STELLUNGNAHME
zum Aufruf Pauls VI. zum WELTFRIEDENSTAG
von
Alois Schnitzler
Diesem Aufruf fehlt jede Bitte und Gebet an den Herrgott, Er, der
Allmächtige, möge doch den Verantwortlichen über Krieg und Frieden die
Erleuchtung schenken, daß die Erhaltung des Friedens für die ganze
Menschheit die meisten Vorteile in sich birgt. Nachdem diese Bitte an
den Herrgott fehlt, so bräuchte man am Aufruf nur den Einleitungs- und
Schlußsatz sowie die Unterschrift weglassen und kein Mensch der ganzen
Erde würde erraten, daß dieser Aufruf vom Vorstand der katholischen
Kirche, vom Führer der Katholiken der ganzen Welt, vom Wahrer und
Verteidiger der katholischen Lehre und deren Gebote an die
Weltöffentlichkeit verkündet wurde.
Studierte und unstudierte Menschen, ja selbst Theologen würden
erklären, hier habe ein Demokrat, ein Jurist irgendeiner
Weltfriedens-Bewegung seine Meinung kundgetan. Niemand käme auf den
Gedanken, daß dieser Aufruf von einem Papst stammt.
Dabei handelt ee sich bei diesem Aufruf nicht um eine
Stegreifansprache, die aus dem Augenblick heraus entstenden ist,
sondern es iet eine überlegte Ansprache, die an die ganze Menscheit
gerichtet ist. Eine Ansprache, die G1egenheit geboten hätte, den Wert
des sittlichen, moralischen und geistigen Führungsanapruchs der
katholischen Kirche herauszuheben. Eine alljährlich sich nur einmal
bietende Gelegenheit, den Nachweis zu führen, daß die Befolgung der
christlichen Lehre das einzige und sicherste Mittel ist, der Welt den
Frieden zu erhalten. Keine menschliche Lehre, keine Wissenschaft und
keine menschliche Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit führt so zielsicher
zum Frieden wie die Befolgung der Lehre Christi.
Statt diese Möglichkeit zu nutzen, diese Urkraft der göttlichen Lehre
in ihrer Zielsetzung für friedliches Nebeneinander der Menschen den
Gläubigen und Ungläubigen zu künden, kündet, uns der Vorstand der
Katholiken der ganzen Welt, Friede und Gerechtigkeit könne auf (das
wandelbare) Rechtsempfinden, auf menschliche Wahrhaftigkeit und
Gerechtigkeit aufgebaut werden.
Dabei erlebt es die Menschheit doch immer wieder, daß sich das
Rechtsempfinden und die sich daraus bildende Gerechtigkeit fast immer
nach dem Willen der Führer von Organisationen und Regierungen
ausrichtet.
Das Suchen um die richtige Auslegung des Rechts und der Gerechtigkei
ist selbst bei leidenschaftslosen Rechtslehren und deren
Wissenschaftlern unterschiedlich. Dies können wir festst1en in al1en
zur Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit anstehenden Fragen, der Weltfragen
auf sozialem Gebiet, in allen Fragen der Wirtschaft, sowie in den
Fragen der kleinen und großen Politik. Ja, es zeigt sich heute, daß
diese Wahrhaftigkeit und Rechtsauffassung auch in unserer katholichen
Kirche weit auseinandergeht.
Wenn du den Frieden willst, so wird uns im Aufruf gesagt, dann setze
dich für die Gerechtigkeit ein. Seit die katholische
Priesterschaft ihr Recht um der Gerechtigkeit willen fordert,
seither fehlt ihr der Sinn und der Wille zur Ein- und
Unterordnung, zum Verzichten und Opfern. Man will nicht mehr
Kreuzträger sein! Seither fehlt aber auch die Demut und Ehrfurcht vor
dem Allerheiligsten, es fehlt am Prieden und an der Einheit in unserer
ganzen römisch-katholischen Kirche.
Ich stelle fest: Jeder Führer einer Organisation und einer
Volksregierung behauptet, er sei im Recht, er allein setze sich für die
Gerechtigkeit ein. Und je lauter und stärker sich diese Führer für ihre
vermutlichen Rechte einsetzen,
um so mehr fühlen sich diese Führer berufen, ihre Anhänger und Mitläufar zur Unzufriedenheit anzufeuern;
um so mehr fordern sie ihre Leute auf, doch mehr Gerechtigkeit vom Gegner zu fordern;
um so mehr fühlen sich die Anhänger dieser Führer verpflichtet, für ihr
vermeintliches Recht und die Gerechtigkeit zu kämpfen, ja in den Krieg
zu ziehen.
Wir erleben es doch immer wieder, daß materielle oder weltanschauliche
Intereseen im Namen der Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit verteidigt und
wie darum Kriege geführt werden.
Und wer hat schließlich Recht von den sich kampffreudig gegenüberstehenden Rechthabern?
Ich als katholischer Laie habe die Überzeugung: Nicht das Studium über
Recht, Freiheit und Gerechtigkeit sichert der Menschheit den Frieden,
sondern nur der gute Wille zum Frieden.
