DIE KONZILIEN VON PISA UND KONSTANZ
- LEHRSTÜCKE UND PRÄZEDENZFÄLLE FÜR UNSERE ZEIT -
von
Kenneth J. Mock
übers. von Nikolaus Gamel
Anmerkung der Redaktion:
Mit nachfolgendem Beitrag nehmen wir die Diskussion über die
Restitution der Kirche, vornhemlich über die Möglichkeit einer
Papstwahl wieder auf. Die Arbeit von Herrn Kenneth J. Mock hat
vorbereitenden Charakter. Anhand historischer Beispiele will sie nach
Parallelen und Modellen suchen, die auch auf unsere Situation Anwendung
finden könnten.
E. Heller
***
Anders als das Große Morgenländische Schisma, welches durch die
Ablehnung des päpstlichen Primats entstanden ist, wurde das große
Schisma des Westens durch einen Streit darüber, wer der wahre Papst
war, ausgelöst.
Nach Jahren unter der Herrschaft eines einzigen Papstes in Avignon in
Frankreich verlegte Gregor XI. (Roger de Beaufort) den Amtssitz des
Papstes wieder zurück nach Rom. Nach seinem Tod im März 1378 sahen sich
die Kardinäle, welche zur Wahl eines Nachfolgers zusammentraten, dem
gewalttätigen Druck der von gewissen Scharfmachern aufgehetzten
Bevölkerung Roms ausgesetzt. "Unter Furcht und Zwang," - wie sie später
sagten -, wählten sie den Erzbischof von Bari, Bartolomeo Prignano am
8. April 1378 zum Papst, der den Namen Urban VI. annahm. Er war nicht
Kardinal. Er erwies sich bald als zu hart und streng, so daß die
Kardinäle fünf Monate später in Fondi die Wahl von Urban für null und
nichtig erklärten und Robert von Genf als Clemens VII. zum Papst
wählten. Damit verursachten sie eine Spaltung in der Kirche.
Dieses so begonnene Schisma verdient den Namen "Großes Schisma"
deshalb, weil niemals zuvor oder danach ein Schisma so lange dauerte
und so viel Unheil anrichtete wie dieses, ausgenommen die große
Apostasie in unserer Zeit. (Vor Clemens VII. hatte es bereits 39
Gegenäpste gegeben.)
Das Große Abendländische Schisma dauerte 39 Jahre, bis es durch die
Wahl von Martin V. im Jahre 1417 in Konstanz glücklich beendet wurde.
Dies war nur ein wenig länger als die Zeit, die wir bis jetzt unter den
vier Okkupanten des päpstlichen Stuhls des 20. Jahrhunderts zubringen
mußten.
Clemens VII. zog sich nach Avignon zurück. Bald begannen sich die
Nationen Europas zu spalten in Bezug darauf, welchem der beiden, die
Anspruch auf den Heiligen Stuhl erhoben, sie sich unterstellten. Sogar
große Heilige der damaligen Zeit waren nicht einer Meinung. Katharina
von Siena sprach sich für die römische Linie aus, Vinzenz Ferrer für
Avignon. Kriege brachen aus zwischen den verschiedenen Parteien und das
geistliche Chaos war unbeschreiblich. Jede Seite betitelte die andere
als häretisch und schismatisch und man warf nur so um sich mit
Beschuldigungen gegen solche, die nicht die eigene Meinung teilten in
Bezug auf den, der den Anspruch erhob, der rechtmäßige Papst zu sein.
Sogar innerhalb von Familien kam es zu Spaltungen.
Das Schisma verschlimmerte sich durch die Ernennung neuer Kardinäle und
neuer Gegenpäpsten auf beiden Seiten immer mehr. Allmählich begannen
die großen Geister der katholischen Universitäten und führende
Persönlichkeiten in beiden Gefolgschaften nach Mitteln und Wegen zu
suchen, um das Schisma zu beenden.
