Sittenlehre und sittliche Ordnung
34. Auf dem wahren und rein bewahrten Gottesglauben ruht die
Sittlichkeit der Menschheit. Alle Versuche, die Sittenlehre und
sittliche Ordnung vom Felsenboden des Glaubens abzuheben und auf dem
wehenden Flugsand menschlicher Normen aufzubauen, führen früher oder
später Einzelne und Gemeinschaften in moralischen Niedergang. Der Tor,
der in seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott, wird Wege der
sittlichen Verdorbenheit wandeln.[29] Die Zahl solcher Toren, die heute
sich unterfangen, Sittlichkeit und Religion zu trennen, ist Legion
geworden. Sie sehen nicht oder wollen nicht sehen, daß mit der
Verbannung des bekenntnismäßigen, d. h. klar und bestimmt gefaßten
Christentums aus Unterricht und Erziehung, aus der Mitgestaltung des
gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens Wege der geistigen Verarmung
und des Niedergangs beschritten werden. Keine Zwangsgewalt des Staates,
keine rein irdischen, wenn auch in sich edlen und hohen Ideale, werden
auf die Dauer imstande sein, die aus dem Gottes- und dem
Christusglauben kommenden letzten und entscheidenden Antriebe zu
ersetzen. Nimmt man dem zu höchsten Opfern, zur Hingabe des kleinen Ich
an das Gemeinwohl Aufgerufenen den sittlichen Rückhalt aus dem Ewigen
und Göttlichen, aus dem aufrichtenden und tröstenden Glauben an den
Vergelter alles Guten und Ahnder alles Bösen – dann wird für Ungezählte
das Endergebnis nicht sein die Bejahung der Pflicht, sondern die Flucht
vor ihr. Die gewissenhafte Beobachtung der zehn Gebote Gottes und der
Kirchengebote, welch letztere nichts anderes sind als
Ausführungsbestimmungen zu den Normen des Evangeliums, ist für jeden
Einzelmenschen eine unvergleichliche Schule planvoller Selbstzucht,
sittlicher Ertüchtigung und Charakterformung. Eine Schule, die viel
verlangt, aber nicht zuviel. Der gütige Gott, der als Gesetzgeber
spricht: „Du sollst“, gibt in Seiner Gnade auch das Können und
Vollbringen. Sittlichkeitsbildende Kräfte von so starker Tiefenwirkung
ungenützt lassen oder ihnen den Weg in die Bezirke der Volkserziehung
gar bewußt zu versperren, ist unverantwortliche Mitwirkung an der
religiösen Unterernährung der Volksgemeinschaft. Die Auslieferung der
Sittenlehre an subjektive, mit den Zeitströmungen wechselnde
Menschenmeinung, statt ihrer Verankerung im heiligen Willen des ewigen
Gottes, in Seinen Geboten, öffnet zersetzenden Kräften Tür und Tor. Die
hiermit eingeleitete Preisgabe der ewigen Richtlinien einer objektiven
Sittenlehre zur Schulung der Gewissen, zur Veredlung aller
Lebensbereiche und Lebensordnungen ist eine Sünde an der Zukunft des
Volkes, deren bittere Früchte die kommenden Geschlechter werden kosten
müssen.
Anerkennung des Naturrechts
35. Im verhängnisvollen Zug der Zeit liegt es, wie die Sittenlehre, so
auch die Grundlagen des Rechtslebens und der Rechtspflege vom wahren
Gottesglauben und von den geoffenbarten Gottesgeboten mehr und mehr
abzulösen. Wir denken hier besonders an das sogenannte Naturrecht, das
vom Finger des Schöpfers selbst in die Tafeln des Menschenherzens
geschrieben wurde[30] und von der gesunden, durch Sünde und
Leidenschaft nicht verblendeten Vernunft von diesen Tafeln abgelesen
werden kann. An den Geboten dieses Naturrechts kann jedes positive
Recht, von welchem Gesetzgeber es auch kommen mag, auf seinen
sittlichen Gehalt, damit auf seine sittliche Befehlsmacht und
Gewissensverpflichtung nachgeprüft werden. Menschliche Gesetze, die mit
dem Naturrecht in unlösbarem Widerspruch stehen, kranken an einem
Geburtsfehler, den kein Zwangsmittel, keine äußere Machtentfaltung
sanieren kann. Mit diesem Maßstab muß auch der Grundsatz: „Recht ist,
was dem Volke nützt“, gemessen werden, wenn man unterstellt, daß
sittlich Unerlaubtes nie dem wahren Wohle des Volkes zu dienen vermag.
