DAS LETZTE EVANGELIUM
von
Theologieprofessor Dr.P.Severin M.Grill
SOCist, Stift Heiligenkreuz bei Wien
Die tridentinische Messe schließt mit einem "Letzten Evangelium",
nämlich mit dem Prolog Joh 1,1-14. Es läßt sich in der Tat kein
besserer Abschluß der Feier der heiligen Geheimnisse denken als dieser
Hymnus auf die göttliche Weisheit (= Wort, Logos), die in Christus vom
Himmel herabgestiegen ist, um die Menschen in den Himmel
hinaufzuführen. Zwei Grundwahrheiten treten uns hier entgegen, die nur
die christliche Botschaft aufzuweisen hat: die Lehre von der einmaligen
Inkarnation Gottes und der gnadenhaften Adoption des Menschen.
Johannes schrieb sein Evangelium gegen die Irrlehrer Markion und
Kerinth, daß Jesus schon vor seiner zweiten Geburt aus Maria eine ewige
Geburt aus dem Vater hatte. Als ewiger Ausfluß vom ewigen Vater hatte
Jesus ein vorweltliches Sein. Er ist daher vom Wesen Gottes und selbst
Gott. In dieser Existensweise durchdringt und schafft er alles. Denn
das Geschöpfliche ist nur Schatten, Begleiterscheinung einer
himmlischen pneumatischen Wirklichkeit."Christus ist durch den Namen
Logos als Schöpfer alles Seienden gekennzeichnet, da die ganze
Schöpfung auf dem Logos beruht."(1) Es drängte Gott als ein Gut, das
sich mitteilen will, durch das Wort = in Weisheit alles zu erschaffen:
den Kosmos, die Engel und die Menschen. Bei den Menschen manifestiert
er sich als Licht und Leben, d.h. er will sie als sein Ebenbild haben
und er erleuchtet sie als solches über ihre Würde und Berufung. Dazu
also ist der Logos (=die ewige Weisheit) vom Himmel herabgestiegen und
Mensch geworden, um die Menschen nicht bloß in die Engelwelt (zur
Teilnahme am Erbe der Heiligen, Kol 1,12) emporzuführen, sondern sie in
die trinitarische Gemeinschaft aufzunehmen. "Die Sklaven sollten Freie,
die Menschen Engel werden, - aber was sage ich Engel? Gott ist Mensch
geworden, damit der Mensch Gott werde".(2) "Gott ist Mensch geworden,
damit Er den Menschen zum Gott mache"(3) und: "Er macht den Menschen zu
Gott zu Seiner eigenen Verherrlichung". (4)
Er kam in Sein Eigentum und die Seinigen nahmen Ihn nicht auf. Die
Menschwerdung sollte erfolgen in dem Volke, das sich Gott auserwählt
hatte, das Er selbst unmittelbar leitete (zum Unterschied von den
Heiden, die unter Führung von Engeln standen, Dt 4,20; 32,8 LXX.Ez 16
und 23), dem Er Seine Offenbarungen anvertraute und das Er Wunder
erleben ließ, daß sie das größte Wunder leichter glaubten - denn
Christus ist ein Wunder -,wenn es in der Jungfrauengeburt einträte und
sich als außergewöhnliches Menschenschicksal abspielte. Aber die Seinen
nahmen Ihn nicht auf und sie sagten: "Wir haben keinen König, sondern
nur den Kaiser" (Joh 19,15).
Die "Finsternis", d.h.: die im finsteren Unglauben Befangenen, hat das
Geheimnis nicht begriffen (Röm 8,6; 9,1-4). Allen aber, die Ihn
aufnahmen, gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden. Es gab Menschen bei
den Juden und Heiden, die das Geheimnis erfaßten und sich aneigneten
die es für möglich halten, daß es eine Gemeinschaft gibt mit dem Vater
und dem Sohne (Joh 1,3). Seht wie groß die Liebe des Vaters zu uns ist,
daß Er uns Seine Kinder nannte und auch (zu solchen) machte (Joh 3,1
syr.Text). Dieser Vorzug wird denen zuteil, die sich einer zweiten
Geburt unterziehen, und zwar in der Taufe. Wer nicht wiedergeboren wird
aus dem Wasser und dem Geist, kann nicht in das Reich Gottes eingehen
(Joh 3,5).
Was Johannes in den früheren Versen angedeutet hat, das sagt er im Vers
14 ausdrücklich: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns
gewohnt.(5) "Etwas anderes ist es, wenn die Weisheit eines Menschen
erfüllt (wie die Patriarchen und Propheten) und etwas anderes, wenn sie
selbst Mensch wird."(6)
Wir haben Seine Herrlichkeit gesehen = Johannes war einer der drei
Zeugen bei der Verklärung (Lk 9,26). Aber das Urteil gigt den
überwältigenden Gesamteindruck, den Jesus in Seiner Lehre und Seinen
Wundern auf die Zeitgenossen gemacht hat.
Diese beiden Gesichtspunkte: Abstieg Gottes in der Inkarnation und
Aufstieg der Menschen durch die Adoption, kommen uns unwillkürlich nach
jedem Erlebnis der heiligen Messe. Wir sind erleuchtet, erfreut und
gestärkt. Denn wieder ist die Weisheit herabgestiegen und war
eucharistisch unter uns - und wieder hat Gott uns adoptiert und in die
Gemeinschaft der Dreifaltigkeit aufgenommen. Für uns Katholiken besteht
die Offenbarung nicht allein in einem vergangenen historischen
Ereignis, sondern sie vollzieht sich zeitlos immer wieder hier und
jetzt.
Darum ist es bedauerlich, wenn dieses Schlußevangelium gestrichen wird.
Sollte es wirklich deswegen geschehen sein, weil man an den zwei
Grundwahrheiten: Inkarnation und Adoption, zweifelt und sie nicht mehr
ernst nimmt? Dieses Mißtrauen ist nicht ohne Grund. Wenn dem aber so
ist, dann verpflichtet das den frommen Priester, das Schlußevangelium
aus eigenem zu beten.
Anmerkungen:
1) R. Gögler, Die Theologie des biblischen Wortes bei Origines, Düsseldorf 1963, S.226 und 228.
2) Chrysostomus, In Ps 8, PG 55, 107.
3) Thomas von Aquin, Symbolum Apostolicum, Art.III, 15
4) Hippolytus: Philosophumina, PG 16,3, EP (Enchiridion patristicum, Herder 1952) Beda Ven. In Joannem, PL 92, 641
5) Die Verse 1,3-4 werden wiederholt von 1,9-10. P.Schanz, Commentar über das Evangelium des heiligen Johannes, 1885, S.83
6) Augustinus, De Trinitate 5,20, PL 42,907
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