In der römischen Linie der Päpste folgte auf Urban VII. im Jahre 1389
Bonifaz IX., dann im Jahre 1392 Innozenz VII., dann 1406 Gregor
XII. Dieser war der letzte der römischen Linie vor
Wiederherstellung der Einheit. In der Linie von Avignon wurde nach dem
Tod von Clemens VII. im Jahre 1394 Petrus de Luna als Benedikt XIII.
gewählt. De Luna, ein listiger Spanier und einer der ursprünglichen
Kardinäle unter Gregor XI., lebte bis zum 23. Mai 1423. Er beharrte auf
der Meinung, gültig gewählt worden zu sein, bis zu seinem Tod in
Spanien.
Diplomatische Bemühungen gab es vom Beginn des Schismas an bis zu
dessen Ende. Man versuchte, die rivalisierenden Päpste an einen Tisch
zu bringen, um die Spaltung zu beenden, aber irgendwelche Umstände
verhinderten immer wieder solche Treffen. Während verschiedene Päpste
beider Seiten zu einer Übereinkunft bereit waren, gingen die Dinge aber
nur im Schneckentempo voran. Das führte dazu, daß die Kardinäle auf
beiden Seiten der Sache allmählich überdrüssig wurden. Sie beschlossen
schließlich, die Sache in ihre eigenen Hände zu nehmen.
Es wurde eine ganze Anzahl von Vorschlägen gemacht, wie das Schisma
beendet werden könnte. So wurde z.B. vorgeschlagen, beide Kontrahenten
sollten gleichzeitig zurücktreten oder ein allgemeines Konzil
sollte angestrebt werden. Durch den gleichzeitigen Rücktritt hätte man
eine eindeutige Sedisvakanz erreicht, wie das im Fall von Cölestin V.
der Fall gewesen war. 1) Ein schiedsrichterliches Verfahren hätte man
in Gang bringen können, indem beide Seiten einvernehmlich ein Gremium
von Richtern hätte einsetzen müssen. Die Entscheidung dieses
Schiedsgerichtes wäre dann für beide Seiten bindend gewesen. Das
Allgemeine Konzil wurde angeregt, weil zum damaligen Zeitpunkt viele
glaubten, ein Konzil sei eine Autorität, die über dem Papst stehe, so
daß es die beiden Kontrahenten unter Zwang absetzen und einen anderen
an ihre Stelle wählen könnte.
"Nachdem die Versuche gescheitert waren, den Rücktritt zu erreichen
oder ein Schiedsgericht zustande zu bringen, beriefen 1409 die
Kardinäle beider Linien das Konzil von Pisa, wobei weder Gregor XII.
noch Benedikt XIII. an dieser Einberufung beteiligt waren. Sie gingen
einfach von der Voraussetzung aus, so vorgehen zu müssen, wie wenn der
heilige Stuhl wirklich vakant wäre. Sie betrachteten sich als
rechtmäßige Träger der Regierungsgewalt der Kirche. Beide Päpste
bemühten sich nun, eigene Konzilien einzuberufen, um der Rebellion der
Kardinäle entgegenzuwirken. Aber das Konzil von Pisa fand statt, obwohl
seine Einberufung nach dem damaligen Kirchenrecht absolut illegal war.
Es wurde außerordentlich bedeutsam."
"Der wachsende Wunsch nach Einheit allein genügt nicht, um diese
erstaunliche Tatsache zu erklären. Von außen gesehen war die Synode von
Pisa ein Akt offener Rebellion gegen den Papst, wenn man die
katholischen Prinzipien zugrundelegt. Daß eine solche, dem Wesen nach
revolutionäre Versammlung sich selbst für zuständig erklären konnte,
die Ordnung wieder herzustellen, und eine solche Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen, war nur möglich geworden durch die Verdunklung der
katholischen Lehre in Bezug auf den Primat des hl. Petrus und die
monarchische Verfassung der Kirche infolge des Schismas." 2)
"Es war Christi Wille, daß die Kirche ein einziges, sichtbares
Oberhaupt haben sollte. Die gemeinsame Verbindung all der Einzelglieder
der Kirche unter einem Oberhaupt sollte die im höchsten Maße
vollkommene Einheit gewährleisten." 3) Deshalb ernannte unser Herr und
Erlöser kurz vor seiner Himmelfahrt, so wie er es versprochen hatte
(vgl. Matth. XVI. 17-19), den Apostel Petrus zu seinem Stellvertreter
hier auf Erden, nachdem Petrus dreimal seine Liebe bekundet hatte.
