Wurzel, Stamm und Krone
von
Dr.theol. Otto Katzer
Vor vielen Jahren, kurz vor dem Zweiten Weltkriege, hatte ich im Schlaf
ein eigenartiges Erlebnis. Laut und warnend
erscholl eine Stimme: "Die Krone muß mit dem Stamm
verbunden bleiben!" Lange wußte ich nicht, was dies zu bedeuten habe.
Als aber immer häufiger sich aus dem Munde der Priester hören ließ:
"Benedictus Dominus Deus n o s t e r " - und nicht, wie es sein
sollte: "Benedictus Dominus Deus I s r a e l ", wurde mir alles
auf einmal klar. I s r a e l mußte aus den Gebeten
ausgeschaltet werden, denn es war dem Zeitgeist zuwider und wie wir ja
wissen, mit dem Zeitgeist ist nicht zu spassen. Ein aggiornamento war
notwendig; scheinbar, deshalb wurde schmerzlos der Herr Gott I s
r a e l s zu unserem Gott, als ob Er es früher nicht gewesen
wäre. Die Tragweite dieser Vergewaltigung des Wortes Gottes wurde
jedoch von denen, die sich dieses Vorgehen haben zuschulden kommen
lassen, nicht erfaßt, verschuldeterweise, ebensowenig waren sie sich
bewußt, daB sie sich gegen den Heiligen Geist vergangen hatten, wie
auch der Gefahr des Kirchenbannes sich ausgesetzt z.B. Denzinger 1809.
Wort hin - Wort her, ein Wort ist ja fast nichts, ein flatus
vocis. Das solches Wehen der Stimme im Bruchteil einer Sekunde eine
große Stadt wegfegen kann, über 150.000 Menschen im Augenblick ums
Leben bringen kann, wie noch unzählige fortsetzend bis auf den heutigen
Tag, wußte um diese Zeit von den "mündigen Übermenschen" noch niemand;
Hiroshima war für die meisten ein gänzlich unbekannntes Wort.
Wenn schon ein rein menschliches Wort "Atombombe" bei seiner
"Inkarnation" sich derartig verheerend zeigt, was für eine Bedeutung
müssen wir da dem inspirierten Worte zuschreiben und
mit äußerster Vorsicht mit ihm umgehen! Die Folgen seines Mißbrauchs
übersteigen weit, unvorstellbar mehr die Folgen einer physikalischen
Explosion.
Es wäre schon höchste Zeitt mit den Phantasmagorien
des Affen-, Delphinen- und Kosmos-Menachen ein Ende zu machen, welche
das naturwisseschaftliche Problem, denn für den Glauben gibt es
diesbezüglich kein Problem, niobt nur nicht lösen, sondern die Lösung
hinausschieben und unaussprechlieh komplizieren.
Wie strahlend steht diesen Schatten-Trugbildern die Wahrheit der
Genesis gegenüber, des ersten Buches Moses, welches mit der Schöpfung
der Welt und des Menschen beginnt, wenn wir auch zu berücksichtigen
haben, wer es war, der dieses Buch geschrieben hat, für wen und
weshalb. Darüber zu sprechen ist heute nicht unsere Aufgabe, die
Herrlichkeit des Menschen ist es, mit der wir zu beginnen haben, wie
auch die traurigen Folgen seines Falles.
Da wir uns von der Erhabenheit unserer Ureltern kaum annähernd ein Bild
schaffen können, sind uns auch die Folgen ihres Falles einfach
unvorstellbar. In diesem Zusamenhang müssen wir den Übertreibungen
ebenso wie den Unterschätzungen aus dem Wege gehen.
