DER HEILIGE VINZENZ FERRER
von
Eugen Golla
Gott erbarmte sich in den Zeiten der furchtbaren kirchlichen Wirren des
zu Ende gehenden Mittelalters und sandte in Vinzenz Ferrer einen großen
Heiligen, der mittels seiner Bußpredigten und Wunder viele zum wahren
Glauben zurückführen konnte. Einer vornehmen katalanischen Familie
entstammend, wurde er 1350 in Valencia geboren. Bereits mit siebzehn
Jahren trat er in das Dominikanerkloster seiner Vaterstadt ein. Infolge
seiner Begabung konnte er studieren und schon 1378 Philosophie, ab 1385
auch Theologie lehren.
In dieser Zeit herrschte bereits das große abendländische Schisma. Es
war ein besonderes Verdienst der heiligen Katharina von Siena, daß 1377
Gregor XI., der letzte legitime avignonesische Papst, unter großem
Jubel der Römer in die Ewige Stadt zurückkehrte. Jedoch war nach seinem
bereits im Jahre darauf erfolgten Tode eine Anzahl französischer
Kardinäle mit dem Verbleiben des Papstes in Rom nicht einverstanden.
Einige peinliche Vorkommnisse beim Konklave Papst Urbans VI.,
insbesondere Unruhen unter der Bevölkerung, die sich in die Wahl
einmischen wollte, aber auch Urbans Grausamkeit sowie sein Mangel an
diplomatischem Geschick veranlaßten die rebellierenden Kardinäle, auch
in Avignon wieder einen Papst zu wählen, der vor allem von Frankreich
unterstützt wurde. Allerdings darf man ein solches Schismas nicht mit
der gegenwärtigen Lage der Kirche vergleichen: auch der Gegenpapst
verstieß nicht gegen Glaubenswahrheiten. Daß aber zwei große Heilige -
Katharina von Siena und Vinzenz Ferrer - sich in der Papstfrage
gegenüberstanden, legt gleichsam für eine immense Verwirrung Zeugnis ab.
Frühzeitig entschied sich Ferrer für den avignonesischen Gegenpapst
Klemens VII.. Bestärkt wurde er in dieser Parteinahme, als er vom
Kardinal Pedro de Luna, dem spanischen Legaten von Klemens VII., den
Doktorhut erhalten hatte und er auch weiterhin von ihm zu Diensten in
Anspruch genommen wurde, so als Begleiter auf dessen Reise zum
französischen König. Allerdings machte sich Ferrer von Anfang an
Gedanken über die Möglichkeiten der Behebung der Kirchenspaltung, die
nach seiner Meinung weder von einem Konzil noch durch
Privatoffenbarungen, sondern gemäß den kirchenrechtlichen Bestimmungen
nur durch das Kardinalskollegium behoben werden könnte.
1394 wurde Pedro de Luna unter dem Namen Benedikt XIII. der zweite
Gegenpapst. Umgehend bat er Vinzenz, Valencia zu verlassen und in seine
Residenz in Avignon zu kommen, wo er ihn zu seinem Beichtvater und
Palastmeister ernannte. Ferrer war zwar von der Rechtmäßigkeit
Benedikts XIII. überzeugt, aber er ruhte nicht, seine einflußreiche
Stellung dazu zu benützen, Benedikt immer wieder zu ermahnen, sich um
die Beilegung des Schismas zu bemühen. Obwohl Luna vor seiner Wahl in
diesem Sinne eifrig tätig war, hielt er, nach seiner Wahl, hartnäckig
an dem Anspruch, der rechtmäßige Nachfolger Petri zu sein, fest.