Indes hat schon das alte Heidentum erkannt, daß der Satz, um völlig
richtig zu sein, eigentlich umgekehrt werden und lauten muß: „Nie ist
etwas nützlich, wenn es nicht gleichzeitig sittlich gut ist. Und nicht
weil nützlich, ist es sittlich gut, sondern weil sittlich gut, ist es
auch nützlich.“[31] Von dieser Sittenregel losgelöst, würde jener
Grundsatz im zwischenstaatlichen Leben den ewigen Kriegszustand
zwischen den verschiedenen Nationen bedeuten. Im innerstaatlichen Leben
verkennt er, Nützlichkeits- und Rechtserwägungen miteinander
verquickend, die grundlegende Tatsache, daß der Mensch als
Persönlichkeit gottgegebene Rechte besitzt, die jedem auf ihre
Leugnung, Aufhebung oder Brachlegung abzielenden Eingriff vonseiten der
Gemeinschaft entzogen bleiben müssen. Die Mißachtung dieser Wahrheit
übersieht, daß das wahre Gemeinwohl letztlich bestimmt und erkannt wird
aus der Natur des Menschen mit ihrem harmonischen Ausgleich zwischen
persönlichem Recht und sozialer Bindung, sowie aus dem durch die
gleiche Menschennatur bestimmten Zweck der Gemeinschaft. Die
Gemeinschaft ist vom Schöpfer gewollt als Mittel zur vollen Entfaltung
der individuellen und sozialen Anlagen, die der Einzelmensch, gebend
und nehmend, zu seinem und aller anderen Wohl auszuwerten hat. Auch
jene umfassenderen und höheren Werte, die nicht vom Einzelnen, sondern
nur von der Gemeinschaft verwirklicht werden können, sind vom Schöpfer
letzten Endes des Menschen halber gewollt, zu seiner natürlichen und
übernatürlichen Entfaltung und Vollendung. Ein Abweichen von dieser
Ordnung rüttelt an den Tragpfeilern, auf denen die Gemeinschaft ruht,
und gefährdet damit Ruhe, Sicherheit, ja Bestand der Gemeinschaft
selbst.
36. Der gläubige Mensch hat ein unverlierbares Recht, seinen Glauben zu
bekennen und in den ihm gemäßen Formen zu betätigen. Gesetze, die das
Bekenntnis und die Betätigung dieses Glaubens unterdrücken oder
erschweren, stehen im Widerspruch mit einem Naturgesetz.
37. Gewissenhafte, ihrer erzieherischen Pflicht bewußte Eltern haben
ein erstes und ursprüngliches Recht, die Erziehung der ihnen von Gott
geschenkten Kinder im Geiste des wahren Glaubens und in Ãœbereinstimmung
mit seinen Grundsätzen und Vorschriften zu bestimmen. Gesetze oder
andere Maßnahmen, die diesen naturrechtlich gegebenen Elternwillen in
Schulfragen ausschalten oder durch Drohung und Zwang unwirksam machen,
stehen im Widerspruch zum Naturrecht und sind im tiefsten und letzten
Kern unsittlich.
38. Die Kirche, die berufene Hüterin und Auslegerin des göttlichen
Naturrechts, kann daher gar nicht anders, als die im Zustand
notorischer Unfreiheit erfolgten Schuleinschreibungen der jüngsten
Vergangenheit als ein Zwangsprodukt zu erklären, dem jeglicher
Rechtscharakter abgeht.
An die Jugend
39. Als Stellvertreter dessen, der im Evangelium zu einem Jungmann
gesprochen hat: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die
Gebote“[32], richten Wir ein besonders väterliches Wort an die Jugend.
40. Von tausend Zungen wird heute vor euren Ohren ein Evangelium
verkündet, das nicht vom Vater im Himmel geoffenbart ist. Tausend
Federn schreiben im Dienst eines Scheinchristentums, das nicht das
Christentum Christi ist. Druckerpresse und Radio überschütten euch Tag
für Tag mit Erzeugnissen glaubens- und kirchenfeindlichen Inhalts und
greifen rücksichtslos und ehrfurchtslos an, was euch hehr und heilig
sein muß.