Die Menschen sollen - ich persönlich sage: müssen - auch einmal bereit
sein, auf ein Recht zu verzichten, ein Unrecht zu ertragen, auch einmal
Verständnis für die Probleme des Nächsten aufzubringen, ein Opfer für
den Prieden zu bringen, auch einmal Böses nicht mit Bösem zu vergelten.
Eine solche menschliche - sagon wir es ruhig: christliche - Einstellung
zum Nächsten, zum Gegner häuft glühende Kohlen auf das Haupt des
Gegners und läßt eisige Gegnerschaft leichter schmelzen. Solches
Wollen, solche Taten fordert Christus mit seinem Gebot der christlichen
Liebe zum Nächsten. Christus hat nie nach sogenanntem Recht, nach
Wahrhaftigkeit oder Gerechtigkeit seine Urteile gefällt, sondern immer
in der Liebe und im Vorständnis für Menschlichkeiten.
Ich fühle mich als Katholik im Recht und ich bin auch der festen
Überzeugung, der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit zu dienen, wenn
ich Stellung beziehe gegen die Feststellung, die im Aufruf Pauls VI.
enthalten ist: Wenn du Frieden willst, setze dich für die Gerechtigteit
ein. Es dürfte gute Vertreter des Rechts geben, die dieser Bebauptung
Recht geben; doch es wird auch gute Vertreter dea Rechts geben, die
meiner Überzeugung ihre Zustimmung nicht versagen.
Doch ich will keine Entscheidung des Rechts, ich will nur in der Liebe
Christi auf das Fehlen christlicher Bagründung in der Erklärung Pauls
VI. zum Weltfriedenstag hinweisen.
Hätte man anstelle des jeweils geltenden Rechts das Gebot der
christlichen Liebe befolgt, dann wäre Christus nie gegeißelt, nicht mit
Dornen gekrönt und nicht gekreuzigt worden. Dann wären nie Christen
verfolgt, gepeinigt, gemartert und getötet worden. Dann hätte man nie
versucht, Menschenrassen und Anhänger irgendeinar Religion auszurotten.
Dann hätte man nie Menschen wegen ihres Gerechtigkeitssinnes in
Gefängnissen oder KZ's während der Nazizeit tyrannisiert und getötet.
Dann würden heute nie Menschen in Ländern diktatorisch regiert, ihres
Lebens beraubt oder in Irrenhäusern untergebracht.
Menschliche Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit ist immer fraglich, ist
immer mit menschlichen Fehlern behaftet. Eine solche Menschlichkeit
sollte nie und nimmer von der katholiachon Kirche als Hauptstütze des
Friedens genannt werden. Je stärker der menachliche Gerechtigkeitssinn
herausgestellt wird, um so mehr gibt man Anlaß zur Verteidigung dieser
menechlichen Gerechtigkeit, zum Kampf gegen andere Menschen und deren
Überzeugung.
Die katholische Kirche hat göttliche Wege zum Frieden zu lehren, hat
göttliche Zielsetzung zu künden und auf die möglichen Erfolge solch
erstrebenswerter Ziele hinzuweisen. Aufgabe der Kirche ist es, sich von
menschlichen Führungsprinzipien und der erdachten Gerechtigkeit zu
lösen. Niemand weiß dies besser als die katholische Kirche, daß alle
weltlichen Gesetze dem Gebot der christlichen Liebe untergeordnet sein
müssen. Alle Gesetze und alle Gerechtigkeit, die dem Gebot der
christlichen Liebe widerspricht, steht im Widerspruch zum ersten und
wichtigsten Gebot der Lehre Christi.
Ein einziges Mal und nur ganz am Schluß des Aufrufs nimmt Paul VI. auf
Christus Bezug, wo es heißt: ... sie schöpft Kraft aus der Sicherheit,
daß Er, Christus, unser Friede ist. (1) Dabei ist weder für die
Ungläubigen, ja nicht eimnal für die Christen der Nachweis erbracht
worden, wie die Lehre Christi für den Frieden unter den Menschen wirkt.
Und darüber bin ich mißgestimmt, enttäuscht, verärgert.
Diese Ansprache zum Weltfriedenstag kündet den Menschen nichts von den
tiefsten und höchsten Geheimnissen unserer Religion und deren
Auswirkung auf das Zusammenleben der Menschen. Doch gerade vom
Stellvertreter Christi müßten die Menschen darauf hingewiesen werden,
daß es höhere Werte gibt als den vergänglichen Wert der Erde, als alles
menechliche Denken und Handeln je erbringen können.
Wenn der Aufruf aus Rom zum Weltfriedenstag von all den Führern auf
sozialer Ebene, in der Wirtschaft und Politik, nicht zum Erfolg führt,
und wenn der Segen unseres Herrgotts nicht spürbar wird, dann ist eben
reiner Menschengeist, der dem Aufruf anhaftet, schuld daran.
Anmerkung:
(1) Angeblich das Ergebnis der Bischofskonferenz vom Herbat 1971 in
Bom. Zu dieser Bischofskonferenz habe ich bereits in meinem Aufsatz
"Weihnacht, das Fest der Liebe" in Nr. 9 der EINSICHT Stellung bezogen.
Ergänzt wurden diese Ausführungen durch den Aufsatz ''Ein Jahr
wechselt" in Nr.10/Januar 1972.
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