Dies veranlaßte Ferrer, sich in ein Kloster Avignons zurückzuziehen und
sich eifrig mit der Lesung der Heiligen Schrift zu befassen sowie als
Seelsorger zu wirken. Verzweifelt über die weitere Dauer der
Kirchenspaltung beschloß er 1398, Avignon zu verlassen, obwohl ihm
Benedikt XIII., der in ihm eine wichtige Stütze zur Behauptung der
Papstwürde sah, das Bistum Valencia angeboten hatte. Die Legende
erzählt, daß ihm, der vor Kummer krank geworden war, nachts Jesus
erschien, ihn heilte und beauftragte, als Bußprediger gleichsam auf
einem apostolischen Kreuzzug Italien, Spanien und Frankreich zu
durchwandern.
Im Besitze weitgehender Vollmachten begann er daher im darauffolgenden
Jahr eine Kampagne der Buße und Reform, die so gut organisiert und
volkstümlich war, wie keine andere des Mittelalters.
Zuerst führte er seinen Missionsauftrag im südlichen Frankreich durch,
das ihn, obwohl es sich in der Zwischenzeit von Benedikt XIII.
losgesagt hatte, mit Jubel und Begeisterung empfing. Von 1401-1403
evangelisierte er das nördliche Italien, wo ihn auch Bernardin von
Siena hörte, der kurze Zeit danach in den Franziskanerorden eintrat. In
Savoyen bekämpfte er die Sekten der Waldenser und Katharer und begab
sich dabei in die abgelegensten Täler der Alpen, in denen er vielfach
vollständige religiöse Unkenntnis antraf. In Spanien besuchte er das
noch unter islamischer Herrschaft befindliche Granada, wo es ihm
gelang, zahlreiche Mohammedaner zu bekehren; Erfolge waren ihm auch
unter den Juden Toledos beschieden.
Es folgten ihm aber nicht nur große Volksmassen: viele begleiteten ihn
auch auf seinen Wanderungen. Unter ihnen ragten die in lange weiße
Gewänder gekleideten sog. Flagellanten hervor, die sich strengen
Bußübungen unterwarfen. Diese Geißlerfahrten fanden mancherlei
Mißbilligung, selbst der einflußreiche Augustiner-Theologe Gerson
(1363 - 1429) warnte vor Absonderlichkeiten. Doch wa-ren keine
Auswüchse zu verzeichnen: Vinzenz hielt sie in strenger Zucht und
Ordnung.
Ferrer selbst übte die strengste Askese. Die ersten fünfzehn Jahre
legte er, mit einem Stock in der Hand, die weiten Strecken zu Fuß
zurück. Erst die letzten Jahre zwang ihn ein Fußleiden, auf einem Esel
zu reiten. Er gönnte sich nur fünf Stunden Schlaf, den Rest der Nacht
widmete er dem Gebet und der Betrachtung. In der Früh hörte er Beichte,
las die Messe, segnete das Volk und die Kranken. Die danach gehaltenen
Predigten dauerten oft zwei, manchmal sogar bis zu sechs Stunden. Daß
er insgesamt zwanzigtausendmal das Wort Gottes verkündet haben soll,
ist durchaus möglich, da er am Tage meist wiederholt zu den Gläubigen
sprach.
Vinzenz legte häufig die Apokalypse aus, wobei ihn auch die
apokalyptische Deutung der Geschichte des italienischen Zisterziensers
Joachim von Fiore (1130-1202) beeinflußte. Bisweilen bezeichnete er
sich als Engel der Apokalypse und begann seine Predigten mit den
Worten: "Fürchtet Gott und ehret Ihn, denn es naht die Stunde des
Gerichtes." Tatsächlich besaß ja die damalige Zeit eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem drohenden Weltende: Seuchen, zwei, später sogar
drei Päpste, das Auftreten der Häretiker Wiclif und Hus, der furchtbare
hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich. Ferrer wirkte
nicht nur durch seinen Aufruf zur Bekehrung und zur Askese, sondern
auch mittels seiner Charismen. Mögen auch seine zahllosen Wunder zu
einem großen Teil legendären Ursprungs - d.h. ohne sichere
Dokumentation - sein, so ist doch seine übernatürliche Predigtbegabung
erwiesen, da er, der nur in seiner Muttersprache predigte, auch von den
Nicht-Spaniern verstanden wurde.