Petrus ist das Fundament und der Mittelpunkt der Kirche, der Hirte der
Lämmer und der Schafe, das heißt der gesamten Gemeinschaft der Erlösung
Teilhaftigen auf Erden, wie es bei Johannes heißt (Joh. 21.l5 ff).
Der Primat, welcher dem hl. Petrus verliehen wurde, ist nach der Lehre
der Kirche nicht bloß eine Vorrangstellung und ein Anspruch auf Ehre,
sondern er ist ein Primat der Jurisdiktion, der vollkommenen
geistlichen Gewalt und Autorität. Insofern Christus diese Gewalt
umnittelbar und direkt dem hl. Petrus verliehen hat, so hat er sie für
die Kirche, nicht von ihr. Petrus ist nicht der Repräsentant und der
Delegierte der Kirche, sondern ihr von Gott eingesetztes Haupt.
Aufgrund dieser höchsten Autorität sind alle ihre Glieder, die Bischöfe
eingeschlossen, dem Papst untergeordnet, ob wir sie nun als
Einzelperson sehen oder in einem Konzil versammelt. Die frühe Kirche
hielt an dem Grundsatz fest, daß die höchste Autorität von niemand
gerichtet werden könne; sie war also weit entfernt davon, den Papst
einem Konzil zu unterstellen.
Ein Allgemeines Konzil kann nicht existieren ohne den Papst oder gar in
Opposition zu ihm, denn als Oberhaupt der Kirche ist er
notwendigerweise und wesentlich das Oberhaupt des Konzils, dessen
Dekrete allein durch seine Bestätigung für die Weltkirche in Kraft
treten. Als oberster Gesetzgeber kann der Papst in Sachen der Disziplin
die Dekrete eines Allgemeinen Konzils ändern oder revidieren, ebenso
wie auch die seiner Vorgänger.
Die frühere kirchliche Gesetzgebung stellt eine Richtschnur für sein
Handeln dar. Er muß, obwohl er das Oberhaupt ist, durch sein eigenes
Beispiel zeigen, daß er das Gesetz respektiert. Der Primat, in sich
selbst verstanden, beinhaltet also die oberste richterliche Gewalt. In
allen kirchlichen Angelegenheiten kann man nur bei ihm selbst Berufung
einlegen, man kann nicht bei einer anderen gerichtlichen Instanz
Berufung einlegen gegen ihn. Die Fülle der Gewalt über die
Gesamtkirche, welche dem Heiligen Stuhl verliehen wurde, ist durch
nichts anderes begrenzt als durch Göttliches Recht und das Naturrecht.
Das Schisma stellt die Diskussion über die Stellung des Papstes in der
Kirche in den Vordergrund, indem es das wirkliche Zentrum der Einheit
angriff. In einer Zeit solcher Unruhe und Gärung mußte die Diskussion
unausweichlich einen revolutionären Charakter annehrnen,
höchstgefährlich für die Kirche. Es wurde eine Menge von Theorien
vorgebracht, die mehr oder weniger offen ihrer Lehre entgegengesetzt
waren. Man verließ die soliden Fundamente des Gesetzes und
verschlimmerte so das Durcheinander. Viele Leute, die ansonsten fest
zur Kirche standen, wurden durch diese anti-päpstlichen Tendenzen in
den Sog des Strudels gezogen. 4) [Wir sollten diese Parallele zur
Situation unserer Tage wohl beachten. Häretische Theorien, Verlassen
der soliden gesetzlichen Basis haben alle zu der Konfusion und
Zersplitterung der noch übriggebliebenen Katholiken, welche den ganz
großen Abfall vermieden haben, beigetragen.]
