OFFENER BRIEF AN DIE PROTEST-PRIESTER
von
Père Noel Barbara, katholischer Priester
(aus dem Französischen übersetzt von G.Mevec)
Meine Freunde,
möchte ich Euch zu Beginn dieses Briefes nennen, denn einerseits habe
ich gegen Euch keinerlei vorgefaßte Meinung, andererseits besitzen wir
das gleiche Priestertum.
Wer seid Ihr?
Bestreitende, d.h. Priester, die es verstehen, "über das zu diskutieren, was sie (eigentlich) nicht mehr bejahen." (Robert)
Was ist es, das Ihr nicht mehr bejaht?
Um die Beantwortung dieser Frage bin ich verlegen, denn wenn
"Bestreiten" der gemeinsame Nenner ist, der Euch alle in der Kategorie
des "Revolutionären" vereint, so seid Ihr, was Euer Wesen betrifft,
eine quasi-unzählbare Vielheit.
Ihr bestreitet die Kirche:
- die hierarchische Kirche, die jurisdiktionelle Kirche, die Eine Kirche, die Heilige Kirche, die römische Kirche, ...
Ihr bestreitet die Hierarchie:
- den Papst, seine oberste Jurisdiktion über alle Bischöfe und Getauften,...
- die Bischöfe; ihre Jurisdiktion, die dem Bischof von Rom
untergeordnet von ihrer Priesterschaft und ihren Helfern unabhängig
ist, ...
Ihr bestreitet euer Priestertum:
- seine Sakramentalität; seine Vollmacht, seine Unvergänglichkeit,
seine Abhängigkeit, was die Ausübung gewisser Vollmachten betrifft, ...
Ihr bestreitet die Eucharistie:
- die Wirklichkeit des Meßopfers; die wirkliche leibliche Gegenwart
Jesu Christi, die Fortdauer dieser wirklichen Gegenwart in den
konsekrierten Hostien auch nach der hl.Messe; die Privatmesse, ..
Ihr bestreitet die hl. Jungfrau:
- ihre Jungfräulichkeit "vor, während und unaufhörlich nach der Geburt
Christi", - ihren besonderen Rang im Erlösungswerk, ihre unbefleckte
Empfängnis und ihre zahlreichen Privilegien, ...
Ihr bestreitet die sakramentale Praxis der katholischen Kirche
- die Taute der Neugeborenen; die Ohrenbeichte, die Spendung der
letzten Ölung an Einzelne; die Ordination der Männer unter Ausschluß
der Frauen; die für die Getauften untrennbare Verbindung einer gültigen
Ehe im Ehesakrament, ...
Ihr bestreitet die Priesterliche Keuschheit:
- ihre Rechtmäßigkeit, ihre Zeugnishaftigkeit, den apostolischen
Ursprung dieser Verpflichtung, die Feiheit, aus der heraus Ihr sie auf
Euch genommen habt, ...
Ihr bestreitet die Tugend der Keuschheit:
- die Möglichkeit dieser Tugend; die Notwendigkeit der Askese, um diese
Tugend zu erhalten; die Bösartigkeit der Unzucht, der
Selbstbefriedigung, des Coitus interruptus und der Homosexualität, ...
Ihr bestreitet, daß wir letztlich bestimmt sind:
-für die Hölle, das Fegefeuer, die Glorie des Himmels,...
Ihr bestreitet die Wirklichkeit der Engel:
-der Schutzengel, der Dämonen, ...
Ich könnte die Liste dessen, was Ihr bestreitet, beliebig verlängern,
denn es gibt keine Wahrheit, die von EUCH , DEN FROTEST-PRIESTERN,
nicht in Frage gestellt worden ist.
Aber Achtung!
Ich behaupte nicht, daß jeder von Euch all diese Wahrheiten bestreitet.
Ich sage nur, daß all diese Wahrheiten bestritten werden; die einen von
diesen, andere von anderen, aber alle von irgendwelchen unter Euch.
