Die Berufung des Matthäus
des Petrus, Jakobus, Andreas und des Johannes
- NACH DEN VISIONEN DER GOTTSELIGEN
ANNA KATHARINA EMMERICH -
Jesus aber ging einen Weg am Seeufer rechts ab mit den Jüngern, so daß
sie in einiger Entfernung von Matthäi Haus vorüberkamen. Von diesem Weg
lenkte aber ein Seitenpfad nach der Zollstätte des Matthäus; und da
Jesus sich dahin wendete, blieben die Jünger scheu stehen. Als
Matthäus, vor dessen Zollhaus Knechte und Zöllner mit allerlei Waren
beschäftigt waren, Jesus und die Jünger von der Anhöhe zu ihm kommen
sah, schämte er sich und zog sich in seine Hütte zurück. Jesus aber
nahte und rief ihm über den Weg. Da kam Matthäus eilends heraus, warf
sich vor Jesus auf sein Angesicht nieder und sagte, er habe sich nicht
würdig geglaubt, daß Jesus mit ihm rede. Jesus aber sagte ihm:
"Matthäus stehe auf und folge mir nach!" Und Matthäus stand auf und
sagte, daß er alles sogleich mit Freuden verlassen und ihm folgen
wolle. Er ging nun mit Jesus auf den Weg, wo die Jünger standen. Diese
grüßten ihn und reichten ihm die Hände; besonders waren Thaddäus, Simon
und Jakobus der Kleinere froh, denn sie waren vom Vater Alphäus her
Brüder, der vor seiner Ehe mit Maria Kleophä Tochter den Matthäus mit
einer früheren Frau gehabt hatte. Matthäus wollte, daß alle seine Gäste
sein sollten. Jesus sagte ihm aber, daß sie morgen zu ihm kommen
wollten, und so gingen sie weiter.
Matthäus eilte nach seinem Hause zurück, welches eine Viertelstunde vom
See an einer Bucht der Anhöhe liegt. Das Flüßchen, das von Gerasa in
den See läuft, fließt nahe dabei vorüber. Es hat Aussicht auf den See
und auf das Feld. Matthäus setzte gleich einen guten Mann von Petri
Schiff an seine Stelle, das Amt bis zur näheren Anordnung zu verwalten.
Er war verheiratet und hatte vier Kinder. Er sagte seiner Frau freudig
das Glück, das ihm widerfahren, und wie er alles verlassen und Jesu
ganz folgen wolle, worüber auch sie voll Freude war. Hierauf befahl er
ihr, die Mahlzeit auf morgen zu bereiten und beschäftigte sich selbst
mit den Einladungen und Anordnungen dazu. Matthäus war schier so alt
wie Petrus und hätte wohl seines jüngeren Halbbruders Joses Barsabas
Vater sein können. Er war ein schwerer, starkknochiger Mann mit
schwarzem Bart und Haar. Seit er Jesus auf dem Weg nach Sidon
kennengelernt, hatte er die Johannestaufe empfangen und sein ganzes
Leben nach der größten Gewissenhaftigkeit eingerichtet.
Tags darauf kam Jesus gegen Mittag mit den Jüngern zu Matthäi Haus
zurück, wo viele eingeladene Zöllner versammelt waren. Unterwegs
schlossen sich ihm einige Pharisäer und Johannesjünger an, die aber
nicht mit in das Haus, sondern draußen mit den Jüngern im Garten
umhergingen und ihnen sagten: "Wie könnt ihr es dulden, daß er sich
immer mit Sündern und Zöllnern so vertraut macht?" Da antworteten
diese: "Sagt es ihm selber!" Die Pharisäer aber erwiderten: "Mit einem
Menschen, der immer recht haben will, kann man nicht sprechen."
Matthäus empfing Jesus und die Seinigen gar liebevoll und demütig und
wusch ihnen die Füße. Seine Halbbrüder umarmten ihn herzlich. Er
brachte Jesu sein Weib und seine Kinder. Jesus sprach mit ihr und
segnete die Kinder; hernach erschienen die Kinder nicht mehr. Ich habe
mich oft gewundert, daß die Kinder, wenn er sie gesegnet hatte,
gewöhnlich nicht mehr zum Vorschein kamen. Ich sah aber, daß Jesus saß
und Matthäus vor ihm kniete, und daß Jesus ihm die Hand auflegte, ihn
segnete und belehrende Worte dabei sprach. Matthäus hatte sonst Levi
geheißen und erhielt jetzt den Namen Matthäus. Es war eine große
Mahlzeit an einer ins Kreuz gestellten Tafel in offener Halle. Jesus
saß von den Zöllnern umgeben; man stand in Zwischenräumen auf und
besprach sich und saß wieder nieder bei neuen Gerichten. Es kamen
vorübergehende arme Reisende heran, denen die Jünger Speise mitteilten.