41. Wir wissen, daß viele, viele von euch um der Treue zu Glauben und
Kirche, um der Zugehörigkeit zu kirchlichen, im Konkordat geschützten
Vereinigungen willen düstere Zeiten der Verkennung, der Beargwöhnung,
der Schmähung, der Verneinung eurer vaterländischen Treue, vielfacher
Schädigung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben ertragen mußten
und müssen. Es ist uns nicht unbekannt, wie mancher ungenannte Soldat
Christi in euren Reihen steht, der trauernden Herzens, aber erhobenen
Hauptes sein Schicksal trägt und Trost findet allein in dem Gedanken,
für den Namen Jesu Schmach zu leiden.[33]
42. Heute, wo neue Gefahren drohen und neue Spannungen, sagen Wir
dieser Jugend: „Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkünden
wollte als jenes, das ihr empfangen habt“ auf den Knien einer frommen
Mutter, von den Lippen eines gläubigen Vaters, aus dem Unterricht eines
seinem Gotte und seiner Kirche treuen Erziehers – „der sei
ausgeschlossen.“[34] Wenn der Staat eine Staatsjugend gründet, die
Pflichtorganisation für alle sein soll, dann ist es, unbeschadet der
Rechte der kirchlichen Vereinigungen, selbstverständlicher und
unveräußerlicher Rechtsanspruch der Jungmannen selbst und ihrer für sie
vor Gott verantwortlichen Eltern, zu fordern, daß diese
Pflichtorganisation von all den Betätigungen christentums- und
kirchenfeindlichen Geistes gesäubert werde, die bis in die jüngste
Vergangenheit, ja bis in die Gegenwart herein die gläubigen Eltern in
unlösbare Gewissenskonflikte zwingen, da sie dem Staat nicht geben
können, was im Namen des Staates verlangt wird, ohne Gott zu rauben,
was Gottes ist.
43. Niemand denkt daran, der Jugend Deutschlands Steine in den Weg zu
legen, der sie zur Verwirklichung wahrer Volksgemeinschaft führen soll,
zur Pflege edler Freiheitsliebe, zu unverbrüchlicher Treue gegen das
Vaterland. Wogegen Wir uns wenden und Uns wenden müssen, ist der
gewollte und planmäßig geschürte Gegensatz, den man zwischen diesen
Erziehungszielen und den religiösen aufreißt. Und darum rufen Wir
dieser Jugend zu: Singt Eure Freiheitslieder, aber vergeßt über ihnen
nicht die Freiheit der Kinder Gottes! Laßt den Adel dieser
unersetzbaren Freiheit nicht hinschwinden in den Sklavenketten der
Sünde und Sinnenlust! Wer das Lied der Treue zum irdischen Vaterland
singt, darf nicht in Untreue an seinem Gott, an seiner Kirche, an
seinem ewigen Vaterland zum Überläufer und Verräter werden. Man redet
zu euch viel von heldischer Größe, in bewußtem und unwahrem Gegensatz
zur Demut und Geduld des Evangeliums. Warum verschweigt man euch, daß
es auch ein Heldentum gibt im sittlichen Kampf? Daß die Bewahrung der
Reinheit des Tauftages eine heldische Tat darstellt, die im religiösen
und im natürlichen Bereich der verdienten Wertung sicher sein sollte?