HIER NUN DER GRUND MEINES OFFENEN BRIEFES:
Er ist ein einfacher. Ich möchte Euch gerne dazu bewegen, uns über Eure
Aufrichtigkeit aufzuklären, damit wir Eure moralische Ehrlichkeit
beurteilen können. Es ist nicht unmöglich, daß Ihr, ohne es zu wissen,
"manipuliert" seid.
HIER MEINE FRAGE. SIE IST ZWEIFACH:
1) Seid Ihr aufrichtig, indem Ihr
handelt, wie Ihr handelt, d.h. mit Euerem Bestreiten? Ich bin versucht,
an Euere Aufrichtigkeit zu glauben, denn ich kann mir nicht denken, daß
Priester hinsichtlich derart ernster Dinge, wie die von Euch
bestrittenen, gegen ihr Gewissen handeln können. Aber trotz meines
Wunsches, an Euere Aufrichtigkeit zu glauben - an Euere intellektuelle
und moralische Aufrichtigkeit - ist es mir doch nicht möglich, denn -
und darin besteht der zweite Teil meiner Frage:
2) Warum besteht Ihr darauf, in der katholischen Kirche zu verbleiben,
die Ihr bestreitet? Der katholische Glaube kann weder durch Gewalt,
noch durch List aufgezwungen werden. Gott respektiert unsere Freiheit,
und niemand kann Euch aufzwingen, wider besseres Wissen an die Wahrheit
zu glauben, die Ihr bestreitet.
Wenn Ihr also ehrlich seid, d.h. wenn Euer Bestreiten aufrichtig ist,
und wenn Ihr, indem Ihr Euch auf Christus beruft, alle oder einige der
von Euch bestrittenen Punkte nicht mehr zugeben könnt, so müßt Ihr,
Euerer Überzeugung zufolge und aus Achtung für die der anderen, diese
Römische Kirche, die archaische, veraltete, rückschrittliche,
triurnphalistische und integristische Kirche, verlassen.
Es gibt ja reformierte, christliche "Kirchen", die Euerer Überzeugung
angemessen sind; es gibt sie für jeden Geschmack:
Ihr könnt Euch
nicht ohne Frauen zufrieden geben?
So schließt Euch den Protestanten
an, ihre Pastoren sind verheiratet...
Ihr könnt die Heilige Jungfrau
nicht mehr akzeptieren? Ihr zieht das Mahl der Messe vor? Ihr seid für
die Demokratisierung der Regierung der Kirche?
Geht zu den Protestanten! Dort wird man Euere Wünsche zufriedenstellen.
Wohlan, meine Freunde,
WENN Ihr ehrlich seid, so müßt Ihr die Kirche verlassen, deren Glauben
Ihr nicht mehr teilt. Die Protestanten werden Euch aufnehmen; sie sind
"Christen", die allen Eueren Protest mitmachen. Ihnen kommt sogar das
Verdienst zu, diese Dinge schon vor Euch zum Ausdruck gebracht zu
haben. Unter ihnen werdet Ihr Euch wohl fühlen, und ohne Euere Irrtümer
zu teilen, werden wir dann Euere "Überzeugungen" respektieren und an
Eure Aufrichtigkeit glauben.
WENN Ihr Euch aber weigert zur anderen Seite überzugehen, wo die
Reformen, die Ihr verlangt, schon seit fünf Jahrhunderten vollzogen
sind und Euch daher vollkommen zufriedenstellen könnten,
WENN Ihr Euch versteift, in der Kirche zu verbleiben, deren Glauben Ihr nicht mehr teilt,
DANN (vergeßt nicht? daß ich im Konditional spreche: wenn ...) sage ich Euch vor aller Welt, aufrichtig und in aller Liebe:
SEID IHR NICHT EHRLICH, IST EUER BESTREITEN NICHT AUFRICHTIG;
und dann seid Ihr zusammen mit den Bischöfen, die Euch unterstützen, gemeine Kerle.
Ihr verdient dann keinerlei Achtung, denn man achtet keinen Lügner, und
die seid Ihr, wenn Ihr diesen Weg nehmt. Schlagt Ihr ihn ein?
Eure Haltung wird uns darüber Aufschluß geben und sie wird zugleich öffentlich Eure Antwort auf meine doppelte Frage darstellen.
Noel Barbara,
katholischer Priester.
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