Majestätisch klingen die Worte der Heiligen Schrift: "Lasset uns den
Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich! Herrschen soll er über
die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über
alles Wild des Feldes und über alles Gewürm, das am Boden kriecht!" So
schuf Gott den Menschen als sein Abbild. Als Gottes Abbild schuf er
ihn. Er schuf sie als Mann und Frau." (Gen. 1,26-27)
Nicht nur der Seele nach, sondern auch dem Leibe, wurde der Mensch
unmittelbar von Gott geschaffen. Daß natürlioh die Phantasie des
Menschen bei diesen Worten sofort zu arbeiten beginnt und gerne dabei
wäre, ist bei seiner Wißbegierde leicht zu verstehen. Dem menschlichen
Geist ist es aber noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß er leicht
einer optischen Täuschung zum Opfer fällt und glaubt, z.B. ein
Apfelkern sei einfacher und infolgedessen leichter zu erschaffen, als
ein bereits blühender und Früchte tragender Apfelbaum. Daß es sich bei
der Annahme einer Urzelle, aus welcher alles lebende Wesen seinen
Ursprung nimmt, nicht um ein einfachen Etwas handelt, sondern um ein
Wunder, welches die Erschaffung des Menschen unendlich überragen würde,
will uns ebenfalls nicht einleuchten. In einem solchen Falle, müßten
wir von einer D e s z e n d e n z im vollen Sinne deS
Wortes sprechen, von einem Herabsteigen vom Vollkommenerem in etwas
Unvollkommeneres, wogegen sich jedoch das Wertbewußtsein des Menschen
wehrt, und zwar mit Recht.
Die Abstamung des Weibes vom Manne, wie rätselhaft sie nun zu sein
scheint, erhöht nur noch die Würde des Menschen. Von Adam und Eva, wie
die heilige Schrift die ersten Menschen nennt, stammt nun das ganze
Menschengeschlecht ab. Die Einheit des Menschengeschlechtes gehört zum
katholischen Glaubensgut, und ist auch naturwissenschaftlich als sicher
belegt zu betrachten. (Vgl. Manuel critique de Biologie, par Lefèvre
J., Masson Paris 1938, S. 44)
Es ist Glaubenssatz, daß der Mensch aus zwei Wesensbestandteilen
besteht, nämlich aus Leib und Geistseele, wobei wir gleich bemerken
wollen, daß es mit dem hl. Gregor von Nyssa korrekter ist zu sagen, der
Körper sei in der Seele, nicht etwa die Seele im Körper. Die Lokalität
des dreidimensionalen Raums kann hier als Vorstellung nicht gebraucht
werden. Auch ist zu betonen, daß das "Ich"' Geist, Seele wesertlich
dasselbe ist. Was das Verhältnis Leib-Seele betrifft, gilt der
Glaubenssatz, daß die Geistseele unmittelbare Wesensform des Leibes ist
und daß der Leib in seiner Existenz von ihr abhäntig ist.
Die Seele des Menschen ist unsterblich. Es gibt eine dreifache
Unsterblichkeit: die essentielle Gottes, die natürliche der Seele und
die übernatürliche des leiblichen Menschen. Die Lehre von einer
allgemeinen Menschheitsseele (Averroismus) wurde in der Bulle
"Apostolici regiminis" von Leo X. beim V. Lateranischan Konzil
verworfen (Dens. 733). Der Ursprung der Seele läßt sich nur aus einem
unmittelbaren Akte der Erschaffung aus nichts begreifen.
Als natürlich betrachtet die Philosophie das, was einem Ding seiner
Substanz nach gehört, um das zu sein, was es sein soll. (Summa 1, 2,
10, 1c.) Also
"1. alles, was das Wesen einer geschaffenen Substanz innerlich
konstituiert, seien es nun essentielle oder integrierende
Wesensbestandteile;
2. alles, was aus dem Wesen des Dinges spontan hervorgeht (z.B.
Anlagen, Talente, Kräfte) oder doch durch eigene und fremde
Kraftanstrengung daraus hervorgehen kannn (z.B. Kunstfertigkeit,
Dressur);
3. alles, was zwar außerhalb des betreffenden Dinges liegt, aber doch
zu seinem Bestande (z.B. Nahrung, Luft), zu seiner Entwicklung (z.B.
Unterricht, Gesellechaft, Staat) und zu seiner Zielerreichung (z.B.
Gotteserkenntnis, Willensfreibeit) notwendig ist. Will man diese drei
Momente auf ihren kürzesten Ausdruck bringen, so kann man sie mit einem
Worte als "Naturanspruch" (debitum naturae) bezeichnen. ...