Es führte hier die Straße zur Überfuhr vorüber. Dazwischen nahten die
Pharisäer den Jüngern, und es traten die Reden und Widerreden ein,
welche im Evangelium des heiligen Lukas 5, 30-39 stehen. Sie sprachen
aber hauptsächlich vom Fasten, weil am Abend bei strengen Juden ein
Fasttag eintrat wegen der Verbrennung der Bücher Jeremiä durch König
Joachim und auch deshalb, weil es bei den Juden in Judäa besonders
nicht gewöhnlich war, auf dem Wege Früchte abzupflücken, was Jesus
seinen Jüngern erlaubte. Als Jesus die Antworten gab, lag er zu Tisch
mit den Zöllnern; die Jünger aber, an welche die Reden der Pharisäer
gingen, standen und wandelten umher. Jesus wendete das Haupt und
antwortete.
Als Jesus am folgenden Morgen an den See ging, von dem die Wohnung des
Matthäus eine Viertelstunde entfernt lag, waren Petrus und Andreas im
Begriff, in den See hinauszufahren und ihre Netze auszuwerfen. Jesus
aber rief ihnen zu: "Kommt und folget mir! Ich will euch zu
Menschenfischern machen." Sie ließen sogleich ihre Arbeit, legten das
Schiff an und kamen ans Ufer. Jesus aber ging noch eine Strecke weiter
am Ufer zu des Zebedäus' Schiff, der mit seinen Söhnen, Jakobus und
Johannes die Netze auf dem Schiff in Ordnung brachte. Er rief auch
ihnen, zu kommen, und sie kamen gleich ans Land. Zebedäus blieb mit den
Knechten im Schiffe.
Nun sendete sie Jesus in das Gebirge mit dem Befehle, die dort
gelagerten Heiden, welche es verlangen würden, zu taufen. Er hatte sie
gestern und vorgestern schon vorbereitet.
Jesus hatte die Fischer schon früher von ihrem Geschäft förmlich
abberufen; doch waren sie mit seinem Willen immer wieder dahin
zurückgekehrt. So lange sie nicht selber lehrten, war es auch nicht
nötig, daß sie ununterbrochen mit ihm zogen; auch war ihre Schiffahrt
und ihr Verkehr mit den heidnischen Karawanen dem Aufenthalt Jesu in
Kapharnaum sehr nützlich. Als sie nach den vorigen Ostern längere Zeit
hindurch mit Jesus gewesen waren, hatten sie wohl da und dort schon
gelehrt und selbst geheilt; doch war das letztere ihnen nicht immer
gelungen aus Mangel an Glauben. Sie hatten auch Verfolgung schon
erlitten; denn in Gennabris waren sie gebunden vor die Pharisäer
geführt und gefangengehalten worden. Sie hatten damals auch von Jesus
die Vollmacht empfangen, das Wasser zur Taufe zu segnen. Er hatte ihnen
diese Vollmacht nicht durch Handauflegung, sondern mit einer Segnung
gegeben.
Petrus hatte nicht bloß mit der Schiffahrt zu tun, sondern besaß auch
Feldwirtschaft und Vieh; darum wurde es ihm schwerer als den anderen,
von seinem Hauswesen sich loszumachen. Dazu kam noch das Gefühl seiner
Unwürdigkeit und seines vermeintlichen Unvermögens zum Lehren, was ihm
die Trennung noch mehr erschwerte. Sein Haus vor Kapharnaum war groß
und lang und mit einem Hof und Seitengebäuden, Hallen und Schuppen
umgeben. Der vorüberfließende Bach von Kapharnaum war zu einem hübschen
Teich gestaut, worin Fische bewahrt wurden. Umher waren Rasenplätze,
auf welchen gebleicht und Netze ausgespannt wurden.
