Vom hl. Papst Pius X.
Privataudienz, die er Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus, im Jahre 1904 gewährte
(Aufzeichnungen aus dem 18. Band von Herzls "Tagebüchern")
26. Januar [1904], Rom.
Gestern war ich beim Papst. [...]
Er empfing mich stehend und reichte mir die Hand, die ich nicht küßte.
[Man] hatte mir gesagt, ich müsse es tun, aber ich tat es nicht.
Ich glaube, dadurch verdarb ich es mir mit ihm, denn jeder, der zu ihm kommt, kniet nieder und küßt ihm mindestens die Hand.
Dieser Handkuß hatte mir viel Sorgen gemacht. Ich war ganz froh, als ich endlich darüber weg war.
Er setzte sich in einen Armstuhl, ein Thron für kleinere Gelegenheiten.
Mich lud er ein, dicht neben ihm niederzusetzen, und er lächelte
freundlich wartend.
Ich begann:
"Ringrazio Vostra Santità per il favore di m' aver accordato quest' audienza. 1)
"un piacere", sagte er gütig abwehrend. 2)
Ich entschuldigte mein miserables Italienisch, aber er sagte:
"No, parla molto bene, signor Commendatore." 3) [...]
Er ist ein guter grobschlächtiger Landpfarrer, dem das Christentum selbst noch im Vatikan etwas Lebendes geblieben ist.
Ich unterbreitete ihm kurz mein Anliegen. Er aber - vielleicht durch
den verweigerten Handkuß gereizt - antwortete streng und bestimmt:
"Noi non possiamo favorire questo movimento. Non potremo impedire gli
Ebrei di andare a Gerusalemme ó ma favorire non possiamo mai. La terra
di Gerusalemme se non era sempre santa, é santificata per la vita di
Jesu Christo (er sagte nicht Gesu, sondern venetianisch Jesu). Io come
capo della chiesa non posso dire altra cosa. Gli Ebrei non hanno
riconosciuto nostro Signore, perció non possiamo riconoscere il popolo
ebreo." 4)
Der Konflikt zwischen Rom, das er, und Jerusalem, das ich vertrat, war somit wieder aufgerollt.
Zunächst versuchte ich es allerdings gütlich. Ich sagte mein Sprüchlein
von der Exterritorialisation, res sacrae extra commercium, her. Es
machte nicht viel Eindruck. Gerusalemme dürfe nicht in die Hände der
Juden kommen.
"Und der jetzige Zustand, Heiliger Vater?"
"Ich weiß, es ist nicht angenehm, daß die Türken unsere heiligen
Stätten besitzen. Das müssen wir eben ertragen. Aber die Juden in der
Erlangung der heiligen Stätten begünstigen, das können wir nicht."
Ich sagte, wir wären nur von der Judennot ausgegangen und wollten den Religionsfragen ausweichen.
"Ja, aber wir, ich als Haupt der Kirche, können es nicht. Zwei Fälle
sind möglich. Entweder die Juden bleiben bei ihrem Glauben und erwarten
noch den Messias, der für uns schon gekommen ist. Dann leugnen sie die
Gottheit Jesu und wir können ihnen nicht helfen. Oder sie gehen ohne
jede Religion hin, dann können wir erst recht nicht für sie sein. Die
jüdische Religion war die Basis der unseren; aber sie wurde ersetzt
durch die Lehre Christi, und wir können ihr keinen weiteren Bestand
zuerkennen. Die Juden, welche die Ersten hätten sein sollen, Jesum
Christum zu erkennen, haben ihn noch heute nicht anerkannt."
Es schwebte mir auf der Zunge:
"So geht es in jeder Familie zu. Die Familie glaubt nicht an ihre Angehörigen."
Aber ich sagte statt dessen: "Der Schrecken und die Verfolgungen waren
vielleicht nicht die richtigen Mittel, um die Juden zu belehren."
Aber er entgegnete, und diesmal war er großartig in seiner Einfachheit:
"Unser Herr kam ohne Macht. Era povero 5). Er kam in pace 6). Er
verfolgte niemand. Man verfolgte ihn. Sogar von den Aposteln wurde er
abbandonato 7). Erst nachher wuchs er. Erst nach drei Jahrhunderten war
die Kirche entwickelt. Die Juden hatten also Zeit, sich ohne Druck zu
seiner Gottheit zu bekennen. Aber sie tun es noch heute nicht."
"Aber, heiliger Vater, es geht den Juden entsetzlich schlecht. Ich weiß
nicht, ob Ew. Heiligkeit den ganzen Umfang dieser traurigen Lage
kennen. Wir brauchen ein Land für diese Verfolgten."
"Muß es Gerusalemme sein?"
"Wir verlangen nicht Jerusalem, sondern Palästina, nur das profane Land."
"Wir können nicht dafür sein."
"Kennen Sie, Heiliger Vater, die Lage der Juden?"
"Ja, von Mantua her. Dort gibt es Juden. Ich war auch immer in guten
Relationen mit Juden. Erst neulich abends waren zwei Juden hier bei
mir. Es gibt ja noch andere Beziehungen als die der Religion: die
Höflichkeit und die Wohltätigkeit. Die versagen wir den Juden nicht.
Wir beten ja auch für sie: daß ihr Sinn erleuchtet werde. Gerade heute
begeht die Kirche das Fest eines Ungläubigen, der auf dem Wege nach
Damaskus auf wunderbare Weise zum rechten Glauben bekehrt wurde. Und
so, wenn Sie nach Palästina kommen und Ihr Volk ansiedeln werden,
wollen wir Kirchen und Priester bereit halten, um Sie alle zu taufen."
[...]
27. Januar [1904], Rom. [...]
Nachzutragen vom Papst.
Er sprach vom Tempel zu Jerusalem. Der sei zerstört worden, für immer.
Solle man den etwa wieder aufbauen und da den Opferdienst in der alten
Weise verrichten?
Anmerkungen:
1) "Ich danke Eurer Heiligkeit für die Gunst, mir diese Audienz gewährt zu haben".
2) "Es ist mir ein Vergnügen".
3) "Nein, Sie sprechen sehr gut, Herr Commendatore".
4) "Wir können diese Bewegung [des Zionismus] nicht begünstigen. Wir
können nicht verhindern, daß die Juden nach Jerusalem ziehen, aber
begünstigen können wir das niemals. Die Erde von Jerusalem, wenn sie
auch nicht immer heilig war, ist geheiligt durch das Leben Jesu
Christi. Ich als Haupt der Kirche kann nichts anderes sagen. Die Juden
haben unseren Herrn nicht anerkannt, folglich können wir das jüdische
Volk nicht anerkennen".
5) "Er war arm".
6) "in Frieden".
7) "verlassen".
(aus: Theodor Herzl: "Tagebücher", 18. Buch; in: "Gesammelte zionistische Werke", Bd. IV, Tel Aviv 1934, S. 555 ff.
Übersetzung der italienischen Passagen: CJ)
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