QUELLEN DER GLAUBENSLEHRE
von
Hochw. Herr Dr.theol. Otto Katzer
II. Teil
Betrachten wir nun näher die Inspiration der Heiligen Schrift, so sehen
wir zuerst die Auserwählung des Autors von seiten Gottes, wie auch sein
Befähigung, dann den übernatürlichen Antrieb alles aufzuschreiben, was
Gott beabsichtigt, die übernatürliche Erleuchtung der Vernunft und die
Stärkung des Willens, alles in dem Geiste niederzuschreiben, wie der
Heilige Geist es fordert, weshalb auch alles sich als fehlerlos
erweist. Damit ist aber nicht gesagt, daß ein jedes Wort und eine jede
Wendung von Gott eingegeben ist, da wir ja nicht Diener "des
Buchstabens, sondern des Geistes" sein sollen. "Denn der Buchstabe
tötet, der Geist aber macht lebendig." (2Kor 3,6). Gott selbst hilft
den Autoren, nichts auszulassen von dem, was ER wünscht, daß es
erhalten bleibe, aber auch nichts hinzuzutun oder umzuändern und so den
Leser irrezuführen. So müssen wir sagen, daß die Bücher der Heiligen
Schrift ganz von Gott abstammen, aber auch ganz vom Menschen, jedoch
so, daß der Mensch sich als Werkzeug Gottes erweist, der ja Haupt-Autor
der Heiligen Schrift ist.
Entgegen der Inspiration auf dem Gebiete des Natürlichen sehen wir hier
ein Dreifaches: Eine besondere Beihilfe Gottes, die göttliche Eingebung
und die Offenbarung. Das gilt von allen Büchern, welche das Konzil von
Trient angibt, und wie sie in der Vulgata zu finden sind, welche
dasselbe Konzil für authentisch erklärt hat, das heißt, daß sie
unfehlbar den inspirierten Text der gesamten Heiligen Schrift
wiedergibt. (Deez. 783-785)
Da nun die Heilige Schrift ein Buch Gottes ist, obliegt es dem
unfehlbaren Lehramt der heiligen Kirche, es zu erklären. Infolgedessen
muß man sich, in Angelegenheiten des Glaubens und der Sitten stets nach
dem Sinne richten, wie ihn die heilige Kirche angibt, die den
Glaubensschatz zu überwachen hat. Gott "selbst hat die biblischen
Autoren durch eine übernatürliche Kraft so zum Schreiben angeregt und
bestimmt und ihnen beim Schreiben so beigestanden, daß sie all das und
nur das, was Er sie hieß, richtig im Geiste erfaßten, treu
niederschreiben wollten und passend mit unfehlbarer Wahrheit
ausdrückten; sonst wäre Er nicht selbst der Urheber der ganzen Heiligen
Schrift." (Lea XIII., Denz.1952)
Hiermit wird klar die Sakralität angefordert wie beim liturgischen
Vortrag, der ja bereits, wie wir zeigen werden, die erste Stufe der
Interpretation bildet, so auch bei der offiziellen Erklärung, die sich
nach der Tradition, dem einstimmigen Konsens der Väter, sowie den
amtlichen Lehrentscheidungen richten muß. Deshalb sind auch die
entsprechenden Vorleser, Prediger, Liturgen, besonders aber das
Oberhaupt der Kirche mit einer ganz besonderen Gnade ausgestsattet,
welche ihnen bei der entsprechenden Weihe erteilt wird, um das sakrale
Gut der Heiligen Schrift zu schützen. Es sei gleich hier bemerkt, daß
das Mißachten der Sakralität der in Betracht kommenden Personen, wie
wir es heute erleben müssen, hiemit eine Sünde gegen den Heiligen Geist
ist.