"Übernatürlich" heißt alles das, was nicht "natürlich" in dem soeben
beschriebenen Sinne ist. Wenn also das Natürliche als etwas dem Dinge
Geschuldetes dasteht, so kann das Charakteristische des Übernatürlichen
nur im konträren Gegensatz des Ungeschuldeten liegen (naturae indebitum
s. gratuitum) und zwar nicht bloß im negativen Sinne, wie man auch die
Erschaffung "ungeschuldet" nennen kann, sondern auch und vornehmlich im
positiven Sinne, d.h. gegenüber dem schon existierenden, mit allem
Notwendigen ausgerüsteten Geschöpf. Weil aber das Übernatürliche nicht
über oder neben der Natur schwebt, sondern wie ein aufgepfropftes
Edelreis in der Natur ist und wirkt, ao muß dasselbe weiterhin als
"Zugabe der Natur" (naturae superadditum) bestimmt werden. Hiernach ist
das Übernatürliche eine zur Natur eines Gechöpfes hinzugefügte,
ungeschuldoto Gabe Gottes, oder wie die aus den verurteilten Sätzen des
Bajus und Quesnel abgezogene kirchliche Definition lautet:
Supernaturale est donum Dei, naturae indebitum et superadditum ...
Als streng supernatural, göttlicher Ordnung, müssen wir zwei Gaben
Gottes betrachten, nämlich die beseligende Anschauung im Himmel und den
Gnadenstand auf Erden. Alle anderen Zugaben sind kreatürlicher Ordnung
(Pohle).
Das Wichtigste, was wir in diesem Zusammenhange betonen müssen, ist die
übernatürliche Ausstattung des paradiesischen Menschen. Zu dieser
gehört aber in erster Linie die heigmachende Gnade. Von der Gnade
sagten wir bereits früher, daß sie eine inrere, übernatürliche Gabe ist
- der lebendige Abglanz des dreieinigen Gottos in der Seele; Ziel
dieser Gabe iat die Vergöttlichung der Seele, indem wir, wie der
heilige Petrus betont, "der göttlichen Natur teilhafttig werden" (2
Petr 1, 4). Was das zu bedeuten hat, kann einzig und allein der
erfassen, soweit es überhaupt fassbar ist für ein geschaffenes Wesen,
der in andächtiger Meditation sich zu einer erworbenon Kontemplation
durchgearbeitet hat. Wer nichts erlebt hat, kann auch nichts begreifen.
Auf Grund der göttlichen Gnade waren unsere Stammeltern im Paradies
frei von der bösen Begierlichkeit. Nach dem bereits Gesagten dürfte es
verhältnismäßig leicht sein, die innere Ausgeglichenheit ob der
vollkommenen Harmonie des Wahren, Guten und Schönen, wie es aus dem
ungestörten Verankertsein in Gott, der LIEBE, erfolgte, zu begreifen.
Die Naturunversehrtheit (danun integritatis) ließ vor der Sünde keine
Unordnung, auch keine sinnliche zu. Die Ruhe des Geistes, ob der
vollkomnenen Geborgenheit in Gott, herrschte auch auf dem körperlichen
Gebiet, welches sich als ein vollkommen williges Instrument offenbarte.
Die vor dem Sündenfall dem Menschen gewährte leiblicheUnsterblichkeit
ist etwas anderes als die natürliche Unsterblichkeit der Seele, wie
auch die glorreiche Unsterblichkeit der Anferstehungsmenschen. Gott hat
den Menschen unverderblich erschaffen in dem Sinne, daß wenn der Mensch
die Bedingung erfüllt hätte, welche Gott gestellt hat, kein Schaden an
Existenz und Natur des Menschen eingetreten wäre. So spricht das Bucn
der Weisheit: "Gott hat ja den Menschen zur Unsterblichkeit erschaffen
und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht. Durch den Neid des
Tenfels aber ist der Tod in die Welt gekommen, und die ihm angehören,
werden ihn erfahren." (2, 23-24) Der Teufel hat den Menschen dazu
verleitet, das von Gott gestellte Gebot zu übertreten, welches lautete:
"Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen. Von dem Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen aber darfst du nicht essen. Denn am
Tage, da du davon issest, mußt du sicher sterben!" (Gen. 2, 17) Und so
"wie demnach durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist
und durch die Sünde der Tod und so der Tod auf alle Menschen
übergegangen ist, weil alle gesündigt haben." (Röm 5,12)
Es wäre falsch anzunehmen, die Menschen seien, was ihr Wissen
anbelangt, ala tabula rasa ("unbeschriebenes Blatt") auf die Welt
gekommen. Ein ungewöhuliches Maß natürlicher und übernatürlicher
Wissenschaft wurde ihnen von Gott anvertraut. Vieles von dem, was wir
une erst durch angestrengtes Studium erwerben müssen, wurde ihnen von
Gott eingegossen, "weil der Schöpfer erwachsene Menschen, namentlich in
Sachen der Religion und Ethik, nicht hilflos ihrer eigenen Unwissenheit
überlassen durfte; sodann weil es den ersten Menachen an der
notwendigen Erziehung durch Eltern und Lehrer gebrach; endlích weil
Adam als oberstes Haupt der Menschheit auch ihr natürlicher Erzieher
und Lehrer sein sollte." (Pohle; vgl. Summa 1,94, 3)
"Daß das Wissen der Stammeltern auch auf das übernatürliche Gebiet,
namentlich das Endziel der visio beatifica (d.i. des seligen Schauens)
erstreckte, folgt schon aus der Tatsache ihrer Erhebung in den
Gnadenstand, welcher ohne äußere Oftenbarung und innere Akte des
Glaubens, der Hoffnung und der Liebe unmöglich festgehalten werden
kann. Denn es handelt sich hier um Erwachsene und keine Kinder. Im
besonderen mag den Stammeltern eine übernatürliche Glaubenserkenntnis
beigelegt werden, ohne die "es unmöglich ist, Gott zu gefallen".
