich ihrer Grenzen genau bestimmt. Vor
allem gilt sie nicht für den poli-tischen und wissenschaftlichen
Bereich.
Die Unfehlbarkeit der Kirche ist Ausfluß ihrer Heiligkeit. Es ist
Glaubenssatz, daß die von Jesus Christus gegründete Kirche heilig ist:
"Ich glaube an die heilige katholische Kirche..." (Aus dem
Glaubensbekenntnis). Die Kirche ist heilig, weil sie der fleckenlose
Leib Christi ist. So wie Christus als Gott-Mensch heilig war, so ist
auch die Kirche heilig. Papst Pius XII. lehrt: "Ohne Fehl erstrahlt
unsere verehrungswürdige Mutter in ihren Sakramenten, durch die sie
ihre Kinder gebiert und nährt, im Glauben, den sie jederzeit unversehrt
bewahrt, in ihren heiligen Gesetzen, durch die sie alle bindet ..."
(Enzyklika Mystici Corporis, 29. Juni 1943, zit. nach Siebel, Wigand,
Katholisch oder konziliar, München 1978, 74).
Die Heiligkeit der Kirche ist unabhängig von der Heiligkeit ihrer
Mitglieder. So wie Jesus während seines Lebens auch mit z. T. massiven
Sündern Umgang hatte, ohne daß dies seine Heiligkeit in Mitleidenschaft
gezogen hätte, so wird auch die Heiligkeit der Kirche durch die Sünden
ihrer Mitglieder nicht beeinträchtigt. Weil die Kirche nie sündig sein
kann, unterliegt ihre Heiligkeit auch keiner zeitlichen "Abnutzung"
oder "Schwankung" im Laufe der Kirchengeschichte. Die Kirche ist immer
heilig. Häretisch ist also die Ansicht, die Kirche sei sündig, ebenso
häretisch die Ansicht, die Kirche sei heilig und sündig zugleich.
2) Allein dieser häretische Satz genügt, um "Vatikanum II" als Pseudosynode hinwegzufegen. |