Das erste Vatikanische Konzil betont, daß in diesem Zustande, in
welchem sich das menschliche Geschlecht gerade befindet, es moralisch
ausgeschlossen ist, daß es mit eigenen Kräften, ohne eine ganz
besondere Hilfe Gottes wie die der Offenbarung, entsprechend, mit
Gewißheit, ohne Beimischung von Irrtümern jene von den religiösen
Wahrheiten erkennen kann, welche notwendig sind, um ein geregeltes
Leben zu führen. Deshalb wurde dem Menschengeschlecht die Offenbarung
zuteil, welche bei übernatürlicher Erleuchtung unseres Geistes die für
uns von Gott bestimmte Wahrheit kundmacht. Der Inhalt der Offenbarung
ragt über das Wesen, die Bedürtnisse und Kräfte der Natur der von Gott
erschaffenen Person hinaus. Überall dort, wo man von der Offenbarung
absieht, zeigen sich früher oder später schwerwiegende Irrtümer. Es ist
dem Menschen nicht möglich, sich selbst und mit eigenen Kräften, wenn
auch bei Ausnützung der Elektronik, zur Erkenntnis aller nur möglichen
Ursachen und Folgen durchzuarbeiten und hiermit sein - wenn auch nur
vergängliches, irdisches - Glück zu bauen.
Nachdem nun das Konzil von Trient alle Bücher der Heiligen Schrift
aufgezählt hat, fügt es hinzu: "Sollte jemand die Bücher vollauf mit
allen ihren Teilen , so wie man sie in der katholischen Kirche zu lesen
pflegt und sie in der alten lateinischen Vulgata zu finden sind, nicht
als heilig und kanonisch annehmen und die angeführte Tradition
wissentlich und willentlich verachten: der sei im Banne!" (Denz.784,
wie auch Denz. 1809,Vatic.I.)
Die Tatsache, daß die Vulgata als authentisch erklärt wurde, d.h. daß
sie rechtgültig den ursprünglichen Text vertrete, welcher nicht gewiß
und nicht unverletzt erhalten ist, macht den ursprünglichen Text nicht
überflüssig. Wenn es nun geschehen sollte, daß - wie schon lange daran
gearbeitet wird - ein neuer Text kommen möchte, auf Grund von dem
hl.Hieronymus wie dem Konzil von Trient unbekannter Quellen, behält die
Vulgata dennoch ihre Beweiskräftigkeit als Heilige Tradition. Gerne
hätten wir den unverletzten, ursprünglichen Text der Heiligen Schrift,
zum Glück aber ist die Heilige Schrift nicht die einzige, unmittelbare
und letzte Glaubensquelle, diese ist das unfehlbare Lehramt der Kirche.
Daß die Offenbarung Gottes, wo sie wirklich unverletzt erhalten ist,
wie in der Vulgata, keine Irrtümer aufweisen kann, wird nicht notwendig
sein besonders zu betonen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es
unter den Büchern der Heiligen Schrift verschiedene Kategorien gibt,
wie historische, prophetische und didaktische Bücher. Keines von diesen
Büchern weist Irrtümer auf, es ist aber notwendig, bei der Erklärung
die entsprechende literarische Art zu berücksichtigen. Die Gestaltung
eines historischen Buches muß von der eines didaktischen abweichen.
Eine ganze Reihe von Büchern ist außerdem populär geschrieben, woraus
sich die Notwendigkeit ergibt, den eigenen Kern richtig zu erfassen.
Daß dies ohne übernatürliche Hilfe nicht möglich ist, wurde bereits
betont.
Sofern wir bis jetzt von der Heiligen Schrift gesprochen haben, dachten
wir an den ursprünglichen, hebräischen, aramäischen, griechischen Text,
ganz besonders aber an die Vulgata, die lateinische Wiedergabe, welche
- wie wir soeben angegeben haben - authentisch ist. Wenigen Menschen
ist das Glück zuteil, die Heilige Schrift, so wie sie die Vulgata
anführt, oder den ursprünglichen Text zu lesen. Meistens haben sie
irgendeine Übersetzung in der Hand. Hier jedoch fangen die
Schwierigkeiten an. Der Übersetzer wird meistens zu einem Verräter, wie
ein italienisches Sprichwort sagt: tradutore, traditore! Ein jeder, der
sich etwas mit Philologie befaßt hat, weiß, zu welchen Mißbildungen es
kommen kann, sei es auch nur bei Schularbeiten. Versuchen wir es nur,
die verschiedenen Übersetzungen der neuesten Zeit nebeneinander zu
legen, etwa des Neuen Testamentes, so werden wir uns wundern, wie weit
man in nicht seltene Fällen gekommen ist. Es wäre katastrophal, wenn
sich der Schwerpunkt unseres Glaubens in solchen Übersetzungen befände.