"Abgesehen von der neuen Theorie von der Oberhoheit des Konzils über
den Papst, gingen manche soweit, daß sie Ansichten vertraten, welche
völlig die Einheit der Kirche leugneten. Man sagte, es mache wenig aus,
wieviele Päpste es gäbe, es könne ruhig zwei oder drei oder gar zehn
oder zwölf geben; oder auch jedes Land könne seinen eigenen,
unabhängigen Papst haben. Manche meinten, es könne ja der Wille Gottes
sein, daß das Papsttum eine Zeitlang oder auch auf Dauer geteilt sei,
wie es der Fall war mit dem Königreich Davids, auch nach dem Beispiel
irdischer Reiche, welche ständigen Veränderungen unterworfen sind. Wenn
man auch der Meinung war, der Wille Gottes sei unerforschlich, so
dachte man doch, die Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit
könnten moglicherweise tatsächlich gegen Gottes Willen gerichtet sein."
"Die obige Meinung, die man als eine Konsequenz der Lehre Wilhems von
Ockham betrachten kann, wurde heftig bekämpft von Heinrich von
Langenstein in seinem Vorschlag zu Erlangung von Friede, Einheit und
Reformation der Kirche durch ein Allgemeines Konzil, verfaßt im Jahre
1381. Er sieht das Schisma als eine Zulassung Gottes, der in seiner
Weisheit, die immer das Böse zum Guten zu wandeln vermag, dieses
schlimme Unglück zwar nicht verhindert hat, aber damit die rechte und
notwendige Reform der Kirche erreicht." 5)
In dieser Hinsicht hatte er Recht. Unter den mehr extravaganten Dingen,
die Heinrich von Langenstein (übrigens vielleicht der bedeutendste
Theologe seiner Zeit) zur Rechtfertigung von Pisa vorbrachte, sind
folgende: Man brauche der Einsetzung des Papstamtes durch Christus kein
besonderes Gewicht beizumessen. Die Kirche habe auch das Recht, ein
Oberhaupt zu bestimmen, wenn Er das nicht getan hätte. Wenn die
Kardinäle einen Papst gewählt hätten, welcher nicht der Kirche
Gefolgschaft leiste, so habe die Kirche das Recht, die Fehlleistung der
Kardinäle zu revidieren und sie sogar von ihrem Amt zu entbinden. Die
Vollmacht, einen Papst zu wählen, habe der Episkopat; sie falle diesem
wieder zu, wenn die Kardinäle nicht wählen können oder wollen, oder ihr
Recht mißbrauchen. Alle Akte der Kirche und des Staates seien danach zu
beurteilen, inwieweit sie das Gemeinwohl fördern. Notwendigkeit breche
das Recht, ja mache es sogar zur Pflicht es zu brechen. (...) Wir
sollten auf den Geist des Gesetzes achten, nicht auf den Buchstaben.
(...) Bei der Interpretation jedes Gesetzes sollten wir das
Aristotelische Prinzip von der Billigkeit (epikeia) vor Augen haben.
Dem gemäß behauptet Heinrich von Langenstein, daß es für ein Konzil
nicht wesensnotwendig sei, daß es vom Papst einberufen wird. Dies könne
statt dessen durch einen weltlichen Fürsten geschehen! Die Autorität
eines Konzils stehe über dem Papst und über dem heiligen
Kardinalskollegium, denn allein der Kirche sei verheißen worden, daß
die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden! Diese Theorien,
mit denen Heinrich von Langenstein mit dem gesamten kirchenrechtlichen
System brach, wurden bald weithin verbreitet. Die überaus gefährliche
Lehre vom natürlichen Notwendigkeitsrecht war das Instrument, das man
nun benutzte bei allen Bemühungen, das Schisma zu beenden. [Erinnern
wir uns daran, daß ganze "katholische Kirchen" in unserer Zeit
entstanden sind auf der Grundlage eben dieses an sich richtigen
Grundsatzes, den man aber falsch anwandte, so wie es in den Tagen vor
Pisa der Fall war.]
Es erhoben sich aber auch andere, loyale warnende Stimmen, welche
klarstellten, daß, auch wenn alle Prälaten der Kirche zusammenkämen,
sie ohne die Autorität des Papstes kein Konzil bildeten, sondern nur
eine Winkelversammlung. Diese Warnungen verhallten ungehört, so wie die
unseren jetzt, wie es scheint, nicht gehört werden von all denen, die
nur daran interessiert sind, ungesetzliche kirchliche Unternehmungen am
Leben zu erhalten oder sich in das Unheil zu stürzen, ihren Favoriten
im klerikalen Gewand zum "Papst" zu wählen.
