250.000 Kinder werden jährlich in Deutschland bereits im Muttlerleib getötet - Verbände kämpfen für das Recht auf Leben
Michael Waldherr
(aus: JUNGE FREIHEIT 40/03 26. September 2003)
Die Zahl ist monströs: In Deutschland werden jedes Jahr rund 130.000
Föten abgetrieben - wenn man den amtlichen Angaben des Statistischen
Bundesamtes glaubt. Lebensschützer vermuten aber, daß noch viel mehr
ungeborene Kinder im Mutterleib getötet werden - die meisten
rechtswidrig, aber straffrei nach der sogenannten Beratungsregelung in
Paragraph 218a Absatz 1 Strafgesetzbuch.
Abtreibungsgegner schätzen die Dunkelziffer auf einen sechsstelligen
Bereich. "Nach vorsichtigen Berechnungen handelt es sich um rund
250.000 Fälle pro Jahr, rund ein Viertel bis ein Drittel unseres
Nachwuchses", sagt Claudia Kaminski, die Vorsitzende des
Bundesverbandes Lebensrecht (BVL), in dem sich Abtreibungsgegner und
Lebensschützer zusammengeschlossen haben. Zu den bekanntesten gehören
die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), die Christdemokraten für das
Leben (CDL) und die Juristen-Vereinigung Lebensrecht (JVL).
Groß ist inzwischen das Wehklagen bundesrepublikanischer Politiker über
die drohende Vergreisung der deutschen Gesellschaft - eine
demographische Katastrophe, die die sozialen Sicherungssysteme
kollabieren läßt. Und dann dieser Irrsinn: Jahr für Jahr wird
quantitativ die Population einer Großstadt vernichtet, bevor sie
überhaupt das Licht der Welt erblickt. "Die extreme negative
demographische Entwicklung ist eines der Hauptprobleme Deutschlands -
und es ist ganz wesentlich durch die hohe Zahl an Abtreibungen
geprägt", davon ist die Ärztin und BVL-Chefin Claudia Kaminski
überzeugt.
95 Prozent aller Abbrüche zahlen die Kassen
Seit 1976 wird die Masse dieser Abtreibungen von den Krankenkassen
finanziert. In seinem Urteil vom 28. Mai 1993 hat das
Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88.203) diese bis dahin geltende
Praxis überwiegend für verfassungswidrig erklärt. Aber der Bundestag
hat am 21. August 1995 durch das "Gesetz zur Hilfe für Frauen bei
Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen" eine Ersatzregelung
getroffen, die dazu führt, daß die frühere Praxis nahezu bruchlos
weitergeführt wird. So werden nach diesem Gesetz rechtswidrige
Abtreibungen, die unter den Voraussetzungen des Paragraph 218a Absatz 1
StGB vorgenommen werden, von den Krankenkassen als Sachleistung
gewährt, wenn die Einkünfte der jeweils betroffenen Frau gewisse
Einkommensgrenzen, die deutlich über den Sozialhilfesätzen liegen,
unterschreiten. Das Einkommen des Ehemannes oder Partners bleibt dabei
unberücksichtigt.
"Eine Prüfung der Bedürftigkeit durch die Krankenkassen findet so gut
wie nicht statt. In der Praxis werden 95 Prozent aller
Schwangerschaftsabbrüche von den Krankenkassen als Sachleistung
übernommen. Die Anwendung des Gesetzes beschränkt sich also entgegen
dem Wortlaut keineswegs auf besondere Fälle, sondern bildet den
Regelfall", erklärt Kaminski. Gegenüber dem früheren, vom
Bundesverfassungsgericht gerügten Zustand hat sich praktisch nur
geändert, daß die Länder den gesetzlichen Krankenkassen die dadurch
entstehenden Kosten zu ersetzen haben. Vor diesem Hintergrund fordert
der Bundesverband Lebensrecht im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform
eine Überprüfung der Finanzierung von Abtreibungen durch den Fiskus. In
einem Brief des BVL an alle Bundestagsabgeordneten heißt es: "Nach
dieser vom Gesetz sanktionierten Praxis wird die Tötung von bis zu
300.000 ungeborenen Kindern in Deutschland als eine durch
Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern zu refinanzierende
Staatsaufgabe begriffen." Die Bundestagsabgeordneten werden
aufgefordert: "Ãœberdenken Sie diesen Komplex mit dem Ziel, durch Gesetz
mindestens jede Beteiligung des Staates oder anderer
öffentlich-rechtlicher Körperschaften an der rechtswidrigen Tötung
ungeborener Kinder zu beenden."
Für diese Forderung gibt es neben moralischen noch viele andere gute
Gründe. Die gesetzliche Ren-tenversicherung gerät gerade auch deshalb
in eine ausweglose Situation, weil die für ihr Funktionieren
unerläßliche Generation künftiger Beitragszahler dezimiert wird. "Der
gleiche Staat, welcher in der Rentenversicherung das Fehlen des
Nachwuchses beklagt, finanziert über andere Gesetze dessen Tötung. Eine
solche Logik kann man keinem ernsthaft mitdenkenden Bürger nahe
bringen", schreibt die BVL-Vorsitzende in ihrem Brief an die deutschen
Volksvertreter. Inzwischen bezeichnet Kaminski die Reaktionen auf den
Anfang September verschickten Brief als positiv, wenn auch verhalten.