Diese sind nur ein Hilfsmittel und wollen auch nichts anderes sein. Wir
selbst sind es, die wir uns in Widersprüche verstricken, indem wir auf
diese Tatsache vergessen. Wie viele sind es nun, die die notwendige
Aufklärung im ursprünglichen Text suchen können, und wie wir uns bald
sagen werden: selbst das genügt nicht.
Hiermit kommen wir zu einem sehr wichtigen, wenn auch ebenso
unbekannten Punkt: Zum Unterschied zwischen dem geschriebenen und dem
gesprochenen Wort:
"Mutter!" rief das Kind aus. Vor Jahren stand ich mit einem Kollegen
und einer Kollegin, einer Lehrerin, die ihren zehnjährigen Sohn
mithatte, in einer engen Gasse. Ein soeben vorbeifahrendes Auto erfaßte
die Frau bei einem Band und riß sie unter die Räder des Wagens. Was ihr
geschehen war, das konnte in diesem Augenblick niemand von uns sagen,
nur aus dem Munde des Knaben ließ sich ein einziges Wort hören:
"Mutter!" Dieses Wort, so wie es in ebendemselben Augenblick
ausgesprochen wurde, ist für mich vollständig unnachahmbar, es würde
mir keineswegs gelingen, es auch nur annähernd so auszusprechen, wie
der Knabe es getan hat. Es bedürfte einer langen psychologischen
Analyse, und auch nachher könnten wir nie alles so erfassen, wie es mit
dem einzigen Wort zum Ausdruck gekommen war. Wenn wir allein den
geschriebenen Text sehen würden, könnten wir zwar aus dem Zusammenhange
manches vermuten, nie dürfen wir jedoch vergessen, daß uns das Wort
allein nichts Genaues sagen wird, da wir vom Ausdruck der höchsten
Ehrfurcht bis zur tiefsten Vorachtung eine reiche Bedeutungsskala vor
uns haben. Das gesprochene Wort aber läßt mit seinem psychophonetischen
Spektrum die volle Bedeutung erfaßbar werden. Wenn wir also das
gesprochene Wort mit dem geschriebenen vergleichen, dann wird die Armut
des letzteren sofort ersichtlich.
Auf diese Tatsache macht schon Plato in seinem Phaidros (274ff)
aufmerksam. Als der göttliche Theut dem König von Ägypten, Thamus, die
Schrift empfahl, welche seine Untertanen weiser machen und ihr
Gedachtnis stärken sollte, denn sie sei eben als Heilmittel für das
Gedächtnis und die Weisheit erfunden worden, behauptete der König
gerade das Gegenteil, da die Menschen sich allein auf das rein
Äußerliche verlassen werden auf Grund fremder Zeichen, und nicht mehr
vom Ding an sich ausgehen werden.
Das Erfassen des Dinges an sich ist nun aber besonders wichtig bei der
Heiligen Schrift, wo die einzelnen Wörter, wenn sie nicht im
Zusammenhang genommen werden und bei Hinordnung auf den vom Heiligen
Geist beabsichtigten Sinn leere Gefäße sind, denen wir einen
gewässerten Inhalt eigener Auffassungen verleihen.
Wie sehr nun die Lesung der Heiligen Schrift für einen Katholiken
empfehlenswert ist, dürfen wir doch nicht vergessen, daß wir von einer
aus einem Gebet entspringenden Verpflichtung (necessitate praecepti)
nicht sprechen können, um so weniger von einer Notwendigkeit mit
Rücksicht auf die Erlangung der ewigen Seligkeit (necessitate medii).
Für den Katholiken ist die mündliche Belehrung die ordentliche Quelle
religiöser Erkenntnis, weshalb er verpflichtet ist, an der Predigt, den
christlichen Übungen und am Religionsunterrichte, was die Kinder
anbelangt, teilzunehmen. Die Heilige Schrift lese nur eine dazu
befähigte Person und das noch mit rechter Absicht und auf rechte Art.
