Ergertshausen, 29.3.2004
Verehrte Leser,
zunächst herzlichen Dank für Ihr Anteilnahme an unserer Arbeit. Ich
habe mit Interesse und ein wenig Erstaunen vermerkt, daß mein Artikel
"Kleider machen Leute" - ein Beitrag, zu dessen Abfassung ich mich aus
einem für uns eher peinlichen Anlaß veranlaßt sah - Ihre Aufmerksamkeit
und Anerkennung gefunden hat, sieht man von einer negativen Stimme ab.
So hatte u.a. einer meiner Brüder gemailt: "Soeben habe ich etwas in
die neue Ausgabe der Einsicht reingeschaut und bin bei Deinem Artikel
'Kleider machen Leute' hängen geblieben. Zu Deiner treffenden
Betrachtung kann ich Dir nur gratulieren. Von diesem bigotten Hang, das
Äußerliche in den Vordergrund zu stellen und danach einen Menschen zu
beurteilen, sind schon viel zu viel Fehlentwicklungen ausgegangen."
Ging es doch der Sache nach um die Gewinnung einer formlos erzogenen
und herangewachsenen Jugend, die zum Glauben aufgerufen werden soll,
von der man keine Verankerung in noch so guten Traditionen erwarten
kann, sondern deren Zeitgeist-Verwurzelung bzw. -Verhaftung von jedem
pädagogisch denkenden Menschen in Rechnung gestellt werden muß. Und
religiöse Begeisterung und deren förmliche Ausprägung, ein religiös
bestimmtes Verhaltensmuster ist nicht auf dem Exerzierplatz
einzudrillen, sondern kann nur erzeugt werden durch die Vermittlung
bestimmter Inhalte und Einstellungen, von denen her sich dann auch ihre
Ausprägung aufbaut. Der Hl. Geist weht bekanntlich, wo Er will! In
seinem Buch über Don Bosco ("Motiv einer neuen Erziehung" Olten 1946)
schreibt Franz Dilger: "Hat man sich Begnadung vielleicht allzusehr als
physiko-automatischen Vorgang gedacht, der man mit trockener Belehrung
jederzeit den Weg bereiten kann? Begnadung ist mit quantitativ
operierender Sakramentspraxis nicht zu vollziehen. Sie ist einmal
Gottes Sache. Es wird aber leicht übersehen, daß sie nicht nur an das
Signum des Sakramentes gebunden ist, sondern auch an die
Wertvermittlung durch erlebbare Menschen." (S. 136) Viele verwechseln
in der Tat Konventionen (und noch so berechtigte Traditionen) mit
Dogmen.
Die Situation, in die wir immer mehr geraten, wo jeder gleichsam
alleine "an der Front" steht, an der Front von Gleichgültigkeit, von
Haß auf jede Form des Absoluten, von Feigheit und fehlendem Mut, an der
Front der "kalten und versteinerten Herzen", die instinktiv jeden
Strahl der Gnade abwehren, und der Arroganz, verpflichtet uns, unser
Christsein selbsttätig zu verwirklichen
... ohne priesterliche
Unterstützung. Das liegt nun nicht nur an dem tatsächlichen
Priestermangel, sondern auch an der Einstellung der meisten jungen
Kleriker, die sich gerne als röm.-kath. Priester ausgeben, aber fast
keine festen, meist nur fehlerhafte Vorstellungen von jener Institution
haben, die sie zu vertreten vorgeben. Herr Kaltenbrunner wird wohl
Recht haben bzw. behalten, wenn er uns empfiehlt, diese weitestgehend
priesterlose Zeit für die Entfaltung eigener Spiritualität zu nutzen -
und ich ergänze noch: für mitfühlende Nächstenliebe und Gerechtigkeit
gegenüber unserem Nächsten.
In dieser Situation sind die Worte, die der hl. Paulus an die Gemeinde
in Korinth richtet, die durch ihre heidnische Umgebung - ähnlich wie
wir - immer in Gefahr war, von dorther beeinflußt zu werden, und die
die Kirche als Lesung zum 1. Fastensonntag vorträgt, gerade auch für
uns zutreffend. Er schreibt: "Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch,
ihr möchtet nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangen. Es heißt ja:
'Zur Gnadenzeit erhörte ich dich und am Tage des Heiles half ich dir!'
(Is 49,8). Seht, jetzt ist die rechte Gnadenzeit, seht, jetzt ist der
Tag des Heiles! In keiner Hinsicht wollen wir irgendwie Anstoß geben,
damit nicht geschmäht werde der Dienst; sondern in allem erweisen wir
uns als Gottes Diener: in vieler Geduld, in Drangsalen, in Nöten, in
Ängsten, in Mißhandlungen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, in
Nachtwachen, in Fasten, in Lauterkeit, in Verstehen, in Langmut, in
Güte, in heiligem Geist, in ungeheuchelter Liebe, im Wort der Wahrheit,
in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten (d.i.
das Schwert zum Angriff) und zur Linken (dem Schild zur Abwehr), bei
Ehre und Schmach, bei schlechter und guter Nachrede, als Verführer
angesehen und doch wahrhaft; als unbekannt und doch bekannt; als
sterbend, und siehe, wir leben; als gezüchtigt und doch nicht getötet;
als trauernd und doch stets freudig; als arm und doch viele
bereichernd; als Habenichtse und doch alles besitzend." (2 Cor. 6, 1-10)
Vielleicht sollten wir beginnen, mit uns selbst offener umzugehen,
unser Verhalten und unsere Einstellungen zu kontrollieren, um in der
Tat frei und offen für die Anrufe Gottes zu sein. Ich habe manchmal die
dunkle Ahnung, daß der zur Schau gestellte Traditionalismus nur die
eigenen religiösen und mitmenschlichen Unsicherheiten kaschieren oder
kompensieren soll.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gnadenreiches Osterfest, in dem auch Sie mit Christus zu neuem Leben "auferstehen".
Ihr Eberhard Heller