(Hebr. 11, 6)
Was den Umfang der natürlichen Wissenschaft Adams betrifft, so müssen
wir annehmen, daß er ein vollkommenes eingogossenes Wissen über solche
natürliche Dinge besaß, "welche ihm zur würdigen Lebenshaltung für sich
und seine Nachkommen, besonders in religiöeer und ethischer Beziehung,
unentbehrlich waren. Hiermit blieb aber die Notwendigkeit des Lernens
und Forschens für ihn ebenso bestehen, wie die Möglichkeit des
wissenschaftlichen und kulturellen Fortschrittes. Dies alles zwingt uns
auch zugleich, eine Ursprache anzunehmen, denn wie sonst hätte er als
Familienhaupt seinen Verptlichtungen nachkommen können." (Pohle)
Die vollkommene innere Ausgeglichenheit, wie anch das völlig
harmonische Zusammenleben mit der Umwelt war Boden für die
Leidensunfähigkeit des paradiesischen Menschen, in der sogenannten
Nichtnotwendigkeit zu leiden, welche jedoch durch die Sünde
unwiderruflich wie für ihn, so für seine ganze Nachkommenschaft
verlorenging. Schön schildert den paradiesischen Wonnezustand der
heilige Augustinus: "Der Mensch lebte im Paradies, wie er wollte,
solange er wollte, was Gott anbefohlen hatte. Er lebte ohne jeden
Mangel mit der Fähigkeit, für immer so zu leben... Keine Verderbnis mit
Bezug auf den Körper, keine körperlichan Beschwerden belästigten die
Sinne. Keine Krankheit von innen, keine Verletzung von außen. Die
höchete Gesundheit, was den Leib anbelangt, völlige Rube in der
Seele... Nichts Traurigess, keine eitle Fröhlichkeit, keine Mattigkelt
störte den der Muße Ergebenen, noch ergriff gegen seinen Willen ihn der
Schlaf." Das "goldene Zeitalter" ist sicher keine Dichtung, wenn auch
seine Gestaltung nicht immer mit dem Mythus wörtlich übereinstimmt.
(Vgl. Summe 1, 102). Dies alles sollte Erbgut bleiben.
"Die Schlange war (aber) listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott
der Herr gemacht hatte. Sie sagte zur Frau: 'Hat Gott wirklich gesagt:
Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?' Die Frau antwortete der
Schlange: 'Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir eseen. Nur
bezüglich der Früchte des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht,
hat Gott befohlen: Davon dürft ibr nicht essen, ja sie nicht einmal
anrühren, sonst müßt ihr sterben.' Die Schlange erwiderte der Frau:
'Keineswegs werdet ihr sterben, vielmehr weiß Gott, daß euch die Augen
aufgehen werden, sobald ihr davon eßt, und daß ihr wie Gott werdet,
indem ibr erkennt, was gut und böse ist."