Nachdem auf dem sogenannten Konzil von Pisa 1409 ein dritter Papst
gewählt worden war, drängte Vinzenz Benedikt XIII. immer stärker (wegen
der Lösung des Schismas), auf seine Würde zu verzichten, denn es sei
besser, in Armut zu leben, als die Zwietracht in der Kirche zu fördern;
aber Luna ignorierte seine Vorhaltungen.
In diesen Jahren verfaßte Vinzenz den „Tractatus de Vita spirituali“
(„Abhandlung über das geistliche Leben“), sein bedeutendstes Werk, eine
Art Lehrbuch der Askese für Novizen und ein Vorläufer der "Nachfolge
Christi", durch das auch die hl. Theresia und der hl. Ignatius
inspiriert wurden.
Vinzenz wurde auch zur Teilnahme am Konzil von Konstanz eingeladen,
dessen 1414 erfolgte Eröffnung er begrüßte. Als er aber von den
herrschenden Spaltungen vernommen hatte, versprach er zwar, sich dessen
Beschlüssen zu unterwerfen, zog es aber vor, seine Missionsreisen
fortzusetzen.
Am Dreikönigstag 1416 sagte er sich im Dom zu Perpignan auf lateinisch
und spanisch von Luna los, der im Gegensatz zu den beiden anderen
Päpsten auf seiner angemaßten Würde beharrte. Der 1417 in Konstanz
gewählte rechtmäßige Papst Martin V. bestätigte Ferrer die ihm
seinerzeit erteilten Vollmachten, als er in der Bretagne missionierte,
die er nicht mehr verlassen sollte. Gebrächlich geworden, ermahnten ihn
daher seine Freunde, in die spanische Heimat zurückzukehren. Nach
langem Zögern verließ er zwar die Stadt Vannes, aber bereits zwölf
Stunden später kehrte er dorthin erschöpft wieder zurück. Ein heftige
Fieber befiel ihn, dem er in der Passionswoche am 5. April 1419 erlag.
Seine letzte Ruhestätte fand er in der Domkirche zu Vannes, als sein
Festtag wurde sein Sterbetag festgesetzt, der 5. April.
Nach einer Predigt beglückwünschte Ferrer einst einen jungen Priester
namens Alonso Borgia, dem er voraussagte, er werde als Papst ihn eines
Tages heiligsprechen. Tatsächlich wurde Alonso Gorgia unter dem Namen
Calixtus III. 1455 Papst. Als solcher machte er sich zwar bei der
Abwehr derTürken verdient, die Europa bedrohten, fügte aber auch der
Kirche schweren Schaden zu, indem er seinen Neffen Rodrigo Borgia, den
späteren Alexander VI. in das Kardinalskollegium aufnahm.
Wenige Monate nach seiner Erwählung kanonisierte Calixtus Ferrer, dem
als einem der größten Bußprediger des Mittelalters nachhaltige
Bedeutung zukommt. Die Heiligsprechungsbulle fertigte aber erst sein
Nachfolger Pius II. aus, in der zu lesen ist, daß Vinzenz Ferrer gleich
einem Engel, der am Himmel fliegt, allen Bewohnern der Erde das
Evangelium verkündet und allen Nationen, allen Stämmen, allen Zungen
und allen Völkern die Heilsbotschaft gebracht und dargelegt habe, daß
der Tag des Gerichtes nahe sei.
***
Benutzte Literatur:
Causas, Felix: "Der Gerichtsengel", Der hl. Vinzenz Ferrer, in: "Saka Informationen", Nr. 7 – 9, Juli – Sept. 1994.
Artikel "Vinzenz Ferrer" in : "Dictionaire de Spiritualité", Band 16, Paris 1994.
Stadler, Joh. Ev..: "Vollständiges Heiligenlexikon in alphabetischer Ordnung“, Bd. 5, Augsburg.
"Vies des Saints", Band 4, Paris 1946.
Wetzer und Welte "Kirchenlexikon", 12. Band, Freiburg 1901. |