Kurz vor Pisa waren demokratische Prinzipien in die Köpfe auch der
rechtschaffensten Leute der damaligen Zeit eingedrungen. Diese standen
im Gegensatz zu dem gottgewollten monarchischen Prinzip der Verfassung
der Kirche. Diese Ideen bewirkten, daß Pisa zu einem übereilten und
unbesonnenen Unternehmen wurde, mit einen schlimmen Ausgang, der wohl
nicht von seinem übereifrigen Teilnehmern vorgesehen war. 6)
Unter den eifrigsten Gegnern der aufständischen Väter von Pisa war der
edle König Rupert III.. Er erkannte, daß der von den Kardinälen
eingeschlagene Weg niemals zur Einheit, sondern eher zu einer
"dreifachen Spaltung und zu einer noch schlimmeren Uneinigkeit und
Erniedrigung der Kirche und der Christenheit" führen werde. Er schickte
eine Gesandtschaft nach Pisa. Diese erklärte im Namen des Königs, daß
die Kardinäle auf der Suche nach Einheit ihren Päpsten nicht den
Gehorsam aufkündigen könnten, denn man könne nicht Böses tun, um Gutes
zu erreichen. Weiter, daß die Kardinäle nicht die Einheit aufgeben
dürften, um andere zu vereinen; daß der Papst allein ein Konzil
einberufen könne; daß sie der Welt ihren eigenen Papst präsentiert
hätten, als ob er rechtmäßig gewählt worden sei, während er doch in
Wirklichkeit nicht rechtmäßig sei, und daß ihre eigene Position
ebenfalls als zweifelhaft zu gelten habe.
Ferner bestritt die Gesandtschaft die Rechtmäßigkeit der Vereinigung
der beiden Kardinalskollegien, da nur die Kardinäle der einen Partei
als rechtmäßig anerkannt werden könnten. Diese und andere Vorhaltungen
verhallten ungehört. Die Synode setzte sich über alle Skrupel hinweg
und maßte sich kühn die Autorität über beide Päpste an, von denen
jedenfalls einer das rechtmäßige Oberhaupt der Kirche gewesen sein
mußte.
Die Synode erklärte sich selbst als kanonisch rechtmäßig einberufen,
als ökumenisch; sie repräsentiere die Gesamtkirche. Dann schritt man
zum Gerichtsverfahren und zur Absetzung von Gregor XII. und von
Benedikt XIII. Ohne weitere Verhandlungen mit den beiden Päpsten - auch
nicht dem in Pisa erschienenen - wurde ihre Absetzung erklärt und es
wurde eine neue Papstwahl angeordnet. Am 26. Juni 1409 wählten sie den
hochbegabten Erzbischof von Mailand, Petros Filargis, einen Griechen,
zum Papst. Dieser nahm den Namen Alexander V. an. Anstelle von zwei
Päpsten gab es nun drei! Die Versammlung, welche sich die Einheit zum
Ziel gesetzt hatte, hatte lediglich die Verwirrung vergrößert.
Alexander V. lebte nur noch ein Jahr. Sein Nachfolger war Johannes
XXIII.
Unter den Lektionen, die wir von Pisa lernen können, sollten wir uns
die folgenden merken: Ökumenische Konzilien müssen durch Päpste
einberufen werden und diese oder deren Legaten müssen den Vorsitz
führen, wenn sie in den Augen Gottes Glaubwürdigkeit beanspruchen. Hier
ist wichtig hervorzuheben, daß unsere Instauratio-Bewegung niemals den
Anspruch erhoben hat, ein ökumenisches Konzil zu sein, noch strebt sie
das an. Sie gibt nicht vor, die Autorität zu sein zur Einberufung eines
Konzils. Sie ist eher eine Körperschaft, welche repräsentativ sein will
für die Glieder der Kirche auf der ganzen Erde. Dabei beansprucht sie
ihre Rechtmäßigkeit nicht nach dem Kirchenrecht, sondern nach dem
Naturrecht.