"Jetzt erst sah die Frau, wie köstlich die Früchte des Baumee munden
mußten, welch lieblichen Anblick sie darboten, wie begehrenswert die
Früchte des Baumes seien, um durch sie weise zu werden. So nahm sie von
seinen Früchten und aß. Auch ihrem Manne, der bei ihr war, gab sie
davon, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf und sie merkten,
daß sie nackt waren. Deshalb banden sie Feigenblätter zusammen und
machten sich Schürzen daraus ... Adam, wo bist du?" (Gen. 3.1-10)
Bis jetzt hatten sie nur das Gute gakannt, nun sollten sie auch das
erkennen, von dem sie dachten, daß es ihnen vorenthalten wurde, das
Böse. Und es kam über sie wie ein Blitzschlag!
"Durch Übertretung des Prüfungsgebotes verlor Adam die heiligmachende
Gnade und wurde dadurch ewiger Verdammnis würdig; er verfiel dem
leiblichen Tode und der Herrschaft des Teufels und wurde an Leib und
Seele verschlechtert. (Glaubensastz - Tridentinum, Sessio V, can.1)
Die ganze übernatürliche Herrlichkeit des Urstandes ging verloren, und
der ganze Mensch in allen seinen Teilen, also nach Geiet und Leib,
wurde verschlechtert.
"Ihrem Inhalte nach bestand die infolge der ersten Sünde eingetretene
Verschlechterung des ganzen Menschen in all den Mängeln und Übeln, mit
welchen nach Offenbarung und Erfahrung die menschliche Natur
gegenwärtig im allgemeinen behaftet ist: also
1) in dem Mangel der heiligmachenden Gnade und der übernatürlichen Tugenden,
2) in der Schwäche der Vernunft und ihrer Geneigtheit zum Irrtum,
3) in der sittlichen Schwäche des Willens und seiner Geneigtheit zum Bösen,
4) in der Rebelllon der sinnlichen Begierlichkeit gegen den Geist und
einem starken überwiegenden Eínflusse, einer Art von Herrschaft über
denselben,
5) in der Notwendigkeit des Leidens und des physischen Todes,
6) in einer empfindlichen Einschräankung der Herrschaft über die äußere
Natur, verbunden mit mannigfacher Abhängigksit von dernelben, endlich
7) in einer gewissen Unterwerfung unter die Macht dee Teufels, welche
darin besteht, daß der Mensch all diese durch die Verführung des
Teufels über ihn gebrachten Übel nach dessen Willen tragen muß und
zugleich den mannigfachsten äußeren und inneren, selbes gewalttätigen
Anfeindungen desselben ausgesetzt ist.
Diese Momente schließen im Vergleich mit dem der Sünde vorhergehenden
Zustande eine so allseitige und zugleich tiefgehende Veränderung im
Menschen ein, daß dieselbe ohne Vergleich größer ist als die, wodurch
ein König zum Sklaven wird. Aus einem himmlischen und geistigen,
engelhaften und göttlichen Zustande sinkt der Menech in einen irdischen
und animalischen, in mancher Beziehung den Tieren ähnlichen, herab; er
verliert als Bild Gottes in vielfacher Beziehung dìejenige Ähnlichkeit
mit Gott, durch welche er zum wahren Gleichnisse, d.h. zum allseitig
auegeführten, glanzvollen und lebendigen Bilde Gottes gemacht war, und
wird stattdessen ein entstelltes und beflecktes, glanz- und lebloses
Bild; und dies sind denn auch die Ausdrücke, womit sämtliche Väter die
Größe der mit Adam durch die Sünde vorgegangenen Veränderung zu
schildern pflegen. Insbesondere aber ist in den vier ersten Momenten
eine Schädigung, Verminderung und Beugung der sittlichen Freiheit
enthalten; und diese Veränderung des freien Willens wurde gegenüber den
Pelagianern wie von den Vätern so auch in den kirchlichen
Entscheidungen mit Vorzug betont...
Hinsichtlich ihrer Form und ihrer Entstehung besteht die ganze riesige
Veränderung in der in und mit ihrem ersten und wichtigsten Momente, dem
Verluste der heiligmachenden Gnade, erfolgenden Entfernung derjenigen
übernatürlichen Gaben, wodurch die Natur von ihrer Gebrechlichkeit
befreit war, resp. in der Entziehung desjenigen göttlichen Schutzes,
wodurch der Mensch vor nachteiligen Einflüesen der Außenwelt,' der
sinnlichen Natur unter ihm und der bösen Geister über ihm, gesichert
war. Sie beruht daher auf der Trennung vom Heiligen Geiste als dem
Frinzip der übernatürlichen Herrlichkeit des Urstandes, infolge deren
der Mensch auf das reduziert wurde, was er kraft seines eigenen Wesens
war. Demgemäß ist auch die Tragweite jener Verschlechterung nicht
derart, daß sie die positiven, natürlichen Anlagen zerstörte und die
natürliche Kraft und Neigung zum Guten in sich selbes verminderte, und
noch weniger derart, daß der Mensch positiv, geschweige ausschließlich,
für das Böse disponiert würde.