Wie wir noch näher erklären werden, so hängt viel von den Eigenschaften
dessen ab, der die Heilige Schrift laut vorliest. Sicher wird das Wort
"Gott" aus dem Munde eines heiligmäßigen Lektors anders klingen, dem
auf Grund seiner Weihe eine spezifische Gnade zuteil wurde, also ein
Licht und eine Kraft, die es ihm ermöglichen, tiefer in die Geheimnisse
des Wortes Gottes einzudringen und sie entsprechend vorzutragen, als
aus dem Munde eines noch so heiligen Laien, oder umgekehrt eines
ungläubigen Priesters, wie Zola ihn beschreibt. Wenn ein Musiker eine
Komposition so vortragen würde, wie leider sehr oft die Heilige Schrift
vorgelesen wird, wer möchte da noch einmal seinen Vortrag besuchen?
Die Heilige Schrift, d.h. jene 72 Bücher, sind noch nicht die Heilige
Schrift im vollen Sinne des Wortes, sie sind nur ihre Partitur. Erst
der mündliche Vortrag einer von Gott dazu bestimmten Person, die die
entsprechende Weihe dazu empfangen hat und welche sich gebührend,
sorgfältig und andächtig vorbereitet hat, bringt uns näher heran zu
dem, was die Heilige Schrift wirklich ist. Wenn sich ein Pianist die
Noten irgendeines Werkes von Beethoven aufs Klavier legt und danach zu
spielen beginnt, so ist damit noch nicht gesagt, daß er Beethoven
spielt! "Herrliche Werke wurden der Welt geschenkt, aber sie werden
meistens schlecht gespielt", bemerkt der berühmte spanische Cellist
Casals. Wer von uns Priestern wagt es, zu behaupten, daß er das
Evangelium so vorgelebt hat, wie er es hat können und sollen!
Gerade deshalb versteht Casals gut, warum Christus, wie auch vor Ihm
Sokrates, Seine Lehre nicht selbst aufgeschrieben hat. Was
niedergeschrieben ist, bemerkt er, ist hart, tot, wie eine Maschine und
dennoch unsicher und oft mehrdeutig. Nur das ausgesprochene Wort ist
klar und verständlich, besonders wenn es vorgelebt wird, mit Ausdruck
begleitet wird. Deshalb scharten sie Schüler um sich herum, welchen sie
ihre Lehre übergaben. Dem Heiland war selbst die gewöhnliche Sprache
wenig lebenskräftig, weshalb er in Parabeln sprach... Alles
Geschriebene sind nur Zeichen deren wahrer Sinn erst von den Lesern
mühsam herausgesucht werden muß.
Also ist das Werk im wahren Sinne des Wortes nicht die Partitur,
sondern ihr dem Geiste der Sohöpfung entsprechender Vortrag. Ähnlich
verhält es sich mit der Heiligen Schrift, welche erst dann im
vollkommenen Sinne des Wortes Heilige Schrift ist, wenn der Papst als
Oberhaupt der ganzen Kirche, aber auch nur er allein aufsteht und
spricht: "Vernehmet das Wort Gottes", und nun laut den authentischen,
inspirierten Text vorliest. In diesem Augenblicke besitzt er die Fülle
der Beihilfe Dessen, der der eigentliche Autor der Heiligen Schrift
ist, die Hilfe des Heiligen Geistes.
Vom Koran sagt Hitti in seiner Geschichte der Araber: "Dieses Buch, an
sich eine laute lebendige Stimme, ist gedacht für die mündliche
Rezitation, und sollte in der Originalsprache gehört werden, damit es
richtig bewertet werden kann. Ein nicht geringer Teil seiner Kraft
liegt in seinem Rhythmus, in der Rhetorik, der Kadenz, welche von
keiner Übersetzung ohne Wertverlust nachgeahmt werden kann. "Wenn das
vom Koran gilt, nicht weniger gilt es von der Heiligen Schrift. Erst im
Jahre 1815 führte die Reform-Synagoge für die Bibel den nur rezitierten
Vortrag ein, bis zu dieser Zeit war er gesungen worden. Der Talmud
lehrt, daß der, der die Thora, die funf Bücher Moses, ohne Betonung
liest, sich gegen die Heilige Schrift versündigt. Unsere hastige Zeit
kann das allerdings nicht verstehen, um so weniger praktizieren. Es
bleibt uns leider nichts anderes übrig, als mit den unglücklichen
Folgen zu rechnen. Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn hier im
Zusammenhang mit dem, was der Heiligen Schrift am heiligsten ist, dem
Namen Gottes, eine chassidische Parabel zitiert wird. "Einmal im Jahre,
zu einer bestimmten Stunde, pflegten die vier größten Heiligkeiten
zusammenzukommen. Das war am Versöhnungstage, wenn der Hohepriester
nach dem allerheiligsten Orte kam und da den Namen Gottes aussprach.