Wir sollten ebenfalls bei Pisa bemerken, daß dort zahlreiche falsche
Theorien vorgebracht wurden, um dieses Unternehmen zu 'rechtfertigen'.
Wir können dies heutzutage ebenfalls sehen bei den Randgruppen, welche
sich übereilt in Papstwahlen gestürzt haben, wobei sie sich auf falsche
Behauptungen gestützt haben: "mystische Erwählung und Ernennung" und
sektiererische Aktionen, welche eindeutig nicht Frucht sorgfältiger
Prüfung der Lehre und des Kirchenrechts waren. Die Ergebnisse sollten
uns nicht überraschen. Unsere Aktion 7) ist nicht, wie es in Pisa war,
eine Aktion gegen irgendeinen, der zurecht Anspruch auf das Papstamt
erhebt. Andere Arbeiten haben die Beweise geliefert für die Vakanz des
Apostolischen Stuhles vom Zeitpunkt des Todes von Pius XII. an, wobei
auch die Theorie vom, "Phantom-Papst" behandelt wurde. Diese Arbeiten
haben auch aufgezeigt, daß all die vergangenen Anstrengungen zur
Beendigung der Vakanz völlig unangemessen waren.
Nun zum Thema Konstanz:
Auf der Synode von Pisa wurde man sich unter anderem einig - womit auch
Johannes XXIII. einverstanden war - daß ein weiteres Konzil, nach Pisa,
in naher Zukunft einberufen werden sollte, um dort das Thema Reform auf
die Tagesordnung zu setzen. Johannes XXIII. war natürlich gegen ein
solches Konzil, nachdem seine Wahl nicht zur Einheit der Kirche geführt
hatte. In Anbetracht seiner eigenen unsicheren Position, die er nicht
in Gefahr bringen wollte, widerstrebte er einer Einberufung des neuen
Konzils. Zum Glück zwangen ihn die Ereignisse, gegen seinen Willen in
diese Richtung doch zu handeln. Ladislaus, der König von Neapel, griff
Rom an. Johannes XXIII. suchte Schutz und Hilfe beim König des
Römisch-Deutschen Reiches Sigismund (1361-1437). Dieser konnte nicht
zum Deutschen Kaiser gekrönt werden, bevor nicht die Christenheit
geeint war unter einem einzigen Papst. Deshalb bewog Sigismund Johannes
XXIII., sein Einverständnis zu geben zur Einberufung des Konzils von
Konstanz und den Vorsitz zu übernehmen.
Daraus folgt, daß das Konzil von Konstanz einberufen wurde von einem
Papst, der in keiner Weise das Recht und die Autorität dazu hatte. Er
leitete ja seine vermeintliche Autorität von einer ungesetzlichen
Synode ab (Pisa). Als er sah, daß unter den in Konstanz versammelten
Konzilsvätern die Mehrheit die Absicht hatte, ihn abzusetzen, floh er
aus Konstanz mit der Absicht, jedwede "gesetzmäßige" Sitzung des
Konzils zu verhindern. Seine Flucht am 20. März 1415 geschah unter
abenteuerlichen Umständen. Zwei Monate später wurde er vom Konzil
"abgesetzt". Johannes XXIII. nahm die Absetzung durch das Konzil hin.
Auf diese Weise nahmen die Ereignisse eine Wende zum Besseren. Dies war
dem Einfluß des hl. Johannes Dominici, einem der großen Heiligen der
damaligen Zeit, zu verdanken. Er hatte sich der Obödienz Gregors XII.
in Rom unterstellt. Der hl. Johannes Dominici bewog den widerstrebenden
Gregor XII. seinerseits das Konzil einzuberufen, das inzwischen schon
tagte. Dann sollte auch er abdanken. Dies geschah dann am 4. Juli 1415.
Vor seiner Abdankung erklärte er die Kardinäle der Obödienz Johannes'
XXIII. für legal und nahm sie offiziell in die Gemeinschaft der übrigen
Kardinäle auf. Dann wies das Konzil auch die Unrechtmäßigkeit von
Benedikt XIII. nach und setzte ihn ab.