Obgleich die Verschlechterung dee ganzen Menschen durch die Ursünde nur
vermittelst der Entziehung der übernatürlichen Gaben, womit er
bekleidet war, erfolgte, so ist dieselbe doch hinsichtlich ihres
Verhältnisses zum Subjekte und ihrer Wirkung keine bloß äußerliche wie
bei dem Verluste eines materiellen Kleides oder eines äußerlichen
Schutzes, sondern eine innerliche, und zwar höchst innerliche
Verschlechterung, d.i. eine mutatio in leterius der inneren und
innerlichsten Beschaffenheit der Seele des Menschen, mithin überhaupt
eine Verderbnis (corruptio) des inneren Güte, speziell eine Verkehrung
der Kraft und Energie des Willensvermögens, welche die Kirche
"attenuatio" und "inclinatio liberi arbitrii" nennt - kurz eine innere
Verderbnis und Verkehrung der Natur, soweit man unter letzterer das
innere Sein des Menschen im Gegensatz zu äußeren Gütern und
Verhältnissen und die Beschaffenheit des Lebensprinzips im Gegensatz zu
dessen Akten versteht.
Zunächst ist das evident bei dem Verluste der Gnade, welche Folge die
Sünde Adams mit allen Todsünden der Engel und Menschen gemein hat, weil
und inwiefern sie einen wahren Tod der Seele darstellt. Ebenso ist es
aber auch evident bezüglick des Verlustes der Integrität; denn
hierdurch wird innerhalb der Natur das ganze Verhältnis der Seele zum
Leibe und der oberen Kräfte zu den niederen so in deterius verändert
(zum Schlechten), daß die höheren die niederen nicht mehr vollkommen zu
beherrechen vermögen, vielmehr durch dieselben behindert werden und
insbesondere die Vernuntt und der Wille nicht mehr die Fülle von Licht
und Kraft besitzen, welche sie ursprünglich besaßen. Es tritt also auf
disem Wege unmittelbar durch die erste Sünde eine ähnliche Vorminderung
und Verderbnis der Güte der Natur auch in bezug auf die
natürlich-geistig-sittliche Tätigkeit ein, wie sie sonst bei aktuellen
Sünden der Menschen durch fortgesetztes Sündigen in der positiven
Neigung zur Wiederholung der Sünde erzeugt wird - und zwar eine noch
viel tiefer gehende, nachhaltigere und umfassendere Verderbnis als im
anderen Falle und eine solche, die nicht wie im anderen Falle durch
spätere Akte wieder aufgehoben werden kann. Insbesondere geht sie darum
tiefer, weil sie direkt die Natur in ihrer Wurzel verändert, d.h.
ebenso wie der Tod der Seele dieselbe auf dem Grunde ihres Wesens
berührt.
Im Gegeneatz zu dem früheren Zustand der Gesundheit wird der durch den
Varlust der Integrität bei Adam eingetretene Zustand ebenso wie der
eines Menschen, der mit einem bösen habitus (Gewohnheit) behaftet ist,
languor, tabes oder auch morbus naturae, also Schwäcbe, Siechtum oder
Krankheit genannt. Ganz besouders aber führt er im Gegensatz zur
ursprünglichen Integrität als einer Ganzheit, Unversehrtheit und
Harmonie der Natur den Namen eines vulnus naturae (Verwundetsein der
Natur), wie auch sein Eintreten eine vulneratio naturae genannt wird...