Und da dieser Augenblick unermeßlich heilig und fruchtbar war, war er
zugleich der gefährlichste, sowohl für den Hohenpriester, als auch für
das gesamte Volk Israel. - Wenn in diesem Augenblick dem Hohenpriester
- Gott behüte! - ein sündiger oder ein fremder Gedanke gekommen wäre,
so wäre die Welt vernichtet worden." (Thieberger, Jüdisches Fest -
Jüdischer Brauch, 192) Das mag heute etwas zugespitst klingen, wir
dürfen jedoch nicht vergessen, daß Hiroshima und Nagasaki auch vom
Gedanken vernichtet wurden, vom Worte, das zur Atombombe geworden ist;
diese war seine Inkarnation!
Die Ausgaben der Heiligen Schrift, welche wir unter den Menschen
finden, sind größtenteils nur mehr oder weniger gelungene
Übersetzungen, die immer, wenn auch meistens unbemerkbar, Spuren der
Unvollkommenheit des Übersetzers tragen, und wenn sich noch dazu eine
sehr häufige Oberflächlichkeit der Leser hinzugesellt und Mangel an
Fachkenntnissen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn es von der
Heiligen Schrift gilt: Hic liber est in quo quaerit sua dogmata
quisque, invenit et pariter dogmata quisque sua. Das ist ein Buch, in
dem ein jeder seine Wahrheit sucht und ein jeder sie auch findet.
Bevor wir an den die Erklärung der Heiligen Schrift betreffenden
Abschnitt herantreten, ist es notwendig, daß wir uns ein wenig über die
Wertung der Werte besinnen. Dazu soll uns ein Einblick in die
altchristliche Kunst, besonders die gotische, verhelfen, hauptsächlich
die Malerei. Manche Sachen finden wir hier nur flüchtig angedeutet,
andere durchgearbeitet. Nie sieht ein Berg, ein Baum, ein Haus, ein
Tier so aus, wie wir es hier meistens finden. Wir dürfen aber nicht
vergessen, daß ihre Bedeutung durchwegs nur zweitrangig ist, wo die
Sache jedoch an Bedeutung gewinnt, wird sie auch entsprechend
bearbeitet. Entsprechend wäre ein monotoner Vortrag völlig unerträglich
und würde für den Vorleser ein Zeugnis absoluter Oberflächlichkeit und
Nachlässigkeit geben. Wann wird endlich wieder die Königin aller
Künste, die Rhetorik, ihren Thron besteigen?
Hiermit sind wir bei dem weiteren Abteil unserer Abhandlung angekommen,
bei der Erklärung der Heiligen Schrift. Eine solche ist bereits die
richtige Vorlesung. Welche Aufmerksamkeit sollten nun gerade die,
welche beauftragt sind, Verkünder des Wortes zu sein, der soeben
angeführten Sache widmen! Desto mehr, da ja ihre Pflicht ist, nicht von
Christus zu predigen, was leicht und vollkommen selbst der Tenfel
könnte, sondern Christus zu predigen, was für ihn absolut
ausgeschlossen ist.
In einem Gespräch mit dem Portugiesen Francisco de Hollanda sagt
Michelangelo Worte, welche in erhöhtem Maße auch von der Heiligen
Schrift gelten, von ihrem Verständnis, Vortrag und ihrer Erklärung.