Achten wir hier auf den wichtigsten Punkt: die Abdankung Gregors XII.,
der wohl damals der echte Papst gewesen sein mußte. Seine Abdankung
führte zu einer echten Vakanz des Apostolischen Stuhles und ermöglichte
so die darauffolgende gültige Wahl von Martin V. Dies alles war möglich
geworden durch ein neues Verfahren, das niemals zuvor und seitdem auch
niemals mehr danach bei der Wahl eines Papstes angewandt wurde.
Von unserem heutigen Standpunkt aus - fünf Jahrhunderte später - ist
der Anspruch Benedikts XIII., der gültig gewählte Papst zu sein,
unrechtmäßig gewesen. Die Konzilsväter damals konnten sich dessen nicht
so sicher sein. Wäre Benedikt XIII. in den Augen Gottes der wahre Papst
gewesen, dann hätte die Abdankung Gregors XII. und die Wahl Martins V.
das Schisma nicht beenden können. Dann wäre der Apostolische Stuhl ja
noch besetzt gewesen und kein Papst hätte gewählt werden können. Aber
Gott-sei-Dank war Gregor XII. der echte Papst. Seine Abdankung war der
einzig notwendige Beitrag von seiner Seite.
Was die Einberufung des Konzils betrifft, so war dies nur eine halbe
Sache. Es hätte nichts ausgemacht, wenn er es nicht einberufen hätte.
Denn so oder so war das Konzil ohne Oberhaupt, das normalerweise kein
Konzil gewesen wäre. Es konnte keinerlei bindende Beschlüsse fassen,
weder in Bezug auf die Lehre noch in Bezug auf die Gesetzgebung. Dies
konnte es erst tun nach der Wahl eines neuen Oberhauptes!
So war das Konzil in einer prekären Lage. Nach der Abdankung Gregors
XII. war es eben nur eine Körperschaft, die repräsentativ war für die
Gesamt-Kirche, aber nach dem Kirchenrecht eben kein echtes Konzil. Ohne
Papst konnte es nur eines gültigerweise tun: Es konnte der Vollkommenen
Gemeinschaft, die es repräsentierte, ein Oberhaupt wählen. Aber eben
nach dem Naturrecht! 8) Dies tat es und das Schisma wurde beendet.
Das damals geltende Kirchenrecht verlangte ausschließlich Kardinäle für
die Papstwahl. Aber in Anbetracht der Verwirrwng bezüglich der immer
noch schwelenden Unsicherheit darüber, wer die echten Kardinäle waren,
und aus Furcht vor neuen Spaltungen (es waren ja immerhin die
Kardinäle, welche für das große Schisma verantwortlich waren) scheuten
diese sich, das Kirchenrecht anzu-wenden. So waren sie völlig auf sich
selbst gestellt und mußten die Sache anders anpacken. Die Konzilsväter
ließen deshalb das Kirchenrecht außer acht und einigten sich auf ein
neues Wahlverfahren, das ihnen angemessener erschien. Das war eindeutig
ein Abweichen vom damals geltenden Recht.
Da es ja keinen Papst während der Sitzung von Konstanz gab, welcher die
Beschlüsse zum neuen Wahlverfahren per Dekret hätte promulgieren
können, darf diese Verfahrensordnung auf keinen Fall als (positives)
Kirchenrecht betrachtet werden. Sie war lediglich eine gegenseitige
Übereinkunft der anwesenden Glieder (und Nichtglieder) der Kirche
darüber, wie sie vorgehen wollten, um gültig den neuen Papst zu wählen.
Als solche war sie eine Aktion unter dem Naturrecht. Da diese
Versammlung repräsentativ war für die Gesamtkirche, war sie befugt,
dies zu tun. Aber bis zum Amtsantritt von Martin V. im November 1419
hatte nichts von all dem, was das Konzil erarbeitete, einen offiziellen
Charakter oder (juridische) Gültigkeit.