"Wir haben eine Reihe sehr ermutigende Antworten von Parlamentariern
erhalten, die unsere Haltung unterstützen", erklärte Kaminski auf
Anfrage der JUNGEN FREIHEIT.
Der BVL erkennt auch einen Zusammenhang zwischen der Liberalisierung
der Abtreibung und der Zunahme von Gewalt unter Jugendlichen: "Jede
Abtreibung ist ein Gewaltakt gegen die wehrlosesten Glieder der
Gesellschaft. Die Tatsache, daß der Staat diese massenhaften Vorgänge
nicht zur Kenntnis nimmt, sondern sogar selbst mit vielen Millionen
Euro jährlich fördert, ist für die gesamte junge Generation ein
falsches Signal. Durch diese Praxis wird deutlich gemacht, daß der
ungeborene Mensch nichts wert ist, sondern mit Gewalt und sogar mit
Hilfe des Staates getötet werden darf. Es ist ausgeschlossen, auf einer
solchen Basis jungen Menschen noch eine Vorstellung von Menschenwürde
auch der Geborenen zu vermitteln."
Der BVL beklagt weiter, daß eine Unterscheidung zwischen Recht und
Unrecht durch die geltende Finanzierungspraxis von Abtreibungen
verlorengeht: "Für das Rechtsbewußtsein in unserem Volk ist es
unerträglich, daß rechtswidrige Handlungen durch Zwangsbeiträge oder
Steuern vom Staat gefördert werden." Die daraus resultierende
Verwirrung hat sich inzwischen bis in die Gerichte ausgebreitet.
Einerseits darf die Tötung ungeborener Kinder nach einer Entscheidung
des Bundesgerichtshofs als "Babycaust" bezeichnet werden, andererseits
ist es zweifelhaft geworden, ob man Handlungen, die das
Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt hat, auch in der
Öffentlichkeit rechtwidrig nennen darf, ohne - wie vor dem Landgericht
Heilbronn geschehen - verurteilt zu werden. Der BVL mahnt: "Die junge
Generation zu rechtsstaatlichem Denken zu erziehen, wird auf diese
Weise erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht."
Dem Staat fehlt an allen Ecken und Enden Geld
Wo dem Staat an allen Ecken und Enden das Geld fehlt, ist die Finanznot
von Krankenkassen und öffentlicher Hand ein gewichtiger Grund, die
bisherige Praxis zu ändern. Abtreibungen auf Kran-kenschein verursachen
jedes Jahr nicht zu rechtfertigende hohe Ausgaben. So schreibt der BVL:
"Es kann nicht sein, daß an vielen Stellen Leistungen des Staates
gekürzt werden, die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder
Folgekosten durch das Post Abortion Syndrom jedoch tabu bleiben." Unter
diesem Syndrom versteht man die seelischen Erkrankungen, die Frauen
oftmals nach einer Abtreibung erleiden und die mitunter lebenslang
therapiert werden müssen.
"All diese Gründe sind gewichtiger als das private Interesse, sich
seiner Selbstverantwortung zu entledigen und die zudem tragbaren Kosten
eines Schwangerschaftsabbruches auf die Allgemeinheit abwälzen zu
können", findet Kaminski.
Ob die Bundestagsabgeordneten das genauso sehen, werden die Beratungen
der nächsten Monate zeigen. Doch die Erfahrung lehrt: Die rot-grüne
Bundesregierung und die Liberalen werden sich höchstwahrscheinlich
wieder das "Selbstbestimmungsrecht der Frau" auf die Fahne schreiben
und solch "reaktionäre" Ansichten empört zurückweisen. Und die von
wertkonservativen Verfallser-scheinungen gebeutelte Christen-Union wird
beten, daß der bittere Kelch einer erneuten Abtreibungsdiskussion ihr
erspart bleiben möge.
Adressen von Lebensrechtsorganisationen:
Bundesverband Lebensrecht, Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, Tel: 030 / 44 05 88 66,
Fax: 030 / 44 05 88 67, E-Post: info@bv-lebensrecht.de
Aktion Lebensrecht für Alle e.V., Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg, Tel. 08 21 / 51 20 31,
Fax 08 21 / 15 64 07, E-Post bqs@alfa-ev.de
Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V., Postfach 50 13 30, 50973 Köln. Tel. 02 21 / 13 44 78,
Fax 02 21 / 2 22 59 57, E-Post: info@juristen-vereinigung-lebensrecht.de
Aktion Leben e.V., Postfach 61, D-69518 Abtsteinach/Odw., Tel.: 06201-2046, Fax: 06201-23848,
E-Mail:post@aktion-leben.de
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NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN...
BEDINGUNG DER EU? - Polens Präsident Kwasniewski und die katholische
Kirche haben sich gegen eine "weitere Liberalisierung" des nationalen
Abtreibungsgesetzes ausgesprochen. Die Regierungspartei versucht diese
Liberalisierung in Polen per Gesetz über "verantwortete Elternschaft"
zu erreichen. Nebenbei sieht der Gesetzesentwurf eine obligatorische
Tei]nahme am Sexualkundeunterricht ab der ersten Vorschulklasse vor.
(Vgl. kathpress, 22.9.2004) Anmerkung: Die Regierung erfüllt vermutlich
nur die Beitrittsbedingungen der EU! (nach: AKTION LEBEN, Nr. 5/04) |