Man redet euch viel vor von menschlichen Schwächen in der Geschichte
der Kirche. Warum verschweigt man euch die Großtaten, die ihren Weg
durch die Jahrhunderte begleiten, die Heiligen, die sie hervorbrachte,
den Segen, der aus der lebendigen Verbindung zwischen dieser Kirche und
eurem Volke für die abendländische Kulturwelt floß? Man redet zu euch
viel von sportlichen Übungen. Mit Maß und Ziel betrieben, bedeutet die
körperliche Ertüchtigung eine Wohltat für die Jugend. Ihrem
Betätigungsraum wird jetzt aber vielfach ein Umfang gegeben, der weder
der harmonischen Gesamtausbildung von Körper und Geist, noch der
gebührenden Pflege des Familienlebens, noch dem Gebot der
Sonntagsheiligung Rechnung trägt. Mit einer an Nichtachtung grenzenden
Gleichgültigkeit werden dem Tag des Herrn so seine Weihe und Sammlung
genommen, wie sie bester deutscher Ãœberlieferung entsprechen. Wir
erwarten vertrauensvoll von der gläubigen katholischen Jugend, daß sie
in der schwierigen Umwelt der staatlichen Pflichtorganisationen ihr
Recht auf christliche Sonntagsheiligung nachdrücklich geltend macht,
daß sie über der Ertüchtigung des Leibes ihre unsterbliche Seele nicht
vergißt, daß sie sich nicht vom Bösen überwinden läßt, vielmehr durch
das Gute das Böse zu überwinden trachtet[35]; daß ihr höchster und
heiligster Ehrgeiz der bleibt, in der Rennbahn des ewigen Lebens den
Siegeskranz zu erringen.[36]
An die Priester und Ordensleute
44. Ein besonderes Wort der Anerkennung, der Aufmunterung, der Mahnung
richten Wir an die Priester Deutschlands, denen in Unterordnung unter
ihre Bischöfe in schwerer Zeit und unter harten Umständen die Aufgabe
obliegt, der Herde Christi die rechten Wege zu weisen in Lehre und
Beispiel, in täglicher Hingabe, in apostolischer Geduld. Werdet nicht
müde, geliebte Söhne und Mitteilhaber an den heiligen Geheimnissen, dem
ewigen Hohenpriester Jesus Christus zu folgen in Seiner Samariterliebe
und Samaritersorge. Bewährt euch Tag für Tag in makellosem Wandel vor
Gott, in unablässiger Selbstzucht und Selbstvervollkommnung, in
erbarmender Liebe zu allen euch Anvertrauten, insbesondere zu den
Gefährdeten, den Schwachen und Schwankenden. Seid die Führer der
Treuen, die Stütze der Strauchelnden, die Lehrer der Zweifelnden, die
Tröster der Trauernden, die uneigennützigen Helfer und Berater aller.
Die Prüfungen und Leiden, durch die euer Volk in der Nachkriegszeit
hindurchgeschritten ist, sind nicht spurlos an seiner Seele
vorübergegangen. Sie haben Spannungen und Bitterkeiten hinterlassen,
die erst langsam ausheilen können, deren echte Überwindung nur möglich
sein wird im Geiste uneigennütziger und tätiger Liebe. Diese Liebe, die
das unentbehrliche Rüstzeug des Apostels ist, zumal in der aufgewühlten
und haßverzehrten Welt der Gegenwart, wünschen und erflehen Wir euch
vom Herrn in überreichem Maße. Die apostolische Liebe wird Euch viele
unverdiente Bitterkeiten, wenn nicht vergessen, so doch verzeihen
lassen, die auf euren Priester- und Seelsorgspfaden heute zahlreicher
sind als je zuvor. Diese verstehende und erbarmende Liebe zu den
Irrenden, ja selbst zu den Schmähenden bedeutet allerdings nicht und
kann nicht bedeuten irgendwelchen Verzicht auf die Verkündigung, die
Geltendmachung, die mutige Verteidigung der Wahrheit und ihre
freimütige Anwendung auf die euch umgebende Wirklichkeit. Die erste,
die selbstverständlichste Liebesgabe des Priesters an seine Umwelt ist
der Dienst an der Wahrheit, und zwar der ganzen Wahrheit, die
Entlarvung und Widerlegung des Irrtums, gleich in welcher Form, in
welcher Verkleidung, in welcher Schminke er einherschreiten mag. Der
Verzicht hierauf wäre nicht nur ein Verrat an Gott und eurem heiligen
Beruf; er wäre auch eine Sünde an der Wohlfahrt Eures Volkes und
Vaterlandes. All denen, die ihren Bischöfen die bei der Weihe
versprochene Treue gehalten, all denen, die wegen Ausübung ihrer
Hirtenpflicht Leid und Verfolgung tragen mußten und müssen, folgt – für
manche bis in die Kerkerzelle und das Konzentrationslager hinein – der
Dank und die Anerkennung des Vaters der Christenheit.