Dem Verfasser dieser Arbeit erscheint es einleuchtend, daß auf dem
Konzil von Konstanz dies und nichts anderes geschah, wenn auch damals
die Dinge anders gesehen wurden. Damals glaubte man, mit dieser
Verfahrensordnung irgendwie im Rahmen des Kirchenrechts zu handeln. Aus
keinem der Texte (etwa einem Dutzend und mehr), welche ich zu Rate
gezogen hab, ging hervor, daß die großen führenden Köpfe der damaligen
Zeit ernsthaft angeregt hätten, daß das Schisma beendet werden könnte
durch die Zugrundelegung des Naturrechts. In dieser Hinsicht muß man
sich von gewissen Grundsätzen leiten lassen, welche sowohl auf dem
Naturrecht als auch auf den Geboten Gottes beruhen. Diese Grundsätze
beschränken in unserem Falle die absolute Freiheit des Handelns, welche
ansonsten in neutralen Fällen besteht.
So zum Beispiel wäre es nicht angemessen, diejenigen, welche letztlich
feindselig gegenüber der Kirche eingestellt sind, als Wähler
zuzulassen. Sie würden ja naturgemäß ihr Stimmrecht dazu mißbrauchen,
eine erfolgreiche Wahl zu verhindern, z.B. Juden, Protestanten usw..
Andererseits scheint es, wie die Geschichte von Konstanz zeigt,
möglich, diejenigen in den Kreis der Wähler aufzunehmen, welche in
ihrem Denken und Wollen das Wohl der Kirche im Auge haben, auch wenn
sie genaugenommen nicht Glieder der Kirche sind, z.B. öffentliche
materielle Schismatiker. Als solche haben sie kein ordentliches
Stimmrecht. Solche Katholiken sehnen sich ja ebenso wie die wirklichen
Glieder der Kirche nach einer Wiederherstellung der höchsten Autorität
in der Kirche. Daneben suchen sie ja auch die Aufhebung ihrer
Illegitimität. Ihnen kann und sollte auch, meiner Meinung nach, ihr
Platz zugestanden werden in den Reihen derer, welche die Wahl
vornehmen. Das lehrt uns das Wahlverfahren des Konzils von Konstanz.
am Fest der hll. Johannes und Paulus, dem 26. Juni 1995
Anmerkungen:
1) Anm.d.Red.: Auf Vorschlag Karls II. von Neapel war
der Einsiedler Petrus de Murrone nach einer Sedisvakanz von über zwei
Jahren am 5.7.1294 zum Papst gewählt worden, der sich den Namen
Cölestin V. gab. Da der unerfahrene Eremit den Anforderungen seines
Amtes nicht gewachsen war, legte er die päpstliche Würde am 13.12. des
gleichen Jahres nieder, nachdem der nachmalige Bonifaz VIII. die
kano-nistischen Bedenken gegen eine Resignation zerstreut hatte.
2) Paststor, Ludwig von: "Die Geschichte der Päpste" Band 1, S. 178. (5. Aullage) Freiburg i. Brsg. 1923.
3) "Ecclesiae unita in duobus attenditur, scilicet in connexione
membrorum Ecclelisae sd invicem seu communicatione, et iterum in
ordinae membrorum ad unum caput. (...) Hoc autem caput est ipse
Christus, cujus vicem in Ecclesia gerit Summus Pontifex." S. Thom.
Aqu.. "Summa theologiae"., II, 2, q. 39, a. I.
4) siehe das oben zitierte Werk von Pastor, S. l 79, 180.
5) ibidem S.182.
6) Viele, wenn nicht alle Probleme unserer Tage hätten
vermieden werden können, wenn die Geschichte und die Lektionen von Pisa
und Konstanz zur Pflichtlektüre gemacht worden wären für die
"katholischen" Kirchengründer.
7) Gemeint: die Vorbereitung auf eine Papstwahl.
8) Was hier mit Naturrecht gemeint ist, müßte eigentlich als
unmittelbar göttliches Recht angesetzt werden: nämlich der legitime
Auftrag, einen Nachfolger des hl. Petrus als Stellvertreter Christi zu
wählen. - Anm. d.Red.
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