In derselben Weise, wie man den durch den Verlust der Integrität
entstehenden Zustand der Seele eine Wunde der 8eele nennen kann, läßt
sich derselbe auch als ein schlechter und verkehter, und zwar in
gewiesem Sinne auch positiv verkehrtar habitus der Seelenkräfte
bezeichnen, inwiefern man darunter nicht bloß eine Indisposition zum
guten Handeln, saondern eine Disposition zum schlechten Handeln oder
überhaupt zu ordnungswidriger Tätigkeit versteht, während nämlich der
Verlust der Heiligkeit bloß eine Indisposition zu übernatürlichen
Handlungen mit sich führt, beraubt der Verlust der Integrität die
Kräfte der Seele auch des schützenden Kleides und der hemmenden Fessel,
wodurch ihre natürliche Reizbarkeit paralysiert und ihre natürlichen
Triebe gebunden waren; und so lebt hier diejenige Neigung zu den
geschaffenen Gütern und damit zum unordentlichen Begehren derselben,
also auch zur Sünde, jene pronitas in malum (Geneigtheit zum Bösen)
auf, welche in der wesentlichen Zusammensetzung der menschlichen Natur
von selbst gegeben ist ...
Durch den Verlust der Herrlichkeit des Urzustandes wird nämlich die vom
Schöpfer selbst verliehene und nur durch ihn verleihbare Einrichtung
der menschlichen Natur für ein vollkommenes übernatarliches und
natürliches Leben, welche von ihrem Innersten aus alle ihre Teile und
Kräfte umfaßte und für alle Individuen der Natur die gleiche sein
sollte, von Grund aus unwiederbringlich zerstört, das Prinzip ihres
göttlichen Lebens und ihrer himmlischen Gesundbeit vernichtet und
folglich die ganze Natur von der Höhe, auf welche der Schöpfer sie
gestellt, unwandelbar so degradiert, so vollständig und stetig anderen
Gesetzen des Wirkens und Leidens unterworfen, als wenn an die Stelle
der einen Natur eine andere getreten wäre und nicht beim Fortbestande
der Natur bloß im Individuum andere akzidentelle Zustände eingetreten
wären. Es findet also hier eine totale, wesentliche, unwandelbare und
radikale Veränderung der ganzen von Gott objektiv und allgemein
gagebenen Einrichtung der Natur statt ...
Und im Gegensatz zu den übrigen Sünden der Menschen bewirkt die Ursünde
einen fortdauernden schlechten Zustand der Natur, welcher nicht bloß
die Stimmung des Willens, sondern alle Teile und Kräfte der Natur
umfaßt, unabhängig von dem ferneren Verhalten des Willens so 1ange
dauert wie die Natur selbst und die ganze Natur wesentlich anderen
Gesetzen des Leidens und Wirkens unterwirft. Alles dies geschieht
darum,' weil durch die Integrität das ganze Verhältnis zwischen den
Teilen der Natur, Leib und Geist, ein ratikal und wesentlich anderes
und höheres geworden war, als es natürlicherweise sein konnte, und
durch den Verlust der Integrität das natürliche Verhätnis mit allen
seinen natürlichen Folgen und Gesetzen wiederkehrt", wenn auch
geschwächt und gestört.
"Aus allem Vorhergehenden ergibt sich, daß der Neid des Teufels
mittelst Einführung der Ursünde in die Menschheit durcb die volle
Vernichtung der übernatürlichen Herrlichkeit des sichtbaren Ebenbildes
Gottes dasselbe allseitig entstellte und einem allgameinen Verderben
unterwarf, welches die Heilige Schrift sehr sinnvoll als die Herrschaft
des Todes bezeichnet. Denn es schloß neben dem gagenwärtigen Tod der
Seele auch den zukünftigen Tod des Leibes ein. Und nicht bloß dies: Die
Verwundung und Zerrüttung der Seelenkräfte, deren Äußerungen die
Vorboton des körperlichon Todes waren, bewirkte auch in der Seele eine
Indisposition oder Unempfindlichkeit für die Wiederherstellung ihres
übernatürlichen Lebens, wie sie bei einer Leiche durch die Verwesung
ihrer Teile entsteht, und eine Disposition zum Bösen, welche, wenn Gott
nicht dazwischen trat, unaufhaltsam zu neuen Sünden führen mußte."
(Scheeben)
Zusammenfaseend müssen wir sagen: Je weniger die Gnade waltet, um so
mehr der kausale mechanistische Determinismus, umso mehr zeigt sich die
Herrschaft dor Futurologie über den "mündigen Übermenschen", welche
nichts anderes ist als Ausdruck der Knechtschaft des Teufels.
Benützte Literatur:
Pohle: "Lebrbuch der Dogmatik" VI. Auflage, 1914 Paderborn
Scheeben "Handbuch der katholischen Dogmatik, III/IV Schöpfungslehre, Sündenlehre" Herder 1961
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