45. Den katholischen Ordensleuten beiderlei Geschlechts gilt ebenfalls
Unser väterlicher Dank, verbunden mit inniger Anteilnahme an dem
Geschick, das infolge ordensfeindlicher Maßnahmen viele von ihnen aus
segensreicher und liebgewordener Berufsarbeit herausgerissen hat. Wenn
einzelne gefehlt und sich ihres Berufes unwürdig erwiesen haben, so
mindern ihre auch von der Kirche geahndeten Vergehen nicht die
Verdienste der gewaltigen Überzahl, die in Uneigennützigkeit und
freiwilliger Armut bemüht waren, ihrem Gott und ihrem Volk mit Hingabe
zu dienen. Der Eifer, die Treue, das Tugendstreben, die tätige
Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft der in Seelsorge, Krankendienst und
Schule wirkenden Orden sind und bleiben ein ruhmwürdiger Beitrag zur
privaten und öffentlichen Wohlfahrt, denen zweifellos eine spätere,
ruhigere Zeit mehr Gerechtigkeit wird widerfahren lassen als die
aufgewühlte Gegenwart. Wir haben das Vertrauen zu den Leitern der
Ordensgenossenschaften, daß sie die Schwierigkeiten und Prüfungen zum
Anlaß nehmen, um durch verdoppelten Eifer, vertieftes Gebetsleben,
heiligen Berufsernst und echt klösterliche Zucht von dem Allmächtigen
neuen Segen und neue Fruchtbarkeit auf ihre schwere Arbeit herabzurufen.
An die Getreuen aus dem Laienstande
46. Vor Unserem Auge steht die unübersehbare große Schar treuer Söhne
und Töchter, denen das Leid der Kirche in Deutschland und ihr eigenes
Leid nichts geraubt hat von ihrer Hingabe an die Sache Gottes, nichts
von ihrer zärtlichen Liebe gegen den Vater der Christenheit, nichts von
ihrem Gehorsam gegen Bischöfe und Priester, nichts von ihrer freudigen
Bereitschaft, auch in Zukunft, komme, was da wolle, dem treu zu
bleiben, was sie geglaubt und von ihren Voreltern als heiliges Erbe
erworben haben. Ihnen allen senden wir aus gerührtem Herzen Unsern
Vatergruß.
47. Allen voran den Mitgliedern der kirchlichen Verbände, die tapfer
und um den Preis vielfach schmerzlicher Opfer Christus die Treue
hielten und sich nicht bereit fanden die Rechte preiszugeben, die ein
feierliches Abkommen der Kirche ihnen nach Treu und Glauben
gewährleistet hatte.
48. Ein besonders inniger Gruß ergeht an die katholischen Eltern. Ihre
gottgegebenen Erzieherrechte und Erzieherpflichten stehen gerade im
gegenwärtigen Augenblick im Mittelpunkt eines Kampfes, wie er
schicksalsvoller kaum gedacht werden kann. Die Kirche Christi kann
nicht erst anfangen zu trauern und zu klagen, wenn die Altäre verwüstet
werden, wenn sakrilegische Hände die Gotteshäuser in Rauch und Flammen
aufgehen lassen. Wenn man versucht, den Tabernakel der durch die Taufe
geweihten Kinderseele durch eine christusfeindliche Erziehung zu
entweihen, wenn aus diesem lebendigen Tempel Gottes die ewige Lampe des
Christusglaubens herausgerissen und an ihre Statt das Irrlicht eines
Ersatzglaubens gesetzt werden soll, der mit dem Glauben des Kreuzes
nichts mehr zu tun hat, dann ist die geistige Tempelschändung nahe,
dann wird es für jeden bekennenden Christen Pflicht, seine
Verantwortung von der der Gegenseite klar zu scheiden, sein Gewissen
von jeder schuldhaften Mitwirkung an solchem Verhängnis und Verderbnis
freizuhalten. Und je mehr die Gegner sich bemühen, ihre dunklen