Andreas war schon länger und mehr vom Geschäft getrennt. Jakobus und
Johannes kehrten bis jetzt auch immer wieder zu ihren Eltern
zurück.
Da die Evangelien den umständlichen Lebenswandel Jesu mit den Jüngern
nicht enthalten sollten, sondern nur einen kurzen Auszug, so wurde
dieses Abberufen der Fischer von ihren Schiffen und vom vorgehabten
Fischzuge zum Fischen der Menschen, als den ganzen Beruf des heiligen
Petrus, Andreas, Johannes und Jakobus umfassend, an den Anfang
hingesetzt; manche Wunder, Parabeln und Lehren Jesu aber als eine
Beispielsammlung danach, ohne eine bestimmte Ordnung der Zeit.
Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes zogen nach dem Lagerplatz der
Heiden, wo Andreas taufte. Aus dem Bache wurde Wasser in einem Becken
gebracht; die Täuflinge schlossen einen Kreis und knieten nieder mit
vor der Brust gekreuzten Händen. In dem Kreise standen auch Knaben von
drei bis sechs Jahren. Petrus hielt das Becken, und Andreas sprengte
mit der Hand schöpfend dreimal drei Täuflingen über das Haupt und
sprach die Taufworte; die andern Jünger gingen von außen herum und
legten ihnen die Hände auf. An die Stelle der Getauften traten immer
wieder neue ein. Es wurden dazwischen Pausen gemacht, und die Jünger
erzählten die ihnen schon gangbaren Parabeln, sprachen von Jesus,
seinen Lehren und Wundern und erklärten den Heiden, was sie noch nicht
von den Gesetzen und Verheißungen Gottes wußten. Petrus konnte
besonders eifrig und mit vieler Aktion erzählen; auch Johannes und
Jakobus sprachen sehr schön. Jesus lehrte in einem andern Tale, und bei
ihm taufte Saturnin.
Als alle am Abend wieder in des Matthäus Haus zusammen kamen, waren
hier noch sehr viele Menschen, welche Jesus drängten; deswegen bestieg
er mit den zwölf Aposteln und Saturnin das Schiff Petri und befahl
ihnen, gegen Tiberias zu fahren, welche Richtung über die ganze Breite
des Sees führt. Es schien, als wolle Jesus von dem Andrange der Leute
ausruhen, denn er war sehr ermüdet. Er lag in der mittleren Terrasse
der stufenförmigen Umgebung des Mastbaumes in einem der Behälter, wo
die Wächter gewöhnlich liegen, und war eingeschlafen, so müde war er.
Die Rudernden standen über ihm. Man konnte von diesen Ruhestellen frei
heraussehen, und oben war man bedeckt. Es war ganz still und schön, als
sie abfuhren.
Sie waren ungefähr mitten auf dem See, als ein heftiges Ungewitter
entstand. Es war mir seltsam, daß der Himmel ganz schwarz war und man
doch die Sterne sehen konnte. Es war ein schrecklicher Wind, und die
Wellen schlugen ins Schiff; das Segel hatten sie herabgelassen. Ich sah
auch oft einen lichten Schein über das bewegte Wasser hinfliegen; es
muß geblitzt haben. Die Gefahr wurde immer größer, die Jünger waren in
großer Angst, weckten Jesus und sagten: "Meister, bekümmerst du dich
nicht um uns? Wir gehen zugrunde!" Da richtete sich Jesus auf, schaute
hinaus und sagte ruhig und ernst, als rede er mit dem Sturme:
"Schweige! Verstumme!" Da ward eine plötzliche Stille, alle erschraken
und fragten einander flüsternd: "Wer ist er, daß er den Wellen gebieten
kann?" Er aber verwies ihnen ihren geringen Glauben, daß sie sich
gefürchtet hätten und befahl ihnen, gen Chorazin zurückzufahren, so
heißt die Gegend von Matthäi Zollstätte wegen der Stadt Chorazin, wie
jenseits die Gegend von Kapharnaum bis gegen Gischala Genezareth
genannt ist. Des Zebedäus' Schiff kehrte auch mit zurück; ein anderes
mit Überfahrenden fuhr nach Kapharnaum.
(aus: "Das arme Leben unseres Herrn Jesu Christi" nach
den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Augustinerin des
Klosters Agnetenberg zu Dülmen, Aschaffenburg (Pattloch) 1971, S. 306
ff.) |