"Ein gutes Gemälde ist nichts anderes als ein Abglanz der
Vollkommenheiten der Werke Gottes und eine Nachahmung seines Malens
eine Musik und eine Melodie schließlich, die nur ein vornehmer Geist,
und auch dieser nur mit Anstrengung auszudenken vermag. Darum ist ein
solches Malen so selten, daß (fast) niemand es ausführen noch begreifen
kann." "Das verehrungswürdige Antlitz des Heilands, einigermaßen
annehmbar wiederzugeben, ist eine so schwierige Unternehmung, daß es
nicht genügt, wenn ein Maler ein großer und kundiger Meister ist.
Vielmehr bin ich der Ansicht, auch sein Lebenswandel müsse rein und
womöglich heilig sein, damit der Heilige Geist seine Gedanken lenke...
Geistliche und weltliche Würdenträger sollten daher nur die besten
Künstler in ihren Reichen und Gebieten die Milde und Demut des Erlösers
oder die Reinheit der Jungfrau Maria nebst den Heiligen malen
lassen.... Schlecht gemalte Bilder zerstreuen und vernichten die
Andacht, wenigstens bei solchen, welche nur wenig davon besitzen,
während Bilder, welche mit frommen Sinne gemalt sind, sogar die weniger
Frommen und zur Andacht geneigten zu andächtiger Betrachtung und zu
Tränen bewegen und mit ihrem ernsten Ausdrucke Ehrfurcht und Scheu
einflößen." (Schnitzer, Savonarola, Band II, 834f)
Toscanini widmete sein ganzes Leben dem Studium Beethovens, nur um ihn
richtig dirigieren zu können. Um wieviel mehr muß sich derjenige mit
seinem ganzen Leben der Nachfolge Christi widmen, der Christus zu
predigen hat und es auch will!
Wenn wir nun das Meer der wunderlichsten sogenannten religiösen Werke
übersehen, von welchen ein jedes sich auf die Heilige Schrift beruft,
so müssen wir nicht selten ihren Autoren mit den Worten des
tschechischen Literarkritikers F.X.Salda sagen: "Seid auf das äußerste
aufrichtig und erlüget nichts dort, wo ihr nichts empfindet. Wenn ihr
nicht religiös denkt, wenn ihr nicht aus religiöser Lebendigkeit
schafft, dann spreche keinen Buchstaben solcher Worte aus, denn ihr
würdet so nur die religiöse Leichenhaftigkeit vermehren, und derer gibt
es bereits so viel, daß von ihr nicht nur die Erde, sondern selbst der
Himmel angefault ist."
Die Heilige Schrift allein kann also nicht die unmittelbare
Glaubensregel sein und soll es auch der Absicht ihrer Autoren
entsprechend nicht sein; denn selbst der Teufel beruft sich auf die
Heilige Schrift. Wie das Konzil von Trient, so betont auch das erste
Vatikanische Konzil, daß der einzige ordentliche Erklärer der Heiligen
Schrift die heilige Kirche ist, wie es auch absolut unzulässig ist, daß
jemand in Angelegenheiten des Glaubene und der Sitten bei der Erklärung
der Heiligen Schrift von dem Sinne abweiche, wie ihn die Kirche
lehramtlich geäußert hat, oder wie ihn die einmütige Übereinstimrnung
(consensus unanimus) der Kirchenväter verbürgt. Dies mögen heute ganz
besonders jene sich zu Herzen nehmen, welche die Konsekrationsworte,
die ja vom Heiland selbst stammen, verfälschen und sich dabei verwegen
auf den "Sinn" berufen, den sie verfälschen (vgl. Catech.Conc.Trid.,
Pars II, c.23) Diese Behauptung, welche sie anführen, ist eine
sententia erronea, falsa und temeraria, wenn nicht - sie ist ja
mehrdeutig - ausgesprochen haeretica! (eine irrige, falsche, verwegene
- häretische Meinung) Jedenfalls eine Todsünde! Wer nicht den wahren
Glauben besitzt, hat keinen Schlüssel zum Verständnis der Heiligen
Schrift, umso weniger als er nicht durch die Pforte der Tradition in
die Herrlichkeiten des Wortes Gottes eintritt. "Häresien sind dadurch
entstanden, bemerkt der hl.Augustinus, daß die an sich gute Heilige
Schrift nicht richtig verstanden wurde."
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