Absichten abzustreiten und zu beschönigen, um so mehr ist wachsames
Mißtrauen am Platze und mißtrauische, durch bittere Erfahrung
aufgerüttelte Wachsamkeit. Die formelle Aufrechthaltung eines, zudem
von Unberufenen kontrollierten und gefesselten Religionsunterrichts im
Rahmen einer Schule, die in andern Gesinnungsfächern planmäßig und
gehässig derselben Religion entgegenarbeitet, kann niemals einen
Rechtfertigungsgrund abgeben, um einer solchen, religiös zersetzenden
Schulart die freiwillige Billigung eines gläubigen Christen
einzutragen. Wir wissen, geliebte katholische Christen, daß von einer
solchen Freiwilligkeit bei euch nicht die Rede sein kann. Wir wissen,
daß eine freie und geheime Abstimmung unter euch gleichbedeutend wäre
mit einem überwältigenden Plebiszit für die Bekenntnisschule. Und
deshalb werden Wir auch in Zukunft nicht müde werden, den
verantwortlichen Stellen die Rechtswidrigkeit der bisherigen
Zwangsmaßnahmen, die Pflichtmäßigkeit der Zulassung einer freien
Willensbildung freimütig vorzuhalten. Inzwischen vergeßt es nicht: Von
dem gottgewollten Band der Verantwortung, das euch mit euren Kindern
verknüpft, kann keine irdische Gewalt euch lösen. Niemand von denen,
die euch heute in euren Erzieherrechten bedrängen und euch von euren
Erzieherpflichten abzulösen vorgeben, wird an eurer Statt dem Ewigen
Richter antworten können, wenn Er an euch die Frage richtet: Wo sind
die, die ich dir gegeben? – Möge jeder von euch antworten können:
„Keinen von denen, die Du mir gegeben hast, habe ich verloren“[37].
49. Ehrwürdige Brüder! Wir sind gewiß, daß die Worte, die Wir in
entscheidungsvoller Stunde an Euch und durch Euch an die Katholiken des
Deutschen Reiches richten, in den Herzen und in den Taten Unserer
treuen Kinder das Echo finden werden, daß der liebenden Sorge des
gemeinsamen Vaters entspricht. Wenn Wir etwas mit besonderer Inbrunst
vom Herrn erflehen, dann ist es dies: daß Unsere Worte auch das Ohr und
das Herz solcher erreichen und zum Nachdenken stimmen, die bereits
begonnen haben, sich von den Lockungen und Drohungen derer einfangen zu
lassen, die gegen Christus und Sein heiliges Evangelium stehen.
50. Jedes Wort dieses Sendschreibens haben Wir abgewogen auf der Waage
der Wahrheit und zugleich der Liebe. Weder wollten Wir durch
unzeitgemäßes Schweigen mitschuldig werden an der mangelnden
Aufklärung, noch durch unnötige Strenge an der Herzensverhärtung irgend
eines von denen, die Unserer Hirtenverantwortung unterstehen und denen
Unsere Hirtenliebe deshalb nicht weniger gilt, weil sie zurzeit Wege
des Irrtums und des Fremdseins wandeln. Mögen manche von ihnen, sich
den Gepflogenheiten ihrer neuen Umgebung anpassend, für das verlassene
Vaterhaus und den Vater selbst nur Worte der Untreue, des Undanks oder
gar der Unbill haben, mögen sie vergessen, was sie hinter sich geworfen
haben – der Tag wird kommen, wo das Grauen der Gottesferne und der
seelischen Verwahrlosung über diesen heute verlorenen Söhnen
zusammenschlagen, wo das Heimweh sie zurücktreiben wird zu dem „Gott,
der ihre Jugend erfreute“[38], und zu der Kirche, deren Mutterhand sie
den Weg zum himmlischen Vater gelehrt hat. Diese Stunde zu
beschleunigen, ist der Gegenstand Unserer unaufhörlichen Gebete.
51. So wie andere Zeiten der Kirche wird auch diese der Vorbote neuen
Aufstiegs und innerer Läuterung sein, wenn der Bekennerwille und die
Leidensbereitschaft der Getreuen Christi groß genug sind, um der
physischen Gewalt der Kirchenbedränger die Unbedingtheit eines innigen
Glaubens, die Unverwüstlichkeit einer ewigkeitssicheren Hoffnung, die
bezwingende Allgewalt einer tatstarken Liebe entgegenzustellen. Die
heilige Fasten- und Osterzeit, die Verinnerlichung durch Buße predigt
und des Christen Blick mehr noch als sonst auf das Kreuz, zugleich aber
auch auf die Herrlichkeit des Auferstandenen richtet, sei für alle und
jeden von euch freudig begrüßter und eifrig genutzter Anlaß, Sinn und
Seele mit dem Helden-, dem Dulder-, dem Siegergeist zu erfüllen, der
vom Kreuze Christi ausstrahlt. Dann, das sind Wir gewiß, werden die
Feinde der Kirche, die ihre Stunde gekommen wähnen, bald erkennen, daß
sie zu früh gejubelt und zu voreilig nach der Grabschaufel gegriffen
haben. Dann wird der Tag kommen, wo an Stelle verfrühter Siegeslieder
der Christusfeinde aus dem Herzen und von den Lippen der Christustreuen
das Te Deum der Befreiung zum Himmel steigen darf; ein Te Deum des
Dankes an den Allerhöchsten; ein Te Deum der Freude darüber, daß das
deutsche Volk auch in seinen heute irrenden Gliedern den Weg religiöser
Heimkehr beschritten hat, daß es in leidgeläutertem Glauben sein Knie
wieder beugt vor dem König der Zeit und Ewigkeit Jesus Christus, und
daß es sich anschickt, im Kampf gegen die Verneiner und Vernichter des
christlichen Abendlandes, in Harmonie mit allen Gutgesinnten anderer
Völker, den Beruf zu erfüllen, den die Pläne des Ewigen ihm zuweisen.
52. Er, der Herz und Nieren durchforscht[39], ist Unser Zeuge, daß Wir
keinen innigeren Wunsch haben als die Wiederherstellung eines wahren
Friedens zwischen Kirche und Staat in Deutschland. Wenn aber – ohne
unsere Schuld – der Friede nicht sein soll, dann wird die Kirche Gottes
ihre Rechte und Freiheiten verteidigen im Namen des Allmächtigen,
dessen Arm auch heute nicht verkürzt ist. Im Vertrauen auf Ihn „hören
wir nicht auf zu beten und zu rufen“[40] für euch, die Kinder der
Kirche, daß die Tage der Trübsal abgekürzt und ihr treu erfunden werdet
am Tage der Prüfung; und auch für die Verfolger und Bedränger: der
Vater alles Lichtes und aller Erbarmung möge ihnen eine Damaskusstunde
der Erkenntnis schenken, für sich und alle die vielen, die mit ihnen
geirrt haben und irren.
53. Mit diesem Flehgebet im Herzen und auf den Lippen erteilen Wir als
Unterpfand göttlicher Hilfe, als Beistand in Euren schweren und
verantwortungsvollen Entschließungen, als Stärkung im Kampf, als Trost
im Leid Euch, den bischöflichen Hirten Eures treuen Volkes, den
Priestern und Ordensleuten, den Laienaposteln der Katholischen Aktion
und allen, allen Euren Diözesanen, nicht zuletzt den Kranken und
Gefangenen, in väterlicher Liebe den Apostolischen Segen.
Gegeben im Vatikan, am Passionssonntag, den 14. März 1937.
Pius PP. XI.
Anmerkungen:
[1] 3 Joh 4,4.
[2] Vgl. 2 Petr 2,2.
[3] Mt 13, 25.
[4] Lk 22,32.
[5] Weish 8,1.
[6] Jes 40,15.
[7] Hebr 5,1.
[8] Tit 2,5.
[9] Mt 11,27.
[10] Joh 17,3.
[11] 1 Joh 2,23.
[12] Hebr 1,1-2.
[13] Apg 4,12.
[14] 1 Kor 3,11.
[15] Ps 2,4.
[16] 1 Tim 3,15.
[17] Mt 18,17.
[18] Lk 10,16.
[19] 1 Kor 9,27.
[20] Joh 3,8.
[21] Mt 3,9; Lk 3,8.
[22] Mt 4,10; Lk 4,8.
[23] Lk 12,9.
[24] Mt 16,18.
[25] Hebr 11,1.
[26] Röm 5,12.
[27] 1 Kor 1,23.
[28] 1 Joh 3,1.
[29] Ps 13,1.
[30] Röm 2,14-15.
[31] Cicero de officiis 3, 30.
[32] Mt 19,17.
[33] Apg 5,41.
[35] Röm 12,21.
[36] 1 Kor 9,24-25.
[37] Joh 18,9.
[38] Ps 42,4.
[39] Ps 7,10.
[40] Kol 1,9.
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